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6. Planungsinstrumente

6.3 Planungsinstrumente zur Steuerung von Schrumpfungsprozessen

6.3.3 Fallstudie Stadtumbau Weißwasser

Im folgenden Kapitel werden die Ergebnisse einer sozialwissenschaftlichen Fallstudie des UFZ-Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle (Kabisch, Bernt, Peter, 2004) über den Stadtumbau der Stadt Weißwasser in Sachsen dargestellt. Dadurch soll die Vorgehensweise und die Auswirkungen der Stadtumbauprogramme an einem konkreten Beispiel verdeutlicht werden. Die Stadt Weißwasser ist ein typische DDR-Entwicklungsstadt, welche durch die Ausweitung der Glasproduktion sowie der Braunkohleindustrie einen starken Anstieg der Bevölkerungszahl verzeichnete (Ende des 19. Jahrhunderts: 2.000 EW, 1987: 37.000 EW).

Die wirtschaftlichen und politischen Umbrüche der 1990er Jahre führten in Weißwasser zur Schließung von Industrieunternehmen und zu der Freisetzung von tausenden Arbeitskräften.

Mittlerweile hat Weißwasser bereits ein Drittel der Bevölkerung des Jahres 1987 verloren. In den Jahren 2000 bis 2004 verlor Weißwasser jährlich etwa 4% der Gesamtbevölkerung durch Abwanderung.330

Ablauf des Stadtumbaus in Weißwasser

Bereits Mitte der 1990er Jahre waren die umfangreichen Leerstände für die beiden großen Wohnungsunternehmen in Weißwasser existenzbedrohend. Die Initiative zur aktiven Hand-habung des Themas Leerstand und Rückbau kam daher in Weißwasser von den führenden wohnungswirtschaftlichen Akteuren. Noch vor dem Bericht der Leerstandskommission im Jahr 2000 erstellte die Stadtverwaltung von Weißwasser ein Konzept zum Thema „Rückbau“.

Dieses beinhaltete einerseits eine Differenzierung des Wohnungsangebotes (z.B. Grundriss-änderungen, Wohnungszusammenlegungen, altengerechte Wohnungen), andererseits eine Verringerung des Wohnungsbestandes. Die Rückbaumaßnahmen sollten durch Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes begleitet werden. Allerdings wurden die angedachten

329 Vgl. Jakubowski 2005: 19-20

330 Vgl. Kabisch et al. 2004: 43-66

Maßnahmen nicht öffentlich bekannt gegeben, die Bevölkerung von Weißenwasser wurde über die Planungen nicht informiert. Das Konzept „Rückbau“ diente als informelle Planungs-grundlage für die Wohnungsunternehmen und die Verantwortlichen der Stadtplanung. Be-reits Ende der 1990er Jahre begannen die Wohnungsunternehmungen leer stehende Woh-nungen in den geplanten Abrissgebieten nicht mehr neu zu vermieten, dadurch erhöhte sich der Leerstand in den geplanten Rückbaugebieten zwar immer weiter, allerdings verringerte sich so die Anzahl der umzusiedelnden Mieter. Im Jahr 2000 wurden die ersten 254 Wohn-einheiten in Weißwasser abgerissen.331

Grundsätzlich ist der Großteil der Bewohner Weißwasser sich der großen Probleme der Wohnungswirtschaft bewusst, knapp die Hälfte der befragten Einwohner (n= 567) stimmen den Abriss von Gebäuden auch überein. Allerdings konnte das UFZ Leipzig-Halle herausar-beiten, dass es große Unterschiede in der Akzeptanz des Stadtumbaus zwischen direkt Be-troffenen und nicht beBe-troffenen Einwohnern gibt. Der Wohnungsabriss wird von rund 55%

der Nicht-Betroffenen als notwendig erachtet, hingegen stimmen nur 11% der Betroffenen mit dem Wohnungsabriss uneingeschränkt überein. Die betroffenen Mieter sind der Meinung, dass der Abriss alleine die umfangreichen Probleme Weißwassers nicht lösen kann und der Wohnungsabriss nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden sollen.332

INSEK – Integriertes Stadtentwicklungskonzept

Das integrierte Stadtentwicklungskonzept (INSEK) ist ein wesentlicher Bestandteil des För-derprogramms „Stadtumbau Ost“ und ist Teil der Auflagen, um die finanziellen Fördermittel zu erhalten. Bis zum Jahr 2004 erstellten im Rahmen des Stadtumbaus Ost insgesamt rund 260 Städte ein integriertes Stadtentwicklungskonzept.333 Das INSEK zielt grundsätzlich auf die strategische Steuerung des Kommunalentwicklungsprozesses ab, um eine kommunalpo-litische Gesamtstrategie zu erreichen. Die Rückbau-, Umbau- und Aufwertungsmaßnahmen des Stadtumbaus sollen aufeinander abgestimmt werden.334 Das INSEK ist jedoch nicht als Kommunikationsinstrument, sondern als Maßnahmenplanung mit konkreten Zielvorgaben zu verstehen.335 Die Vorgaben für die Erstellung des INSEK sind äußerst umfangreich und um-fassen unter anderem Prognosen und Abschätzungen zur Entwicklung der Einwohner, Wirt-schaft, Arbeitsplatz, Wohnungsnachfrage und Baulandentwicklung. Weiters sind

331 Vgl. Kabisch et al. 2004: 67-70

332 Vgl. Kabisch 2005: 93-96

333 Vgl. Hannemann 2004: 123

334 Vgl. Bernt 2008: 212

335 Vgl. Bernt 2008: 208

Planungsinstrumente 91 men-, Durchführungs- und Finanzierungskonzeptes für den gesamten Siedlungsraum zu erstellen.336

Die Erstellung des INSEK im Stadtumbauprozess von Weißwasser stellte die Planungsver-antwortlichen aufgrund fehlender Erfahrung, unzureichender Datengrundlage und unklaren Zielvorstellung vor eine große Herausforderung. Die Planungsverantwortlichen der Stadt Weißwasser beraumten für die Erstellung des INSEK lediglich 6 Monate an, in dieser kurzen Zeit war keine Bürgerbeteiligung und umfassende Einbindung der betroffenen Mieter möglich.

Das INSEK baut daher nicht auf einem zivilgesellschaftlichen Grundkonsens auf, sondern wurde in Arbeitskreisen von politischen und wirtschaftlichen Akteuren der Stadt Weißwasser erstellt. Ende 2001 wurde das INSEK in Weißwasser fertig gestellt, erst zu Beginn des Jah-res 2002 folgte eine umfangreiche Einwohnerbefragung.337 Aufbauend auf Bevölkerungs-prognosen und deren Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt sowie dem daraus resultieren-den Abriss von Wohnungsbestänresultieren-den wurresultieren-den im INSEK der Stadt Weißwasser Richtlinien zur Auswahl der Rückbaugebiete festgelegt. Ziel war es unter anderem, dass die Abrissmaß-nahmen zu keiner Abkoppelung anderer Stadtteile von der Innenstadt führen. Weiters sollten die Abrissgebiete keine sanierten sowie privaten Wohnungsbestände umfassen, um Konflik-te mit privaKonflik-ten Eigentümern zu vermeiden. Die im INSEK festgelegKonflik-ten KriKonflik-terien für die Aus-wahl der Rückbaugebiete folgten vor allem wohnungswirtschaftlichen Betrachtungen, städte-bauliche Erwägungen wurden nachrangig berücksichtigt. Weitere Auswirkungen des Leer-standes und des Bevölkerungsrückganges auf die soziale und technische Infrastruktur, den öffentlichen Personennahverkehr oder den Gemeindehaushalt wurden im INSEK der Stadt Weißwasser vollkommen außer Acht gelassen.338

Beurteilung

Der Stadtumbau in Weißwasser entspricht nicht den umfangreichen Zielen des Stadtumbaus, sondern spiegelt vor allem die Sachzwänge der wohnungswirtschaftlichen und infrastruktu-rellen Akteure wider, die den Stadtumbau vorantrieben und ihre Interessen klar durchsetzen konnten. Der flächenhafte Abriss von Wohnbebauung zielte daher auch auf eine effektive Fördermittelabwicklung und eine kostengünstige Nachnutzung ab. Maßnahmen zur Steige-rung der Lebensqualität im verbleibenden Stadtgebiet wurden stark vernachlässigt. Das UFZ Leipzig-Halle kommt daher auch zu der abschließenden Kritik, dass eine derartige Vorge-hensweise lediglich eine krisenhafte Zuspitzung der Problemfelder verhindert, jedoch die Probleme nicht lösen kann.339 Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende Beteiligung und vor

336 Vgl. Bernt 2008: 212-213

337 Vgl. Kabisch 2005: 90-92

338 Vgl. Kabisch et al. 2004: 72-79

339 Vgl. Kabisch et al. 2004: 162

allem die mangelnde Information der Bevölkerung. Die politischen, planerischen und woh-nungswirtschaftlichen Akteure Weißwassers starteten den Umbauprozess ohne Einbindung der Bevölkerung, da sie große Angst vor Protest- und Panikreaktionen der betroffenen Ein-wohner hatten. Diese Befürchtungen waren jedoch deutlich überzogen, die Akzeptanz des Stadtumbaus in Weißwasser ist vor allem aufgrund des mangelnden Informationsaustau-sches zwischen den Wohnungsunternehmen und den Bewohnern entstanden.340 Der Stadt-umbau in Weißwasser verdeutlicht grundsätzliche Probleme der Schrumpfungshandhabung sowie die Bedeutung der Kooperation und des Informationsaustausches zwischen allen Be-teiligten.