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3. Zugänge zum Begriff Schrumpfung

3.3 Begriffsdefinitionen und Diskurs aktueller Schrumpfungsprozesse in der Stadt- und

3.3.2 Begriffsdefinitionen aktueller Schrumpfungsprozesse

Die Vielschichtigkeit des Schrumpfungsprozesses zeigt sich auch in folgenden Definitionen:

Schrumpfung umfasst „stadtregionale Wandlungsprozesse, welche mehrdimensional sind, über rein demographische und ökonomische Prozesse hinausgehen, sich gegenseitig viel-fach überlagern und tiefgreifende Auswirkungen auf alle städtischen Lebensbereiche

47 Vgl. Großmann 2007: 22-24

48 Hesse 2008: 332

49 Vgl. Häußermann 2005: 3

50 Vgl. Hesse 2008: 327-329

Zugänge zum Begriff Schrumpfung 17 ben.“51 Weiters kann Schrumpfung als ungewollter Prozess beschrieben werden, der eine

„ungeplante Nebenwirkung, das indirekte Resultat politischer und wirtschaftlicher Entschei-dungen, Rahmenbedingungen und Prozesse jenseits von Architektur und Stadtplanung“52 darstellt.

Aufgrund der unzähligen Definitionen des Schrumpfungsprozesses und -begriffes wird ver-sucht, in einem kurzen Überblick die Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Besonders wichtig für den strategischen, planerischen Umgang mit Schrumpfung sind das Begriffsverständnis der relevanten Planungsinstitutionen und die Abgrenzung zum oft ver-wendeten Begriff des Stadtumbaus. Im Rahmen eines internationalen Workshops im Jahr 2004 in Leipzig mit dem Thema „Planlosigkeit im Schrumpfungsprozess“ wurde der Schrumpfungsprozess als sozialer und räumlicher Transformationsprozess definiert, der neue Anforderungen an die bauliche und kulturlandschaftliche Umwelt zur Folge hat. Diese Transformationsprozesse können beispielsweise Veränderungen der Bevölkerungszahl und deren Struktur, Arbeitsplätze, Flächennachfrage sowie kommunalen Steuerungsressourcen sein. Im Zentrum des Schrumpfungsprozesses stehen aber demografische Veränderungen und die damit verbundenen notwendigen räumlichen Umgestaltungen.53

Die Bundestransferzentrale Stadtumbau Ost, die für die Umsetzung des Programms Stadt-umbau Ost verantwortlich ist (siehe Kapitel 3.5, Seite 22), definiert den Begriff Schrumpfung als Bevölkerungsverlust, der zu einem Überangebot von Infrastruktureinrichtungen und Wohnungen führt. Die Gründe für den Einwohnerrückgang werden im Zusammenspiel dreier Ursachenkomplexe gesehen: wirtschaftlicher Wandel bzw. Deindustrialisierung, Bevölke-rungs- und Arbeitsplatzsuburbanisierung sowie demografischer Wandel (Geburtenrück-gang).54 Bereits in den 1980er Jahren stellten Häußermann und Siebel (1987) eine Polarisie-rung von Städten in Deutschland fest. Neben Städten, die von Schrumpfungstendenzen be-troffen sind, bestehen noch immer Städte, welche die Wachstumsentwicklungen fortführen können. In der Analyse über die Auslöser und Zusammenhänge städtischer Krisen in Deutschland definieren Häußermann und Siebel schrumpfende Städte durch die Reduktion von Arbeitsplätzen und einer gleichzeitigen Reduktion der Bevölkerung. Die Auslöser der Schrumpfungsprozesse sind einerseits der Prozess der Suburbanisierung, andererseits der Niedergang der industriellen Basis monostrukturierter Städte.55 Nähere Ausführungen dazu sind in Kapitel 4.2 und Kapitel 4.3 (Seite 36 bzw.39) zu finden.

51 Brandstetter et al. 2005: 55

52 Oswalt 2004: 15

53 Vgl. Doehler-Behzadi et al. 2005: 72

54 Vgl. Bundesstransferstelle Stadtumbau Ost, http://www.stadtumbau-ost.info/, 13.03.2010

55 Vgl. Häußermann, Siebel 1987: 28-29; 55; 77

Quantitative Indikatoren von Schrumpfungsprozessen

Die Indikatoren der Bevölkerungsentwicklung und der wirtschaftlichen Leistung einer Region oder Stadt sind zentral für die Definitionen aktueller Schrumpfungsprozesse. Dies führt zu einer verringerten Anzahl an Akteuren innerhalb einer Region, dadurch verringern sich die sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten noch weiter.56 Die wirtschaftliche und demografische Entwicklung schrumpfender und wachsender Regionen kann anhand der folgenden sechs Indikatoren beispielhaft abgegrenzt werden:57

→ Bevölkerungsentwicklung [in %]

→ Gesamtwanderungssaldo je 1.000 Einwohner

→ Arbeitsplatzentwicklung [in %]

→ durchschnittliche Arbeitslosenquote [in %]

→ Realsteuerkraft je Einwohner [in €]

→ Kaufkraft je Einwohner [in €]

Der dauerhafte und deutliche Verlust an Bevölkerung ist die sichtbarste Folge von Schrump-fungsprozessen. Weiters steht der Verlust der ökonomischen Aktivitäten, der zunehmende Leerstand an Büro-, Gewerbe- und Wohnflächen sowie die verringerte Nutzung der Infra-struktur im Mittelpunkt der Betrachtungen von Schrumpfungsprozessen. Die verstärkte Be-trachtung ökonomischer Aspekte der rückläufigen Entwicklungen wird durch die stark betrof-fenen, wirtschaftlichen Akteure forciert. Die folgenden quantitativen Indikatoren umfassen nicht nur die ökonomische und demografische Entwicklung, sondern beziehen auch weitere Kennzeichen des Schrumpfungsprozesses ein:58

→ laufende Bevölkerungsverluste

→ relativer Rückgang der regionalen Wirtschaftsleistung

→ laufende Arbeitsplatzverluste

→ hoher Anteil der Berufspendler (Ein- und Auspendler)

→ Leerstand bei Wohnraum, Geschäften und Betriebsstätten

→ unternutzte technische Infrastruktur

→ Kaufkraftschwäche der privaten Haushalte

→ eingeschränkte Finanzierungsspielräume der öffentlichen Hand

Wenn mehrere Dimensionen der oben angeführten quantitativen Indikatoren über einen län-geren Zeitraum von einer Reduktion betroffen sind, kann von einem Schrumpfungsprozess gesprochen.59 Gleichzeitig reduzieren sich aber nicht alle relevanten Indikatoren. Die

56 Vgl. Giffinger, Kramar 2008: 14

57 Vgl. Gatzweiler et al. 2003: 564

58 Vgl. Weber 2009: 4

59 Vgl. Giffinger, Kramar 2008: 14

Zugänge zum Begriff Schrumpfung 19 schaftsleistung selbst kann auch in Schrumpfungsregionen noch anwachsen, jedoch kommt es aufgrund von Produktivitätssteigerungen zu Beschäftigtenverlusten.60 Dies führt dazu, dass das Phänomen Schrumpfung oft nicht eindeutig und räumlich genau abgrenzbar ist.61 Teilweise wird Schrumpfung als Chance gesehen, da durch die verringerte Flächennachfra-ge (innerstädtische) Flächen für andere NutzunFlächennachfra-gen zur Verfügung stehen, beispielsweise die Ausweitung städtischer Freiräume. Allerdings bestehen in diesem Zusammenhang einige Einschränkungen, da nicht jede verfügbare Fläche ein Entwicklungspotential darstellt (siehe Kapitel 5.4.3, Seite 60). Schrumpfungsprozesse stellen daher nicht nur eine Bedrohung für die Siedlungsräume dar, sondern bieten auch positive Entwicklungsmöglichkeiten.62 Eine weitere Chance sehen Planungsinstitutionen und Politik darin, dass der Schrumpfungspro-zess die ungeliebten suburbanen Räume und Speckgürtel reduziert oder auflöst. Die Ent-wicklung soll sich wieder auf die Kernstädte konzentrieren, die Idealvorstellung der kompak-ten Stadt soll erreicht werden. Die aktuelle räumliche Entwicklung verläuft jedoch vollkom-men konträr. Die Schrumpfungsprozesse treten vor allem in den Kernstädten auf und führen zu einer Entdichtung der Städte sowie zum deutlichen Anstieg der Brachflächen in den In-nenstädten.63

Qualitative Indikatoren von Schrumpfungsprozessen

Die Analyse von städtischen, regionalen oder ländlichen Schrumpfungsprozessen darf sich aber nicht nur auf quantitativ-demografische Fakten konzentrieren, da diese zwar ein we-sentlicher Indikator für die positive oder negative Entwicklung des Siedlungsraums sind, je-doch auch andere Faktoren (z.B. kulturelle oder soziale Faktoren) den Lebensraum der Be-völkerung beeinflussen. Die folgenden Beispiele sollen eine mögliche Fehlinterpretation der Entwicklung aufgrund einer Analyse einzelner quantitativer Indikatoren verdeutlichen:64

Städte erlebten aufgrund der Reduktion wichtiger städtischer Funktionen einen quali-tativen Schrumpfungsprozess, ohne dass eine dramatische quantitative Verringerung der oben angeführten Indikatoren erfolgte.

Trotz Bevölkerungswachstum ist ein Bedeutungsverlust des Ortes gegenüber ande-ren dynamischeande-ren Orten möglich – relativer Schrumpfungsprozess.

Gleichzeitig ist es möglich, dass eine Stadt, deren Einwohnerzahl schrumpft, weder an Bedeutung noch an Wohlstand oder Lebensqualität verliert.

60 Vgl. Oswalt 2004: 12

61 Vgl. Doehler-Behzadi et al. 2005: 73

62 Vgl. Hesse 2008: 336

63 Vgl. Oswalt 2004: 13

64 Vgl. Benke 2008: 183f

Die Analyse von Schrumpfungsprozessen basiert großteils auf quantitativen Indikatoren, die bereits oben angeführt wurden. Jedoch sind qualitative Indikatoren wie beispielsweise Be-deutung, Image oder Identität der Stadt ebenfalls zu berücksichtigen. In Kapitel 5.2 (Seite 50) wird näher auf soziokulturelle Kennzeichen des Schrumpfungsprozesses eingegangen. Die auslösenden Prozesse von Reduktionstendenzen können zwar in einige Einflussfaktoren zusammengefasst werden (siehe Kapitel 4), die örtlichen Bedingungen sind aber immer zu berücksichtigen und einzubeziehen. Bestimmte Problemsituationen können in verschiedenen (Stadt-)Regionen in ähnlicher Ausprägung auftreten, Lösungen sind aber nur bedingt über-tragbar und stellen nur eine Orientierungshilfe für die verantwortlichen Institutionen dar.

Tabelle 1 zeigt einen Überblick über die wichtigsten Definitionen des Begriffes Schrumpfung im deutschsprachigen Raum, dabei werden die „driving forces“, der räumliche Verände-rungsprozess sowie der Vertreter dieser Begriffsdefinition angegeben.

Tabelle 1: Überblick über die Definitionen des Begriffes Schrumpfung

Ausgangspunkt – „driving forces“ Prozess Vertreter Zyklen der Stadtentwicklung Demografischer Wandel Überalterung, negative

natürli-che Bevölkerungsentwicklung

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