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3. Methode der Untersuchung

3.2. Fallmaterial und dessen Gewinnung

In die vorliegende Aktenuntersuchung wurden Taten einbezogen, die von der Polizei als vollendeter Diebstahl in/ aus Wohnungen bewertet wurden. Die Aktenauswertung erfolgte in der zweiten Jahreshälfte 1997 und hatte ausschließlich bereits rechtskräftige Verfahren zum Inhalt100. Es erfolgte eine Eingrenzung auf den Wohnungseinbruch, da die Tatausführung dort meist sehr ähnlich war. Ferner bot der Wohnungseinbruch den Vorteil einer homogenen Opfergruppe, nämlich Privatpersonen. Auf Anregung der Generalstaatsanwaltschaft München wurden dabei vier bayerische Städte, nämlich München, Nürnberg, Würzburg und Augsburg, exemplarisch ausgewählt. Da Strafakten Jugendlicher und Heranwachsender in der Regel im Jugendgerichtshilfebericht detailliertere Angaben zum Tatverdächtigen enthielten, wurde der Täterkreis auf männliche Tatverdächtige, die zur Tatzeit zwischen 14 und bis unter 21 Jahre alt waren, begrenzt. Um ein möglichst homogenes soziales Umfeld zu gewährleisten, wurden nur Taten aus dem jeweiligen Stadtgebiet, ohne Umland, ausgewählt. Ursprünglich sollte nur der Jahrgang 1994 ausgewertet werden. Hier wäre jedoch die Anzahl der Akten zu gering

99Kleinknecht/ Meyer- Goßner: StPO, Einl Rdnr. 62

100Die Änderung des StGB durch das 6. StrRG hat somit auf die Untersuchung keine Auswirkung.

gewesen, um statistisch sinnvolle Aussagen zu machen. Aus diesem Grund wurden auch die Jahrgänge 1991 bis 1993 einbezogen101.

Die Erweiterung erfolgte jedoch nur für die Städte München und Nürnberg, da hier die Aktenzeichen bei der Polizei bereits mit dem Computer erfasst waren und somit der Aufwand vertretbar war. Für Augsburg und Würzburg wurde auf diese Jahrgänge verzichtet, da dies eine Aktenauswahl per Hand von der Polizei erfordert hätte.

Die Beschränkung auf bekannte Tatverdächtige erfolgte unter forschungsökonomischen Gesichtspunkten. Die Einbeziehung von „Unbekanntsachen“ hätte die Aktenzahl stark in die Höhe getrieben, ohne dass der Erkenntnisgewinn entsprechend gewesen wäre, da die

„Unbekanntsachen“ naturgemäß kaum Angaben zum Tatverdächtigen enthalten, auf den es hier jedoch maßgeblich ankam.

Die Ziehung der Akten erfolgte in folgenden Schritten:

1. Beim Bayerischen Staatsministerium der Justiz und dem bayerischen Innenministerium wurde die datenschutzrechtlichen Genehmigungen eingeholt.

2. Danach wurden die lokalen Polizeipräsidien (Polizeipräsidium München, Unterfranken, Schwaben und Mittelfranken) gebeten, die entsprechenden Justizaktenzeichen zu ermitteln.

3. Nachstehende Tabelle zeigt die zahlenmäßige Zusammensetzung der erhaltenen Aktenzeichen.

Tabelle 1: Gesamtzahl der erhaltenen Akten Tatzeit

Ort↓↓↓↓

1991 1992 1993 1994 Summe

Augsburg Gesamt

Das Polizeipräsidium Schwaben übermittelte für Augsburg fünf Aktenzeichen. Diese Akten konnten alle eingesehen werden. Für Würzburg konnten insgesamt acht Aktenzeichen ermittelt werden; hiervon konnte eine Akte nicht eingesehen werden, da diese versandt war.

101Die Zusammenführung verschiedener Jahrgänge zu einer Untersuchungspopulation setzt eine zeitliche Stabilität in der Erledigungspraxis voraus. Eine Änderung der Bedeutung der Nationalität für die Anklage-und Strafzumessungspraxis innerhalb von drei Jahren ist theoretisch denkbar. Hier wurde jedoch der Not-wendigkeit, eine möglichst große Zahl an Untersuchungseinheiten zu erheben, Vorrang eingeräumt.

Für Nürnberg konnten 67 Wohnungseinbrüche erhoben werden, von denen 56 ausgewertet werden konnten. Die fehlenden Akten waren teilweise außer Haus, an andere

Staats-anwaltschaften abgegeben oder wurden für laufende Verfahren bei Gericht benötigt. Für den Stadtbereich München lagen 137 Wohnungseinbrüche vor, von denen 100 per

Datenerfassungsbogen erfasst wurden. Auch hier erklärte sich die Fehlzahl wie bei Nürnberg.

Es konnten somit insgesamt 49 Akten nicht eingesehen werden. Soweit die Akten für andere Verfahren benötigt wurden, konnte nicht ermittelt werden, um welche Tatverdächtige es sich handelte und aus welchem Grund die Akten für spätere Verfahren benötigt wurden. Die Akten wurden mit Ausnahme von Augsburg, von wo die Akten per Post geschickt wurden, in den Räumen der jeweiligen Staatsanwaltschaft eingesehen. Problematisch bei den computermäßig erfassten Aktenzeichen war die große Anzahl der nicht einschlägigen Akten, d.h. anderes Delikt oder falsche Tätermerkmale. Diese mussten von der Staatsanwaltschaft herausgesucht werden, obwohl sie für die Untersuchung nicht brauchbar waren. Ferner enthielten diese Listen zahlreiche Doppelnennungen und „Unbekanntsachen“, die aussortiert wurden. Danach ergab sich eine Gesamtzahl von 168 erhaltenen Akten. Bei der Auswertung und

Datenaufnahme bestand die Schwierigkeit, dass eine Akte mehrere Taten desselben

Tatverdächtigen enthalten konnte. In diesem Fall wurde der zeitlich letzte Wohnungseinbruch erfasst und die übrigen Delikte auf dem Fragebogen102vermerkt, da diese für die

Strafzumessung von Bedeutung sein konnten. Soweit eine Akte mehrere Tatverdächtige enthielt, wurden diese einzeln erfasst. Somit konnten die Daten von 203 Tatverdächtigen aufgenommen werden. Bei der Auswertung von Opfermerkmalen wurden Opfer von

Tätermehrheiten nur einmal gezählt. Da teilweise mehrere Opfer geschädigt wurden, die nicht unter der Gruppe „Familie“ zusammengefasst werden konnten, ergab sich eine Gesamtzahl der Opfer von 170. In den Fällen, in denen Tatverdächtigenmerkmale mit Opfermerkmalen (z.B. gleiche Schichtzugehörigkeit) verglichen wurden, wurde jedem Tatverdächtigen ein Opfer zugeordnet.

Die Fragebögen wurden mit einer Eingabemaske in eine Microsoft Access Datenbank übertragen. Diese Datensätze wurden durch Boolsche Operatoren (Und- /

Oderverknüpfungen) ausgewertet. Soweit die Anzahl der Verknüpfungen (z.B. bei der Anzahl der Ermittlungshandlungen) den Umfang der in der Access Datenbank möglichen

Verknüpfungen überstieg, wurden diese Daten per Hand ausgewertet.

Die so gewonnenen Auswertungsergebnisse wurden durch eine lineare multivariate

102Der Datenerfassungsbogen ist als Anlage 1 abgedruckt.

Regressionsanalyse103überprüft. Durch Regressionsanalysen wurde die Erklärungskraft verschiedener Variablen für die Sanktionierungspraxis statistisch überprüft. Im Gegensatz zur bivariaten Analyse konnten zwei oder mehr Variablen in eine kausale Beziehung zur

Sanktionierungspraxis gebracht werden104. Für die Analyse wurden die Datensätze aus der Access-Datenbank in eine SPSS-Datenmatrix transformiert. Aufgrund der geringen absoluten Zahlen wurden zwei abhängige, d.h. erklärungskräftige Variable untersucht. Zuerst wurde die Variable „Anklagepraxis“ gebildet, bei der lediglich die Komponenten Einstellung und

Anklage durch die Staatsanwaltschaft untersucht wurden. Bei der Variable „Sanktionierung“

wurden die Komponenten Einstellung Staatsanwaltschaft, Freispruch, Einstellung,

Erziehungsmaßregel/ Zuchtmittel/ Kombination, Jugendstrafe und Freiheitsstrafe gebildet und nach der Härte der jeweiligen Sanktion ( Werte von 1-6) gewichtet105. Aus dieser

Härteverteilung ließen sich dann Signifikanzen bezüglich der Sanktionspraxis ableiten.

Ferner wurden auf einer bivariaten Analyseebene die Zusammenhänge zwischen der Nationalität und den Merkmalen Geständnisbereitschaft, Untersuchungshaft,

Vorstrafenbelastung, Alter des Täters zum Zeitpunkt der Tat und dem Wert der gestohlenen Sache ermittelt.

3.2. Fallschwund

Die in dieser Arbeit vorgelegte Verlaufsanalyse begann auf der Ebene der Polizei, als der die Straftat registrierende Stelle. Sie erhielt als erste Behörde Kenntnis von der Tat, sei es durch Anzeigen, eigene Ermittlungen oder Wahrnehmungen. Nach der offiziellen Registrierung der Straftat setzte der Selektionsprozess ein, der hier untersucht wurde.

Eine Aufgliederung über den Fallschwund gibt Abbildung 2:106

103Dittmann/ Wernitznig: Strafverfolgung und Sanktionierung bei deutschen und ausländischen Jugendlichen und Heranwachsenden

104Hermann: Die Korrelations- und Regressionsanalyse, S. 158 ff

105Die Komponente Einstellung der Staatsanwaltschaft erhält den Wert 1, die Ausprägung Freispruch den Wert 2 zugeschrieben etc.

106%-Angaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der Tatverdächtigen.

Abbildung 2: Fallschwund

Ca. 43 % der von der Polizei registrierten Taten mit bekannten Tatverdächtigen wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Dabei überwog die Einstellung nach § 170 II StPO, gefolgt von der Einstellung nach § 154 StPO. Das Absehen von Strafe nach § 45 JGG spielte mit 2,5 % nur eine geringe Rolle. Bezogen auf alle registrierten Taten betrug die Anklagequote somit 57,1 %. Im Zwischenverfahren fielen lediglich 0,5 % der Tatverdächtigen aus dem Strafverfolgungsprozess heraus. In diesem Fall stellte das Gericht nach § 47 III JGG das Verfahren ein. Ca. 90 % der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklagen endeten mit einer Verurteilung des Angeklagten; dies entsprach einem Anteil von 45,8 % bezogen auf die

Gesamtzahl der

Eine Akte enthielt kein Urteil, obwohl eine Hauptverhandlung stattgefunden hat

Gesamtheit der hier erfassten Fälle. 2 % aller Fälle endeten mit einem Freispruch durch das Gericht, also wurden 3,5 % der Tatverdächtigen, bei denen die Hauptverhandlung eröffnet wurde, freigesprochen. Bei 8,8 % aller Taten, d.h. bei 15,6 % der Hauptverhandlungen, wurde das Verfahren durch das Gericht eingestellt107. Die am häufigsten verhängte Sanktion war die Jugendstrafe, gefolgt von den Zuchtmitteln. Nur in Einzelfällen wurde nach allgemeinem Strafrecht abgeurteilt. Neben diesem rein zahlenmäßigen Filterungsprozess wurde in der Arbeit untersucht, inwieweit die Staatsanwaltschaft und das Gericht von der

tatbestandsmäßigen Beurteilung der Tat durch die Polizei abgewichen sind, d.h. in welchen Fällen ein Definitionswechsel stattfand und in welche Richtung er erfolgte. Besonderes Gewicht wurde hierbei auf die Frage nach einer eventuellen Ungleichbehandlung von Deutschen und Nichtdeutschen gelegt.