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2. Konzeptionelle und methodische Anlage der Untersuchung

2.3. Methodische Anlage der Untersuchung

2.3.3. ExpertInnen-Interviews: Feldspezifisches Wissen

Das Feld polnischer Migrationspolitik ist noch relativ unerforscht und Dokumente und Veröffentlichungen liegen nur in unzureichendem Maße sowie nur von bestimmten AkteurInnen vor. Zur Exploration des Feldes sind die Ergebnisse der Dokumentenanalyse zusätzlich durch leitfadengestützte ExpertInnen-Interviews überprüft und ergänzt worden. Die InterviewpartnerInnen sind Personen, die in Polen an der Politikimplementierung beteiligt, also in Behörden tätig sind, sowie MitarbeiterInnen von migrationspolitischen NGOs, MigrationsforscherInnen und VertreterInnen von MigrantInnenselbstorganisationen. Des Weiteren wurden in Polen verschiedene Flüchtlingslager besucht und Gespräche mit Flüchtlingen geführt, die jedoch nur handschriftlich protokolliert und nicht systematisch ausgewertet wurden, sondern lediglich als Hintergrundwissen in die Untersuchung eingeflossen sind.

In einem ersten Schritt, im Rahmen der Dokumentenanalyse wurde sich ein Überblick über das Thema und den Forschungsstand verschafft. In der bisher veröffentlichten Literatur existierten Lücken, die nur anhand von eigener Forschungsarbeit geschlossen werden konnten. Daher bilden die leitfadengestützte ExpertInneninterviews einen weiteren Pfeiler der vorliegenden Untersuchung.

Im Bereich der qualitativen Sozialforschung ist das ExpertInnenInterviews ein häufig eingesetztes Verfahren, welches in verschiedenen Forschungsfeldern eingesetzt wird.

Oft erfolgt dies „(...) im Rahmen eines Methodenmix, aber auch als eigenständiges Verfahren“ (Meuser/ Nagel 1991/ 2002:72). Es dient zur Erforschung politischen Handelns (vgl. Meuser/ Nagel 1991/ 2002:72) und kommt insbesondere in der Policy- und Implementationsforschung (vgl. Voelzkow 1995:55, vgl. Abels/ Behrens 2005:174) zur Anwendung. Abgesehen von einer Grunddefinition besteht über die Begriffe „ExpertInneninterview“ und „ExpertIn“ in der sozialwissenschaftlichen Literatur keine Einigkeit.

In der Methodendiskussion gibt es verschiedenen ExpertInnenverständnisse. Für die Analyse der Entwicklung der polnischen Migrationspolitik im Rahmen der vorliegenden Studie wurden die relevanten Begriffe im Sinne von Meuser und Nagel (vgl. Nagel 1991, 1997; vgl. Meuser 2006) verwandt. Außerdem wurden die Sammelbände von Gläser/ Laudel (2006) und von Bogner/ Littig/ Menz (2002) berücksichtigt.

Hiernach ist der ExperInnenstatus ein relationaler Status. Es muss beachtet werden, dass er meist „vom Forscher verliehen“ wird und „begrenzt auf eine spezifische Fragestellung“ (Meuser/ Nagel 1991:443) ist. Meuser und Nagel sprechen sich für einen konstruktivistischen Begriff der Funktionselite aus. Für die beiden ist ExpertIn,

„wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt“ (Meuser/ Nagel 2002: 73). ExpertIn als Person tritt in ihrer biografischen Motivation in den Hintergrund, stattdessen interessiert der oder die in einen Funktionskontext eingebundene AkteurIn. ExpertInnen sind somit

„(...) FunktionsträgerInnen innerhalb eines organisatorischen oder institutionellen Kontextes. Die damit verknüpften Zuständigkeiten, Aufgaben, Tätigkeiten und die aus diesen gewonnenen exklusiven Erfahrungen und Wissensbeständen sind Gegenstände des ExpertInneninterviews“ (Meuser/ Nagel 1991:444).

Meuser und Nagel grenzen ExpertInneninterviews von anderen offenen Interviewformen ab. Ihrem Verständnis nach ist bei ExpertInneninterviews nicht die Gesamtperson von Interesse, sondern ein spezifischer organisatorischer oder institutioneller Zusammenhang, so dass nur bestimmte Ausschnitte individueller Erfahrungen in den Mittelpunkt gerückt werden. Das ExpertInneninterview ist demnach eine spezifische Form qualitativer Interviews mit Menschen, die aufgrund ihrer Stellung über besonderes Wissen verfügen. Der Wissensvorsprung ergibt sich aus der privilegierten Position der ExpertInnen in einem Funktionskontext. Meuser und Nagel halten jedoch nicht die formale Position oder Reputation des Gegenübers für entscheidend, sondern sein Einfluss auf Entscheidungen (vgl. Meuser/ Nagler 1994:182)..

Gemäß Meuser und Nagler beziehen sich ExpertInneninterviews

„(...) mithin auf klar definierte Wirklichkeitsausschnitte, darüber hinaus gehende Erfahrungen, vor allem solcher privater Art, bleiben ausgespart. In ExpertInneninterviews fragen wir nicht nach individuellen Biografien, untersuchen wir keine Einzelfälle, sondern wir sprechen die ExpertInnen als RepräsentantInnen einer Organisation oder Institution an, insofern sie die Problemlösungen und Entscheidungsstrukturen (re)präsentieren“

(Meuser/ Nagel 1991/ 2002:74).

ExpertIn ist jemand, der/die aufgrund von langjähriger Erfahrung über bereichsspezifisches Wissen/ Können (Erfahrungswissen) verfügt. Expertentum wurde traditionell an Berufskompetenzen gekoppelt, gegenwärtigen wird Expertenwissen aber auch in außerberuflichem Kontext generiert (vgl. Bohnsack u.a.

2003: 57). Nach Meuser und Nagel ist der Erkenntnisgewinn von ExpertInnen-Interviews als eigenständiges Verfahren ein im weitesten Sinne wissenssoziologischer, d.h. er liegt auf der „Ebene von Deutungsmustern, Orientierungsmustern, Normalitätsmustern“, im Hinblick auf politisches Handeln zielen sie auf „Relevanzstrukturen und Wissensmuster im politischen System“

(Meuser/ Nagel 1991:133f.) ab. Meuser und Nagel (vgl. 2002:75f.) unterscheiden zwischen einer zentralen und einer Randstellung von ExpertInneninterviews im Forschungsdesign. So haben wir es mit einer „(...) Randstellung von Experteninterviews dann zu tun, wenn sie explorativ-felderschließend eingesetzt werden, wenn sie also zusätzliche Hintergrundinformationen liefern sollen.

Explorative Interviews helfen in diesem Sinne das Untersuchungsgebiet thematisch zu strukturieren und Hypothesen zu generieren“ (Bogner/ Menz 2002:37). Im Forschungsdesign der vorliegenden Untersuchung nehmen ExpertInneninterviews a b e r e i n e ü b e r w i e g e n d z e n t r a l e S t e l l u n g e i n . F ü r d i e s e n F a l l treffen Meuser und Nagel eine Unterscheidung zwischen zwei typischen Untersuchungsanlagen:

„Im einen Fall bilden die ExpertInnen die Zielgruppe der Untersuchung, und die Interviews sind darauf angelegt, dass die ExpertInnen Auskunft über ihr eigenes Handlungsfeld geben. (...) Im anderen Fall repräsentieren die ExpertInnen eine zur Zielgruppe komplementäre Handlungseinheit, und die Interviews haben die Aufgabe, Informationen über die Kontextbedingungen des Handelns der Zielgruppe zu liefern.“ (Meuser/Nagel 1991/ 2002: 75).

Das Erfahrungswissen von ExpertInnen wird in „Abhängigkeit von der Stellung und der Funktion innerhalb des Forschungsdesigns im ersten Fall als Betriebswissen und im zweiten Fall als Kontextwissen“ (Meuser/Nagel 1991/ 2002: 75f) bezeichnet.

ExpertInnen können demnach selbst als Teil des Handlungsfelds zur Zielgruppe der Untersuchung gehören, oft jedoch werden ExpertInnen aber auch gezielt als komplementäre Informationsquelle über die eigentlich interessierende Zielgruppe genutzt. Interviews des ersten Typs erschließen Betriebswissen, während im letzteren Typ der/die ExpertIn als TrägerIn des Kontextwissens gilt (vgl. Meuser/Nagel 1991:446f.). ExpertInneninterviews, die auf das Kontextwissen abzielen sind hingegen vielmehr ein Meilenstein auf der Hauptuntersuchung und können gestoppt werden, wenn die Themen und Hypothesen realitätsgesättigt sind (Meuser/ Nagel 1991:446f./2002: 77). Besonders bei der Analyse von Interviews, die das Betriebswissen der Interviewten ins Zentrum stellen, werden nicht nur Hypothesen über den spezifischen Gegenstand gebildet oder überprüft, sondern der zugrunde gelegte theoretische Erklärungsansatz überprüft oder modifiziert. Bei diesen Interviews geht es in der Auswertung darum, die entsprechenden Wissens- und Handlungsstrukturen, Einstellungen und Prinzipien theoretisch zu generieren, des weiteren dann Aussagen über Eigenschaften zu treffen und schließlich Kategorien zu bilden, die den Anspruch auf Geltung auch für homologe Handlungssysteme behaupten können beziehungsweise eine theoretische Rahmung bestätigen oder verwerfen können.

Gabriele Abels und Maria Behrens haben das Verhältnis zwischen ExpertInnenstatus und Subjektivität diskutiert (vgl. Abels/ Behrens 2002:173). Obwohl sich das Forschungsinteresse beim ExpertInneninterview nicht auf die Gesamtperson bezieht, betonen die Autorinnen, dass sowohl die Interviewten wie auch die Interviewenden als Subjekte im Interview präsent sind (vgl. Abels/ Behrens 2002:176). Abels und Behrens führen aus, dass die Interviewsituation notwendig von subjektbezogenen Faktoren beeinflusst sind. Neben Alter, professionellem Status/ Titel, Erfahrungshintergrund, Idiosynkrasien/ Einstellungen, Organisationszugehörigkeit i d e n t i f i z i e r e n s i e d a b e i d i e K a t e g o r i e G e s c h l e c h t a l s e i n e n

„(...) maßgeblichen Faktor sozialer Interaktion“ (Abels/ Behrens 1989/ 2002:186).

Ihre Analyse verdeutlicht, dass sich unterschiedliche Interaktionseffekte auf geschlechtsbezogene Zuschreibungen zurückführen lassen. Laut Vogel lassen sich vier Interaktionseffekte in ExpertInnen-Interviews (vgl. Vogel 1995:75ff.) nachweisen:

1. Paternalismus (Vogel 1995:80) 2. Katharsis- (Vogel 1995:81) 3. Eisberg- (Vogel 1995:79)

4. Rückkopplungs- (Vogel 1995:80) und Abel und Behrens ergänzen diese Liste um 5. den Profilierungseffekt (Abels/ Behrens 2002: 185).

Die Interviewsituationen für die vorliegende Studie wurde von einigen der angeführten Faktoren vor geprägt. Für die Untersuchung ist davon auszugehen, dass der persönliche Hintergrund als junge, weibliche, deutsche Forscherin mit den entsprechenden Zuschreibungen den Feldzugang mitbestimmt hat. Hinsichtlich des Geschlechts, Alters, der Qualifikation bzw. der formalen beruflichen Position bestand ein großer bis geringer Unterschied zu den befragten ExpertInnen.

Im Rahmen der Untersuchung werden ExperInneninterviews dazu genutzt, spezifisches und konzentriertes Wissen ausgewählter Personen zu einem eingegrenzten Themenbereich abzufragen. Die ExpertInneninterviews wurden nach Meuser und Nagel (1997) leitfadengestützt und offen durchgeführt (vgl. die Übersicht über den Leitfaden im Anhang). Mit dem Einsatz der Interviews konnten für die Studie Strukturen und Strukturzusammenhänge des ExpertInnenwissens /-handelns analysiert und überindividuelle Wissensbestände herausgearbeitet werden. Dem Leitfaden kam eine Steuerungsfunktion im Hinblick auf Gesprächsinhalte, ihre Abfolge und den Ausschluss nichtrelevanter Themen zu, es erfolgt eine thematische Vorstrukturierung, eine „Gratwanderung zwischen Strukturierung und Offenheit“ (Liebold/ Trinczek 2005: o.S.). Der Leitfaden enthält eher anzusprechende Themen als fertige Fragen (vgl. Meuser/ Nagel 1997:486f.).

Die ExpertInnen erhalten somit die Gelegenheit, das Thema vor dem Hintergrund ihres Wissens aufzufächern. Die zentrale Herausforderung bei dieser Interviewform liegt darin, das Interview auf das interessierende ExpertInnentum zu konzentrieren.

Durch die vorangegangene Ereignis- und Dokumentenanalyse ist es im Vorfeld der Interviews gelungen zu Kenntnissen zum Untersuchungsgegenstand zu gelangen und von den ExpertInnen als kompetente Gesprächspartnerin wahrgenommen zu werden.

Auf der Grundlage des Verfahrens durch Meuser und Nagel wurden für die vorliegende Studie in Polen 27 ExpertInnen-Interviews durchgeführt (vgl. die Übersicht über die InterviewpartnerInnen im Anhang)13.

Alle InterviewpartnerInnen verfügen über spezifisches Handlungs- und Erfahrungswissen. Die Auswahl der GesprächspartnerInnen richtete sich nach den verschiedenen Dimensionen von ExpertInnenwissens über das sie verfügten. Die Analyse des Wissens dieser unterschiedlichen AkteurInnen bildet die Basis für eine kritische Betrachtung der politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen, die sich aus den migrationspolitischen Strategien und Maßnahmen für Polen, seine Gesellschaft und insbesondere die MigrantInnen ergeben. Die Befragung verschiedener ExpertInnen soll die Wahrnehmungen, Interessenspositionen und Sichtweisen kontrastieren. Bei der Auswahl wurden nicht gezielt Personen von Führungsebenen oder Stabsabteilungen angesprochen. Abschließend lässt sich feststellen, das der Kreis der ExpertInnen zum Thema Migration und Migrationspolitik in Polen ein sehr kleiner ist, in dem man sich gut kennt. Daher wurde die Interviewerin an einige InterviewpartnerInnen im Laufe der Interviewerhebung weiterverwiesen. Die Befragten repräsentieren im Bereich der polnischen Migrationspolitik bestimmte Organisationen oder Institutionen und verfügen überwiegend über internes Organisationswissen (Betriebswissen).

Zusätzlich wurde die östliche EU-Außengrenze bereist, verschiedene Flüchtlingslager besucht und Gespräche mit MigrantInnen geführt. MigrantInnen werden als AkteurInnen angesehen und als ExpertInnen interviewt. Diese Gespräche wurden allerdings auf Wunsch der GesprächspartnerInnen nicht aufgenommen und flossen lediglich als Hintergrundwissen ein.

13 Die meisten Interviews wurden gemeinsam mit Doreen Müller durchgeführt, die ebenfalls im Rahmen einer Dissertation über polnische Migrationspolitik – allerdings beschränkt auf den Asylbereich – geforscht hat. Ihre Ergebnisse wurden 2011 unter dem Titel: „Flucht und Asyl in europäischen Migrationsregimen. Metamorphosen einer umkämpften Kategorie am Beispiel der EU, Deutschlands und Polens“ in Göttingen veröffentlicht.

Die ExpertInneninterviews lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Im Rahmen der Vorstudien und Interviewreisen im Juli 2006, im März 2007 und im Februar/ März 2008 zur vertiefenden Felduntersuchung hatten ExpertInnen und Gespräche mit ihnen eine explorative, felderkundene Funktion. Im Rahmen der Interviewerhebung bildete ein zweite ExpertInnengruppe als Beteiligte oder Insider eine unmittelbare Zielgruppe der Befragung. Es galt ihr Erfahrungs- und Betriebswissen zum Gegenstand des Interviews zu machen.

Es handelt sich bei den Befragten um VertreterInnen verschiedener internationaler, nationaler und zivilgesellschaftlicher Organisationen, Institutionen und um EinzelakteurInnen. Es sind Personen, die innerhalb der ausgewählten Organisation oder Institutionen über eine entsprechende Verantwortung verfügen und zur Entwicklung der polnischen Migrationspolitik beitragen. An dieser Stelle muss noch mal darauf hingewiesen und berücksichtigt werden, dass der ExpertInnenstatus immer „vom Forscher verliehen“ wird und „begrenzt auf eine spezifische Fragestellung“(vgl. Meuser / Nagel 1997) ist. Der ExpertInnenstatus ist somit ein soziales und methodisches Konstrukt (vgl. Deeke 1995:9)..

Die Ergebnisse der ExpertInneninterviews waren mit denen der Dokumentenanalyse vergleichbar. Die Interviews und Gespräche hatten explorativen und rekonstruktiven Charakter. Sie dienten der Annäherung an den Untersuchungsgegenstand, der Rekonstruktion von Entscheidungsprozessen. Die ExpertInnen waren auf verschiedenen Ebenen überwiegend als VertreterInnen des politisch-administrativen Systems, als VertreterInnen von NRO´s, als WissenschaftlerInnen und MigrantInnen am Policy-Prozess beteiligt. Zum überwiegenden Teil wurden die Gespräche am Arbeitsort, einige in Privatwohnungen der Befragten oder an öffentlichen Platzen (z.B. in Cafes) geführt. Fast alle ExpertInnen ließen tontechnische Aufzeichnungen zu, in einigen Fällen konnten nur schriftliche Notizen angefertigt werden. Insgesamt war der Zugang zu den ExpertInnen relativ problemlos, die GesprächspartnerInnen waren in der Regel sehr kooperativ. In den meisten Fällen reichte eine Email oder ein Telefonat im Vorfeld zur Kontaktaufnahme.

Wie bereits erwähnt ergab sich im Laufe der Erhebung wiederholt eine interne Vermittlung von weiteren GesprächspartnerInnen.

A l s Vo r b e r e i t u n g d e s L e i t f a d e n s w u r d e n d i e U n t e r s u c h u n g s z i e l / Untersuchungshypothesen anhand eines Projektplanes vergegenwärtigt. Um eine

„kompetente“ Interviewerin sein zu können, habe ich mich durch eine intensive Dokumentenanalyse zum Untersuchungsgegenstand vorbereitet. Um das Feld der Migrationsspolitik in Polen zu erforschen ist die Erschließung und Befragung eines heterogenen AkteurInnenfeldes notwendig. Um diesem gerecht zu werden wurde zunächst ein Basis-Leitfaden entwickelt, der Themenfelder enthielt, die in allen Interviews angesprochen wurden. Diese umfassten neben Fragen zur Organisation bzw. Institution des/ der Interviewten die Bereiche Migrationspolitik, AkteurInnen, öffentliche Debatte, konkrete Situation von MigrantInnen und Flüchtlingen sowie Erwartungen bezüglich der künftigen Entwicklungen. Ausgehend von diesen Themenfeldern wurden die Fragen den jeweiligen GesprächspartnerInnen, d.h. an deren Erfahrungshintergrund angepasst. Daher lassen sich zwar die Ergebnisse der Befragung nicht schablonenartig übereinander legen, bleiben jedoch aufgrund der gemeinsamen Basis-Struktur durchaus vergleichbar. Auf dieser Basis wurden ein Leitfaden (vgl. Anhang II: Leitfaden) entwickelt14. Für die Gespräche wurden ExpertInnen als VertreterInnen der folgenden Institutionen ausgewählt:

(1) Staatliche Institutionen z.B. der Ausländerbehörde URiC/UdSC; des polnischen Grenzschutz, Leitung der Abteilung Migrationspolitik im Ministerium für Inneres und Verwaltung,

(2) internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen, (3) Gewerkschaften,

(4) Selbstorganisationen von MigrantInnen, (5) Forschung.

Im Anschluss an die Vorstellungsrunde folgte die einleitende Frage und im Verlauf des Interviews wurden weitere Impulse für Themenbereiche des Leitfadens gegeben.

Zum Schluss ermöglichte ich der/ dem Befragten etwas zu ergänzen oder zu

14 Der Ausgangsleitfaden wurde gemeinsam mit Doreen Müller entwickelt, die ebenfalls im Rahmen einer Dissertation über polnische Migrationspolitik geforscht hat.

vertiefen, was aus ihrer/ seiner Sicht im bisherigen Gesprächsverlauf noch gar nicht thematisiert wurde. Die öffnende Abschlussphase erwies sich als bedeutsam, oft wurden hier neue Perspektiven angerissen und nicht selten neue InterviewpartnerInnen genannt/ vermittelt. Alle Interview wurden auf Englisch geführt.

Die Bedeutung der Äußerungen im Interview wird erst innerhalb einer bestimmten Interaktionssituation und in einem bestimmten Kontext (vgl. Bogner /Menz 2002: ) relevant. Die Konstellation zwischen der Interviewerin und den befragten Personen kommt eine entscheidende Rolle bei der Durchführung des Interviews zu und beeinflusst die Gestalt des Gesagten. Ergänzend zu den ExpertInneninterviews wurden zahlreiche Gespräche geführt. Dabei handelte es sich um wenig strukturierte und informelle Formen der mündlichen Datenerhebung (vgl. Aleman, Ulrich von/

Forndran, Erhard 2005:169). Die Informationsgespräche fanden im Vorfeld der eigentlichen Interviewphase oder bei einem wiederholten Besuch bei den GesprächspartnerInnen statt. Gekennzeichnet waren diese Gespräche von einem Vertrauensverhältnis der ausländischen Forscherin gegenüber.

Die Auswertung der Interviews wurde in Anlehnung an Meuser und Nagel (1991/

2002) durchgeführt und „orientiert sich (…) an thematischen Einheiten, an inhaltlich zusammengehörigen, über die Texte verstreuten Passagen – nicht an der Sequenzialität von Äußerungen je Interview“ (Meuser/ Nagel 1997 :488, dies.

1991:453). Die Auswertung ist nach Meuser und Nagel an Prinzipien der Objektivität und Gültigkeit von Interpretation ausgerichtet. Ziel ist es demnach, im Vergleich der Interviewtexte überindividuelle Wissensbestände herauszuarbeiten (vgl. Meuser/

Nagler 1991/ 2002:80 - 81). Gemäß Meuser und Nagler gewinnt der Funktionskontext der ExpertInnen an Gewicht, indem deren Äußerungen von Beginn an im Rahmen ihrer institutionell-organisierten Handlungsbedingungen lokalisiert werden. Dieser gemeinsame Kontext gewährleistet die Vergleichbarkeit der Interviews. Für die vorliegende Studie wurde das Vorgehen bei der Auswertung der Interviews den Erfordernissen des Untersuchungsdesigns angepasst. Insbesondere, da Meuser und Nagel bei den von ihnen vorgeschlagenen Auswertungsschritten weniger die explorative Variante des ExpertInnen-Interviews im Blick hatten, sind einige

Änderungen notwendig. Die ersten vier Auswertungsschritte, Transkription, Paraphrase, Überschriften und Thematischer Vergleich wurden im Wesentlichen gemäß den Vorgaben von Meuser und Nagel angewendet. Die „soziologische Konzeptualisierung“ u n d „theoretische Generalisierung“ wurden hingegen nicht durchgeführt.

Zu Beginn der Interviewauswertung stand die themenorientierte Transkription der Interviewtexte. Von den Hintergrundgesprächen abgesehen wurden alle Interviews -bis auf drei, zu denen aus technischen Gründen beziehungsweise auf Wunsch der interviewten Personen keine Aufnahmen, sondern nur Notizen existieren vollständig transkribiert. Durch eine detaillierte Transkription konnten Kontinuitäten, Auffälligkeiten und Widersprüche im Text ermittelt und ein vollständigeres Bild gewonnen werden.

Die darauf folgende Paraphrasierung der Interviews diente zur Löschung der Wiederholungen, zu intensiver und vertiefender Materialarbeit. Da keine textnahe Auswertung vorgenommen wurde, konnte die Paraphrasierung direkt nach der Transkription erfolgen und eine Abweichung vom Wortlaut ist weniger problematisch. Die Interviews dienen als Quelle für Kontextinformationen. Die enthaltenen Informationen werden durch die Paraphrasierung verdichtet und können so leichter systematisiert werden. Eine intensive Auswertung, die nah am Originaltext arbeitet, ist in diesem Zusammenhang nicht erforderlich und nicht zielführend.

Anhand der Bildung von Überschriften wurde eine thematische Übersicht, d.h. eine Auswertungsmaske angefertigt (vgl. Ullrichs 2006:106). Für jedes Interview wurde eine zweispaltige Tabelle erstellt, in die jeweiligen Paraphrasen oder Zitate nach thematischen Blöcken geordnet wurden. Innerhalb eines thematischen Blocks wurden nochmals Überschriften gebildet. Die Chronologie der Interviews wurde dabei aufgebrochen. Bereits nach Bearbeitung einiger Interviews zeichnete sich eine Maske ab, deren Themenblöcke im Wesentlichen denen des Fragebogens glichen.

Daraufhin dienten diese als Basis für die Auswertung der restlichen Interviews. Am Ende dieses Arbeitsschrittes war ersichtlich, zu welchen Themenblöcken sich die jeweiligen InterviewpartnerInnen geäußert hatten.

Im nächsten Schritt wurde dieses Verfahren interview-übergreifend benutzt, es erfolgte ein thematischer Vergleich (vgl. Meuser/Nagel 1997:489) zwischen den Interviews. Thematisch vergleichbare Passagen aus verschiedenen Interviews wurden zusammengestellt und die Überschriften vereinheitlicht. Die gewonnenen Erkenntnisse werden in der Länderstudie dargestellt und durch weitere Quellen untermauert. Sie dienen in erster Linie der Exploration des Untersuchungsfeldes sowie der Ergänzung der Dokumentenanalyse. Aussagen, die nur einige ExpertInnen äußerten oder die von vielen genannt werden nehmen somit als inhaltliche Fundierung einen wichtigen Stellenwert ein.

Tabelle 4: Kurzübersicht ExpertInneninterviews (ausführlich siehe Anhang)

Institutionen Anzahl der Interviews

staatliche Institutionen 11

NRO´s 8

Gewerkschaft 1

Wissenschaft 5

think tank 1

Selbstorganisationen 1

MigrantInnen 7

3. Polens Entwicklung von einer Auswanderungsgesellschaft