• Keine Ergebnisse gefunden

Dritte Phase: Vor dem EU-Beitritt – neue Lösungen? (2001-2003)

Die Europäisierung der Asyl- und Migrationspolitik nach 1989

4.2. Die Entstehung polnischer Migrationspolitik unter dem Eindruck von Transformation und Europäischer Integration – ein Phasenmodell

4.2.3. Dritte Phase: Vor dem EU-Beitritt – neue Lösungen? (2001-2003)

Das Asylverfahren wurde bis 2003 in Polen auf der Grundlage des Ausländergesetzes von 1997 durchgeführt. Diese erste Version wurde erstmals 2001 überarbeitet, um es den Anforderungen der Europäischen Union während des Beitrittsverfahrens anzupassen. In den Gesetzestext von 2001 wurden die Inhalte der völkerrechtlichen Konventionen und internationalen Abkommen, die Polen ratifiziert hatte übernommen (vgl. Ausländergesetz 2001). Erstmals wurde der Begriff „Flüchtling“, die dazugehörigen Verfahrensweisen der Anerkennung beziehungsweise der Ausweisung in das polnische Justizwesen eingeführt. Der Innenminister und sein Ministerium wurde zur Instanz, die den Flüchtlingsstatus vergeben kann.

Im polnischen Asylanerkennungsverfahren gibt es zwei Entscheidungsinstanzen auf der Verwaltungsebene: Die erste Entscheidungsinstanz ist der Präsident des Büros Für Migrations- und Flüchtlingsangelegenheiten (seit 2001 Amt für Repatriisierung und Ausländer, URiC, seit 2007: UdSC). Das Amt wurde nach Abschluss des deutsch-polnischen Rückübernahmeabkommens mit Geldern und ExpertInnenwissen der Bundesregierung als zuständige Behörde für das gesamte Asylverfahren aufgebaut und untersteht dem polnischen Innenministerium. Die zweite Instanz ist der „Flüchtlingsrat“ (Refugee Board), ein unabhängiger Rat, der zur Hälfte mit Personen besetzt werden muss, die eine entsprechende juristische Qualifikation vorweisen können. Daran anschließend können noch zwei gerichtliche Instanzen angerufen werden, das Wojewodschafts-Verwaltungsgericht und das Hohe Verwaltungsgericht (High Administrative Court) (vgl. Weinar 2006).

Vor dem EU-Beitritt bestand erneut ein Novellierungsbedarf der Ausländergesetzgebung in Polen. Es fehlte immer noch eine Liste sicherer Herkunftsländer. Polen sah sich mit der umfassenderen Anwendung des Dubliner Übereinkommens konfrontiert. Was die Verwaltungskapazität angeht, so sollten mehr qualifizierte Kräfte eingesetzt werden, um eine vertretbare durchschnittliche Länge der Verfahren zu gewährleisten. Allerdings fehlten diese und mussten erst im Laufe der Zeit ausgebildet werden. Auch die Grenzschutzangehörigen, die dem Asylsuchenden als erste gegenüberstehen brauchten in diesem Bereich eine regelmäßige Fortbildung. Weitere Anstrengungen waren außerdem erforderlich, um

die Integration anerkannter Asylsuchender und Flüchtlinge in die polnische Gesellschaft zu erleichtern.

Im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität wurden mit der Verabschiedung der Novelle zum Polizeigesetz und dem neuen Gesetz über die Sammlung, Auswertung und Weitergabe strafrechtlicher Informationen weitere Schritte bei der Ausgestaltung des Politikbereichs innere Sicherheit unternommen. Ein Eckpunkt in diesem Bereich war im Oktober 2001 die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit Europol. Damit einhergehend sollte die Motivierung des Personals und eine Steigerung der Gehälter erfolgen.

Allerdings konnten diese Ziele aufgrund der ökonomischen Gesamtsituation des Staates nur teilweise umgesetzt werden (vgl. Interview Pilaszkiewicz 2008). Auch nach dem Eu-Beitritt scheiden immer noch viele erfahrene Beamte aus der Polizei aus, und es bestehen Zweifel darüber, ob die organisierte Kriminalität unter Kontrolle ist (vgl. Interview Pilaszkiewicz 2008).

Vertreter der Europäischen Union und der polnischen Regierung haben am 30. Juli 2002 in Brüssel die Beitrittsverhandlungen im Kapitel „Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres" abgeschlossen. Zentraler Punkt war die Sicherung der polnischen Ostgrenze als zukünftiger Außengrenze der EU (vgl. Interview Pilaszkiewicz 2008).

Die Grenze Polens zu den östlichen Nachbarstaaten Belarus, Ukraine und zur russischen Enklave Kaliningrad ist etwa 1.200 km lang. Die Nachbarstaaten Litauen und Slowakei sowie die Tschechische Republik sind ebenfalls EU-Beitrittskandidaten. Zur Sicherung der Ostgrenze vor illegaler Einwanderung, Menschenhandel und Schmuggelaktivitäten sollte die Anzahl der polnischen Grenzpolizisten bis zum Jahr 2006 um 5.300 auf dann insgesamt 18.000 erhöht werden (vgl. Interview Pilaszkiewicz 2008). Entlang der Außengrenze war die Errichtung von 156 Wachtürmen vorgesehen, an denen pro Tag und Wachturm je zehn Grenzpatrouillen eingesetzt werden. Etwa alle 20 km war ein Grenzposten zu errichten. Die Kooperation mit Grenzschutzbehörden der bisherigen EU-Staaten, vor allem mit dem deutschen Bundesgrenzschutz (BGS), sollte weiter intensiviert werden. Der polnische Chefunterhändler Jan Truszczynski versicherte, dass die

Mittel für den Aufbau von neuen Kontrollstationen sowie für die Anschaffung technischer Geräte bereit stünden. Einen Teil der Finanzierung übernahm die EU. Für die Sicherung der künftigen Außengrenzen wurden 340 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, wobei diese Mittel jedoch auf alle Beitrittskandidaten mit zukünftiger Außengrenze verteilt wurden.

Im Juli 2002 wurden die Bestimmungen für Einreise und Aufenthalt von EU- und EWR-BürgerInnen sowie deren Familienangehörigen auf polnischem Gebiet verabschiedet (vgl. Gesetz zum Aufenthalt von EU-BürgerInnen in Polen vom 27 Juli 2002). Dieses Gesetz war verpflichtend, grundlegend und sicherte die im Acquis Communitaire enthaltende Freizügigkeit von EU-BürgerInnen innerhalb der EU. Auf Empfehlung der Europäischen Kommission wurde die Neuregelungen bezüglich der Nicht-EU-BürgerInnen in zwei Gesetzen erlassen. Im Juni 2003 verabschiedete das polnische Parlament zwei neue Ausländergesetze, die die unterschiedlichen Ausländerstatusformen detailliert unterscheiden und das Ausländergesetz von 1997 ersetzten (vgl. Ausländergesetz von 1997). Das erste Gesetz legt die Grundlagen und Voraussetzungen für Einreise und Aufenthalt für Drittstaatenangehörige fest. Das zweite Gesetz über die Erteilung des Ausländerschutzes konzentriert sich vor allem auf Flüchtlinge und Asylbewerber und bestimmt die Grundlagen, Voraussetzungen und Umsetzungsmöglichkeiten zum Schutze von Ausländern auf polnischem Gebiet sowie die Behördenzuständigkeit in diesen Fällen (vgl. Mazur-Rafał 2004:12).

Außerdem führte die Novellierung der Ausländergesetzgebung in Polen zwei neue rechtliche Statuten ein: den „geduldeten Aufenthalt“ (pobyt tolerowany) , der eine alternative zum Flüchtlingsstatus darstellt (vgl. Pacek 2005:67) und die Möglichkeit zu Regularisierungsaktionen (abolicja). Anhand einer solchen Maßnahme sollte AusländerInnen, die sich illegal , aber mindestens 6 Jahre ununterbrochen in Polen aufgehalten hatten, die Möglichkeit eingeräumt werden, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Für eine Legalisierung musste eine geregelte Lebenssituation in Polen, finanzielle Mittel zu deren Deckung oder ein Arbeitsplatz (vgl. Mazur-Rafał 2004:12) nach gewiesen werden. Die Hürden waren so hoch gesteckt, dass nur wenige AusländerInnen sich um eine Anmeldung und Legalisierung ihres Aufenthalts bemühten. Zwischen September und Dezember 2003 bewarben sich von den

schätzungsweise 300.000 irregulären Einwanderern nur 3.508 Menschen. Davon war die Mehrheit mit 46,4 % armenischer beziehungsweise mit 38,2% vietnamesischer Herkunft. 2.413 Personen erhielten eine positiven Bescheid (vgl. Alscher 2008:3).

Eine Voraussetzung für den Abschluss der Beitrittsverhandlungen im Kapitel 24 (Justiz und Inneres) war die Einführung von Einreisevisa für StaatsbürgerInnen der östlichen Nachbarstaaten Polens. Im Rahmen der Eingliederung des Schengen-Acquis wurde im Oktober 2003 für BürgerInnen der Ukraine, Belarus und Russland die Visapflicht implementiert (vgl. Kapitel 6.2.). Polen beendete zusammen mit den anderen Kandidatenstaaten die Beitrittsverhandlungen während des Treffens des Europäischen Rates in Kopenhagen am 13. Dezember 2002 (vgl. Buras/ Tewes 2006). Eine logische Folge des Verhandlungsabschlusses war die Unterzeichnung des Beitrittsvertrags in Athen am 16. April 2003. Nach der Ratifikation des Beitrittsvertrages wurden Polen und die neun weiteren Kandidatensaaten am 1. Mai 2004 zu EU-Mitgliedsstaaten. Die polnische Migrationsgesetzgebung befand sich zu diesem Zeitpunkt im Einklang mit dem Besitzstand des Acquis Communitaire im Migrationsbereich.