• Keine Ergebnisse gefunden

2. Konzeptionelle und methodische Anlage der Untersuchung

2.2. Konzeptionelle Grundlagen

2.2.3. Ansätze zur Analyse der Europäisierung

In der Europaforschung werden die Auswirkungen des Integrationsprozesses auf den Handlungs- und Entscheidungsspielraum von Akteuren – auch in der Migrationspolitik – sowie auf Organe der politischen Systeme der EU-Mitglieder ebenso intensiv untersucht wie die Folgen des Beitritts zum Acqui Communautaire für Beitrittsstaaten. Ein Forschungsdesiderat ist nach wie vor, die Auswirkungen der europäischen Integration auf die Politik und das politische System von Transformationsländern zu analysieren. Bei einer Analyse der polnischen Migrationspolitik muss der Einfluss der Migrationspolitik der Europäischen Gemeinschaft/ Europäischen Union berücksichtigt werden. Um eine analytische Strukturierung des Migration-Policy-Prozesses zu erzielen, wird in der vorliegenden Studie ein Phasenmodell erarbeitet, welches die Phasen der Entwicklung polnischer Migrationspolitik, der Systemtransformation und der Europäisierung nebeneinander stellt. Hierfür ist eine Beschäftigung mit der Debatte um den Begriff der Europäisierung notwendig. Trotz umfangreicher Forschungstätigkeit der letzten Jahre herrscht kein Konsens darüber, was unter “Europäisierung” zu verstehen ist. Die Definition des Phänomens Europäisierung wird in der Politikwissenschaft heftig diskutiert (Große-Hüttmann/ Knodt 2000: 32). Es existieren eine große Unschärfe in den Begriffsbestimmungen und unterschiedliche Betrachtungsperspektiven. Es ist schwierig, die Effekte von Europäisierung zu messen, die Europäisierungs-mechanismen lassen sich nicht generalisieren.

Um allerdings die von Christoph Knill und Dirk Lehmkull im Jahr 1999 gestellte F r a g e „How Europe matters?“ beantworten zu können, müssen theoretische Konzepte der Europäisierungforschung herangezogen werden. Und auch in ihrem später veröffentlichen Aufsatz zum Thema „Die Europäisierung von nationaler

Staatstätigkeit: Erkenntnisse aus der vergleichenden Policy-Forschung“

(2004) beschäftigen sich Knill und Lehmkull mit den Rückwirkungen, die europäische policies in den EU-Mitgliedsstaaten auslösen. Sie liefern einen einfachen analytischen Rahmen (vgl. Knill, Christoph/ Lehmkuhl, Dirk 1999), um die Wirkungsweise europäischer Politik auf nationaler Ebene fassbar zu machen. Sie unterscheiden im Verlauf der Analyse drei verschiedene „Mechanismen der Europäisierung“ und stellen diese als idealtypische Formen vor, die in der Wirklichkeit als Mischformen auftreten. In der ersten Form erfolgt die

„Europäisierung durch Vorgabe institutioneller Modelle“, d.h. es werden von der europäischen Ebene aus explizite Vorgaben gemacht. Es wird ein institutionelles Modell von europäischen policies entworfen, das in dieser Form von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden soll. Diese Form der Europäisierung ist überwiegend im Bereich der „positiven Integration“ zu finden (Knill/ Lehmkuhl 2004:15ff.).

Als zweiter Idealtyp wird die „Europäisierung durch die Veränderung nationaler Gelegenheitsstrukturen“ beschrieben (Knill/ Lehmkuhl 2004:15ff.). Die Europäische Ebene legt in der Regel lediglich einen festen Zielrahmen ohne bestimmte institutionelle Vorgaben fest. Innerhalb dessen nationale Interessen aber ausgelegt werden können. Der Mitgliedsstaat besitzt gegenüber der ersten Form einen größeren Handlungsspielraum. Diese Form der Europäisierung ist überwiegend im Bereich der

„negative Integration“ zu finden (Knill/ Lehmkuhl 2004:15ff.).

Die dritte und schwächste Form der Europäisierung ist die subtilste. Europäisierung entsteht „durch Framing nationaler Ideen und Überzeugungen“. Es handelt sich um eine umrahmende („framing“) Integration (vgl. Knill/ Lehmkuhl 1999: 1-4). Anhand dieser Form findet Europäisierung zwar innerhalb eines Rahmens statt, dieser ist jedoch keineswegs verbindlich. Es gibt keine konkreten Modelle oder feste Zielsetzungen auf der Ebene der Gemeinschaft oder diese können nicht durchgesetzt werden. Policies „zielen darauf ab, auf nationaler Ebene politische Unterstützung für umfassendere Europäische Reformziele zu mobilisieren“ (Knill/ Lehmkuhl 2004:157). Knill und Lehmkull stießen mit ihrem Konzept aber auch an Grenzen. So beziehen sie sich in ihrer Analyse ausschließlich auf die Sichtweise einer

top-down-Europäisierung.

Mit ihrer gut strukturierten und verständlichen Untersuchung schufen Knill und Lehmkull eine Grundlage. Sie machten deutlich, dass eine Sicht auf Regelungen und Strukturen des Staates nicht ausreicht. Um politische Entwicklungen erklären zu können, müssen die beteiligten AkteurInnen , ihre Vorstellungen und Erwartungen mit einbezogen werden. In Bezug auf Polen gilt es zu beachten, dass ein institutionelles Gefüge im Gegensatz zu anderen Staaten nicht als gegeben vorausgesetzt werden kann. Bedingt durch die Transformation nach 1989 hat sich dieses zum Teil erst im Rahmen der EU - Beitrittsverhandlungen von diesem beeinflusst entwickelt.

Der italienische Politologe Claudio Radaelli versteht Europäisierung als Veränderungsprozess in den Mitgliedsstaaten in Reaktion auf die europäische Integration. Er definiert Europäisierung wie folgt:

„Europeanisation consists of processes of (a) construction, (b) diffusion and (c) institutionalisation of formal and informal rules, procedures, policy paradigms, styles, 'ways of doing things', and shared beliefs and norms which are first defined and consolidated in the EU policy process and then incorporated in the logic of domestic (national and subnational) discourse, political structures and public policies“ (Radaelli 2003:30; 2000:4).

Ein Verständnis von Europäisierung liefert der italienische Soziologe Claudio M.

Radaelli (2000, 2003), indem er „Europäisierung“ wie folgt definiert:

„Europeanisation consists of process of (a) construction, (b) diffusion and (c) institutionalisation of formal and informal rules, procedures, policy paradigms, styles, `ways of doing things`, and shared beliefs and norms which are first defines and consolidated in the EU policy process and then incorporated in the logic of domestic (national and subnational) discourse, political structures and public policies“ (Radaelli 2003:30, 2000:4).

Im Gegensatz zu Knill und Lehmkull unterscheidet Radaelli (2003; 2000) zwischen zwei Perspektiven bei Europäisierungsprozessen. Ihm zufolge wird „Europäisierung“

als ein Prozess verstanden, im Zuge dessen sich die Logik nationalen politischen Handelns verändert:

(1) Entstehung, Verbreitung und Verfestigung unterschiedlicher Elemente politischen Handelns auf der europäischen Ebene (bottom-up-Perspektive),

(2) die dann in die Logik des politischen Handelns innerhalb der Mitgliedsstaaten (oder Beitrittsstaaten) einfließen und diese verändern (top-down-Perspektive).

Radaelli verweist auf die Gefahr einer „künstlichen Grenzziehung“ zwischen europäischer Policy und nationalstaatlicher „Implementierung dieser Policy“. Er bezieht vertikale und horizontale Mechanismen von Europäisierung mit ein und wendet sie auf das Drei-Typen-Modell von Knill/ Lehmkuhl an. Er plädiert dabei für eine bottom-up Perspektive der Europäisierungsforschung. Europäisierung umfasst demnach sowohl die Entstehung europäischer Politik als auch deren Rückwirkung auf die Nationalstaaten. Damit kann festgehalten werden, dass Europäisierung sowohl die Entstehung europäischer Politik als auch deren Rückwirkung auf die Nationalstaaten umfasst.

Tanja Börzel und Thomas Risse stellten im Jahr 2000 in ihrem Aufsatz

„When Europe hits home: Europeanization and Domestic Change“

fest: „the issue is no longer whether Europe matters, but how it matters, to what degree, in what direction, at what pace, and at what point of time“

(Börzel/ Risse 2000:4). Den AutorInnen zufolge findet Europäisierung als Synonym für Vergemeinschaftung, Europification, Unionification Integration, also EU-isierung oder EU-Europäisierung statt. Demnach durchläuft innerstaatlicher Wandel im Rahmen eines Europäisierungsprozesses drei Dimensionen: Inhaltlicher Wandel (policy change), Institutioneller Wandel (polity change) und Prozessualer Wandel (change of politics) ( vgl. Börzel/Risse 2003:69). Dabei lässt sich Europäisierung nach dem jeweiligen Ausmaß unterscheiden. Börzel und Risse beschreiben für die Europäisierung drei Bedingungen für den Wandel (Börzel/ Risse 2000:10f.): Die Absorption ist ein Prozess, bei dem der Nationalstaat europäische Politiken in das nationale System einfließen lässt. Diese Aufnahme bewirkt jedoch keine größeren Änderungsprozesse bei den nationalen Politikfeldern, -strukturen oder -prozessen. Der Grad des nationalen Wandels ist somit äußerst gering.

Accomodation bezeichnet einen ebenfalls geringfügigen Wandlungsprozess. Die Nationalstaaten übernehmen hier in aller Regel neuartige Politikmuster. Als Transformation wird die Entwicklung bezeichnet, bei welcher der Nationalstaat

traditionelle Politiken durch europäische ersetzt oder weitreichend verändert. Der Grad des nationalen Wandels ist hier sehr ausgeprägt. Claudio M. Radaelli (2003:37f.) fügt diesen drei Phasen noch zwei weitere hinzu. Er gibt an, dass es auch die Möglichkeit gibt, dass weder im Bereich noch in der Polity- oder Policy-Dimension zu Veränderungen kommen kann. Außerdem können Veränderungen auch zu einem weniger europäisierten Zustand, zur Ent-Europäisierung führen. Über die Reichweite der Europäisierung wird heftig gestritten. Dabei geht es um die Frage, ob Europäisierung ein EU-zentriertes Phänomen ist, oder ob Europäisierung auch außerhalb der EU statt findet. Europäisierung wird in Mitglieds-Europäisierung (EU15) und Beitritts-Europäisierung (EU27 plus) unterteilt. Die Frage nach dem Ausmaß des Wandels nationalstaatlicher Politik wird dementsprechend unterschiedlich gestellt. In Bezug auf die EU 15 wird gefragt, wie sich die Teilhabe am Prozess der europäischen Integration auf ihre jeweiligen Politiken auswirkt. Im Hinblick auf die EU 27 plus stellt sich die Frage, wie sich die Beitrittsanforderungen der EU auf den Transformationsprozess auswirken. Ergebnis Stetiger politischer Wandel Rascher politischer Wandel mit

weitreichenden Auswirkungen Quelle: Axt/ Miloski/ Schwarz 2007:144

In der Politikwissenschaft ist der Begriff Europäisierung mehrfach besetzt und obwohl sich die Ansätze in ihrer Grundidee ähneln, werden aber unterschiedliche Aspekte des Themenkomplexes der europäischen Integration benannt. Es wird zwischen den funktionalen Begriffen der Europäisierung (europeanization) und der Vergemeinschaftung (europeanification) unterschieden. Beide beziehen sich aber auf die Ausübung staatlicher Souveränität (vgl. Radaelli 2000:2, vgl. Börzel 2000:3).

Unter Europäisierung versteht man den Transfer von Souveranität an die EU-Ebene, an die Europäische Union als supranationale Institution. Vergemeinschaftung bedeutet hingegen die gemeinsame Ausübung von politischer Macht im Rahmen der EU. Beide Begriffe beziehen sich somit auf die Kompetenzen der EU und das Zusammenlegen staatlicher politischer Macht (vgl. hierzu Radaelli 2000:2, vgl.

Börzel 2000:3). Je nachdem, welche Perspektive man einnimmt, wird Europäisierung auch als ein Prozess oder als einflussnehmende, unabhängige Variable dessen verstanden. Beispielsweise können diese sein:

(1) der Prozess, bei dem nationale Politikbereiche immer stärker abhängig von der Politikgestaltung auf europäischer Ebene,

(2) der stetige und unterschwellige Prozess der Orientierung von nationalen Politiken und ihrer Gestaltung an die politische Dynamik der EU, oder

(3) das Entstehen und die Entwicklung von Regierungsstrukturen auf europäischer Ebene (vgl. Radaelli 2000:2).

Allen Definitionen liegt die Annahme zu Grunde, dass „Europäisierung etwas mit dem Eindringen der europäischen Dimension in die nationalen Arenen der Politikgestaltung zu tun hat“ (Radaelli 2000:2) also der Ebene der innerstaatlichen politics und policy. Hier knüpft das Konzept der vorliegenden Arbeit an und es wird ein Bogen zum institutionellen Wandel geschlagen. Teil des Erkenntnisinteresses ist, der Frage nach zu gehen, inwieweit die europäische Dimension in Gestalt der EU die Veränderung oder Ausgestaltung der institutionellen Umgebung der nationalen AkteurInnen in Polen beeinflusst hat (vgl. Risse 2000:4).

Die Europäisierung setzte in Polen bereits in den 1990er Jahren ein. Durch die Zusammenarbeit von polnischen und EU-PolitikberaternInnen sowie polnischen und internationalen Institutionen wurden schon zu Beginn der Transformation westliche Werte und Normen transferiert. Im Rahmen der Beitrittseuropäisierung gilt Konditionalität (vgl. Jacobsen/ Machowski 2007) als Kernmerkmal der EU-Strategie gegenüber Beitrittsstaaten, die zur Übernahme von Vorgaben, Richtlinien und Normen der EU bewegt werden sollen. Die Beitrittskandidaten durchliefen während der Beitrittsverhandlungen im Policy-Bereich eine besonders starke Europäisierung.

In den Kapitel des Bereichs Justiz und Innenpolitik wurde der Einfluss am deutlichsten. Die Beitrittsländer wurden stärker „europäisiert“ als es die Mitgliedsstaaten zu diesem Zeitpunkt selbst gewesen sind. (vgl. Grabbe 2003:

303-330). Der Begriff der Europäisierung steht in der vorliegenden Studie zunächst einmal für den Einfluss der europäischen Dimension auf das Verhalten der AkteurInnen. In Bezug auf Polen und die Ausgestaltung der polnischen Migrationspolitik muss das Konzept weiter als nur in Bezug auf die EU-Mitgliedschaft betrachtet werden (vgl. Ágh 1997, vgl. Grabbe 2001).

Hinsichtlich der Konzeptionalisierung der Adaptionsprozesse werden zwei Varianten des Neo-Institutionalismus in der Politikwissenschaft als zentrale Bezugspunkte diskutiert – der rationale und der soziologische (oder konstruktivistische) Institutionalismus (Nohlen 2010:268f.). Beide Sichtweisen auf Europäisierung gehen dabei von unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, von mangelnder politischer (policy misfit) oder institutioneller (institutional misfit) Passfähigkeit aus. Diese identifizieren jeweils unterschiedliche Faktoren, die die Anpassung der Mitgliedsstaaten an EU-Vorgaben bedingen. Diese beiden Logiken schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern treten oft gleichzeitig auf oder charakterisieren unterschiedliche Phasen im Prozess des Wandels (Nohlen 2010:268f.).

Im Rahmen der Beitrittseuropäisierung wird zwischen unterschiedlichen Mechanismen, dem Anpassungs- und dem Lernprozess unterschieden. Während des s o g e n a n n t e n Anpassungsprozesses m a c h e n s i c h e i n e r s e i t s d e r Soziale Einfluss, soziale Anreize wie internationale Anerkennung, Status- und Imagegewinn bemerkbar. Als weiteren Mechanismus kann man das Verhandeln um materielle Anreize wie finanzielle oder technische Hilfe berücksichtigen. Der Lernprozess zeichnet sich als die Phase der Imitation aus, in der EU-RepräsentantInnen als Rollenmodelle für nationale Entscheidungsträger fungieren.

Im Anschluss daran folgt die Phase der Überzeugung, in der EU-Repräsentanten nationale Entscheidungsträger vom Geltungsanspruch ihrer Normen überzeugen (Axt/ Miloski/ Schwarz 20007:144).

Für die vorliegenden Fragen soll der Fokus entsprechend dieser Diskussion nicht allein auf den Anpassungsdruck gerichtet, sondern auch dem Handlungsspielraum der polnischen AkteurInnen ein zentraler Stellenwert eingeräumt werden. Es wird eine Verknüpfung der beiden Ansätze angestrebt, die zu erklären hilft, wie europäische Einflüsse selektiv AkteurInnen, Ideen und Diskurse legitimieren und damit die einzelstaatliche Policy-Veränderungen bestimmen (vgl. Thielemann 2002).

Es muss berücksichtigt werden, dass es sich bei Europäisierungsprozessen nicht um ein statisches Phänomen handelt. Vielmehr ist das Verhältnis zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten dynamisch und wechselseitig. Es finden ständig Feedback-Prozesse zwischen den verschiedenen Ebenen statt.