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Exkurs: Fremd im eigenen Land – die Situation der Kopten

Im Dokument Der islamische Faschismus (Seite 87-91)

Es ist der 25. Januar 2012, der erste Jahrestag der ägyptischen Revolution, die zum Sturz Mubaraks führte. Samir ist seit vier Uhr früh auf den Beinen.

In Muqattam, dem Vorort südwestlich der Innenstadt von Kairo, in dem er wohnt, ist noch alles dunkel, nicht einmal der Mond scheint. Samir,

19 Jahre alt, ist müde und verbittert: »Ich bin Kopte, und ich schleppe Müll rum, aber ich bin kein Müll«, sagt er trotzig. Dann macht er sich auf den zwölf Kilometer langen Weg zur Arbeit.

Vor einem Jahr nahm er diese Route, um mit den Demonstranten zum Tahrir-Platz zu ziehen. Heute interessiert ihn der Platz nur noch, weil er in den Straßen rundherum den Müll einsammelt. Das bei Muslimen verpönte Geschäft liegt in Kairo traditionell in der Hand der Kopten, sechs bis zehn Prozent der Bevölkerung gehören dieser christlichen Kirche an. Mit

Lebensmittelresten, die sie vom Müll trennten, fütterten koptische Züchter jahrelang ihre Schweine. Doch vor zwei Jahren war plötzlich Schluss damit.

Die Islamisten hatten wegen der Schweinegrippe die Schlachtung aller Tiere in Südkairo durchgesetzt. Samir ist überzeugt davon, dass es den Fanatikern nicht nur um die Eindämmung der Seuche ging – sie wollten vor allem die »Ungläubigen« treffen. An der Diskriminierung habe nicht einmal der Sturz Mubaraks etwas geändert, im Gegenteil, heute gehe es den

Kopten noch schlechter. Deshalb boykottiert Samir auch die Jahresfeier der Revolution. Viele Kopten hätten inzwischen das Land verlassen. »Ich bin nicht reich, ich kann mir das nicht leisten. Außerdem will ich hierbleiben, ich liebe dieses Land. Aber ich ertrage die Blicke mancher Muslime nicht

mehr, wenn sie das tätowierte Kreuz auf meiner Hand sehen.« Samir hat muslimische Freunde. Er weiß, dass nicht alle auf die Kopten herabsehen.

»Viele Muslime gingen sogar mit uns demonstrieren, als wir uns am 9. Oktober 2011 vor dem Fernsehgebäude versammelten. Aber auch die sind letztlich eine Minderheit.«

An jenem Tag wollten die Kopten für ihre religiösen Rechte

demonstrieren. Ein Armeesoldat hatte Samir freundlich gegrüßt, als er durch die Barrikaden zum Staatssender gehen wollte. Doch es war eine Falle. Hinter der Absperrung empfingen ihn zwei weitere Soldaten und prügelten auf ihn ein. Samir sah, wie eine Gruppe Christen von einem Armeepanzer zerquetscht wurde. Einen Mann, der seine Frau retten wollte, zerteilten die Ketten in zwei Hälften. Etwa dreißig Kopten wurden getötet, Hunderte verletzt.

Was Samir wirklich schockiert hat, war nicht die Brutalität der Soldaten.

Die würden ohne Skrupel auch Anhänger des Islam töten. Die Reaktion vieler Muslime hat ihn getroffen, die der Armee halfen, die Kopten einzukesseln. »Es war nicht nur Ablehnung, sondern purer Hass in ihren Augen«, sagt er. Zwei Muslime traten ihn mit Füßen, dann trugen sie ihn weg und warfen ihn in den Nil.

Ein halbes Jahr zuvor noch hatten Kopten und Muslime einträchtig nebeneinander demonstriert. In einer vielbeachteten Szene hatten Kopten eine Menschenkette um betende Muslime herum gebildet, als diese auf dem Tahrir-Platz von bewaffneten Mubarak-Anhängern auf Kamelen angegriffen wurden. Junge Muslime erwiderten die Geste und beschützten die Christen bei einem Gottesdienst. Es schien einen Moment lang so, als habe die

Revolution die Kraft, die Kluft, die der Glaube gerissen hatte, zu beseitigen.

Doch nur wenige Wochen später war es zu ersten Zusammenstößen

zwischen Kopten und Muslimen in Alexandria gekommen. Die Gewalt war

eine unmittelbare Reaktion auf die Hetzkampagne gegen die Kopten, die das Militär in den Staatsmedien führte. Dass die Hasstiraden auf so

fruchtbaren Boden fallen konnten, liege auch in einer verfehlten

Bildungspolitik, meint Samir. In der Schule würde kaum über die Kopten und ihre Geschichte aufgeklärt. Und die unversöhnliche islamistische Ideologie würde Andersgläubigen ihr Menschsein ohnehin weitgehend absprechen.

Samir ist nicht optimistisch, was die Zukunft Ägyptens angeht, aber er will sein Bestes geben. Er möchte das Abitur nachholen, aber er hat keine Zeit, eine Schule zu besuchen. Er lernt zu Hause nach der Arbeit. Später will er Jura oder BWL studieren. Vielleicht werden ihn die Menschen in Ägypten dann respektvoller behandeln. »Aber selbst wenn ich irgendwann einen angesehenen Job kriege, was werde ich mit dem Kreuz auf meiner Hand denn tun?«, fragt er traurig.

Nicht nur in Ägypten, sondern überall in der islamischen Welt werden Christen verfolgt. Im Irak stirbt gerade eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt aus, weil Islamisten Kirchen anzünden und Christen ohne Grund angreifen. Kaum ein Weihnachten vergeht, ohne dass nicht irgendwo auf der Welt eine Kirche in die Luft gejagt oder Christen angegriffen würden. Im Dezember 2013 starben 35 Christen durch eine Autobombe, als sie ihre Kirche nach dem Gottesdienst verließen. In einem der brutalsten Videos, die man auf YouTube finden kann, sieht man, wie zwei Islamisten einen Lastwagen auf einer Straße im Irak anhalten und den Fahrer und seine zwei Begleiter fragen, welcher Religion sie angehören.

Zitternd vor Angst behaupten sie, sie seien Muslime. Sie müssen

aussteigen. Einer der Islamisten fragt sie nach dem Ritual des muslimischen Morgengebets. Als sie darüber keine Auskunft geben können, lässt er die

drei niederknien und mäht sie eiskalt mit seinem Maschinengewehr nieder.

Wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens getötet werden, ist das Faschismus.

Natürlich darf man nicht alle Muslime über einen Kamm scheren.

Solche Hinrichtungen wie die eben geschilderte schockieren auch Muslime.

Doch es gibt eine nicht zu unterschätzende Zahl, bei denen die Erziehung zu Hass und Ausgrenzung Andersdenkender und Andersgläubiger verfängt.

Immer mehr Muslime sprechen Christen eine Existenzberechtigung ab, weil sie Ungläubige seien. Immer mehr arabische Christen müssen, wie einst die arabischen Juden, die arabische Welt verlassen. Dort ist man sich nicht bewusst, dass dies eine erneute Selbstamputation darstellt. Der Wahn, sich von allem Unislamischen zu reinigen, führt zu einer Rückentwicklung. Man mauert sich ein und verschanzt sich hinter der Religion und einer archaisch anmutenden Stammeskultur. Diese Mauer ist der beste Schutz für

Diktatoren und das beste Gefängnis für das Volk.

Kapitel 5

Im Dokument Der islamische Faschismus (Seite 87-91)