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Abd al-Wahhab und das Konzept der »Erneuerung«

Im Dokument Der islamische Faschismus (Seite 100-106)

Parallel zu den tiefgreifenden Entwicklungen im Norden versuchte auch auf der arabischen Halbinsel ein Mann das Denken radikal zu »reformieren«:

Muhammad ibn Abd al-Wahhab (1703–1792), der Gründer der Wahhabiten-Bewegung, forderte, alles Unislamische aus dem Alltag, der Gesellschaft und dem Denken zu verbannen. Die buchstabengetreue Auslegung des Koran sollte verpflichtend werden, alle Nichtgläubigen und selbst

muslimische Mystiker sollten bekämpft werden. Geradezu ironisch mutet es an, dass die Bewegung ihren Ansatz tajdid nannte, »Erneuerung«.

Das Konzept basierte auf der Prophezeiung des Propheten, dass Allah den Muslimen alle hundert Jahre einen mujaddid schicken würde, der den Glauben erneuert. Erneuerung bedeutet in diesem Zusammenhang indes ein Zurück-zu-den-Wurzeln. Als der ägyptische Herrscher Muhammad Ali Pascha diese Bewegung Anfang des 19. Jahrhunderts zerschlagen wollte, weil sie seinen Modernisierungsversuchen im Weg stand, wurde er von den Engländern daran gehindert. Die britische Krone verbündete sich mit dem Stamm der Saudis; eine in mancherlei Hinsicht unheilsame Allianz, die nach wie vor andauert.

Bis heute sind die Wahhabiten Verbündete des saudischen Königshauses.

Sie legitimieren die Macht der Monarchen und dürfen als Gegenleistung die Bildung und die religiöse Erziehung im Land bestimmen. Auch als

Moralwächter dürfen die Wahhabiten durch die Straßen Saudi-Arabiens gehen und »Sünder« verhaften; Männer, die sich während der Zeiten des Gebets auf der Straße befinden, oder Frauen, deren Schleier ein wenig verrutscht ist.

Diese Aufgabe übernehmen in abgeschwächter Form die religiösen Behörden in den meisten islamischen Staaten. Sie sorgen dafür, dass die Autorität des Herrschers nicht in Frage gestellt wird, und manipulieren den Bildungskanon und die Erziehung junger Menschen in ihrem Sinne. Sie zensieren die Geschichte, verherrlichen den Islam und verteufeln seine Feinde. Sie lehnen jede Öffnung ab und sorgen dafür, dass das

Wissensmonopol bei ihnen bleibt. Sie sorgen dafür, dass Feindbilder in Schulbüchern und Medien präsent bleiben, und mahnen die Bevölkerung, im Kampf gegen die Bedrohung von außen nicht nachzulassen.

Nach dem 11. September 2001 wurden einige arabische Staaten von ihren westlichen Verbündeten unter Druck gesetzt; man solle dafür sorgen, dass in Schulbüchern nicht länger Hass gegen den Westen und

Andersgläubige geschürt werde. Tatsächlich wurde ein überraschender Aktionismus an den Tag gelegt. Vor allem in Saudi-Arabien und Ägypten wurden einige Lehrinhalte entfernt, die unmissverständlich zu Hass

aufrufen. Neue Passagen, die für ein friedliches Zusammenleben zwischen den Völkern plädieren, wurden eingefügt. Ein letztlich blinder

Aktionismus – denn die Grundtendenz der Schulbücher wurde nicht verändert. Es blieben viele problematische Passagen stehen, weil sie auf Aussagen des Koran oder des Propheten basieren.

Diese Widersprüchlichkeit bis hin zur Schizophrenie ist überall in der islamischen Welt anzutreffen, nicht nur in Schulen. Denn es geht nicht nur um die Geschichte, sondern um eine Religion, die die Welt in Gläubige und Ungläubige unterteilt. Es geht auch um die geopolitische Lage und die gefühlte Unterlegenheit gegenüber dem Westen in allen Bereichen des Lebens, die dazu führt, dass den Muslimen vermeintlich gar nichts anderes übrigbleibt, als sich gegen die seelenlose und aggressive Macht des Westens zu wehren.

Gerade in Saudi-Arabien ist diese Schizophrenie am deutlichsten zu greifen: Auf der einen Seite steht die washingtonfreundliche Energiepolitik des Herrscherhauses, die Öffnung des Landes für alle westlichen

Konsumwaren und die Bereitstellung einer Basis für die US-Marines. Und auf der anderen Seite steht eine menschenverachtende, wahhabitische Richtung des Islam, die alle Bereiche des Lebens orthodox-religiös deutet und bestimmt. Das Imitieren eines nach außen hin westlichen Lebensstils, den man exzessiv lebt und offenkundig genießt und zugleich innerlich

verachtet, macht diese Schizophrenie so explosiv. Kein Wunder, dass 15 der 19 Attentäter des 11. September 2001 aus Saudi-Arabien stammten.

Nachdem der saudische Botschafter in Washington die Lehrpläne seines Landes für »hassfrei« erklärt hatte, nahm die Washington Post im März 2006 einige Bücher genauer unter die Lupe. In ihrem Artikel kommt sie zu dem Schluss, dass die Religionsschulbücher nach wie vor vom Islam als der einzig wahren Religion sprechen und dass in ihnen der Dschihad gegen Ungläubige und Polytheisten als Pflicht eines gläubigen Muslims dargestellt wird. Der Bericht listete zahlreiche Beispiele auf, darunter das folgende aus einem Buch für die erste Klasse:

»Ergänze folgende Sätze mit jeweils einem der beiden Worte (Islam – Hölle): Jede Religion außer _________ ist falsch. Wer kein Muslim ist, landet in der _________.«

In einem der »reformierten« Bücher für die vierte Klasse ist zu lesen:

»Der wahre Glaube bedeutet, dass du die Ungläubigen und die Polytheisten hasst und ihnen mit Härte begegnest.«

Oder: »Wer die Lehre des Propheten befolgt und die Einigkeit Allahs bezeugt, darf keine Freundschaft mit Menschen pflegen, die gegen Allah und seinen Propheten sind, selbst wenn sie zu den nächsten Verwandten gehören.«

Aus dem Buch für die sechste Klasse stammt das nächste Zitat:

»Die Affen sind die Juden, die Leute des Sabbat, und die Schweine sind die Christen, die ungläubigen Anhänger Jesu.«

Die Elftklässler werden so in die Ideologie des Dschihad eingeführt:

»Kampf gegen Unglaube, Unterdrückung, Ungerechtigkeit und

diejenigen, die sie verbreiten. Dies ist der Gipfel des Islam. Diese Religion ist durch den Dschihad entstanden und durch die Flagge des Dschihad aufgestiegen.«

Es ist ein Treppenwitz, dass ausgerechnet das saudische System seine Schüler lehrt, dass Dschihad den Kampf gegen Unterdrückung und

Ungerechtigkeit bedeute – denn dies hieße für Menschen mit gesundem Menschenverstand, dass das saudische System zum Kampf gegen sich selbst aufruft. Aber in einem solchen System, das die Wahrnehmung seiner Untertanen vernebelt, ist kaum jemand imstande, diese unfreiwillige Pointe zu erkennen.

Derartige Bücher werden übrigens nicht nur in Saudi-Arabien als Lehrmaterial benutzt, sondern auch in 19 europäischen Staaten, in denen saudische Akademien existieren. Und selbst wenn in Zukunft einige weitere Inhalte aus Verlegenheit modifiziert werden sollten, bleibt doch die

Geisteshaltung der Lehrer die gleiche – denn sie wurden durch die alten Lehren beeinflusst.

Gleiches gilt auch für das Programm, das die saudische Regierung nach dem 11. September zur Bekämpfung des Terrorismus ins Leben rief. Der gleiche Mufti von Riad, der bis dahin die übelsten religiösen Gutachten über die Tötung von Apostaten und Bekämpfung von Ungläubigen verfasst hatte, sollte nun junge Saudis davon überzeugen, dass der Islam eine

Religion der Toleranz und des Friedens ist. Man scheint nicht begriffen zu haben, dass dieser Terror auch das Ergebnis jener Bildungspolitik ist, die

der Mufti und andere Wahhabiten seit über 200 Jahren in die arabische Welt exportieren.

Eine Untersuchung des Bildes der »Anderen« in jemenitischen Schulbüchern, die im Auftrag der Regierung 2009 in Sanaa vorgelegt

wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass der »Andere« oft als Feind betrachtet, in jedem Fall aber negativ gezeichnet werde. Mit den »Anderen« ist

selbstverständlich der Westen gemeint. Die Studie schließt mit der Ausrede, dass dieses Bild als Reaktion auf das negative Bild des Islam, das die

»Anderen« hätten, verstanden werden kann.

Ein Blick in jordanische Schulbücher ergibt ein ähnliches Bild. Der

»Andere« wird immer als das moralische Gegenteil von »uns« dargestellt.

Er ist alles, was »wir« nicht sind und niemals sein dürfen. Natürlich wird auch auf einige positive Errungenschaften des Westens hingewiesen, doch Aufklärung und Demokratie werden dabei geflissentlich übersehen. Die diktatorischen Regime der arabischen Welt errichten eine Barriere zwischen den Schülern und den demokratischen Systemen, die nicht als Vorbilder gedeutet werden sollen.

Das Schulbuch spiegelt einerseits das Denken einer Gesellschaft wider und lässt andererseits die Idee erkennen, nach der ein Machthaber seine Untertanen formen möchte. Es ist ein Wechselspiel, das nach Belieben von oben gesteuert werden kann. Selbst das informelle Wissen und das

kollektive Gedächtnis des Volkes kann dahingehend »verfeinert« werden, dass es in das Herrschaftssystem und die von ihm gewünschte

Identitätspolitik hineinpasst.

Schulbücher wie die oben erwähnten sagen viel über das herrschende Selbstbild in der islamischen Welt. Sie zeigen uns, wie eine Kultur sich selbst wahrnimmt und was sie der nächsten Generation mit auf den Weg

geben will. Sie sind ein Spiegel der Ressentiments und der Ohnmacht, die die Beziehung des Islam zum Westen seit Generationen prägt.

Hinzu kommt der Einfluss der Prediger in den Moscheen und der anderen religiösen Autoritäten, die selbst in vermeintlich säkularen Diktaturen der arabischen Welt von den Machthabern instrumentalisiert werden, um ihre Position zu festigen. Gamal Abdel-Nasser etwa machte die religiöse Al-Azhar-Universität zu einer staatlichen Institution und

bestimmte den Großen Imam von da an selbst. Bildung, Kultur und Medien wurden gleichgeschaltet, religiöse Erziehung wurde Teil der staatlichen Propaganda.

Im Dokument Der islamische Faschismus (Seite 100-106)