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Erlebnis und Dichtung

Im Dokument Johann Gottlob von Quandt (Seite 148-152)

anhand des zweiten beispiels eines herausragenden Pendants in Quandts sammlung lässt sich die hier erläuterte diskussion um die vielschichtige frage nach dem verhältnis alter und neuer Kunst weiterentwickeln. doch wo im ersten beispiel noch der

nachahmungsbegriff und die ikonographie eine wichtige rolle gespielt haben, rückt im fall der Gegenüberstellung der Ge-mälde Bewaldetes Tal des holländischen alten Meisters Jacob van ruisdael und des Dittersbacher Grund des jungen sächsi-schen Künstlers ernst ferdinand oehme die frage nach dem verhältnis von betrachter und Motiv ins Zentrum des interes-ses (abb. 62–63).56

ruisdaels landschaft erstand Quandt durch vermittlung seines ehemaligen hauslehrers friedrich rochlitz. das Ge-mälde des niederländers war ihm ausgesprochen lieb. »der ruysdael war von jeher mein liebling u wird es immer mehr, je einheimischer ich in dem engen, stillen thale werde. es fällt beÿ diesem bilde mir immer tiecks lied ein: rings von ber-gen eingeschlossen, / Wo die klaren bächlein gehen, / Wo die dunklen Weiden sprossen, / Wünscht ich bald mein Grab zu sehn. lied u bild haben eine zauberische hinreißende u über-einstimmende trauer.«57 Quandt stellte zwischen dem bild von ruisdael und der naturlandschaft in dittersbach einen bezug her. als betrachter erlebte er in ruisdaels bild ein ähn-liches Gefühl wie beim Gang durch die dittersbacher hügel.

Wenn Quandt sich durch die landschaft des niederländers an ein Gedicht von tieck erinnert fühlte, dann drückte sich da-rin seine poe tische auffassung von Kunst aus. so wie er von der historienmalerei eine poetische und nicht quellenkundige Wahrhaftigkeit forderte, erwartete er von der landschaft nicht naturnach ahmung, sondern die einbindung menschlichen empfindens. dieses Moment verstand Quandt als Poesie der Malerei.58

die bedeutung der Poesie für das Kunstwerk kann am ruis dael-beispiel weiterverfolgt werden. Quandts freund, der dichter ludwig breuer, schrieb ein panegyrisches Gedicht auf Quandt mit dem titel »ruisdael an der Wesenitz«. es entstand zum huldigungsfest für Quandt bei seinem einzug in ditters-bach, wo die Wesenitz floss. breuer legte dem niederländischen Maler die lobrede auf Quandt in den Mund. ruisdael sprach in

55 Hegel 1823 [2003], S. 253–255: »Das Bedürfnis solcher Darstellungen hat die Kirche. Sie verlangt solche Bilder, die verehrt werden sollen.

Aber je höher die Kunst steigt, desto mehr werden solche Gegenstän-de in die Gegenwart herübergehoben. Die Malerei macht sie irdisch und gegenwärtig, gibt ihnen Vollkommenheit weltlichen Daseins, […]

so daß die Seite der sinnlichen Existenz zur Hauptsache und das Inte-resse der Andacht das Geringere wird. Die Kunst hat die Aufgabe, dies Ideale ganz zur Gegenwärtigkeit herauszuarbeiten, das dem Sinnli-chen Entrückte sinnlich darstellig zu maSinnli-chen und die Gegenstände aus der fernen Szene in die Gegenwart herüberzubringen und zu vermenschlichen. Bei den Marienbildern ist z. B. das Verhältnis zum Kinde dargestellt wie das Verhältnis einer natürlichen menschlichen Mutter zu einem menschlichen Kinde. Dies wird uns zur Gegenwart gebracht, und das menschliche Verhältnis ist herausgehoben. Bei diesen religiösen Gegenständen ist ein objektives Bedürfnis, von dem ausgegangen wird.« S. a. Gethmann-Siefert 2005, S. 286–287.

56 Zu Ruisdael: Kat. Oldenburg 2017, S. 301; Slive 2001, Kat. Nr. 185, S. 191. Zu Oehme: Kat. Dresden/Lübeck 1997, S. 84, S. 193, Kat. Nr. 90.

Rüfenacht 2018, SQ-36 (Oehme), SQ-39 (Ruisdael); Kat. Quandt 1868, Nr. 34 (Oehme), Nr. 37 (Ruisdael). S. a. Rüfenacht 2017, S. 159–163;

Bemmann 1925, S. 12.

57 Brief von Quandt an Rochlitz vom 24.8.1826, in: SLUB, Mscr. Dresd.

App. 26, Nr. 219. Die Verse aus Ludwig Tiecks Gedicht »Der Trostlose«, 1. Strophe, in: Ludwig Tieck, Schriften in zwölf Bänden, Bd. 7. Gedichte, hrsg. v. Ruprecht Wimmer, Frankfurt a/M: Deutscher Klassikerverlag, 1995, S. 113. S. a. den Brief von Quandt an Schnorr vom 18.6.1826, in:

SLUB, Mscr. Dresd. n Inv. 15, Bd. 31, fol. 132r: »Es ist eine Trauer über die ganze Natur in diesem Bilde verbreitet welche als genußreiche Schwermuth im Gemüth zum Bewusstseyn kommt.« S. a. Kat. Olden-burg 2017, S. 301.

58 Quandt 1830 (1), S. 176–177. »Die Poesie ist universelle Kunst. […] die Kunst ist nichts anders, als Versinnlichung innerer Anschauung.«

E R L E B N I S U N D D I C H T U N G 149 den versen, mit dem einzug Quandts im ditters bacher

ritter-gut würden seine landschaftsgemälde nun endlich geschätzt:

»[…] da endlich ist ein edler Mann gekommen, Gleich mir entstammt er fernen niederlanden59 der meiner Kunst gewidmet treues neigen.

ihm reich ich, die ich einst geliebt zu schauen, bergstrom und Wald und saftig grüne auen, Mit einem Wort – mein urbild selbst zu eigen.

Zur huldigung war ich hierhergekommen dem nahenden Gebieter-Paar zum frommen.

Was – dacht ich’ – können Wünsche hier noch bieten, Wo ernste Kunst, vereint mit heitrer Milde,

die kräftige natur zum dienste zwingen?«60

breuer verlieh ruisdael die dichterische sprache, um ihn über seine eigenen naturdarstellungen sprechen zu lassen. es habe einen verständigen Kunstfreund gebraucht, der die natürliche landschaft zu schätzen wisse, um überhaupt erst verständnis für die landschaftsmalerei aufbringen zu können.

Zu diesem Zeitpunkt war es nichts neues, ruisdaels Malerei die sprache der Poesie anzudichten. Goethe hatte 1816 im Mor-genblatt für gebildete Stände unter dem titel Ruysdael als Dich-ter einen aufsatz veröffentlicht, der diese inDich-terpretation vor-zeichnete. der schriftsteller wollte anhand dreier landschaften des holländers aus der dresdener Gemäldegalerie darlegen, dass die betrachtung von dessen Gemälden über eine rein äu-ßerliche, emotional bestimmte befriedigung des sehsinnes hin-ausgehe.61 ruisdael sei ein denkender Künstler und verhelfe wie ein dichter dem betrachter zu einem sinnlichen begriff der na-tur. die Kunstkenner wiederum würden diesen in eine adäquate sprache übersetzen.

Mit seinem artikel nahm Goethe dezidiert stellung gegen die idee von landschaftsmalerei im Gespräch Die Gemählde der Gebrüder schlegel von 1799 und gegen die landschaften caspar david friedrichs.62 alle autoren erklärten zwar, land-schaftsmalerei ahme nicht nach, sondern stelle die sinnliche erscheinung der natur dar. bei den schlegels war es aber eine

»universalsprache des Gemüts«, bei Goethe ein auffinden der

rechten Worte, die des Künstlers anliegen darlegen sollten.

Goethe verband anschauung und denken miteinander, wäh-rend die Gebrüder schlegel anschauung und Gemüt zu einer einheit führten.63

in der Passage über die dresdener ruisdael-Gemälde im Begleiter durch die Gemälde-Säle des neu erstellten Galeriege-bäudes von Gottfried semper erwies Quandt noch 1856 Goe-thes ruisdael-aufsatz seine reverenz. er war vor allem an des-sen Grundthese, dass ruisdael ein dichter sei, interessiert und weniger am Kerngehalt des textes. Goethes interpretation, ruisdaels landschaften seien allegorien des menschlichen daseins, deutete Quandt in seinem sinn um. er nannte den Zu-sammenhang zwischen den landschaften und dem betrachter

»eine Wechselwirkung zwischen dem leben des Menschen und der natur«.64 die Gemälde des niederländer Malers seien ein

»Wiederscheine aus den tiefen der seele«. Goethe blieb dage-gen pragmatisch. ruisdael erschaffe ein Kunstwerk, das zum nachdenken anrege. um Gefühle gehe es nicht, sondern um verstandesbegriffe.65

damit kam Quandt august Wilhelm schlegel viel näher als Goethe. schon Jahre zuvor, als der Kunstfreund dem Weima-rer dichter die veduten von dittersbach zugesandt hatte, zeigte sich dieser unterschied (vgl. abb. 8–9). nachdem Quandt über die beiden aquarelle von traugott faber geurteilt hatte, sie seien leblos und ohne Gefühl, antwortete Goethe lakonisch, er hoffe, »daß die liebe natur auch zur vernunft gekommen sey.« Quandt möge sich doch am reellen, fassbaren und nütz-lichen erfreuen. dieser bemerkte die unterschwellige opposi-tion gegen seine idealisierende vorstellung von landschaft und schrieb Jahre später in seinen erinnerungen an Goethe, der dichter habe seine »transcendente Kunstansicht« zurechtge-wiesen.66 trotzdem blieb es genau die schlegel’sche, idealisie-rende universalsprache der Poesie, die Quandt an der land-schaftsmalerei interessierte. die Poesie half ihm, sich seiner empfindungen bei der landschaftswahrnehmung bewusst zu werden und sie auszudrücken. Quandts beschreibungen der dresdener ruisdael-bilder verdeutlichen dies umso mehr, als es

59 Anspielung auf Quandts Herkunft. Seine Vorfahren stammten aus Holland.

60 Breuer 1835, S. 133. S. a. Heinrich 2002, S. 45.

61 Es handelt sich um die Gemälde Das Kloster, Öl auf Leinwand, 75 × 96 cm, Der Wasserfall vor dem Schlossberg, Öl auf Leinwand, 99 × 85 cm und Der Judenfriedhof, Öl auf Leinwand, 84 × 95 cm, alle in Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meis-ter, Gal.-Nr. 1494, 1495, 1502. Zum Aufsatz: Goethe 1816, S. 425–427;

FA 1998, I.19, S. 632–636; Rudloff-Hille 1972–1975, S. 52–55.

62 Schlegel 1996, S. 24–39. Weddigen 2008, S. 181–185 setzt sich ausführ-lich mit dem Verhältnis von Goethes Essay und Schlegels Landschafts-idee auseinander; s. a. Grave 2003, S. 214–215; Bätschmann 2002, S. 22–23.

63 Weddigen 2008, S. 184–185; Rudloff-Hille 1972–1975, S. 52.

64 Quandt 1856, S. 117–118: »Göthe, der immer mit einem Worte mehr sagt, als alle andere mit vielen prächtigen Redensarten, nennt Ruys-dael ›Dichter‹. Die Bilder dieses Landschaftsmalers sind nicht sowohl Schilderungen der Natur an sich, als vielmehr der Gemüthsstimmun-gen, in welchen er Gegenstände auffasste, und Wiederscheine aus den Tiefen der Seele.«

65 »Der Künstler hat bewundrungswürdig geistreich den Punkt gefasst, wo die Produktionskraft mit dem reinen Verstande zusammentrifft, und dem Beschauer ein Kunstwerk überliefert, welches, dem Auge an und für sich erfreulich, den innern Sinn aufruft, das Andenken anregt, und zuletzt einen Begriff ausspricht, ohne sich darin aufzulösen oder zu verkühlen.« Goethe 1816, S. 425.

66 Brief von Goethe an Quandt vom 18.12.1831, in: Schmitz/Strobel 2001, S. 152; Quandt 2001 [1870], S. 239.

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ihm nur um eine Übereinstimmung des Gefühls des betrach ters mit dem vermeintlichen Gefühl des Künstlers ging.67

ruisdaels Bewaldetes Tal in Quandts sammlung erhielt im Jahr 1830 ein Gegenstück: ernst ferdinand oehmes Ditters-bacher Grund. in diesem Pendant liegt Quandts anspruch an die eigene sammlung, gemäß dem die jungen Künstler der Ge-genwart von den alten Meistern lernen, deren fehler erkennen und sie übertreffen sollten. der spruch am eingang zu seiner Gemäldeausstellung in dresden verdeutlichte dies programma-tisch. er selber gab den jungen Künstlern die Möglichkeit, sich

zu verbessern, indem er aufträge vergab. oehmes Dittersbacher Grund übernahm aber noch eine anspruchsvollere rolle. es veranschaulichte den bezug zwischen der landschaft ruis daels und der realen natur im rittergut dittersbach, wo Quandt ei-nen kleiei-nen landschaftspark gebaut hatte.68

das neue bild von oehme ermöglichte es Quandt, sich vom vermittelnden Gedicht eines tiecks oder breuers – oder eben von »ruisdael als dichter«  – loszulösen. das Pendant veran-schaulichte das, was Quandt bei der betrachtung seiner ruisdael-landschaft empfand – nämlich das gleiche Gefühl der

Melancho-67 »Der Grundton von Ruysdael’s Gemüth ist eine genussreiche Wehmuth und den Gefühlen eines solchen Freundes sich hinzugeben, gewährt beseligende Uebereinstimmung.« Quandt 1856, S. 118–120, hier S. 118.

68 Krause/Harnisch 2009, S. 4–17; Palm 2008, S. 12–58, 63–65; Heinrich 2002, S. 43–56, 95–103.

62 Ernst Ferdinand Oehme, Ein Bergstrom in waldiger Gegend (Dittersbacher Grund), 1831, Öl auf Lein-wand, 80 × 67 cm, Dresden, Privatbesitz

E R L E B N I S U N D D I C H T U N G 151 lie, in das ihn die natur von dittersbach versetzte. oehmes bild

überführte die naturerfahrung in eine bilderfahrung. Gleichzei-tig konnte die bilderfahrung durch die naturerfahrung überprüft werden, denn oehmes standort am flüsschen Wesenitz, wo er sein bild gemalt hatte, lag am eingang des landschaftsparks bei schloss dittersbach. natur und bild wurden so zum doppelten spiegel des Gefühls des betrachters.69 so vermochte Quandt

mit dem Pendant die naturerfahrung, die er in seinem meist im sommer genutzten dittersbacher landsitz erleben konnte, ins dresdener stadthaus zu überführen. die Gegenüberstellung von ruisdaels Bewaldetes Tal und oehmes Dittersbacher Grund entpuppt sich damit als veranschaulichung von Quandts land-schaftsidee: die ins bewusstsein gerückte empfindung der na-turanschauung interagiert zwischen realer natur und Kunst.70

69 Quandt 1820 (1), S. 220: »Es findet aber oft zwischen dem Geist und der Natur ein ganz anderes Wechselverständniß, als zwischen dem Men-schen und MenMen-schen, statt. […] Dieses Verhältniß des MenMen-schen zur Natur, ist wie zwey einander gerade gegenüberstehende Spiegel, wovon der eine immer nur sein eigenes Bild aus dem gegenüberstehenden, als Object empfängt. Der Naturgenuß besteht recht eigentlich darin, daß wir nicht zum philosophischen Bewußtseyn gelangen, und dennoch

die doppelte Richtung der Thätigkeit der Seele angeregt wird, so daß die objective und subjective gegenseitig sich compensiren und in einer Anschauung zum Bewußtseyn gelangen. Durch dieses sich selbst be-schauen, in der Wahrnehmung der Außenwelt, durch dieses Verwech-seln des Bewußtseyns, enthält erst die Natur wahres geistiges Leben.«

70 Im Kontext einer Übersendung zweier Veduten an Goethe – auf dessen eigenen Wunsch hin – formulierte er genau dies. Die Aussage 63 Jacob van Ruisdael,

Bewal-detes Tal mit Fluss und einer großen Fichte, um 1660, Öl auf Leinwand, 79,3 × 66,2 cm, Duisburg, Wilhelm-Lehm-bruck-Museum, Inv.-Nr.

1404/1972

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Ausgleich der nördlichen und südlichen

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