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Die ersten griechischen Erwähnungen der Phönizier in der älteren Version der Trojasage be-legen noch ein durchaus positives Bild, indem in erster Linie die „sidonischen“ Kunstfertig-keiten lobende Erwähnung finden. Vor allem feine Gewänder und konkurrenzlos schöne Me-tallwaren zeigen den Kunstsinn der Sidonier, wobei allerdings bereits eine Trennung zwi-schen den Herstellern der Waren und den sie vertreibenden Händlern, den Phöniziern, vorge-nommen wird.29 In der Odyssee, die später als die Ilias entstanden ist, tritt die Bewunderung der Sidonier und ihrer Kunstfertigkeiten bereits hinter Negativschilderungen zurück.

So werden bei Homer die Phöniker vor allem mit dem Klischee der fremdländischen Tücke bedacht, das sich durch die Beschreibungsmerkmale der Gewinnsucht und Raffgier zeigt.

Diese werden als herausstechende Eigenschaften des Fernhändlers angesehen, der auch vor Raub und Entführung nicht zurückschreckt.30 Somit legte Homer den Grundstein für ein Phönizierbild, das auch in den folgenden Jahrhunderten aktuell bleiben sollte. Allerdings kam später noch ein weiterer Topos hinzu, mit dem die Karthager insbesondere zur Zeit der Aus-einandersetzungen mit den Griechen um Sizilien versehen wurden: die barbarische Grausam-keit.31 Welches der beiden vorgestellten Bilder dann jeweils prononciert Anwendung fand,

27 Die hier erfolgte Gleichstellung von Phöniziern und Puniern bzw. weitgehend auch Karthagern ist kein Aus-druck einer unsauberen Begriffsverwendung, sondern findet ihr Vorbild in antiken Quellen, die zwischen den Phöniziern der Levante und des Westens keinen klaren Trennungsstrich ziehen. Vgl. dazu Günther, Linda-Marie, Siedleridentität. Die Karthager-Phönizier im westlichen Mittelmeerraum, in: Dipper, Christof / Hiestand, Rudolf (Hgg.), Siedleridentität. Neun Fallstudien von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 1995, S.27.

28 Dazu vgl. zuletzt Waldherr, Gerhard H., „Punica fides“ - Das Bild der Karthager in Rom, in: Gymnasium 107 (2000), S.193-222. Vgl. dazu auch Latacz, Joachim, Die Phönizier bei Homer, in: Gehring, Ulrich (Hg.), Die Phönizier im Zeitalter Homers, Mainz 1990, S.11-21; Mazza, Federico, Wie die alte Welt die Phönizier sah, in: Moscati, Sabatino (Hg.), Die Phönizier (Ausstellungskatalog, deutsche Ausgabe), Hamburg 1988, S. 548-568. Speziell zu römischen Quellen vgl. Burck, Erich, Das Bild der Karthager in der römischen Literatur, in:

Vogt, Joseph (Hg), Rom und Karthago, Leipzig 1943, S.297-345 und Dubuisson, Michel, Das Bild des Kartha-gers in der lateinischen Literatur, in: Huß, Werner (Hg.), Karthago, Darmstadt 1992 (Wege der Forschung 654), S.227-238.

29 Vgl. mit den jeweiligen Quellennachweisen Latacz, Phönizier, S.12-14. Vgl. dazu auch Mazza, Alte Welt., S.550 f.

30 Vgl. Latacz, Phönizier, S.18-21, der auf die „Sex and Crime-Story“ verweist, die Homer vor allem in den sog.

„Eumaios-Erzählungen“ dem Hörer darbietet. Einen möglichen Grund für diesen einsetzenden Wandel des Phö-nizierbildes sieht Latacz in sozialen Ursachen, wie sie der Dualismus zwischen fliegenden Händlern einerseits und sesshaften Bauern und adligen Großgrundbesitzern andererseits bieten könnte. Diesem Gedankengang zu-folge wäre aber seit etwa 700 v. Chr., als die Griechen sich selbst dem Seehandel zuwandten, eine Korrektur des bisherigen Bildes zu erwarten. Vgl. dazu aber auch Mazza, Alte Welt, S.558 f, der ausführt, dass die klugen und kaufmännisch aktiven Phönizier aufgrund ihrer handelsmäßigen Ausbreitung in Konflikt zu den ähnlich aktiven Griechen kamen, so dass unlautere Mittel bis hin zu Verleumdung und Rufmord angewendet wurden.

31 Vgl. mit weiteren Nachweisen Waldherr, Punica fides, S.206 f. Sowohl rituelle Massaker während der grie-chisch-karthagischen Kämpfe auf Sizilien als auch die sog. Kinderopfer waren für die Vorstellung der grausa-men Barbaren ausschlaggebend, die Timaios von Taurograusa-menion und auf ihn aufbauend Diodor verbreiteten.

hing von der aktuellen politischen „Großwetterlage“ ab. In Kriegszeiten wurde mehr das Bild des grausamen Barbaren, in Friedenszeiten eher das gleichwohl negativ besetzte Kaufmanns-bild bemüht.32 Neben diesen negativen Wertungen überdauerte jedoch auch das Lob der be-reits oben erwähnten künstlerischen Fähigkeiten und wurde noch ergänzt durch die Anerken-nung der nautischen Leistungen sowie der karthagischen Verfassung, die nicht zuletzt von Aristoteles ob mancher Vorzüge gerühmt wurde.33 Augenscheinlich ist aber, dass kein stati-sches überdauerndes Bild innerhalb der griechischen Literatur vorhanden war, sondern eine Flexibilisierung der bekannten Komponenten aufgrund der jeweiligen Situation möglich war.

Für den Bereich der römischen Quellen gibt es unterschiedliche Ansätze, das oder die Kar-thagerbilder zu ermitteln. Michel Dubuisson34 sieht den Ethnozentrismus35 als entscheidendes Paradigma bei der Entstehung des Bildes eines fremden Volkes. Dies bedeutet, dass das eige-ne Volk als überlegen gesehen wird und dem kulturell Fremden immer Ablehnung bzw. we-nigstens Misstrauen entgegengebracht werden. Im Anschluss an diese These wertet Dubuis-son eine Vielzahl literarischer Quellen aus, um Kategorien zu eruieren, die die Einzelurteile über die Karthager zu bündeln vermögen. Diesem Vorgehen zufolge bleiben die Karthager gleichsam als „ zweigeteiltes“ Volk erhalten, in dem sich zwei diametrale Tendenzen verban-den. So wiesen sie wie die Griechen zwar einerseits ein Übermaß an Zivilisation auf, durch das sich die Laster der calliditas und perfidia entwickelten. Andererseits wurden ihnen zivili-satorische Defizite unterstellt, die zu einer typisch barbarischen Haltlosigkeit führten, die sich durch die Schlagworte crudelitas, libido / luxuria und avaritia charakterisieren läßt.36 Kritik kann an diesem methodischen Vorgehen dahingehend geübt werden, dass keine zeitlichen Differenzierungen zwischen den herangezogenen Quellen vorgenommen werden und so das Bild der Karthager als konstant und überdauernd dargestellt wird. Dass dem nicht so ist, be-weist eine genauere Inaugenscheinnahme des römischen Materials, wobei einige Prämissen vorangestellt werden müssen, die die Position Roms als überlebender und überliefernder Erb-feind berücksichtigen, die Dominanz Hannibals in den Quellen zur Kenntnis nehmen und

Gerade hinsichtlich der Kinderopfer ist aber eine gewisse Skepsis angebracht. Bei den „großen“ Historikern, wie Herodot, Thukydides, Polybius und Livius finden sich dazu keine Erwähnungen (vgl. dazu Mazza, Alte Welt, S.566). Gerade Erkenntnisse der Ethnologie und Anthropologie wie auch der Archäologie lassen in Bezug auf die Praxis der Menschen- und v.a. Kinderopfer ein differenzierteres Bild aufscheinen; dazu Brown, Shelby, Late Carthaginian Child Sacrifice and Sacrificial Monuments in the Mediterranean Context, Sheffield 1991. Als Zu-sammenfassung des derzeitigen Forschungsstandes vgl. Hoof, Dieter, Opfer – Engel – Menschenkind. Studien zum Kindheitsverständnis in Altertum und früher Neuzeit, Bochum 1999, S.31-47.

32 Vgl. Mazza, Alte Welt, S.559 f.

33 Vgl. mit weiteren Nachweisen Waldherr, Punica fides, S. 208 f.

34 Vgl. Dubuisson, Bild, S.227-238.

35 Vgl. zur Definition von Ethnozentrismus Waldherr, Punica fides, S.199 mit weiteren Anmerkungen.

sowohl die zu den Ereignissen retrospektive Entstehungszeit als auch die literarische Gestal-tung der Quellen in Betracht ziehen.37 So wäre es nicht korrekt, in den ältesten Zeugnissen, die sich mit der Darstellung Karthagos beschäftigen, sofort Manifestationen von Nationalhass zu sehen.38 Danach tritt eine negative Konnotierung des Karthagerbildes erst ab den Annales des Q. Ennius fassbarer auf, die vor allem die Grausamkeit und die Tendenz zur Vertragsbrü-chigkeit betonen. Der generelle Abwertung der Karthager durch Propagierung der Punica fides wird dann in erster Linie durch Cato vorgenommen. Insgesamt kann man eine Verlage-rung des bereits bekannten Bildes vom betrügerischen Händler in den

politisch-diplomatischen Bereich am Vorabend des dritten punischen Krieges konstatieren, die aller-dings weniger auf einer aktuellen Bedrohung als vielmehr auf dem Wandel der politischen Grundeinstellung beruhte, die sich innerhalb der römischen Außenpolitik durch rücksichtslose Expansionsbestrebungen manifestierte.39 Im Rahmen der wachsenden innenpolitischen Aus-einandersetzungen hinsichtlich der Karthagerfrage wurde der Vorwurf der perfidia Punica immer nachhaltiger bemüht; zudem wurde die crudelitas als gewichtige Anschuldigung gegen Karthago ins Feld geführt, so dass schließlich ein erneutes und endgültiges Vorgehen gegen den alten Feind gleichsam den Charakter eines bellum iustum annehmen musste.40

Bemerkenswert aber ist, dass die antikarthagische Polemik in der römischen Literatur ihren Kulminationspunkt erst nach der Vernichtung Karthagos erreichte.41 Diese späte Herabset-zung hat wohl die Funktion, sowohl die Zerstörung nachträglich zu rechtfertigen als auch die römischen Ahnen als positiven Kontrast zu den Karthagern darzustellen bzw. im Sinne einer Kulturkritik die aktuelle Zeit vor einer Anpassung an karthagische Verhaltensweisen zu war-nen.42

36 Vgl. Dubuisson, Bild, S.236 f.

37 Vgl. Waldherr, Punica fides, S.198.

38 Gerade die während des zweiten punischen Krieges entstandenen Werke wie das Bellum Punicum oder kurz nach seiner Beendigung vollendeten Stücke wie der Poenulus des Plautus sind nicht generell verunglimpfend gehalten. Gerade letzteres bemüht sich um ein gewisses Maß an Objektivität und vermag eher durch Ironie als durch Gehässigkeit zu überzeugen. Vgl. dazu auch Mazza, Alte Welt, S.560.

39 Vgl. Waldherr, Punica fides, S.211 f. Unter Umständen kann auch auf eine Veränderung der mentalen Grund-einstellung geschlossen werden, so dass es zu einer Verselbständigung des metus punicus kam. Vgl. dazu Bel-len, Heinz: Metus Gallicus – metus Punicus: Zum Furchtmotiv in der römischen Republik, Stuttgart 1985 (Aka-demie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Abh. der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse;

1985, 3).

40 Vgl. Waldherr, Punica fides, S.215.

41 Mazza, Alte Welt, S.562 spricht von einer möglichen Aufteilung römischer Autoren nach dem Grad, in wel-chem sie antipunische Propaganda betreiben. Dabei nennt er als besonders hervorstechende Beispiele Cicero, Livius, Plutarch und Appian.

42 Vgl. Waldherr, Punica fides, S.216 f.

Vor allem Livius ist in der Reihe der meinungsbildenden Autoren herauszuheben, da seine Darstellungen reiche Nachwirkungen im Zeitalter der Renaissance haben sollten. Dieser ma-nifestierte gleichsam die Erbfeindschaft der beiden Völker43, wobei er in Hannibal einen Anti-Römer schuf, und setzte damit einen Meilenstein in der dualistischen Darstellung, die von der frühen Kaiserzeit teilweise bis heute andauert.44

Nach dieser Aufreihung negativer Karthagobilder soll aber nicht verschwiegen werden, dass sich andere Autoren wie z.B. Cornelius Nepos um eine gemäßigtere Sichtweise bemühten, wobei vor allem Hannibal in der frühen Kaiserzeit durchaus auch Wertschätzung erfuhr.45 Als Quintessenz dieses Durchganges durch Aspekte griechischer und römischer Karthagobil-der bleibt festzuhalten, dass es sich um durchaus wechselnde Komponenten handelt, die je nach Situation bedarfsgerecht instrumentalisiert werden konnten. Für die Nachwelt liegt die Erkenntnisschwierigkeit in erster Linie darin, römische Selbstdarstellung von historischer Realität zu unterscheiden.

1.2 Erinnerung an Karthago in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Literatur

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