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4. Befragung tätowierter Personen mit körperlicher Behinderung

4.5. Untersuchungsplan

4.5.2. Erhebungsinstrument

Stigler und Felbinger schreiben, dass der Interviewleitfaden als Orientierungshilfe und Ge-dächtnisstütze dienen soll. Es könne zwischen „Schlüsselfragen“, das sind jene, die unbe-dingt gestellt werden müssten und solchen, die keine so große Bedeutung hätten, das seien sogenannte „optionale Fragen“ unterschieden werden (vgl. Stigler/Felbinger 2012, S. 141).

Die beiden Autoren betrachten folgende drei Punkte bei der Konstruktion eines Leitfadens als besonders wichtig:

a. Es solle überlegt werden, ob die Fragen überhaupt für das Forschungsthema relevant seien.

b. Der Leitfaden müsse gut und genau strukturiert sein. Der/die ForscherIn müsse in der Lage sein zu begründen, warum die Frage an einer gewissen Stelle gefragt werde und thematische Gesprächssprünge sollten vermieden werden.

c. Auch die Formulierung der Fragestellungen sei ein wichtiger Punkt, der überlegt wer-den müsse. Stigler und Felbinger schreiben, dass es z.B. Fragen zum Gesprächsein-stieg gebe, Informationsfragen (z.B. Alter, Beruf), Wiederholungen/Wiederaufnahmen oder Erzählaufforderungen (vgl. ebd., S. 143f.).

Struktur des Leitfadens

Zu Beginn des Leitfadens werden I. soziodemographische Daten: Geschlecht, Alter, Wohnort, Art der Körperbehinderung und Erwerb der Körperbehinderung erhoben. Im Übri-gen ist der Interviewleitfaden eingeteilt in zwei weitere Hauptbereiche, nämlich: II. Empo-werment – Möglichkeiten – Hemmnisse und III. Tätowierung – identitätsstiftend?

Empowerment kann, wie bereits bei der Begriffsdefinition erwähnt, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und folglich auch interpretiert werden. Hier wird Empowerment le-bensweltlich, reflexiv, transitiv und politisch betrachtet. Auf allen vier Ebenen, ob reflexiv, transitiv, lebensweltlich oder politisch betrachtet, sollen Möglichkeiten und Hemmnisse sicht-bar gemacht werden, da diese zur Beantwortung der 1. Fragestellung relevant sind. Wenn die gesetzliche Lage in Österreich körperlich behinderten Menschen verbietet sich tätowieren zu lassen, ist das Individuum in seiner Selbstbestimmtheit gehemmt, wenn es über gewisse

60 Ressourcen nicht verfügt, um den Alltag zu bewältigen wird es ebenso gehemmt sein. Ge-nauso relevant ist es Empowerment aus der reflexiven Ebene zu betrachten. Es ist auch ent-scheidend, ob das Subjekt aus der sozial konstruierten Opferrolle hinaus treten möchte.

Wenn es nicht zu einem selbstbewussten und autonom handelnden Menschen wird, ist es bei der Umsetzung seinen Körper zu gestalten, gehindert. Der Blick auf die Kompetenzen der Unterstützungspersonen hat ebenso für die Fragestellung Relevanz, denn beispielsweise Bindreiter schreibt in ihrer Bachelorarbeit, dass Selbstbemächtigung nicht nur von den Stär-ken und Ressourcen der Betroffenen abhängt, sondern diese ebenso erst mit Hilfe von Un-terstützungspersonen geweckt oder gefördert werden können, allerdings ohne, dass sich der/die Behinderte bevormundet fühlen soll (vgl. Bindreiter 2010, o.S).

Nach dem theoretischen Wissen kann gesagt werden, dass Tätowierungen der sozialen Po-sitionierung dienen und diese dabei auch die Identität sicherstellen, auch wenn es mögli-cherweise nur eine uniformierte Identität ist, die damit nach außen präsentiert wird. Ob bei einem körperlich behinderten Menschen eine Tätowierung die Identität sicherstellen kann, soll einerseits durch seine eigene Wahrnehmung des Körpers mit der Tätowierung (was un-ter der II. Hauptkategorie bei Empowerment – Möglichkeiten- Hemmnisse gefragt wird) und anhand der Rückmeldungen aus dem sozialen Umfeld auf seine Tätowierungen hin (III.

Hauptkategorie Tätowierung identitätsstiftend?) erforscht werden.

Der II. Abschnitt Empowerment – Möglichkeiten – Hemmnisse beinhaltet die vier Per-spektivenebenen des Empowerment-Konzeptes von Herriger:

„Empowerment – lebensweltlich buchstabiert“

Empowerment wird hier im lebensweltlichen Kontext betrachtet, daher soll nach den eigenen Ressourcen des/der Interviewpartners/Interviewpartnerin gefragt werden, die er/sie besitzt oder nicht besitzt, um den Alltag selbstbestimmt zu bewältigen. Hierzu zählen nicht nur Res-sourcen wie Konfliktfähigkeit, Vertrauen in eigene Kompetenzen, sondern auch die Verfüg-barkeit von Bezugspersonen, die die eigenen Ressourcen möglicherweise auch stärken, um den Alltag besser bewältigen zu können. In dieser Unterkategorie wird noch nicht genau nachgefragt, wie und wobei diese Menschen die Befragten im Alltag helfen, da der Fokus nur auf den Ressourcen liegt, die vorhanden sind oder nicht. Weiters wird nach den Interessen und Hobbies gefragt, die ebenso zum alltäglichen Leben zählen und es soll dabei

unter-sucht werden, ob diese trotz körperlicher Behinderung auch verwirklicht werden können oder nicht. Abschließend wird nach der Mobilität gefragt, um hier zu untersuchen, wie einge-schränkt oder wie flexibel die Probanden sich in ihrem Alltag von einem Ort zum anderen bewegen können.

„Empowerment – reflexiv buchstabiert“

In dieser Unterkategorie wird Empowerment dahingehend betrachtet, ob das Individuum sich als Opfer sieht oder aus eigenen Kräften selbstbewusst aus dieser Rolle heraustritt. Es soll hier nach dem körperlichen Selbstbild (vor bzw. nach der Tätowierung) gefragt werden, um zu erfahren, ob es sich als behindert und minderwertiger sieht oder sehr wohl auch den ei-genen Körper als schön betrachtet. Ebenso wird danach gefragt, ob die Modewelt durch die Medien das Bild vom individuellen schönen Körper prägt und somit möglicherweise das ei-gene körperliche Selbstbild negativ beeinflusst. Zur korporalen Selbstinszenierung werden Fragen nach dem eigenen Modebewusstsein, sowie beispielsweise nach der Körperstelle, die für die Tätowierung ausgewählt wurde, gestellt. Dies soll zeigen, ob das Subjekt seine Tätowierung trotz der Behinderung voller Stolz nach außen präsentiert oder diese unter der Kleidung versteckt. Hier sollen also Informationen rund um die Bedeutung der körperlichen Selbstinszenierung für die/den Befragte(n) und um die eigene Tätowierung in Erfahrung ge-bracht werden.

„Empowerment – transitiv buchstabiert“

Aus dieser Perspektive liegt der Fokus auf den Kompetenzen der Unterstützungspersonen, die Ressourcen für Empowermentprozesse bereitstellen. Bezogen auf die Unterstützungs-personen soll gefragt werden, wer die UnterstützungsUnterstützungs-personen für die Probanden sind, wo-bei diese helfen und wie häufig sie dies tun. Außerdem soll gefragt werden, ob diese Men-schen sich bevormundend oder überfordert auf Grund der körperlichen Behinderung verhalten. Auch die TätowiererInnen sollen im Fokus stehen und aus der Sicht der Interview-ten hinsichtlich ihrer KompeInterview-tenzen im Umgang mit körperlich behinderInterview-ten Menschen er-forscht werden.

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„Empowerment – politisch buchstabiert“

Hier soll überprüft werden, ob das Behindertengleichstellungsgesetz in der Realität Wirklich-keit ist und ob selbstbestimmtes Handeln für körperlich behinderte Menschen auf Grund der rechtlichen Lage in Österreich überhaupt möglich ist oder erschwert wird. Außerdem soll gefragt werden, wie die Befragten damit umgehen, wenn sie sich ungerecht behandelt füh-len.

Der III. Bereich Tätowierung – identitätsstiftend? ist wie folgt gegliedert:

Zum einen liegt das Interesse auf Reaktionen bezüglich der Tätowierung. Der/die Befrag-te wird dazu aufgefordert zu erzählen, welche Reaktionen er/sie bisher bezüglich der eige-nen Tätowierung wahrgenommen hat.

Zum anderen soll bei der Unterkategorie soziales Umfeld darauf eingegangen werden, ob es bezüglich der Reaktionen Unterschiede gibt, wenn diese von ebenfalls tätowierten oder nicht tätowierten Menschen kommen.