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Der menschliche Körper als Kulturgegenstand: Tätowierungen vor dem Hintergrund der Disability Studies. Masterarbeit

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Academic year: 2022

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Der menschliche Körper als Kulturgegenstand: Tätowierungen vor dem Hintergrund der Disability Studies

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von

Christine Fink Bakk. phil.

am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft

Begutachterin: Univ.-Prof.

in

Dr.

in

phil. Johanna Hopfner

Graz, Juli 2014

(2)

Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Datum: Unterschrift:

(3)

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt

Frau Univ.-Prof.in Dr.in phil. Johanna Hopfner für die Betreuung meiner Masterarbeit. Ich möchte mich für ihre Ratschläge als erfahrene Professorin der Allgemeinen Pädagogik bedanken aber auch für ihre aufmunternden, motivierenden und selbstbewusstseinsstärkenden Worte während des Masterseminares, die für mich persönlich während des Arbeitsprozesses sehr wichtig wa- ren.

5 meinen Eltern Hildegard und Karl, die immer, sowohl während des Studiums als auch beim Schreiben der Masterarbeit hinter mir gestanden sind.

... meiner Schwester Alexandra. Sie ist mir nicht nur mit aufmunternden Worten zur Seite ge- standen, sie hat mir auch immer wieder ihre Zeit geschenkt und mit mir Gespräche über die Thematik geführt, um mich so während des Forschungsprozesses zu unterstützen.

5 meinen Freunden, die mir ebenso positive Worte schenkten.

5 meinen Probanden. Diese dürfen in der Danksagung nicht vergessen werden, denn ohne sie hätte ich keinen praktischen Einblick in diese Thematik bekommen. Sie sind mir hilfsbereit, mit guter Laune und offen für das Interview zur Verfügung gestanden.

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Zusammenfassung

Die vorliegende Masterarbeit setzt sich mit der Thematik der körperlichen Selbstinszenierung durch die jahrtausendealte Körpermodifikationstechnik der Tätowierung auseinander.

Inspiriert vom Wissensstand der Disability Studies liegt der Blick dieser Untersuchung auf täto- wierte Menschen mit körperlicher Behinderung.

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen auf welche Möglichkeiten und Hemmnisse körperlich behinderte Menschen haben, wenn sie sich selbstbemächtigt tätowieren lassen möchten. Der Fokus hierbei liegt auf der Ebene des Alltags, des eigenen Selbstbildes, der Unterstützungsper- sonen und auch auf der Rechtslage in Österreich.

Ein weiteres Ziel dieser Arbeit ist, dafür zu sensibilisieren, dass der menschliche Körper nicht nur Produkt der Natur ist. Die Art und Weise wie wir unsere Körper betrachten, sie gestalten - damit sind sowohl behinderte als auch nichtbehinderte Körper gemeint - ist nicht naturgegeben, sondern geprägt von kulturellen, sozialen und historischen Mächten, die die Disability Studies in ihren kritischen wissenschaftlichen Beiträgen ebenso sichtbar machen. So wurden auch aus der Sicht der Probanden, die Reaktionen der Umwelt auf ihre Tätowierungen hin untersucht.

Abstract

This Master thesis deals with self-staging of the human body by means of tattooing, a thou- sands-of-years old method of body modification.

Inspired by the current scientific knowledge of Disability Studies the focus of this study is on tattooed physically disabled people.

The results of this study shall indicate which opportunities and barriers physically disabled peo- ple are confronted with when they decide freely to be tattooed. The primary focus is on the lev- els of daily life, self-image, support persons and the legal situation in Austria.

Another aim of this study is to raise awareness of the fact that the human body is not only a product of nature. The way we perceive and shape our bodies - both disabled and non-disabled – is not natural but rather characterized by cultural, social and historical powers that are made visible by Disability Studies in their critical scientific papers. From the point of view of the study participants it was also examined how people react when they see a tattooed disabled person.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ... 1

1. Der Körper als soziales, kulturelles und historisches Phänomen ... 5

1.1. Bedeutungswandel des Körpers im 20. Jahrhundert ... 6

1.2. Das gegenwärtige Schönheitsideal des Körpers ... 8

1.3. Menschen mit Körperbehinderung ...10

2. Der normierte Körper aus dem Blick der Disability Studies ...14

2.1. Standpunkte der Disability Studies ...15

2.1.1. „Soziales Modell“ von Behinderung ...17

2.1.2. „Kulturelles Modell“ von Behinderung ...18

3. Selbstinszenierung des menschlichen Körpers ...21

3.1. Korporale Selbstinszenierung im Wandel ...23

3.2. Tätowierungen als eine Methode zur korporalen Selbstinszenierung ...24

3.2.1. Historischer Wandel der Tätowierung ...25

3.2.2. Die Tätowierung als soziales Symbol ...30

3.2.3. Funktion und Bedeutung der Tätowierung ...31

3.2.3.1. Zugehörigkeitstätowierung ...35

3.2.3.2. Abgrenzungs- und Exklusivitätstätowierung ...36

3.3. Zweifelhafte Sicherstellung der Identität durch Selbstinszenierung? ...37

3.3.1. Entwicklungsstufen der Identität ...40

3.3.2. „Uniformierte“ Identitäten? ...42

3.4. Selbstinszenierung behinderter Körper – Möglichkeiten und Hindernisse ...45

3.4.1. Behinderte Körper als Provokation in der Kunst? ...46

3.4.2. Rechtliche Bestimmungen für körperlich behinderte Menschen ...48

3.4.3. Körperliche Selbstinszenierung im Sinne des Empowerment-Konzeptes ...50

4. Befragung tätowierter Personen mit körperlicher Behinderung...53

4.1. Zielsetzung ...53

4.2. Fragestellungen ...53

4.3. Begriffsdefinitionen ...54

4.3.1. Körperliche Behinderung ...54

(6)

4.3.2. Empowerment ...54

4.3.3. Empowerment – Hemmnisse ...56

4.4. Beschreibung der Stichprobe ...56

4.5. Untersuchungsplan...57

4.5.1. Erhebungsmethode ...58

4.5.2. Erhebungsinstrument ...59

4.5.3. Durchführung des Interviews ...62

4.5.4. Aufbereitungsmethode ...63

4.5.5. Auswertungsmethode ...64

5. Darstellung der Forschungsergebnisse ...67

5.1. Soziodemografische Daten ...67

5.2. Empowerment lebensweltlich-Möglichkeiten ...67

5.3. Empowerment lebensweltlich-Hemmnisse ...70

5.4. Empowerment reflexiv-Möglichkeiten ...71

5.5. Empowerment reflexiv-Hemmnisse ...73

5.6. Empowerment transitiv-Möglichkeiten ...73

5.7. Empowerment transitiv-Hemmnisse ...75

5.8. Empowerment politisch/Realität-Möglichkeiten ...75

5.9. Tätowierung ...76

5.10. Reaktionen auf die Tätowierung von tätowierten/nicht-tätowierten Menschen ...77

5.11. Diskussion um Begrifflichkeiten und Definitionen ...78

6. Conclusio ...79

7. Ausblick ...85

Literaturverzeichnis ...87

Abbildungsverzeichnis ...97

Anhang ...98

1. Struktur des Leitfadens ...98

2. Interviewleitfaden ...100

(7)

Einleitung

Die Tätowierung ist eine jahrtausendealte Technik zur Eingravierung von Schriftzügen oder Bildern auf der Haut. Im Vergleich zur Dauer dieser kulturell tradierten Körpermodifikation gibt es hierzu noch nicht sehr lange Forschungen, dennoch haben sich unterschiedliche wis- senschaftliche Disziplinen mit diesem Phänomen auseinandergesetzt. Als zwei bedeutende soziologische Wissenschaftler können nach Finke zum einen der amerikanische Soziologe Clinten R. Sanders und der deutsche Kultursoziologe Matthias Friederich genannt werden.

Beide ziehen im Gegensatz zu Forschern aus den juristischen und medizinischen Disziplinen ihre Stichprobe nicht ausschließlich aus gesellschaftlichen Randgruppen, wie z.B. Verbre- cherInnen und Prostituierte, sondern wählen als einziges Auslesekriterium die Tätowierung (vgl. ebd., S. 103ff.). Friederichs Ausgangspunkt, so schreibt Finke, sind 13 Hypothesen. Er führte seine Untersuchung mittels teilstandardisierter Interviews durch. In dieser For- schungsarbeit wurde beispielsweise bestätigt, dass die TrägerInnen einer Tätowierung die Motive individuell wählen. Die Motivation für eine Tätowierung und die Funktionszuschrei- bung dieser sind allerdings in einem gruppendynamischen Kontext zu betrachten und mögli- cherweise als eine Form der Interaktion zu sehen (vgl. ebd., S. 107). Auf der juristischen und medizinischen Metaebene wurden schon etwas früher Untersuchungen zum Thema Tätowie- rungen durchgeführt (vgl. ebd., S. 58). Die anfänglichen Studien haben eher Ergebnisse ge- liefert, die „pathologisierend“ sind, also die TrägerInnen einer Tätowierung als krankhaft dar- stellen und ihnen soziale und psychische Defekte unterstellen (vgl. Stirn 2004, S. 44). Die Erklärung für diese von Vorurteilen determinierte Auseinandersetzung lässt sich in der Ge- schichte finden. Die Tätowierung hat nicht nur Akzeptanz erfahren, sondern wurde vor allem in Europa, im 2. Weltkrieg zur Stigmatisierung einer bestimmten Menschengruppe miss- braucht und stand andererseits eine Zeit lang, vor allem während der 60er Jahre des 20.

Jahrhunderts für Rebellion und sozialen Widerstand gegen die Gesellschaft (Hippies, Punks, MotorradfahrerInnen) (vgl. Stirn 2004, S. 45). Caesare Lombroso, der Tätowierungen aus der juristisch/kriminologischen Perspektive betrachtet hat, versuchte einen Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit von VerbrecherInnen und der Tätowierung herzustellen. Der Forscher war der Anschauung, so schreibt Finke, vom äußeren Erscheinungsbild eines Menschen Rückschlüsse auf das Verhalten und die Persönlichkeit ziehen zu können. Ziel seiner Forschung war es Beweise zu finden, dass es einen „angeborenen Verbrecher- mensch“, den „Homo Delinquens“ gebe (vgl. Finke 1996, S. 58f.). Weil Lombroso seine Stichprobe aus einem Milieu zog, in dem hauptsächlich delinquente Menschen vertreten wa- ren, bestätigten sich seine Annahmen (vgl. ebd., S. 61). Die medizinische Sichtweise hat sich vor allem mit Fragen, welche gesundheitlichen Folgen eine Tätowierung verursache

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2 oder wie diese von der Haut wieder entfernt werden könnte, auseinandergesetzt (vgl. ebd., S. 80).

Abschließend sind zwei aktuelle Studien, einerseits von Aglaja Stirn und andererseits von Agnes Trattner, zu nennen. Stirn untersuchte, welche Motivationen tätowierte und/oder ge- piercte Personen aus der Allgemeinbevölkerung für ihre Form der Körpermodifikation ange- ben. Die Mehrheit gab an, sich aus Schönheitsgründen für die Tätowierungen oder das Pier- cing entschieden zu haben. Der zweithäufigste Grund war der Wunsch durch die Körpermodifikation die eigene Individualität ausdrücken zu können (vgl. Stirn 2004, S. 52).

Trattner fokussierte sich darauf, ob es einen Zusammenhang zwischen dem körperlichen Erleben des heranwachsenden Mädchens und der Motivation für ein Piercing gibt. Parallel dazu untersuchte sie auch deren Einschätzung zur Meinung ihres Umfeldes und ebenso, ob sich ein Zusammenhang für die Motivation der Körpermodifikation herstellen lässt (vgl. Tratt- ner 2008, S. 96). Ihre Ergebnisse zeigen, dass die Mehrzahl der Probandinnen1 sich in jun- gen Jahren eher piercen lassen, als im Laufe des Älterwerdens (vgl. ebd. 2008, S. 102).

Gleich wie die ProbandInnen in Stirns Studie gaben die jungen Mädchen an, sich hauptsäch- lich aus ästhetischen und individualisierenden Gründen piercen zu lassen (vgl. ebd., S. 105).

Die Auswertung der Daten zur Einstellung des Umfeldes gegenüber Piercings hat ergeben, dass die LehrerInnen und Erziehungsberechtigten sich diesen gegenüber ablehnend verhal- ten, FreundInnen hingegen sie für gut empfinden und einige davon auch selbst diesen Kör- perschmuck tragen (vgl. ebd., S. 107). Die Studie zeigt auch, dass je positiver die jungen Mädchen sich selbst wahrnehmen, desto weniger leiden sie unter den Anforderungen der Gesellschaft (vgl. ebd., S. 117).

Gegenwärtig ist die Tätowierung auf der ganzen Welt, in allen sozialen Schichten, bei Mann und Frau weit verbreitet. Es gibt eigens organisierte, sogenannte Tattooconventions für Tat- tooliebhaberInnen; berühmte SchauspielerInnen sowie SportlerInnen zeigen in der Öffent- lichkeit ihre nackte, tätowierte Haut. Es scheint also als schön und modern zu gelten, sich bunte Bilder in die Haut stechen zu lassen.

Knapp jede(r) fünfte Österreicherin/Österreicher von 1.014 Befragten trägt nach der 2013 durchgeführten IMAS-Studie mindestens eine Tätowierung. Außerdem würden die Hautbilder heutzutage auch keine Person mehr aufregen, denn 72 Prozent der ProbandInnen seien der Meinung, dass es Privatsache sei (vgl. IMAS 2013, S. 1).

1 Gegendert wurde in der Arbeit nur, wenn auch wirklich beide Geschlechter gemeint sind. In den Di- rektzitaten wurden keine Korrekturen vorgenommen.

(9)

Wie sieht es allerdings aus, wenn Menschen mit einer körperlichen Behinderung sich täto- wieren lassen? Dieser Gedanke wird in dieser Masterarbeit untersucht.

Die Disability Studies sind eine wissenschaftliche Disziplin, die in den 1980er Jahren von behinderten Personen gegründet wurde, um auch auf wissenschaftlicher Ebene über Diskri- minierungen, kulturell und historisch geprägte Vorurteile und Ausgrenzungen dieser Men- schen zu forschen und zu diskutieren. Die daraus entstandenen Modelle von Behinderung haben auch im gesellschaftlichen Zusammenleben Veränderungen mit sich gebracht. So wurde das im Jahr 1990 entwickelte Inklusions-Konzept von der Empowerment-Idee abge- löst. Behinderten Menschen wurde mit diesem Konzept Selbstbemächtigung bei der Teilha- be am gesellschaftlichen Leben zugesprochen. Um selbstbefähigt den eigenen Alltag zu gestalten, benötigen körperlich behinderte Menschen in einer Gesellschaft, die voller sozialer und baulicher Barrieren ist, eigene Ressourcen, um diese zu bewältigen. Außerdem müssen sie auch ein soziales Umfeld haben, das sie stärkt, in dem, wie sie sind und was sie tun. In dieser Masterarbeit soll daher Folgendes erforscht werden:

1. Mit welchen Möglichkeiten und Hemmnissen im Sinne des Empowerment-Konzeptes sind körperlich behinderte Menschen konfrontiert, wenn sie sich tätowieren lassen möchten?

2. Welche Reaktionen auf ihre Tätowierung erleben körperlich behinderte Menschen im sozialen Kontext?

• Von tätowierten Menschen

• Von nicht-tätowierten Menschen

Die Ergebnisse zu diesen beiden Forschungsfragen wurden mittels qualitativen Leitfadenin- terviews erhoben und nach der Transkription mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring interpretiert und zusammengefasst.

Die theoretische Auseinandersetzung mit der Thematik ist in drei Hauptkapitel gegliedert:

Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Körper nicht nur als biologisches Produkt der Na- tur, sondern auch als Gegenstand der Kultur, der immer mehr durch wissenschaftliche Fort- schritte in den Biowissenschaften kulturalisiert wurde. Ebenso ist in diesem Kapitel zu finden, wie das gegenwärtige westliche Schönheitsideal definiert ist. Dabei kommen behinderte Kör- per nicht vor. Vielmehr geht es um Perfektion, sowohl bei der optischen Gestaltung als auch bei der Funktionsfähigkeit des Körpers. Um diese utopischen Ideale zu erreichen, sollen Hilfsmittel aus der Schönheitschirurgie und Medizin dienlich sein.

(10)

4 Im zweiten Hauptkapitel ist die kritische Auseinandersetzung mit diesem normierten Körper- bild aus der Sicht der Disability Studies zu finden.

Im letzten Hauptkapitel der theoretischen Aufarbeitung geht es um die Tätowierung als eine Methode zur körperlichen Selbstinszenierung, die sich im Laufe der Zeit wandelte. Unter Rückgriff auf Hopfner, die von „uniformierten Identitäten“ spricht, wird die Sicherstellung der eigenen Identität durch die Tätowierung hinterfragt (vgl. Hopfner 2011, S. 147).

Ebenso werden einige Möglichkeiten und Schwierigkeiten aufgezeigt, die sich auftun, wenn Behinderte ihre Körper der Öffentlichkeit präsentieren wollen.

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1. Der Körper als soziales, kulturelles und historisches Phäno- men

Davis schreibt, dass ein menschlicher Körper nicht nur biologisches Faktum ist und somit als Untersuchungsgegenstand der Medizin oder der Biologie zugewiesen werden kann, sondern dieser auch soziale und kulturelle Einflussfaktoren auf seiner Oberfläche oder durch sein Gehabe widerspiegelt. Wandelndes Wissen über den Körper und daraus resultierende Nor- men in den unterschiedlichen Epochen und Kulturen, bis hin zu Subkulturen (kleine Milieus) beeinflussen die Art und Weise wie die Menschen innerhalb dieses Kollektives ihren Körper inszenieren, welche Einstellung sie zu ihrem Körper haben und auch ihr Körpergehabe, also ihre Gestik (vgl. Davis 2007, S. 3):

„Der Körper ist Objekt sozialer und kultureller Zuschreibungen. Ästhetische Idea- le, Vorstellungen von Gesundheit, Krankheit und Natürlichkeit sowie auch Emoti- onen und Affekte sind sozial determiniert und in ihren kulturhistorischen Zusam- menhang eingebunden“ (Davis 2007, S. 3).

Dederich meint, da der Körper nicht nur „zeit- und ortlose Natur“ (Dederich 2012, S. 59) sei, nur im Rückblick auf die Definitionen, die sich im Wandel der Zeit verändert und sich auch oft parallel gegenseitig konkurriert hätten, beschrieben und interpretiert werden könne. Es gebe also keine objektiven Wissensstände über den Körper, die über Epochen hin gültig seien (vgl. ebd., S. 58).

Die Vielfalt körperlicher Besonderheiten seien jeher begrifflich und theoretisch vereinheitlicht und zu einer Minderheit möglicher Merkmale zusammengefasst worden (vgl. ebd., S. 87).

Somit verschwinde das Besondere und Individuelle im Allgemeinen. Die historische For- schung über Menschen mit außergewöhnlicher Körpererscheinung zeige, dass ihr Umfeld je nach Epoche und vorherrschenden Wissensständen neugierig, verunsichert, erschrocken, belustigt oder mitleidend auf sie reagiert habe (vgl. ebd., S. 87).

Der Autor fasst also zusammen:

„Insofern ist die Reaktion auf außerordentliche Körper auf individueller und kol- lektiver Ebene untrennbar mit gesellschaftlich und kulturell hervorgebrachten

`Landkarten` verbunden: mit Erwartungen, Ideen und Deutungsmustern bezüg- lich dessen, wie die Dinge normaler- und richtigerweise sind, wie sie funktionie- ren, wie Menschen aussehen, welche Gestalt sie haben, wie sie sich bewegen und gebärden“ (ebd., S. 88).

(12)

6 Die Autorität, die die Biowissenschaften im späten 20. Jahrhundert ausgeübt haben und auch heute noch besitzen, spiegelt sich im gegenwärtigen Körperideal wider. Allerdings blieb dieses Wissen über den Körper nicht unreflektiert und stieß in den letzten Jahrzehnten auch auf Infragestellungen aus der Wissenschaft (vgl. Snyder/Mitchell 2004, S. 80).

1.1. Bedeutungswandel des Körpers im 20. Jahrhundert

Dederich schreibt, dass erst zu Beginn der Neuzeit der Körper zu einem interessanten Ob- jekt für die Naturwissenschaften wurde (vgl. Dederich 2012, S. 64). Das Vordringen der Bio- wissenschaften im 20. Jahrhundert (vgl. Snyder/Mitchell 2004, S. 80) verursachte schließlich die „Aneignung“ des Körpers durch Kultur und Gesellschaft (vgl. ebd., S. 64f.). Der Körper wird von einem „Naturding“ immer mehr zu einem Stück Kultur. Es haben zwar auch schon in der Geschichte diverse Kulturen Körpermodifikationen (Beschneidung, Tätowierung, Mo- dellierung am Hals, Kopfform usw.) vollzogen und somit in die Natürlichkeit des Körpers ein- gegriffen und ihn so zu einem Kulturgegenstand gemacht. Diese kulturelle „Aneignung“ des Körpers hat allerdings in der Moderne quantitativ und qualitativ zugenommen (vgl. ebd., S.

65). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung der Biologie und der Medizin mit dem Körper führte zu noch mehr kulturellen Eingriffen. Dies wird sichtbar bei Prothesen an beschädigten Körperteilen, setzt sich in der ästhetischen Modellierung durch die plastische Chirurgie fort, bis hin zum Umbau der Gene selbst durch pränatale Eingriffe (vgl. ebd., S. 65). Infolge der genauen Erforschung des Körpers seitens der Biowissenschaften (u.a. Medizin, Biologie, Eugenik) entwickelte sich ein starres Bild wie ein Körper auszusehen und zu funktionieren hat. Es entstand sozusagen ein „Normkörper“ (vgl. ebd., S. 66).

Snyder und Mitchell sprechen von einer „Erfindung einer behinderten Minderheit“ durch die Orientierung an engen Maßstäben (Snyder/Mitchell 2003, S. 63). Von 1890 bis 1930 ist der Intelligenzquotient in den USA drastisch gefallen. Der Grund hierfür waren die IQ-Tests, die die Eugenik in Amerika entwickelte und vermehrt einsetzte. Anstelle der Anlehnung an phy- sischen Körpermaßstäben wollten die Wissenschaftler durch Untersuchungen der Intelligenz

„´defekte Personen´“ von gesunden Subjekten unterscheiden (vgl. ebd., S. 63). Die Eugenik hat, egal ob ein Mensch eine physische Auffälligkeit wider die Körpernormalität aufwies, oder ob dieser nicht den engen Richtlinien des IQ-Testes entsprach, als eine Folge von

„´geistige[m] Defekt`“ betrachtet (vgl. ebd., S. 66). Egal ob Taube, Blinde, Menschen mit Lähmung, Asthma oder Epilepsie, all diese Subjekte wurden in eine Gruppe der „Minderwer- tigen“ gedrängt (vgl. ebd., S. 66). Es wurde sozusagen eine eigene Identität für Menschen geschaffen, die nicht dem Idealbild eines genormten, gesunden Menschen entsprachen. Die beiden Autoren schreiben, dass die Eugenik das Ziel hatte das Land von allen Missbildungen

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zu befreien. Diese wissenschaftliche Disziplin war der Auffassung, dass das Problem in der generationenalten, falschen Fortpflanzung liegt und der Kreislauf der erblichen Übertragung gestoppt werden muss (vgl. ebd., S. 66).

Nach der kulturwissenschaftlichen Theorieperspektive zeige die Art und Weise, wie eine Kul- tur über den Körper denkt, auf, was in dieser Kultur als schön und als erwünscht betrachtet werde. Es zeige, welche Erscheinungsform des Körpers sie akzeptiere oder ablehne und damit sei ebenso verbunden welchem Wissen, dem religiösen, politischen, medizinischen usw. sie diesen unterwerfe (vgl. Dederich 2012, S. 68). Dieses Wissen über den Körper, egal ob es z.B. medizinische, religiöse Überzeugungen prägen, sei umso mächtiger in der Wirk- lichkeit, je weniger es kritisch auf die Quelle, kulturellen Motive und möglichen Machtaspekte hin befragt und reflektiert werde (vgl. ebd., S. 69).

Ein bedeutender Wissenschaftler, der den Körper als kulturelles, soziales und historisches Phänomen betrachtet und auf die Mächte von medizinisch verbreitetem Wissen über den menschlichen Körper aufmerksam macht, ist Michael Foucault.

Foucault mache darauf aufmerksam, dass im 18. Jahrhundert die Leitidee begonnen habe, insbesondere in den „Wissenschaften vom Leben“ (Anthropologie, klinische Medizin, Psy- chologie) zwischen „Normalen“ und „Pathologisierenden“ zu unterscheiden. Die Wissen- schaften hätten daran gearbeitet durch Messen und Vergleichen „Normalmaße“ zu entwi- ckeln. Nach Foucault verkörpere die Norm kein „`Naturgesetz`“, sondern sie habe einen Zwangscharakter. Sie diene der Legitimierung von Machtansprüchen (vgl. Dederich 2012, S.

132). Foucault vertrete nach Zirden die Ansicht, durch die Durchsetzung des „Normalitätsge- dankens“ seit dem 18. Jahrhundert eine Homogenisierung und somit eine Vereinnahmung des Lebens in Gang gesetzt zu haben. Diese Entstehung einer „Normalisierungsgesell- schaft“ durch die Erfindung von Methoden zur Vermessung und statistischen Bewertung von Menschen in ihren körperlichen und sozialen Kontexten habe sich gesamtgesellschaftlich gezeigt, wie z.B. in der Einführung einer Schulpflicht, in der Gründung von Irrenanstalten, in der Herausbildung von Regeln für Hygiene oder gesunder Lebensführung (vgl. Zirden 2003, S. 28f.).

Die beiden Autoren Snyder und Mitchell schreiben hierzu passend, dass die Eugenik- FürsprecherInnen beispielsweise mit Hilfe von IQ-Tests „Schwachsinnige“ identifizierten und diese Feststellung als Rechtfertigung zur Anstaltsunterbringung der Individuen nutzen, da sie aufgrund der schlechten Intelligenzwerte selbst keine Verantwortung übernehmen könnten.

So gediehen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Anstalten für „Schwach- sinnige“ mit der Begründung, hier seien sie besser aufgehoben als in den Gefängnissen (vgl.

Snyder/Mitchell 2003, S. 72). Dieses praktische Beispiel aus der Geschichte zeigt sehr

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8 schön diese Ausübung und Legitimierung von Machtansprüchen. Diese vorhin dargelegte Kritik von Foucault lieferte auch eine gedankliche Basis für die Disability Studies (vgl. Sny- der/Mitchell 2004, S. 79).

Zirden schreibt, dass auch heute noch das System der „`Normalität`“ in westlichen Gesell- schaften das Funktionieren des Gefüges garantiert. Dieses System orientiert sich aus- schließlich an Durchschnittswerten und Prozentzahlen (vgl. Zirden 2003, S. 29).

1.2. Das gegenwärtige Schönheitsideal des Körpers

Das gegenwärtige Schönheitsideal unseres Körpers sei vor allem für Frauen aber auch zu- nehmend immer mehr für Männer die Jugendlichkeit. Es bestehe der Wunsch nach ewiger Jugend. Mit dem Älterwerden, das uns auch der Körper für gewöhnlich mit der Zeit wider- spiegle, werden wir an die Vergänglichkeit erinnert und dies sei unerwünscht. In früheren Zeiten als das Durchschnittsalter noch nicht so hoch war wie gegenwärtig, wurde ein alter Mensch förmlich verehrt (vgl. Posch 1999, S. 49ff.).

Obbrugger schreibt in ihrer volks- und kulturanthropologischen Diplomarbeit mit dem Titel

„Das Streben nach Jugendlichkeit“, dass körperliche Prozesse, wie z.B. das Altern, naturge- geben sind und von den Menschen nicht auf lange Sicht verhindert werden können. Was jedoch kulturell beeinflussbar und bestimmbar ist, ist die Art und Weise wie mit diesen biolo- gischen, körperlichen Veränderungen umgegangen werden kann. Wie Individuen schließlich älter werden ist nach Obbrugger von den jeweiligen kulturellen Normen und Vorstellungen über den Körper und vom Umgang mit dem natürlichen, biologischen Fortlauf abhängig (vgl.

Obbrugger 2011, S. 20).

Lasch erläutert, dass die Angst vor dem Alter und vor dem Tod schon immer in der Mensch- heit tief verankert war, jedoch hat sich diese in der postmodernen Gesellschaft um einiges intensiviert. Ein Aspekt dieser irrationalen Furcht ist, dass es für alte Menschen in unserer Gesellschaft eigentlich keinen Platz mehr gibt. Sie werden nicht mehr sinnvoll gebraucht. In früheren Zeiten waren die Ratschläge und die Lebenserfahrungen alter Frauen und Männer hoch geschätzt (vgl. Lasch 1995, S. 295). Diese Angst vor dem Ende des eigenen Lebens ruht nicht nur auf sozialen Veränderungsprozessen in der Gesellschaft, sondern ist auch eng verbunden mit der weit verbreiteten narzisstischen Charakterstruktur. Menschen, die soge- nannte Narzissten sind, ringen bei ihren Mitmenschen um Aufmerksamkeit und Bestätigung für ihr Selbstwertgefühl. Sie brauchen ständige Bewunderung für ihre Schönheit, ihre Macht und Berühmtheit - Statussymbole, die jedoch alle mit dem Alter langsam schwinden. Viele junge Pärchen wollen in der heutigen Zeit in ihrer narzisstischen Lebensweise keinen Nach-

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wuchs mehr. Der Gedanke, dass wir nach dem Tod in unseren Kindern weiterleben, vertrös- tet die Menschen ein wenig, jedoch ist dieser Trost auch hinfällig, wenn das Alter in Einsam- keit verbracht werden muss (vgl. ebd., S. 295f.).

Nicht nur ewige Jugend gehört zum gegenwärtigen Schönheitsideal, sondern auch Makello- sigkeit und Perfektion werden bei den Körperformen angestrebt.

Posch schreibt, dass das heutige Schönheitsideal des Körpers, wie es durch die digitalen Medien oder auch in Form von Werbeplakaten auf den Straßen verbreitet wird, kaum durch natürliche Körpermodifikationen erreichbar ist. Diäten, Schönheitsoperationen, Fitnessstudi- os, Tätowierungen, Piercings, Kosmetikprodukte fungieren als Hilfsmittel, um diese Idealvor- stellungen zu realisieren (vgl. Posch 1999, S. 49). Individualität der Körperformen wird als Abweichung betrachtet und negativ wahrgenommen (vgl. ebd., 1999, S. 74), obwohl gleich- zeitig bei den Menschen der Wunsch nach individueller Körpergestaltung weit verbreitet ist.

Die Autorin meint, dass das gegenwärtige Idealbild des Körpers von der westlichen Kultur bestimmt und geprägt wird. Auch wenn beispielsweise vereinzelte Konzerne immer wieder mit Menschen unterschiedlicher Hautfarbe werben, entsprechen sie im Übrigen den westli- chen Schönheitsnormen. Menschen mit anderer Hautfarbe würden wir nämlich nur dann als schön bezeichnen, wenn sie den westlichen Körperidealen ähneln (vgl. ebd., 1999, S. 75).

Der Rückgriff auf Goffman soll an dieser Stelle diese Macht des normierten Körperideals, der von der Schönheitschirurgie produziert und durch die Medien verbreitet wird, erläutern.

Goffman schreibt, dass die Gesellschaft Kategorisierungen schafft, denen sich die Mitglieder einer Gruppe anschließen und auch Fremde werden diesen Normen entsprechend bewertet.

Erfüllt ein fremder Mensch nicht auf den ersten Blick die Personenkategorien, die für ihn zur Verfügung stehen, so wird er zu einer befleckten Person und herabgemindert. Dieser Mensch wird sozusagen stigmatisiert (vgl. Goffman 1975, S. 11). Der Begriff „Stigma“ kommt von den alten Griechen und bezeichnet körperliche Symbole, die entweder auf die Haut ge- brannt oder in diese geschnitten wurden. Mit dem sogenannten „Stigma“ wurde der schlech- te moralische Zustand eines Verbrechers oder eines Sklaven für alle anderen sichtbar ge- macht. Die Mitmenschen sollten nach Goffman vor diesem Menschen gewarnt werden (vgl.

ebd., S. 9).

Aufgrund dieser Voraussetzungen üben die Menschen Diskriminierungen aus und reduzie- ren folglich, wenn auch oft gedankenlos, vielen Personen ihre Lebenschancen (vgl. ebd., S.

13f.).

Diese gesellschaftlich normierten Körperideale zeigen sich in sämtlichen Kulturen der Post- moderne. Der abnorme Körper muss geschult, beherrscht und kultiviert werden (vgl. Dede-

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10 rich 2012, S. 68f.). Posch schreibt z.B., dass in Korea die Verkleinerung der Lidfalten ein häufiges Geburtstagsgeschenk für kleine Mädchen ist, um europäischer zu wirken oder, dass in Westafrika die Frauen seit den 60er Jahren versuchen mit Hautaufhellungscremen, die sehr ungesund sind, sich der europäischen Norm des Körperaussehens anzunähern. In Tokio werden jährlich tausende japanische Geschäftsmänner an ihren Augen operiert, da sie sich mit runden Augen bessere Geschäftsbeziehungen mit dem Westen erhoffen (vgl. Posch 1999, S. 76). Schneider bezieht sich auf Loenhoff und beschreibt sehr treffend das gegen- wärtige Körperideal unserer Gesellschaft:

„Es wird nicht nur ein makelloser Körper, sondern auch ein reibungsloses Funkti- onieren dieses Körpers – stillschweigend – als Normalität vorausgesetzt bzw. als Idealvorstellung angestrebt und mit allen medizinischen Möglichkeiten herzustel- len versucht. Diese `Erwartung körperlicher Normalität` beeinflußt2 die individuel- le Körperlichkeit, d.h. sie prägt die Wahrnehmung und Bewertung des Körpers sowie den Umgang mit dem Körper“ (Schneider 2004, S. 85).

Der „homo aestheticus“ dominiere in der Postmoderne den öffentlichen Raum (vgl. Hirdina 1998, S. 13). Medien würden Normen der Schönheit, Jugend und Vitalität verbreiten. Schön- heit werde quasi vorausgesetzt, wenn sie bei einem Menschen nicht vorhanden sei, versu- che er diese durch äußere Eingriffe zu erreichen (vgl. ebd., S. 13ff.).

Behinderte Personen werden förmlich ausgeklammert und in der Definition, wie ein normaler Körper auszusehen hat, nicht beachtet. Stattdessen drängt die Gesellschaft diese Menschen in eine Randgruppe und stülpt ihnen eine ausgrenzende Definition über.

1.3. Menschen mit Körperbehinderung

Wir leben in einer Gesellschaft, deren Vorstellungen und Erwartungen das Subjekt beein- flussen, wie es zum eigenen Körper steht (vgl. Posch 1999, S. 95).

Sasse meint, dass es wichtig ist zu reflektieren, wie eine Gesellschaft beschaffen ist und wie sie sein müsste, damit Diskriminierung und Benachteiligung behinderter Menschen vermin- dert oder überhaupt vermieden werden können. Die Autorin schreibt, dass es nicht ausreicht,

2Die wörtlichen Zitate wurden nicht verändert. Es erfolgten auch keine Anpassungen an die neue Rechtschreibung.

(17)

wenn durch die Heil- bzw. Sonderpädagogik diese Aspekte kritisch in den Blick genommen werden, sondern dies muss gesamtgesellschaftlich geschehen (vgl. Sasse 1998, S. 9).

Durch die fortdauernde Suche nach geeigneten Definitionen aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen, die jene Menschen, welche aus den Körpernormen heraus- fallen, charakterisieren sollen, vollziehen sich ebenso Diskriminierungen. Außerdem werden dadurch die unzähligen Benachteiligungen auf der gesellschaftlichen Ebene auch nicht be- seitigt.

Hatos nennt ein anderes Problem in diesem Zusammenhang. Die Betroffenen, die damit deklariert werden, können an der Formulierung der Definition von Behinderung nicht mitwir- ken (vgl. Hatos 2010, S. 97).

Dies ist auch ein Aspekt, den die ersten AktivistInnen der Disability Studies vehement kriti- sierten, nämlich, dass über Erfahrungen mit Behinderung geforscht, diskutiert wird und man versucht diese in Definitionen zu drängen, ohne die Betroffenen zu fragen, wie es sich aus ihrer Perspektive anfühlt.

Einen Versuch das Verständnis von Behinderung begrifflich zu fassen machte beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation:

Hedderich schreibt, dass die Weltgesundheitsorganisation 1980 das „International Classifica- tion of Impairments, Disabilities and Handicaps (ISIDH)“ veröffentlichte (vgl. Hedderich 2006, S. 20). Dieses Konzept, aufgebaut auf dem „medizinischen Modell“, betrachtet Behinderung als Folge von Krankheiten, die medizinisch beseitigt werden müssen (vgl. ebd., S. 20). Es ist bei diesem Verständnis von Behinderung zwischen folgenden drei Ebenen zu unterschieden:

„1. Impairment: Schädigung auf organischer Ebene

2. Disability: Beeinträchtigung einer Fähigkeit aufgrund einer Schädigung 3. Handicap: Soziale Benachteiligung“ (ebd., S. 20).

Dieses Konzept erhielt viel Kritik, da es sich rein an einem „medizinischen Modell“ von Be- hinderung orientiert und die sogenannten „Kontextfaktoren“ vernachlässigt. Im Jahr 2001 wurde das neu entworfene Verständnis von Behinderung nun mit den Initialen „ICF“ - „Inter- national Classification of Functioning, Disability and Health“ - bezeichnet (vgl. ebd., S. 20).

(18)

12 Aus der Literaturrecherche wird ersichtlich, dass das Verständnis von Behinderung und die damit verbundenen Zuschreibungen gegenüber den davon betroffenen Menschen im Laufe der Zeit oftmals überdacht und neu formuliert wurden, da sie immer wieder von Gegnern Kritik erhielten und bis heute noch keine zufriedenstellende Definition gefunden wurde.

Hedderich schreibt, dass der neue „bio-psycho-soziale“ Ansatz der ICF beide Modelle von Behinderung, nämlich sowohl das medizinische als auch das soziale, in der Definition vereint (vgl. ebd., S. 21):

„Behinderung ist – nach dem Verständnis der ICF – ein Oberbegriff für Schädi- gungen auf der organischen Ebene (Körperfunktionen und Körperstrukturen), Beeinträchtigungen auf der individuellen Ebene (Aktivitäten) oder auf der gesell- schaftlichen Ebene (Teilhabe). Die genannten Ebenen beeinflussen sich wech- selseitig und stehen darüber hinaus in Wechselwirkung mit den Kontextfaktoren (Umweltfaktoren, personenbezogene Faktoren)“ (ebd., S. 21).

Die folgende Abbildung soll diese Gedanken bildlich darstellen:

Abb. 1: ICF – Verständnis von Behinderung (vgl. Hedderich 2006, S. 21).

Für die Definition von Körperbehinderung ergibt sich in Anlehnung an der ICF nach Hedde- rich:

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„Körperbehinderung ist ein Beschreibungsmerkmal für einen Menschen, der in- folge einer Schädigung des Stütz- und Bewegungsapparates, einer anderen or- ganischen Schädigung oder einer chronischen Erkrankung in seiner Bewegungs- fähigkeit und der Durchführung von Aktivitäten dauerhaft oder überwindbar beeinträchtigt ist, so dass die Teilhabe an Lebensbereichen bzw. –situationen als erschwert erlebt wird“ (Hedderich 2006, S. 24).

Allerdings schreibt Pawel, dass es auch für Menschen mit Körperbehinderung zahlreiche Definitionen im Fortlauf der Geschichte gegeben hat, welche hier nicht mehr aufgelistet wer- den sollen, sondern unter dieser Quellenangabe im Literaturverzeichnis gefunden und nach- gelesen werden können. Grundsätzlich stellt die Autorin fest, dass es keine einheitliche Defi- nition der Körperbehinderung gibt; abhängig von den unterschiedlichen Interessen einer Begriffsbestimmung und von der Umweltreaktion auf den körperlichen Schaden lassen sich verschiedene Bestimmungen von Körperbehinderung finden (vgl. Pawel 1984, S. 12).

Wolkner schreibt in ihrer Masterarbeit „Die Barrierefreiheit der Grazer Innenstadt aus der Sicht von RollstuhlfahrerInnen und Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit“, dass Christoph Leyendecker, der ehemalige Professor für Sondererziehung und Rehabilitation an der Universität in Dortmund, zwischen folgenden drei Ursachen für eine Körperbehinderung unterscheidet (vgl. Wolkner 2012, S. 14):

• „Schädigungen von Gehirn und Rückenmark“

• „Schädigungen der Muskulatur oder des Knochengerüsts“

• „Schädigungen durch chronische Krankheiten oder Fehlfunktionen innerer Organe“

(ebd., S. 14).

Auch bezüglich der Ursachen für eine Behinderung gibt es unterschiedliche Ansätze. Diese Idee scheint sehr vom „medizinischen Modell“ geprägt zu sein.

Zola schreibt, dass genau wie ethnische oder geschlechtsspezifische Gruppen zuvor, ihre gesellschaftliche Etikettierung durch Begriffsdefinitionen kritisierten, auch Menschen mit Be- hinderungen dies begonnen haben zu tun (vgl. Zola 2004, S. 60).

Waldschmidt ist der Auffassung, dass die Schwäche des deutschsprachigen Diskurses über Behinderung daran liege, dass sowohl im Alltag als auch im wissenschaftlichen Kontext der Fehler gemacht werde, ständig die unterschiedlichen Ebenen zu vermischen und eine Gleichsetzung von „sozialer Benachteiligung“ mit der „verkörperten Differenz“, automatisch vollzogen werde (vgl. ebd., S. 7).

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14 Beim Versuch eine geeignete Begriffsdefinition für eine Menschengruppe wie die der Behin- derten zu finden, seien negative Folgen für die damit deklarierte Person verbunden. Bei- spielsweise würde ein Mensch nach dem medizinischen Verständnis von Behinderung als krank etikettiert werden, weil er behindert sei und genau so würden alle seine Aktivitäten darauf bezogen werden und in der Definition der eigenen Krankheit erklärt werden (vgl. Zola 2004, S. 61).

Die Person ist also gefangen in der Bedeutung der ihm aufgedrängten Etikettierung.

Eine weitere Folge besteht in der Gefahr von Verallgemeinerungen, die damit produziert werden (vgl. Zola 2004, S. 62). Zola schreibt, dass Conant und Budoff in einer Studie, die 1982 veröffentlicht wurde, genau dies belegt haben. Ihre Ergebnisse zeigen, dass eine Gruppe sehender Kinder und Erwachsener das Etikett „blind“ so interpretierten, dass die betreffende Person absolut nichts sehen würde. Diese Interpretation trifft allerdings nur auf einen kleinen Teil dieser Personen zu (vgl. ebd., S. 62).

Schließlich gibt es auch Menschen, die als blind etikettiert werden, allerdings noch eine ge- ringe Sehkraft besitzen und nicht dieser Begriffsdefinition entsprechen.

Nach Mürner und Sierck werden behinderte Menschen durch neutralisierende, wissenschaft- liche Bezeichnungen objektiviert und ihre Lebenssituation werde damit nicht beschrieben, sondern diese Definitionen erklären Menschen mit Behinderung zum Problem, das behandelt werden müsse (vgl. Mürner/Sierck 2009, S. 113).

2. Der normierte Körper aus dem Blick der Disability Studies

Behinderte Menschen wollten sich nicht mehr an den Rand drängen lassen und Diskriminie- rungen, bezogen auf ihren Körper, ihr Aussehen oder auf anderen Ebenen erfahren. So etablierte sich vorerst das „soziale Modell“ von Behinderung, das die medizinische Sichtwei- se stark kritisiert (vgl. Snyder/Mitchell 2004, S. 88) und Behinderung auf sozial konstruierte Barrieren zurückführt (vgl. Thomas 2004, S. 4). Schließlich entwickelte sich daraus das „kul- turelle Modell“ von Behinderung, das den nicht behinderten Körper als ein „ästhetisches Pro- dukt kultureller Kräfte“ betrachtet, die jene Körperformen, die diesem nicht entsprechen, als behindert kategorisieren (vgl. ebd., S. 88). Garland-Thomson sieht als Hauptziel der Disabili- ty Studies, andere Geschichten über Behinderung zu verbreiten und folglich auch aus der Kategorisierung „`behindert`“ eine „annehmbare Identitätskategorie“ zu machen (vgl. Gar- land-Thomson 2003, S. 419).

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2.1. Standpunkte der Disability Studies

Der Ursprung der Disability Studies geht in die 1980er Jahre zurück und ist in den USA und England verankert. Als Gründungsväter nennt Waldschmidt den amerikanischen Medizinso- ziologen Irving K. Zola und den englischen Sozialwissenschaftler Michael Oliver (vgl.

Waldschmidt 2005, S. 1). Die deutschsprachigen Disability Studies haben ihren eigentlichen Beginn im Jahr 2001. Waldschmidt schreibt, dass der Startschuss hierfür zwei Tagungen, nämlich zum einen „Der (im-)perfekte Mensch“ und zum anderen „PhantomSchmerz“ waren.

Beide wurden vom Deutschen Hygiene-Museum, der Aktion Mensch und der Humboldt Uni- versität in Berlin veranstaltet. Zum ersten Mal kamen im deutschsprachigen Raum Sozial- wissenschaftlerInnen, ErziehungswissenschaftlerInnen, KulturwissenschaftlerInnen und Wis- senschaftlerInnen der internationalen Disability Studies zusammen (vgl. Waldschmidt 2009, S. 127). Die Autorin macht darauf aufmerksam, dass der Begriff Disability Studies oft falsch verstanden wird, wenn man ihn in die deutsche Sprache übersetzt. Ziel der Disability Studies ist nicht Behindertenforschung zu betreiben, sondern zu hinterfragen, warum historisch, so- zial und kulturell überhaupt die Randgruppe der Behinderten hergestellt wurde (vgl.

Waldschmidt 2009, S. 125).

Dederich schreibt, dass sich die Disability Studies in den USA und England bisher am nach- haltigsten etabliert haben. Zwei entscheidende Antriebskräfte waren für die Entwicklung die- ser Disziplin verantwortlich: Zum einen die politische Behindertenbewegung und zum an- deren aber auch ein wissenschaftliches Interesse an dieser Thematik.

WissenschaftlerInnen mit Behinderung wollten ebenso auf der Ebene der Wissenschaft ihre Anliegen thematisieren und veranschaulichen (vgl. Dederich 2012, S. 17).

Den Ursprung nahm diese Disziplin jedoch in den Behindertenbewegungen. Menschen mit Behinderung wollten nicht mehr, dass über ihre Schwierigkeiten in der Gesellschaft diskutiert wird. Sie wollten selbst aktiv werden. Die AktivistInnen der Behindertenbewegungen kämpf- ten gegen „Diskriminierung“, für „Autonomie“, „Unabhängigkeit“ und für „gleiche Rechte“ (vgl.

Renggli 2004, S. 15). Sie konnten auch Erfolge auf der politischen Ebene erzielen, nämlich u.a. die Verabschiedung von Diskriminierungs- und Gleichsetzungsgesetzen „(z.B. 1990 Americans with Disabilities Act, Behindertengleichsetzungsgesetze 2002 in Deutschland, in der Schweiz und voraussichtlich 2004 in Österreich)“ (vgl. ebd., S. 15). Das Bundes- Behindertengleichstellungsgesetz ist in Österreich allerdings tatsächlich erst am 1. Jänner 2006 in Kraft getreten (vgl. RIS 2004, o.S.).

Auf der wissenschaftlichen Ebene gelang es ihnen Modelle zu entwickeln, die das gesell- schaftliche Bild und die Definitionen von Behinderung kritisch hinterfragen.

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16 Nach Mürner/Sierck war von 1945 bis Ende der 1960er Jahre ein Verständnis von Behinde- rung in der Gesellschaft vorherrschend, das körperlich und/oder geistig behinderte Men- schen als krank betrachtete und sie medizinisch zu behandeln wären (medizinisches Modell von Behinderung auch als individuelles Modell bekannt) (vgl. Mürner/Sierck 2009, S. 11). Es herrschte zu jener Zeit in den westlichen Industrieländern ein sogenanntes „Rehabilitations- paradigma“. Damit war der Gedanke verbunden behinderte Menschen heilen zu müssen und Behinderungen zu beseitigen (vgl. Waldschmidt 2005, S. 4).

Als Gegenpol zu diesem Modell entwickelten die WissenschaftlerInnen der Disability Studies zeitgleich in England das „soziale Modell“ von Behinderung. Auf der Basis der Erkenntnisse des amerikanischen Soziologen Ervin Goffman und des europäischen Philosophen Michael Foucault und von Studien aus der Sozialgeschichte, Körperforschung, Frauen- und Ge- schlechterforschung und den Kulturwissenschaften entwickelten die WissenschaftlerInnen dieses Modell (vgl. Renggli 2004, S. 16).

In den Disability Studies nimmt der Körper eine zentrale Stellung ein. Sowohl im „sozialen Modell“, sowie im neueren „kulturellen Modell“ wird der Körper zentral thematisiert. Je nach Modell geschieht dies auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Interessen. Die VertreterInnen des „sozialen Modells“ blicken auf kollektiv bestehende, gesellschaftliche Normen und Deutungsmuster bezüglich behinderter Körper und auf die dadurch entstehende Unterdrückung bzw. Ausgrenzung der Betroffenen. Eine Ergänzung und Weiterentwicklung dieses Modells stellt das „kulturelle“ dar (vgl. Dederich 2012, S. 57).Diese Richtung der Di- sability Studies geht davon aus, dass sowohl die Behinderung als auch das Normale For- schungsgegenstand werden soll. Sowohl der normale Körper als auch der behinderte sind kein rein biologisches Faktum, sondern kulturell und biografisch geprägt. Ebenso ist die menschliche Identität kulturell geprägt und sowohl von den Deutungsmustern der Mitmen- schen als auch von den eigenen geformt (vgl. Waldschmidt 2005, S. 9).

Thomas fasst zusammen, dass Behinderung ein Begriff ist, der sehr stark in der Alltagsspra- che vertreten ist. Dieser impliziert, dass Personen mit physischen und/oder geistigen Schä- digungen, an normalen Aktivitäten des Alltags nicht teilnehmen könnten. AktivistInnen der Disability Studies in Großbritannien haben diese Definition von Behinderung vehement zu- rückgewiesen und haben darauf aufmerksam gemacht, dass die Hemmnisse behinderter Menschen nicht durch ihre Schädigungen bedingt sind, sondern durch gesellschaftlich kon- struierte Barrieren (vgl. Thomas 2004, S. 31). So wurde in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Verwendung des Begriffes Behinderung kritisch reflektiert und das „soziale Modell“ entwickelt (vgl. Dederich 2012, S. 26):

(23)

2.1.1. „Soziales Modell“ von Behinderung

Die VertreterInnen dieses Modells stellten sich anfänglich folgende soziologische Fragen:

„Wie kann dieses soziale Phänomen theoretisch gefasst werden? Wie sieht seine Sozialge- schichte aus?“ (Thomas 2004, S. 41).

Einige ForscherInnen der Disability Studies suchten die Antworten im Marxismus und Mate- rialismus. Thomas nennt als Anhänger dieser Vorgehensweise Mike Oliver, der die Bezie- hung zwischen Behinderung und dem industriellen Kapitalismus untersuchte. Als im 18. Jahrhundert die Industrialisierung in Großbritannien aufkam und damit zunehmend auch eine Veränderung der Arbeitsverhältnisse einherging, kam es dazu, dass Menschen mit Be- hinderung eine immer größer werdende Ausgrenzung erleben mussten. Die Menschen wa- ren mit längeren Arbeitszeiten in den Fabriken konfrontiert, außerdem erforderte die Arbeit viel Geschicklichkeit und Geschwindigkeit. Unter diesen Rahmenbedingungen waren einige Menschen mit körperlicher und/oder geistiger Schädigung nicht mehr fähig die geforderten Leistungen zu erbringen. In den Anfängen des Kapitalismus, während des 19. Jahrhunderts dominierte ein Gewinn- und Wettbewerbsstreben zwischen den Großbetrieben. Somit wur- den ebenso die kleinen Handwerksbetriebe, die nun auch keinen Arbeitsplatz für behinderte Menschen mehr sicherstellen konnten, Schritt für Schritt aus dem Arbeitsmarkt verdrängt.

Die Politik musste aktiv werden und für diese sozialen Probleme eine Lösung finden (vgl.

ebd., S. 42).

So wurden in den 1970er Jahren sonderpädagogische Institutionen, spezielle Schulen und Werkstätten für diese ausgegrenzten Menschen gegründet. Die Lösung des Problems war für die betroffene Zielgruppe jedoch keine zufriedenstellende, da sie von der normalen Er- werbstätigkeit ausgeschlossen und in spezielle Werkstätten verbannt wurden. Sie mussten Abhängigkeit und Ausgrenzung erleben. (vgl. Mürner/Sierck 2009, S. 11).

Dieses Modell sieht Behinderung als eine Folge von sozialen Hindernissen, die die Gesell- schaft konstruiert hat. In Anlehnung an diese Kernaussage reflektierten AktivistInnen der Disability Studies kritisch diverse soziale Themen wie beispielsweise Wohnen, Bildung, poli- tische Rechte und Freizeit. Behinderte Menschen wollten nicht mehr aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden und Sonderbehandlungen erhalten (vgl. Thomas 2004, S. 32f.). Es wurde von der Gesellschaft verlangt passgenaue Veränderungen zu vollziehen, um eine Integration behinderter Menschen in das alltägliche soziale Leben gewährleisten zu können (vgl. Waldschmidt 2005, S. 6).

Nicht nur auf der Ebene des alltäglichen, sozialen Zusammenlebens wurde diskutiert, son- dern es wurden auch wissenschaftliche Disziplinen und deren Erkenntnisse zu dieser The- matik in den Blickfang genommen. Dabei wurde auch das „medizinische Modell“ von Behin-

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18 derung kritisiert. Obwohl dieses Modell auf einer eigenständigen Denkweise basiert, nämlich die der Medizin und Rehabilitationswissenschaft, um den Begriff Behinderung und den be- schädigten sowie normalen Körper zu definieren, soll es zur Vermeidung von Wiederholun- gen des Gedankengutes, in keinem gesonderten Kapitel abgehandelt werden. Stattdessen liegt der Fokus auf dessen Kritikpunkte.

Biomedizin und Rehabilitation

Thomas schreibt, dass in der Biomedizin die „Feststellung, Vermeidung, Beseitigung, Be- handlung und Klassifikation“ von Behinderung im Zentrum der Diskussion stehen (vgl. Tho- mas 2004, S. 34). In der Zeit der 1970er/1980er Jahre, als das „soziale Modell“ als Gegen- position dem biomedizinischen und rehabilitationswissenschaftlichen Verständnis gegenübergestellt wurde, wurde das Rehabilitationssystem in den westlichen Industrielän- dern stark ausgebaut. Man hatte die Vorstellung, Menschen durch individuelle Behandlungen wieder in die Gesellschaft eingliedern zu können. Dieses „individuelle Modell“/“medizinische Modell“ von Behinderung fand sich nicht nur in medizinischen, sondern auch in pädagogi- schen, psychologischen und soziologischen Diskursen wieder und wird auch gegenwärtig in der Gesellschaft weit vertreten (vgl. Waldschmidt 2005, S. 4). Die derzeitige Hoffnung, Be- hinderungen zu beseitigen oder Schädigungen überhaupt zuvorzukommen, bevor sie ent- stehen, liegt in der genetischen Forschung (vgl. Thomas 2004, S. 34). Die Biomedizin greift steuernd mittels ihrer technischen Errungenschaften in natürliche Prozesse des Lebens ein und will formend agieren. Dies ist in der Praxis beispielsweise an der vorgeburtlichen Dia- gnostik oder in der Transplantationsmedizin (künstliche Gelenke, Herzschrittmacher usw.) zu sehen (vgl. Dederich 2012, S. 170f.). Thomas ergänzt, dass das „soziale Modell“ keinen gro- ßen Einfluss auf die westliche, wissenschaftliche Medizin bisher hatte, denn Behinderung wird weiterhin mit Schädigung gleichgesetzt und nicht als Ursache von sozial konstruierten Hemmnissen betrachtet (vgl. Thomas 2004, S. 34).

2.1.2. „Kulturelles Modell“ von Behinderung

Durch das „soziale Modell“ von Behinderung seien wichtige theoretische Inputs in die inter- disziplinären Diskussionen eingebracht worden und es sei zu einer generellen Sensibilisie- rung im gesellschaftlichen Kontext gekommen. Trotz dieser positiven Beiträge, gebe es in- nerhalb der Disability Studies Bemängelungen ihres formulierten Modells. Die Hauptkritikpunkte aus den eigenen Reihen seien vor allem darauf zu richten, dass der As-

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pekt der Schädigung und des Schmerzes in ihren Vorstellungen und Gedanken nicht hinter- fragt werden (vgl. Dederich 2012, S. 143).

Kuhlmann schreibt, selbst in Anbetracht, dass körperliche Schäden nicht automatisch die gesamte Lebensführung eines Menschen erschweren und behindern, dürfen auch nicht die Negativerfahrungen mit dem Körper, die diese mit sich bringen, geleugnet werden. Das Leid vieler behinderter Menschen besteht nicht nur darin, dass ihr Leben als minderwertiger be- trachtet wird, sondern auch darin, dass einige in ihrem sozialen Umfeld sich kein angemes- senes Bild von ihrem Zustand machen können oder auch nicht machen wollen (vgl. Kuhl- mann 2003, S. 123).

Nach Dederich wurde das Thema Behinderung von den AnhängerInnen des „sozialen Mo- dells“ nur auf Aspekte wie soziale Stigmatisierung, politische Entrechtung und Ausgrenzung aus diversen Lebensbereichen hin beleuchtet. Es bestand die Angst, dass es durch die Thematisierung individueller Schädigungen den Anschauungen und Überlegungen des „me- dizinischen Modells“ von Behinderung ähnlich sein würde und es somit ebenso kritisiert und in Frage gestellt werden würde (vgl. ebd., S. 144).

Die sogenannten „Neuen Disability Studies“ würden Behinderung als ein historisches Denk- system sehen, das gewisse Körper als minderwertiger und als zu verändernd betrachte, um diese an die anderen Körper, die der kulturellen Normvorstellung entsprechen, anzugleichen (vgl. Garland-Thomas 2003, S. 420).

Die Schwerpunkte des „kulturellen Modelles“ lassen sich nach Garland-Thomson folglich zusammenfassen:

„Die neuen Disability Studies befassen sich damit, wie Behinderung im Laufe der Zeit und in wechselnden kulturellen Kontexten betrachtet wird, sie beschäftigen sich mit der Entwicklung der behinderten Menschen als einer Gemeinschaft und sozialen Identität (H). Die neuen Disability Studies richten ihr analytisches Ob- jektiv auf die unzähligen Orte, an denen die Kultur Behinderung definiert und ausformuliert. Sie bewegen sich quer durch Diskurse wie Medizin, Kunst, Litera- tur, Religion, Philosophie und Rhetorik, greifen die kritischen Auseinanderset- zungen von Ästhetik, Epistemologie, Kulturwissenschaft, ethnischen Forschun- gen und Feminismus auf und bearbeiten die Geschichte des Körpers sowie Fragen der Identität“ (Garland-Thomson 2003, S. 420f.).

Wie bereits erwähnt, wurde auch der Aspekt des Schmerzes lange Zeit innerhalb der Disabi- lity Studies vermieden. Dederich schreibt, dass es eine lange Tradition in der Gesellschaft

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20 gibt, Behinderung mit Leid, Qual und minderwertiger Lebensqualität gleichzusetzen. In der Humangenetik geht man sogar soweit, dass das Lebensrecht behinderten Menschen abge- sprochen und der Versuch unternommen wird dieses schreckliche Übel sowohl für die Indivi- duen, die davon betroffen sind, als auch für ihre nahestehenden Mitmenschen, früh genug zu erkennen und folglich auch zu beseitigen. In dieser gesellschaftlich verbreiteten Meinung von Behinderung liegt der Grund dafür, dass in den frühen Disability Studies Aspekte wie Schmerz und Leid im Zusammenhang mit Behinderungen nicht angesprochen wurden (vgl.

Dederich 2012, S. 157).

Der Autor bezieht sich hier auf Köbsell, der meint, dass die Gleichsetzung von Behinderung und Leid, die fortdauernd von nichtbehinderten Menschen gemacht wird, in der Behinderten- forschung zu einer Distanzierung von dieser Aussage geführt hat. Es ging soweit, dass sie Behinderung sogar als Vorteil darstellten. Die anfängliche Behindertenbewegung verbreitete Slogans wie „`Behinderung? Na und!`“ oder „`Krüppelsein ist schön!`“ (vgl. ebd., S. 158).

Es wäre lange Zeit verpönt gewesen in den Disability Studies über die möglicherweise mit der Behinderung verbundenen Schmerzen zu sprechen, denn dies hätte das vorherrschende Bild über Behinderte in der Gesellschaft bestätigt (vgl. ebd., S. 158).

Es entstanden aber schließlich kulturwissenschaftliche Perspektiven unter den Kritikern des

„sozialen Modells“, die diese beiden, oben thematisierten Aspekte und den Körper selbst sehr wohl in die Diskussion einbezogen haben.

Dederich ist der Auffassung, dass es insofern wichtig ist den Körper ins Zentrum der Diskus- sion zu stellen, da er als „physisches Medium“ fungiert, in dem sich gesellschaftliche und soziale Wahrheiten festigen und außerdem ist er wie eine Matrix, auf der Differenzen oder Gleichheiten festzustellen sind (vgl. Dederich 2012, S. 80). In der Wissenschafts- und Kul- turgeschichte gibt es hierzu zahlreiche Beispiele, die dies sichtbar machen. So sind oft Men- schen mit einem schönen Gesicht, das den Normen des momentanen Schönheitsideales in der Gesellschaft entspricht, erfolgreicher als solche, die als hässlich empfunden werden (vgl.

ebd., S. 80f.).

Nicht nur das „soziale“ sondern auch das „medizinische Modell“ beinhaltet Kritikpunkte:

Die naturwissenschaftliche Sichtweise übersehe bei der Erforschung des Körpers vieles (vgl.

Rumpf 1999, S. 117). Der Körper werde nicht nur in seiner Vielfalt an natürlichen Möglichkei- ten nicht beachtet, sondern es werde auch ignoriert, dass es außer den organischen Funkti- onen bzw. der natürlichen Gegebenheit auch ein Körpergehabe gebe, das nach der kultur- wissenschaftlichen Sicht kulturell geprägt sei (vgl. ebd., S. 82). Der unbehinderte Körper sei

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„ein ästhetisches Produkt kultureller Kräfte“, die alle anderen Körperformen, die nicht diesem entsprechen, als behindert kategorisieren (vgl. Snyder/Mitchell 2004, S. 88).

Auch was die Selbstinszenierung des Körpers betreffe, werde der kulturelle Einfluss naiv ausgeblendet, es sei die Meinung breit vertreten, dass diese als individueller Ausdruck in den unterschiedlichen Formen zu verstehen sei (vgl. Degele 2008, S. 67).

3. Selbstinszenierung des menschlichen Körpers

Selbstinszenierungen sind nach Stauber unterschiedliche Formen des individuellen Ausdru- ckes. Dieses sich selbst darstellen kann auf der realen (Körpergestaltung, Art und Weise der Mimik und Gestik, Sprechweise einer Person) aber auch auf der virtuellen Ebene (z.B. im Internet) stattfinden (vgl. Stauber 2004, S. 52).

Das Selbstinszenieren auf körperlicher Ebene sei weder nur Frauensache, noch mit reinem Spaß verbunden. Es diene als Mittel zum Zweck, verschaffe soziale Anerkennung und stelle ebenso die eigene Identität sicher (vgl. Degele 2008, S. 67).

Der Mensch stehe in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch einerseits exklusiv/

individuell und andererseits angepasst/normal zu sein. Frage man allerdings das Subjekt, für wen es sich schön macht, so würde die Antwort lauten, dass es dies für sich selbst mache (vgl. ebd., S. 67).

„Wer auf Stöckelschuhen über Kopfsteinpflaster balanciert, nimmt lädierte Füße in Kauf; wer sich nach einem 12- oder 14-stündigen Triathlonwettbewerb am Ziel kaum noch bewegen kann, auch. In beiden Fällen inszenieren sich Menschen über ihre Körper. In beiden Fällen mögen sie überzeugt sein, in ihrem Tun eine eigenständige Entscheidung getroffen zu haben“ (Degele 2008, S. 67).

Degele schreibt aber, dass wir uns vor allem selbstinszenieren, weil wir soziale Anerkennung brauchen. Es gehe daher bei der Diskussion um Für und Wider des Schminkens, Piercens, Anziehens oder von Schönheitsoperationen nicht darum, was wirklich schön sei oder sein soll, sondern vielmehr um ein „Schönheitshandeln“ (vgl. Degele 2008, S. 70). Es diene der Inszenierung der eigenen Außenwirkung, um Anerkennung zu erlangen. Das bedeutet, dass der Mensch sich über das Selbstinszenieren auf körperlicher Ebene sozial positioniere, von den Einen sich bewusst abgrenzen möchte und von den Anderen wiederum Anerkennung erhoffe, um so auch die eigene Identität zu sichern (vgl. ebd., S. 70f.; Stauber 2004, S. 54),

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22 die sich nur im Austausch mit dem allgemeinen Leben konstituiere (vgl. Hopfner 2011, S.

153).

Nach Villa stellt sich in diesem Kontext die Frage, ob die Menschen, die Körpermodifikatio- nen vornehmen, Opfer eines Schönheitswahnes sind, die sich in einem Wettbewerb um den schönsten Körper bekämpfen oder ob es sich bei den Menschen der Postmoderne mögli- cherweise um „handlungsmächtige Personen“ handelt, die die Gestaltung des eigenen Kör- pers selbst in die Hand nehmen und ihre individuelle Autonomie auch frei ausleben (Villa 2008, S. 248).

Hopfner würde auf die Fragestellung von Villa antworten, dass die individuelle Besonderheit und somit die eigene Identität nur in Wechselwirkung zwischen dem Selbst und der Vielfalt des menschlichen Umfeldes entstehen könne (vgl. Hopfner 2011, S. 153). Im herkömmli- chen, gesellschaftlichen Verständnis von Identität passiere allerdings genau das Gegenteil.

Die Gesellschaft schaffe kollektive Identitäten, wie z.B. nationale Identitäten oder Geschlech- teridentitäten auf die sich die Subjekte beziehen. Diese Identitäten seien durch wenige We- senszüge definiert und sämtliche andere mögliche Charakterzüge der Menschen seien aus- geklammert (vgl. Hopfner 2011, S. 153).

Wie bereits in der Arbeit ausgeführt wurde, konstruiert die Schönheitschirurgie ein Idealbild von einem Körper mit eingeschränkten Maßstäben, das über Medien weltweit verbreitet wird.

Dieses im Westen vorherrschende Bild eines Idealkörpers lässt nach Hopfners Gedanken die Vielfalt an Möglichkeiten, wie ein menschlicher Körper aussehen könnte, aus (vgl.

Hopfner 2011, S. 147).

Der menschliche Körper kann auf die unterschiedlichste Weise inszeniert werden. Misoch schreibt, dass sich Körperschmuck in jeder Zeit und Kultur finden lässt, in Form von Schmuck aus Steinen, Kleidung, Metallen bis hin zu Tätowierungen oder Piercings, die direkt in die Haut eingraviert bzw. eingestochen werden. Die Autorin unterscheidet ganz klar zwi- schen Körpermodifikationen, die im kollektiv-normativen Kontext d.h. gezwungenermaßen von den Mitmenschen (Stamm, Volk, Gruppe usw.) durchgeführt werden und jenen, die das Individuum freiwillig wählt. In spätmodernen Gesellschaften des Westens lassen sich haupt- sächlich die letztgenannten Körperinszenierungen vorfinden und auch in der empirischen Untersuchung dieser Masterarbeit wird nur auf jene Bezug genommen (vgl. Misoch 2007, S.

142f.).

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3.1. Korporale Selbstinszenierung im Wandel

Posch schreibt, dass für die Zeit vor der Kamera und des Fotoapparates insbesondere Kunstwerke eine Gelegenheit bieten herauszulesen, welche Körperideale in dieser Zeit ge- rade aktuell waren (vgl. Posch 1999, S. 37).

Der folgende geschichtliche Rückblick auf korporale Inszenierungen im Wandel soll den so- zial, kulturell und historisch normierten Körper sichtbar machen. Je nachdem, ob das Wissen über den Körper, beispielsweise religiös geprägt oder politisch determiniert gewesen ist, wurde der Körper auch dementsprechend wahrgenommen und gestaltet.

Kunstwerke aus der jüngeren Altsteinzeit (30.000-10.000 v. Chr.), wie zum Beispiel die Skulptur Venus von Willendorf, zeigen uns das Körperideal der damaligen Frau. Weiblichkeit und runde Formen des Körpers symbolisierten Fruchtbarkeit und Mütterlichkeit. Dieses Bild eines Frauenkörpers war das Ideal der damaligen Zeit. Männliche Körperideale sind aus die- ser Zeit nicht überliefert (vgl. Posch 1999, S. 37).

In der Gotik (13.-15. Jahrhundert) wurden Frauen in ihrer Körperstruktur sehr schmal dar- gestellt. Danach, im Barockzeitalter (17.- frühes 18. Jahrhundert) wurden die Frauen und Männer sehr häufig üppig auf Bildern und Kunstwerken abgebildet. Dies sollte Macht, Deka- denz und Prunk widerspiegeln. Um noch korpulenter zu wirken stoffierten die Männer und Frauen in dieser Zeit sogar ihre bekleideten Hüften und Waden mit Pölster aus. Pompöse Festmähler demonstrierten den Status und den hohen Lebensstandard (vgl. ebd., S. 37).

Anfang der 20er Jahre waren Frauen durch den Ersten Weltkrieg gezwungen selbstständig zu handeln und viele konnten sich nicht mehr auf ihre Männer als Familienerhalter verlassen.

Dieses, durch den 1. Weltkrieg bedingte Unabhängigkeitsstreben bei den Frauen zeigte sich auch in der Körpergestaltung. Die Frauen begannen Sport zu betreiben, sich die Haare zu schneiden und gegen die weibliche Hilflosigkeit anzukämpfen. Dies spiegelte sich natürlich auch in politischen und gesellschaftlichen Bereichen wider, wie zum Beispiel im Wahlrecht der Frau, das in Österreich im Zuge der 1. Welle der Frauenrechtsbewegung, 1918 erreicht wurde (vgl. ebd., S. 39).

Mit dem Nationalsozialismus und der Machtergreifung Hitlers begann auch das Ende der freien Körpergestaltung. Im Jahr 1933 verbot Hitler die „Nacktkulturbewegung“. Der Körper und dessen Gestaltung musste im Dienste von Volk und Rasse stehen. Jegliche Freiheit wurde diesbezüglich verboten (vgl. ebd., S. 40).

Mit dem Wirtschaftsaufschwung der 50er Jahre waren auch Rundungen des Körpers wieder modern. Viele Menschen waren in der Nachkriegszeit dick. Die Menschen aßen nicht nur um

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24 einen korpulenten Körper zu bekommen, sondern weil diese Körpergestalt mit Geselligkeit und Lustigkeit in Verbindung gebracht wurde. Die 50er Jahre waren auch die Zeit der Fern- sehapparate und Kinos. Die Menschen bekamen nun erstmals in der Geschichte bewegte Bilder von aktuellen Körperidealen in ihr privates Zuhause gesendet. Dies beeinflusste natür- lich massiv die Alltagswelt der Menschen (vgl. ebd., S. 41f.).

In der Zeit der 68er Revolution waren lange Haare und nackte Körper in Mode. Sie symboli- sierten Rebellion, Liebe und Frieden. Die jungen Revolutionäre wollten sich nicht nur von den ideologischen Normen und Werten der Erwachsenengeneration lösen, sondern sich auch optisch, durch eine differente Körpergestaltung abgrenzen (vgl. ebd., S. 46).

Der Körper in seiner Materialität ist also gleich wie die Technik des Körperschmückens ein- gebettet in historische, kulturelle und soziale Prozesse. In dieser Arbeit wird von den Techni- ken zur Selbstinszenierung ausschließlich die Tätowierung behandelt. Diese Art von Körper- gestaltung hat eine sehr lange Geschichte, die bis in die Steinzeit zurückführt sowie in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und Wahrnehmung im sozialen Kontext einen stetigen Wandel durchmachte. So wird im Folgenden die Tätowierung, die in der postmodernen Gesellschaft der westlichen Kultur einen erneuten Aufschwung und Anklang erlebt und eine Form der Körpergestaltung zur sozialen Positionierung beziehungsweise Individualisierung darstellt, fokusiert.

3.2. Tätowierungen als eine Methode zur korporalen Selbstinszenierung

Der deutsche Begriff Tätowierung leitet sich von dem der indigenen3 Bevölkerung Tahitis,

„Ta-tatau“ ab (Bedeutung: „kunstgerecht schlagen“ oder „eine Wunde schlagen“) (vgl.

Hainzl/Pinkl 2003, S. 9).

Durch den tahitischen Prinzen Omai, den James Cook von seiner Weltreise 1775 mit nach Europa nahm, um ihn den Menschen als lebendes Objekt dieser Körperkunst zu präsentie- ren, verbreitete sich dieses Wort rasch. Aus dem ursprünglichen Wort „Ta-tatau“ entwickelte sich in der deutschen Sprache aufgrund schlampiger Weglassung des „Ta“ der Ausdruck

„Tatauierung“ sowie „Tätowierung“ (vgl. ebd., S. 9).

3„Indigene Völker sind die Hüter der kulturellen Vielfalt der Erde. Ihr Reichtum sind ihre vielen Spra- chen und Kulturen, die Weisheit ihrer Religionen und ihres Umgangs mit der Natur. Weltweit wird der- zeit von 350 bis 400 Millionen Menschen ausgegangen, die einem der ca. 5.000 indigenen Völker in 75 Staaten angehören.“ (Bangert/Delius/Rein/Veigt 2006, S.5).

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