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2 LITERATURÜBERSICHT

2.1 Moderhinke

2.1.2 Epidemiologie

Moderhinke ist eine hochkontagiöse Infektionskrankheit mit dem Potenzial, innerhalb weniger Tage auf die gesamte Herde überzugreifen.

Das natürliche Habitat der Tiere (GRAHAM u. EGERTON 1968), Management-maßnahmen (WASSINK et al. 2003; KUHLEMANN 2011) und die Genetik der Tiere (EMERY et al. 1984) beeinflussen den Verlauf der Erkrankung. Konstante Temper-aturen > 10 °C und lang anhaltender Niederschlag vo n 50 mm pro Monat (GRAHAM u. EGERTON 1968) über zwei bis drei Monate begünstigen einen Ausbruch in der Herde. Dadurch werden die lokalen Abwehrmechanismen der Klaue gehemmt (GRAHAM u. EGERTON 1968) und ubiquitär existierende Bakterien, die am Ursachenkomplex beteiligt sind, in ihrer Vermehrung gefördert (siehe 2.1.3).

Auf vielfältige Weise ziehen sich die Tiere, bedingt durch die Mazeration der Epidermis, Läsionen im interdigitalen Spalt oder am Klauenhorn zu (BEHRENS et al. 2001), woraufhin Bakterien ins Gewebe penetrieren können (ROBERTS u.

EGERTON 1969).

D. nodosus erfüllt nur in Synergismus mit den ubiquitär vorhandenen Bakterien die klassischen Henle-Koch’schen Postulate eines Erregers (ROBERTS u. EGERTON 1969). Trotzdem wird D. nodosus aus folgenden Punkten als Hauptagens für Moderhinke angesehen:

EGERTON et al. (1969) wiesen histologisch und kulturell D. nodosus in typischen Läsionen der Klaue nach und belegten zusätzlich in ihren Untersuchungen von 2002, dass nach einer erfolgreichen Eliminierung virulenter Stämme keine Neuinfektionen mehr auftreten. Für die ätiologische Bedeutung von D. nodosus spricht auch, dass nach einer Vakzinierung mit Antigenen von D. nodosus Serovaren die Moderhinke-Prävalenz in der Herde reduziert wird (EGERTON u. ROBERTS 1971).

D. nodosus kann zehn Tage (BEVERIDGE 1941; MYERS et al. 2007) bis zwei Wochen (AMTSBERG u. VERSPOHL 2011) unter aeroben Bedingungen überleben

und in abgeschnittenem Horn seine Infektiosität für sechs Wochen bewahren (WHITTINGTON u. NICHOLLS 1995). Auf subklinisch infizierten Tieren, die eine nicht zu unterschätzende Gefahr als Infektionsquelle für klauengesunde Tiere darstellen, persistiert der Erreger über Monate (STEWART 1989; DEPIAZZI et al. 1998).

Übertragungen von D. nodosus erfolgen entweder direkt über den Kontakt zwischen den Tieren oder auf indirektem Weg, z. B. auf kontaminierten Weiden (LEWIS 1998;

ABBOTT u. LEWIS 2005; AMTSBERG u. VERSPOHL 2011). Je mehr Tiere auf engstem Raum zusammenleben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Aufrechterhaltung der Infektionskette (STEWART 1989).

Aber auch wild lebende Wiederkäuer, Pferde und Rinder übertragen proteasebildende Bakterien, die bei gemeinsamer Haltung Moderhinke bzw. Moderhinke-ähnliche Läsionen bei Schafen hervorrufen (COOK u. CUTLER 1995; BELLOY et al. 2007;

AMTSBERG u. VERSPOHL 2011; SARGISON u. SCOTT 2011).

Prinzipiell kann sich jedes Schaf mit D. nodosus infizieren. Das Auftreten von klinisch-en Symptomklinisch-en bzw. derklinisch-en Schweregrad variiert aber innerhalb der Herde und wird unter anderem von der Pathogenität der D. nodosus Stämme sowie der Genetik der Rasse und des Einzeltieres determiniert (SKERMAN et al. 1988)

Zu den prädisponierten Rassen zählt unter anderem das Merinoschaf (EMERY et al. 1984).

Die These, dass Tiere aufgrund ihres Alters, Geschlechts und Körpergewichts oder der fehlenden Klauenpigmentierung anfälliger für eine Infektion sind, wird in neueren Untersuchungen zur Epidemiologie kontrovers diskutiert (SCHULER 1996; KALER et al. 2010b). Jedoch weisen ältere Tiere vergleichsweise höhergradige Veränderungen an den Klauen auf als Lämmer (PUGH u. BAIRD 2012).

Der Mensch hat in der Vergangenheit über die Zucht feinwolliger Rassen indirekt zur Verschlechterung der Hornqualität und somit zur weltweiten Verbreitung der Moder-hinke beigetragen (HERRMANN 1963).

Eine ausreichende Mineralstoffversorgung mit Selen, Kupfer und Zink (KAMPHUES et al. 2004; HALL et al. 2011), die Einhaltung einer Quarantänezeit von Zukäufen (WASSINK et al. 2003; KALER u. GREEN 2009), die Genotypisierung von

Haltungsform (SCHLOLAUT 1996; ERLEWEIN 2002) oder die Verringerung der Besatzdichte im Stall (STEWART 1989; KUHLEMANN 2011) minimieren das Risiko einer Infektion.

2.1.2.1 Dichelobacter nodosus

2.1.2.1.1 Morphologie

D. nodosus ist ein gram negatives, gerades bis leicht gebogenes, anaerobes Stäbchenbakterium (1,0 - 1,7 µm × 3,0 - 6,0 µm) mit einer zentralen Einschnürung und terminalen Auftreibungen beider Enden (AMTSBERG u. VERSPOHL 2011). Über die gesamte Oberfläche der Zellwand sind Fimbrien angeordnet.

2.1.2.1.2 Virulenzfaktoren und Pathogenitätsmechanismen

Neben extrazellulären, keratinolytischen Proteasen (KORTT et al. 1993) zählen die Typ IV Fimbrien (ELLEMAN 1988) zu den Virulenzfaktoren von D. nodosus.

Eine Klassifizierung bakterieller Fimbrien (Typ I-V) erfolgt hinsichtlich ihrer Morphologie und haemagglutinierenden Eigenschaften. D. nodosus besitzt Typ IV Fimbrien mit folgenden Charakteristika (STROM u. LORY 1993; MYERS et al. 2007):

Sie

sind Adhäsine, Mannose resistent und haemagglutinierend verleihen eine Polarität

dienen der Fortbewegung

haben als N-terminale Aminosäure N-Methylphenylalanin

sind Bestandteile eines Sekretionssystems, das den Transport extrazellulärer Proteasen aus dem Zytoplasma ermöglicht und die Endozytose extrazellulärer DNA reguliert

Das K-Antigen, welches auf den Fimbrien lokalisiert ist, dient im Agglutinationstest zur Bestimmung der Serogruppe (EGERTON 1973). Momentan sind zehn Serogruppen von D. nodosus bekannt (A-I, M) (CHETWIN et al. 1991). Anhand einer Sequenzierung der fim A-Untereinheit besteht die Möglichkeit einer Determinierung der Serogruppen in die aktuell bekannten Serotypen (BHAT et al. 2012). ZHOU und

HICKFORD (2000a) gelang auf einer mit D. nodosus infizierten Klaue der Nachweis von sieben verschiedenen Serotypen, die fünf bekannten Serogruppen zugeordnet werden konnten. Das gleichzeitige Vorhandensein von mehreren Stämmen pro Infektionsherd bestätigten auch andere Wissenschaftler (ZHOU et al. 2009; HILL et al. 2010; BULLER et al. 2010). Sie sehen hierin unter anderem die Ursache für den Misserfolg einer Sanierung auf Basis von Vakzinen begründet.

Die K-Agglutinationsepitope der zehn Serogruppen zeichnet eine hohe Spezifität aus, die die Ausbildung einer Kreuzimmunität zwischen den Serogruppen verhindert (CLAXTON et al. 1983).

Eine aus epidemiologischer Sicht essenzielle Beurteilung der Pathogenität der Isolate ist mittels Serotypisierung nicht möglich. Die Bestimmung der Serogruppen, z. B. per Objektträgeragglutination oder Polymerasekettenreaktion (PCR), ist letztendlich nur aus epidemiologischen Gründen sowie für die Herstellung eines bestandsspezifischen Impfstoffes und die anschließende Beurteilung der Ausbildung einer protektiven Immunantwort nach Vakzinierung von Interesse (DHUNGYEL et al. 2002).

Unter den Anaerobiern besitzt D. nodosus das kleinste Genom mit einer Größe von 1.4 Mb (MYERS et al. 2007). MYERS et al. (2007) entdeckten, dass D. nodosus selbst keine Aminosäuren synthetisieren kann, sondern extrazelluläre Proteine aus der Umwelt aufnimmt. Gene, die für Proteasen kodieren, stammen vermutlich von extrachromosomalen Quellen. Lediglich 3 % des Genoms dienen der Stoffwechsel-regulation, während bis zu 20 % dem horizontalen Gentransfer zugesprochen werden (MYERS et al. 2007).

Auf Letzterem beruht auch die Entstehung der vielen Serotypen. Im Weiteren verfügt D. nodosus über die Fähigkeit der Serogruppenkonversion durch Transformation oder homologe Rekombination (KENNAN et al. 2003). Beispielsweise führt ein Plasmid, das das Gen für die Fimbrien-Untereinheit fim A von der Serogruppe G enthält, beim Einbau in einen Serogruppen I Strang zur Konversion in Serogruppe G (ELLEMAN 1988). Dieses als „antigenic diversity“ bezeichnete Phänomen, mit dem es dem Bakterium gelingt eine protektive Immunantwort des Tieres erfolgreich abzuwenden, bestätigt die ambivalenten Resultate in Sanierungsprogrammen mit Vakzinen (WANI

Weitere Formen des Gentransfers, die D. nodosus, wie auch anderen Bakterien zugesprochen werden, sind der Antigenshift sowie die Transduktion entweder über den Einbau von Bakteriophagen bzw. Phagen ähnlicher Strukturen in die DNA (GRADIN et al. 1991) oder mittels bis dato für D. nodosus unbekannten DNA-Transposons bzw. RNA-Rekombinationen (ZHOU u. HICKFORD 2000b).