• Keine Ergebnisse gefunden

Die Entwicklung der Sinne von der Geburt bis sechs Jahre

Der grösste Teil der Wahrnehmungsentwicklung findet zwischen der Geburt und dem sechsten bzw. siebten Lebensjahr statt (Ayres, 2013, S. 21-35). Dieser Zeitraum deckt sich zufälligerweise genau mit dem Entwicklungsabschnitt, der in dieser Arbeit fokussiert wird; nämlich von der Geburt bis Kindergartenalter. Obwohl das sechste oder siebte Lebensjahr nicht den Schlusspunkt der Wahrnehmungsentwicklung darstellt, ist für diese Arbeit nur die Entwicklung bis ins Alter relevant, indem die Kinder den Kindergarten besuchen.

3.1.1 Das erste Lebensjahr

William James, einer der ersten Psychologen, hielt, wie Siegler et al. berichten, die Welt der Neu-geborenen für ein „grosses schimmerndes und dröhnendes Wirrwarr“. Heutige Forscher teilen die-se Ansicht jedoch nicht; vielmehr wird heute vom kompetenten Säugling ausgegangen, desdie-sen Sinnesfunktionen bis zu einem gewissen Grad entwickelt sind (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2005, S. 241).

14 Taktiler Sinn

Bereits Neugeborene sind mit einer Vielzahl an Wahrnehmungsfähigkeiten ausgestattet, die sich bereits vor ihrer Geburt entwickelt haben. So entsteht der Tastsinn, wie Eliot (2012) beschreibt, von all unseren Sinnen als erster im Mutterleib. Nach der Geburt, fühlen Babys am besten mit dem Mund und dieser wird deshalb von den Säuglingen bevorzugt zur Erkundung ihrer Umwelt eingesetzt (Eliot, 2012, S. 199). Ab dem vierten Lebensmonat gewinnen die Säuglinge nach Sieg-ler et al. (2005) allmählich mehr Kontrolle über ihre Hand- und Armbewegungen, so dass die Er-kundung durch die Hände stärker wird und mit der Zeit den Vorrang gegenüber der oralen Erkun-dung erhält (Siegler et al., 2005, S. 256). Auch die anderen BerührungsempfinErkun-dungen – das Schmerz- und Temperaturempfinden – sind bereits bei der Geburt vorhanden (Eliot, 2012, S. 199).

Weiter merken Oerter und Montada an: „Die angenehme Seite der Hautsinne, also das Fühlen und Berühren, ist in den ersten Monaten besonders wichtig für den Aufbau emotionaler Beziehungen zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen.“ (Oerter & Montada, 2002, S. 397)

Vestibulärer Sinn

Nach dem Tastsinn ist der Vestibularapparat der nächste frühreife Sinnesapparat des Menschen, wie Eliot (2012) aufzeigt. Dieser ist im Säuglingsalter, zwischen dem sechsten und zwölften Le-bensmonat überempfindlich, was wichtig für viele Aspekte der neurologischen Entwicklung ist.

Gleichgewichts- und Bewegungssinn spielen eine überaus wichtige Rolle bei der geistigen und neurologischen Entwicklung. So verschafft der Vestibularapparat dem Säugling einen grossen Teil seiner frühesten Sinneserfahrungen, welche vermutlich hoch relevant für die Entwicklung anderer sensorischer und motorischer Fähigkeiten ist. Diese Fähigkeiten beeinflussen wiederum die Ent-wicklung der höheren emotionalen und kognitiven Funktionen (Eliot, 2012, S. 216-220).

Olfaktorischer und gustatorischer Sinn

Für Neugeborene, deren Fernsinne (Seh- und Hörsinn) noch recht schwach entwickelt sind, sind die unmittelbaren Sinne, Geruchs- und Geschmackssinn, neben dem bereits erwähnten Tastsinn nach Eliot (2012) viel wichtiger, um Wachstum, Nahrung und elterlichen Schutz zu gewährleisten.

So ist der Geruchssinn bei der Geburt schon ziemlich ausgereift, was bedeutet, dass ein Neugebo-renes schon in der Lage ist, verschiedene Gerüche wahrzunehmen und Reaktionen wie Stram-peln, Saugbewegungen, Weinen oder veränderte Atemfrequenz zu zeigen. Schon im Alter von sechs Tagen, können Babys den Brustgeruch ihrer Mutter von dem anderer stillender Frauen un-terscheiden (Eliot, 2012, S. 225-239).

Auch der Geschmackssinn ist bei der Geburt bereits funktionsfähig, sodass Neugeborene in der Lage sind, einen angenehmen Geschmack einem unangenehmen vorzuziehen. Sie können viele verschiedene Geschmacksrichtungen unterscheiden, bevorzugen jedoch hauptsächlich den süs-sen Geschmack. Saurer und bitterer Geschmack lösüs-sen bei Neugeborenen heftige Reaktionen aus und sie reagieren insgesamt zornig. Gegenüber der vierten Geschmacksrichtung, dem salzigen Geschmack, sind sie nach der Geburt hingegen überraschend gleichgültig, was sich mit dem vier-ten Lebensmonat ändert, sodass eine regelrechte Vorliebe für Salz entsteht (Eliot, 2012, S.247-255).

Visueller Sinn

Im Gegensatz zu den bereits angesprochenen Sinnen, durchläuft das visuelle Sinnessystem viele grundlegende Entwicklungsschritte erst nach der Geburt, wie Eliot (2012) erläutert. Denn neben den Genen spielen vor allem die Umwelt und die tatsächlichen „Seherfahrungen“ des Säuglings eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Sehfunktion (Eliot, 2012, S. 292-298). Neugebore-ne könNeugebore-nen in den ersten drei Monaten keiNeugebore-ne feiNeugebore-nen Details sehen, da ihre Sehschärfe noch sehr schwach ist. Auch Kontraste können Neugeborene nur unterscheiden, wenn sie möglichst gross sind (z.B. schwarz-weiss). Schon im ersten Halbjahr verbessern sich diese Fähigkeiten rasant, so

15 dass die Babys im Alter von einem Jahr bereits fast so gut wie Erwachsene sehen (Oerter &

Montada, 2002, S. 400-401). Auch weitere visuelle Fähigkeiten, wie die Tiefenwahrnehmung2, Ob-jekttrennung3, Wahrnehmungskonstanz4 und das visuelle Abtasten5 entwickeln sich nach Siegler et al. (2005) im ersten Lebensjahr. Die Beschaffenheit von Bildern, scheinen Kleinkinder jedoch noch nicht wirklich zu verstehen; über das erste Lebensjahr hinaus, versuchen sie nach den dargestell-ten Gegenständen zu greifen (Siegler, DeLoache, & Eisenberg, 2005, S. 244-252).

Auditiver Sinn

Während der Sehsinn spät entsteht und rasch reift, wird der Hörsinn früh funktionsfähig, reift je-doch langsam, wie Eliot (2012) erläutert. Die Frequenzempfindlichkeit reift dabei als Erstes: Neu-geborene sind kaum fähig hohe Töne wahrzunehmen. Mit einem halben Jahr hören Säuglinge jedoch hohe Frequenzen sogar besser als niedrige und können zudem fast den gesamten Fre-quenzbereich des Menschen wahrnehmen. Auch können sie nach einem halben Jahr Geräusche mit zunehmender Geschwindigkeit und Präzision orten (Eliot, 2012, S. 327-328, 348-349). Nichts desto trotz, müssen Säuglinge noch als etwas schwerhörig bezeichnet werden, da das schwächste Geräusch, das ein Neugeborenes wahrnehmen kann, etwa viermal lauter als das leiseste Schall-ereignis ist, das ein Erwachsener hören kann (Siegler, DeLoache, & Eisenberg, N., 2005, S. 252-253).

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Entwicklung der Wahrnehmung im ersten Le-bensjahr rasant fortschreitet und die Kinder mit einem Jahr in vielen Bereichen bereits den Wahr-nehmungsfähigkeiten von Erwachsenen erstaunlich nahe kommen.

3.1.2 Die Lebensjahre von zwei bis sechs

Obwohl die Wahrnehmungsfähigkeiten von Kleinkindern nach dem ersten Lebensjahr bereits weit entwickelt sind, verbessern sich diese im Laufe der Kindheit noch weiter.

Taktiler Sinn

Die Berührungsempfindlichkeit von Fünfjährigen ist, wie Eliot (2012) erläutert, noch immer im Ge-sicht am Grössten, doch bereits seit ihrem achtzehnten Lebensmonat können sie Objekte, welche nur geringfügig voneinander abweichen, allein durch Tasten mit der Hand unterscheiden. Auch die Schmerzwahrnehmung wird im Verlauf der Kindheit immer ausdifferenzierter; die Kinder sind im-mer besser in der Lage, schim-merzhafte Reize zu lokalisieren. Hier ist jedoch anzufügen, dass so-wohl Schmerzwahrnehmung, als auch Temperaturwahrnehmung wahrscheinlich eine ausgeprägte kognitive Komponente aufweisen. Das bedeutet, dass diese zu einem Teil durch Beobachtung und Erfahrung erlernt werden (Eliot, 2012, S. 190-199).

Vestibulärer Sinn

Der vestibuläre Apparat ist, wie schon erwähnt, frühreif und im Wesentlichen bereits bei der Geburt entwickelt. Die Überempfindlichkeit des Gleichgewichtssinnes, welche im Säuglingsalter vorhan-den ist, lässt nach dem ersten Lebensjahr rasch nach, bis das Kind etwa zweieinhalb Jahre alt ist und sinkt danach noch langsam weiter. Einen wichtigen Einfluss übt dieser Sinn auf die kindliche Körperhaltung aus, wobei erstaunlich ist, dass der Vestibularapparat frühestens im Alter von sie-ben Jahren oder später dazu im Stande ist, seinen vollen Beitrag zur Bewahrung des Gleichge-wichts zu leisten (Eliot, 2012, S. 219).

2 Tiefenwahrnehmung: „Die Wahrnehmung von Räumlichkeit und Tiefe.“ (Spektrum der Wissenschaft, o.J.)

3 Objekttrennung: Die Erkennung einzelner Objekte in einer Anordnung von mehreren Objekten.

4 Wahrnehmungskonstanz: „Objekte behalten trotz wechselnder Umgebungs- und Lichtverhältnisse ihre Farbe, Form, Grösse und Helligkeit.“ (Spektrum der Wissenschaft, o.J.)

5 Visuelles Abtasten: Die gezielte Betrachtung der Einzelheiten eines Objektes/der Umgebung um etwas zu finden. Z.B.: Unter vielen verschiedenfarbigen Knöpfen, welche auf dem Boden liegen, muss der einzige gelbe Knopf gefunden werden.

16 Olfaktorischer und gustatorischer Sinn

Wie der taktile und der vestibuläre Sinn, sind auch der olfaktorische und der gustatorische Sinn bereits beim Säugling im Wesentlichen ausgereift. Obwohl Neugeborene gewisse reflexartige Be-wegungen beim Riechen verschiedener Gerüche zeigen, sind sie noch nicht in der Lage zu beur-teilen, ob etwas gut oder schlecht riecht. Erst ab dem vollendeten dritten Lebensjahr entwickeln Kinder einen gewissen Sinn für die Qualität eines Geruchs und können zwischen angenehmen und unangenehmen Gerüchen unterscheiden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Geschmackssinn:

Die Schmeckfähigkeit verändert sich im Lauf der Kindheit nur wenig. Doch das Verständnis dafür, was man essen kann und was nicht, wird von Klein- und Vorschulkindern weitgehend erlernt; ei-nerseits durch das Vorbild von Erwachsenen, andererseits durch eigene Erfahrungen (Eliot, 2012, S. 248-267).

Visueller Sinn

Während dem ersten Lebensjahr hat sich der Sehsinn enorm schnell entwickelt, was vor allem auf die visuelle Erfahrung ausserhalb des Mutterleibes zurückzuführen ist. Auch nach dem ersten Le-bensjahr setzt sich dieser Prozess weiter fort, sodass das Sehvermögen bis zum Alter von zwei Jahren in hohem Mass formbar ist, in geringerem Ausmass sogar bis zum Ende des achten oder neunten Lebensjahrs. So ist zum Beispiel die Entwicklung der Sehschärfe eines Kindes erst mit knapp fünf Jahren komplett abgeschlossen. Diese Verbesserung der Sehfertigkeiten steht im Zu-sammenhang mit der allmählichen Synapsenauslese, ab dem zweiten Lebensjahr bis in die späte Kindheit, bei welcher etwa 40 Prozent der Synapsen in der Sehrinde beseitigt werden. Die verblei-benden Schaltkreise können ihre Leistungsfähigkeit steigern und somit werden die Sehfähigkeiten laufend verfeinert (Eliot, 2012, S. 290-302).

Auditiver Sinn

Über die Hörfunktion schreibt Eliot (2012) folgendes: (Eliot, 2012, S. 328)

„Der Mensch hört bei der Geburt viel besser als die meisten anderen neugeborenen Säuger, doch seine Hörfähigkeit entwickelt sich noch lange weiter und braucht bis zum Schulalter, um vollständig auszureifen. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich das Gehör des Kindes so allmählich, parallel zu seiner Spracherlernung und schliesslich auch Sprachbeherrschung, entwickelt.“ (Eliot, 2012, S.

328)

So ist zum Beispiel die untere Hörschwelle6 von Vorschulkindern noch immer etwa 10 Dezibel hö-her als bei Erwachsenen, wobei das Hörvermögen stark von der Frequenz abhängig ist. Während Erwachsene im gesamten Frequenzbereich ähnliche Hörschwellen aufweisen, sind Kinder sehr viel empfindlicher auf hohe Töne. Nach Oerter und Montada weisen Kinder eine Schwäche bei der Unterscheidung von tiefen Tönen auf, welche erst nach einigen Jahren allmählich beseitigt wird (Oerter & Montada, 2002, S. 399). Weiter scheint die Tatsache von Bedeutung, dass Kinder noch nicht so gut wie Erwachsene, Geräusche vor lautem Hintergrund erkennen können. Diese Fähig-keit ist erst im Alter von etwa zehn Jahren voll ausgereift. Wie der Sehsinn bleibt auch der Hörsinn, nach Eliot (2012), während der gesamten Vorschulzeit und der frühen Schuljahre formbar, wenn auch nicht mehr im gleich grossen Ausmass wie im Säuglingsalter (Eliot, 2012, S. 328-356).

6 Hörschwelle: Minimale Schallintensität mit derer Töne bestimmter Frequenzen gerade noch wahrgenom-men werden können (Menche, 2003, S. 196-198).

17 3.2 Die Entwicklung der sensorischen Integration

Um die Entwicklung der sensorischen Integration zu verstehen, ist es wichtig die Grundprinzipien deren Entwicklung zu kennen. Aus diesem Grund werden die Grundprinzipien nach Ayres (2013) zuerst erläutert, bevor die Übersicht über die Entwicklung der sensorischen Integration bis ins sie-bente Lebensjahr folgt.

3.2.1 Grundprinzipien der Entwicklung

Bei der Entwicklung eines Kindes gibt es nach Ayres (2012) bestimmte Grundprinzipien, die man bei jedem Kind vorfindet. Ein grundlegendes Prinzip stellt die Ordnung oder Organisation dar. So erfüllen die meisten Aktivitäten, die ein Kind in den ersten sieben Lebensjahren ausführt, den Zweck, Sinneseindrücke im Nervensystem geordnet zu verarbeiten.

Ein Neugeborenes hört, sieht und fühlt schon vielfältige Reize, doch es kann diese nicht einordnen und kann deshalb ihre Bedeutung nicht erfassen. Nach und nach lernt das Kind durch Sinneser-fahrungen die Eindrücke in seinem Gehirn zu ordnen und findet heraus, was sie bedeuten. Dies drückt sich dadurch aus, dass das Kind lernt, seine Aufmerksamkeit auf bestimmte Sinnesreize zu richten und andere zu ignorieren. Auch seine Bewegungen werden laufend geschmeidiger und zielgerichteter.

Diese Organisation im Gehirn kommt durch sogenannte anpassende Reaktionen zu Stande. Das Kind setzt dabei seinen Körper auf kreative oder zweckmässige Weise ein, indem es zum Beispiel ein Geräusch hört und dann den Kopf dreht, um zu sehen, was das Geräusch verursacht hat. Es reagiert auf Sinnesreize, um sich an die Bedingungen anzupassen. Bevor das Kind jedoch reagie-ren kann, müssen die wahrgenommenen Reize aus der Umwelt eingeordnet werden. Wenn das Kind schliesslich auf die Reize reagiert, entstehen dadurch neue Sinneseindrücke, die wiederum integriert werden. Ist die Reaktion des Kindes gut angepasst, bringt sie das Gehirn in einen organi-sierten Zustand. Die sensorische Integration entwickelt sich folglich dadurch, dass das Kind immer wieder Erfahrungen mit seinen Sinnen über sich und seine Bewegungen in Wechselwirkung mit der Umwelt macht, sodass ihm die entsprechenden anpassenden Reaktionen immer leichter fal-len.

Aus dieser Erkenntnis lässt sich folgern, dass es für die Entwicklung der sensorischen Integration viele Übungsgelegenheiten für anpassende Reaktionen braucht. Kinder haben einen starken inne-ren Antrieb, ihre sensorisch-integrativen Fähigkeiten zu entwickeln und sie suchen deshalb von sich aus Übungsgelegenheiten in ihrer Umwelt. Dieser innere Antrieb, treibt die Entwicklung des Kindes voran, und gilt deshalb ebenfalls als ein Grundprinzip.

Ein weiteres Grundprinzip der Entwicklung besteht nach Ayres darin, dass sich die Sinne, wie auch die Motorik, in Form von Bausteinen entwickeln. Das bedeutet, dass zuerst einfachere Bausteine entwickelt werden, die in der Folge miteinander zu neuen Funktionen kombiniert werden können.

Komplexere und reifere Entwicklungsschritte bauen dabei immer auf bereits vorhandenen einfa-cheren Bausteinen auf. In Bezug auf die Sinne bedeutet dies, dass sich zuerst die Nahsinne ent-wickeln, welche Informationen über den eigenen Körper und seinen Bezug zur Schwerkraft liefern.

Auf diesen Bausteinen können dann die Fernsinne (Sehen und Hören) aufbauen, die Informatio-nen über die Umwelt liefern. Weiter bauen alle kognitiven Leistungen, das Verhalten und das emo-tionale Wachstum auf einem sensomotorischen Fundament auf (Ayres, 2012, S. 18-21).

3.2.1 Die Entwicklung der sensorischen Integration bis sieben Jahre

Nachdem im vorangehenden Unterkapitel die Prinzipien der Entwicklung der sensorischen Integra-tion erläutert wurden, wird nun der Entwicklungsverlauf nach Ayres (2012) vorgestellt.

18 Von der Geburt bis zwei Monate

Schon bald nach der Geburt verfügt ein Neugeborenes über eine beträchtliche Anzahl von anpas-senden Reaktionen auf Sinnesreize. Obwohl diese Reaktionen zu einem grossen Teil angeboren sind und automatisch ablaufen, muss das kindliche Gehirn die entsprechenden Sinnesreize integ-rieren, damit die Reaktion ausgelöst werden kann. Anpassende Reaktionen erfolgen in diesem Alter vor allem auf Schwerkraft-, Bewegungs- und Berührungsreize. Der visuelle Sinn ist im ersten Lebensmonat noch nicht gut organisiert, doch schon ab dem zweiten Monat beginnt das Gehirn Informationen von Schwerkraft-, Gleichgewichts- und Bewegungsempfindungen und die Sinnes-empfindungen von der Augen- und Nackenmuskulatur zu integrieren. Dies zeigt sich darin, dass der Säugling vermehrt den Blick auf ein Objekt richten kann, sodass der Blick und der Kopf stabil bleiben, damit das Bild nicht „verwackelt“ sondern klar wird. Diese Entwicklung verläuft allerdings noch über mehrere Jahre und ist eine wichtige Basis für das Lesen, die grobmotorische Geschick-lichkeit und die Balance.

Vom dritten Monat bis zum Ende des 1. Lebensjahres

Ein dreimonatiger Säugling erlernt allmählich, die Seheindrücke mit den Informationen aus dem Körper zusammenzubringen. Dadurch entwickelt sich die Auge-Hand-Koordination, welche das Kind gezielter nach Gegenständen greifen lässt. Diese Fähigkeit entwickelt sich auch noch in den nächsten Monaten weiter. Während die meisten Bewegungen in den ersten sechs Monaten auto-matisch waren, beginnt das Kind mit einem halben Jahr Dinge zu tun, die es planen muss. Sobald das Kind zwischen dem sechsten und achten Monat zu krabbeln beginnt, erfährt es den Raum und die Entfernung zwischen sich, den Gegenständen und der Umgebung. Dadurch versteht es um-fassender, was es sieht. Bis zum Ende des ersten Lebensjahres, verändert sich der Bezug des Kindes zur Erde, dem Raum und seinem Körper sehr stark. Durch die vielen Sinnesempfindungen, die während immer grösseren „Erkundungen“ der Umgebung gemacht werden, wird das Nerven-system stimuliert; dies wiederum begünstigt die Verarbeitung von Sinnesinformationen und erlaubt, diese für anpassende Reaktionen zu verwenden.

Das zweite Lebensjahr

Im zweiten Lebensjahr lernt das Kind zu gehen, zu sprechen und komplexere Handlungen zu pla-nen und auszuführen. Dazu ist es wichtig, dass es bis zu diesem Zeitpunkt bereits unzählige sen-sorische Informationen verarbeitet und integriert hat. Mit der sich laufend verbessernden Körper-empfindung, steigt auch das Gefühl für das eigene Selbst des Kindes. Somit kann gesagt werden, dass die Integration von Sinneseindrücken die Grundlage für gute zwischenmenschliche Bezie-hungen schafft.

Die Lebensjahre drei bis sieben

Zwischen dem dritten und dem siebten Lebensjahr wächst das Kind schliesslich zu einem senso-motorischen Wesen heran. Diese Phase ist entscheidend für die sensorische Integration, da das Gehirn in dieser Zeit am aufnahmefähigsten für Sinneseindrücke ist und sie am besten verarbeiten kann. Die anpassenden Reaktionen des Kindes werden in dieser Zeit immer komplexer. Dadurch verbessert sich wiederum auch die Fähigkeit, Sinnesinformationen zu integrieren. Gegen den Schluss dieser Phase, sind der Gleichgewichtssinn und der Berührungssinn ausgereift und die meisten Informationen von den Muskeln und Gelenken gut integriert. Auch kann das Kind Hand-lungsabfolgen planen, wobei sich diese Fähigkeit auch in den nächsten Jahren noch verbessert (Ayres, 2012, S. 21-35).

3.3 Begünstigende Faktoren für eine gesunde Entwicklung

In den vorangehenden Teilkapiteln wurde die Entwicklung der einzelnen Sinnessysteme und der sensorischen Integration im Idealfall aufgezeigt. Damit dieser Prozess wie oben beschrieben ab-läuft, sind einige Faktoren als Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung zu beachten.

19 Maria Pfluger-Jakob führt sechs Faktoren auf, welche die Entwicklung der Wahrnehmung in Wechselwirkung untereinander beeinflussen (Pfluger-Jakob, 2003, S. 8):

Der erste Faktor, ist ein intaktes Zentralnervensystem. Dies bedeutet, dass alle Hirnregionen funktionstüchtig sind. Es ist zu beachten, dass dieser Faktor nicht beeinflussbar ist, da er orga-nisch bedingt ist. Auch der zweite Faktor, dass die genetisch vorgegebenen maximalen Entwick-lungsmöglichkeiten der Gehirnstruktur vorhanden sind, ist nicht veränderbar.

Im Gegensatz zu den bereits erwähnten Faktoren sind die folgenden Bedingungen durch die Um-welt veränderbar. So sind die Qualität und die Quantität der auf das Kind eintreffenden Reize wichtige Faktoren für eine gesunde Entwicklung. Eine ausreichende Anzahl von strukturierten Umweltreizen ist entscheidend für die Entwicklung der Wahrnehmung nach der Geburt. „Struktu-riert“ heisst in diesem Zusammenhang, dass die Reize in natürliche Lebenssituationen oder in den sozialen Kontakt eingebettet sein müssen. Hier vollzieht sich auch der bedeutsame Dialog zwi-schen der Bezugsperson und dem Kind.

Zudem muss dem Kind die Möglichkeit zur Eigenaktivität gegeben werden, was den vierten Fak-tor darstellt. Das Kind soll den eigenen Körper gezielt bewegen können, erkunden, mit Gegenstän-den manipulieren und letztendlich handeln.

Die Qualität und Quantität sinnesspezifischer Reize im genetisch festgelegten Zeitraum eines Entwicklungsabschnittes innerhalb einer Sinnesmodalität, stellt den fünften Faktor dar. Bei der Entwicklung der einzelnen Sinne gibt es sogenannte „sensible Phasen“ für eine bestimmte Wahr-nehmungsfähigkeit. Es ist wichtig, dass während dieser Phase dem Kind geeignete Reize im ent-sprechenden Bereich zur Verfügung stehen, damit die Gehirnstruktur sich angemessen aufbauen kann.7

Den letzten Faktor stellt die emotionale Grundstimmung des Kindes dar. Positive Gefühle wie Geborgenheit, Sicherheit, Vertrauen und Bindung sind entwicklungsfördernd, während sich negati-ve Gefühle entwicklungshemmend auswirken (Pfluger-Jakob, 2003, S. 8).

Ergänzend zu diesen sechs Faktoren erläutert Ayres (2013) in Bezug auf die Entwicklung der sen-sorischen Integration, dass Lernen nicht einfach passiert, sondern in der Auseinandersetzung mit der Umwelt zustande kommt. Diese Auseinandersetzung geschieht im kindlichen Spiel durch die Integration der Sinneserfahrungen und die darauf folgenden anpassenden Reaktionen (Ayres,

Ergänzend zu diesen sechs Faktoren erläutert Ayres (2013) in Bezug auf die Entwicklung der sen-sorischen Integration, dass Lernen nicht einfach passiert, sondern in der Auseinandersetzung mit der Umwelt zustande kommt. Diese Auseinandersetzung geschieht im kindlichen Spiel durch die Integration der Sinneserfahrungen und die darauf folgenden anpassenden Reaktionen (Ayres,