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Begünstigende Faktoren für eine gesunde Entwicklung

In den vorangehenden Teilkapiteln wurde die Entwicklung der einzelnen Sinnessysteme und der sensorischen Integration im Idealfall aufgezeigt. Damit dieser Prozess wie oben beschrieben ab-läuft, sind einige Faktoren als Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung zu beachten.

19 Maria Pfluger-Jakob führt sechs Faktoren auf, welche die Entwicklung der Wahrnehmung in Wechselwirkung untereinander beeinflussen (Pfluger-Jakob, 2003, S. 8):

Der erste Faktor, ist ein intaktes Zentralnervensystem. Dies bedeutet, dass alle Hirnregionen funktionstüchtig sind. Es ist zu beachten, dass dieser Faktor nicht beeinflussbar ist, da er orga-nisch bedingt ist. Auch der zweite Faktor, dass die genetisch vorgegebenen maximalen Entwick-lungsmöglichkeiten der Gehirnstruktur vorhanden sind, ist nicht veränderbar.

Im Gegensatz zu den bereits erwähnten Faktoren sind die folgenden Bedingungen durch die Um-welt veränderbar. So sind die Qualität und die Quantität der auf das Kind eintreffenden Reize wichtige Faktoren für eine gesunde Entwicklung. Eine ausreichende Anzahl von strukturierten Umweltreizen ist entscheidend für die Entwicklung der Wahrnehmung nach der Geburt. „Struktu-riert“ heisst in diesem Zusammenhang, dass die Reize in natürliche Lebenssituationen oder in den sozialen Kontakt eingebettet sein müssen. Hier vollzieht sich auch der bedeutsame Dialog zwi-schen der Bezugsperson und dem Kind.

Zudem muss dem Kind die Möglichkeit zur Eigenaktivität gegeben werden, was den vierten Fak-tor darstellt. Das Kind soll den eigenen Körper gezielt bewegen können, erkunden, mit Gegenstän-den manipulieren und letztendlich handeln.

Die Qualität und Quantität sinnesspezifischer Reize im genetisch festgelegten Zeitraum eines Entwicklungsabschnittes innerhalb einer Sinnesmodalität, stellt den fünften Faktor dar. Bei der Entwicklung der einzelnen Sinne gibt es sogenannte „sensible Phasen“ für eine bestimmte Wahr-nehmungsfähigkeit. Es ist wichtig, dass während dieser Phase dem Kind geeignete Reize im ent-sprechenden Bereich zur Verfügung stehen, damit die Gehirnstruktur sich angemessen aufbauen kann.7

Den letzten Faktor stellt die emotionale Grundstimmung des Kindes dar. Positive Gefühle wie Geborgenheit, Sicherheit, Vertrauen und Bindung sind entwicklungsfördernd, während sich negati-ve Gefühle entwicklungshemmend auswirken (Pfluger-Jakob, 2003, S. 8).

Ergänzend zu diesen sechs Faktoren erläutert Ayres (2013) in Bezug auf die Entwicklung der sen-sorischen Integration, dass Lernen nicht einfach passiert, sondern in der Auseinandersetzung mit der Umwelt zustande kommt. Diese Auseinandersetzung geschieht im kindlichen Spiel durch die Integration der Sinneserfahrungen und die darauf folgenden anpassenden Reaktionen (Ayres, 2013, S. 193, 201).

Zu guter Letzt noch ein Zitat von Zimmer (1995), welches zusätzlich die Bedeutung der Umge-bung unterstreicht: „Je anregender die UmgeUmge-bung für die Sinne des Kindes ist, umso stärker wird es zur Aktivität, zum Handeln herausgefordert. Seine Neugierde – der Motor der Entwicklung – wird geweckt.“ (Zimmer, 1995, S. 19)

7 Zur Theorie der sensiblen Phasen: „In der Entwicklungspsychologie werden sensible Perioden als jene Entwicklungsabschnitte definiert, in denen spezifische Erfahrungen maximale Wirkung haben […], wobei viele sensible Phasen durch Stadien der Hirnreifung bedingt sind. […] Die empirische Basis für die Annahme sensibler Perioden ist in vielen Bereichen noch unsicher. […] Allerdings weiss man inzwischen, dass in ver-schiedenen Arealen des Gehirns zu unterschiedlichen Zeiten ein Überschuss an synaptischen und dendriti-schen Verbindungen existiert, wobei eine Stimulierung durch die Umwelt mit darüber entscheidet, welche dieser Verbindungen erhalten bleiben und welche wieder abgebaut werden.“ (Stangl, W., o.J.)

20 3.4 Zusammenfassung: Konsequenz für die Wahrnehmung von Kindergartenkindern

Wie entwickelt sich die Wahrnehmung von der Geburt bis ins Kindergartenalter?

Zu Beginn dieses Kapitels wurde die Entwicklung der Sinne und der sensorischen Integration auf-gezeigt.

Bereits Neugeborene sind mit einer Vielzahl an Wahrnehmungsfähigkeiten ausgestattet. So sind der Tastsinn, der Vestibularapparat, Geruchs- und Geschmackssinn (Nahsinne) wichtig, um Wachstum, Nahrung und Schutz zu gewährleisten und deshalb schon ziemlich gut ausgereift.

Während sich die Tastfähigkeit ab dem zweiten Jahr allmählich vom Mund zu den Händen verla-gert, ist der Vestibularapparat erst im Alter von sieben Jahren dazu imstande, seinen vollen Beitrag zu Bewahrung des Gleichgewichtes zu leisten. Der Geschmacks- und Geruchssinn entwickeln sich im Gegensatz zu den angesprochenen Sinnen während der Kindheit nicht mehr viel weiter. Mit zunehmendem Alter wächst jedoch das Verständnis dafür, was man essen kann und was nicht.

Bei den körperfernen Sinnen reift der Sehsinn hauptsächlich nach der Geburt, wobei er bis zum zweiten, in geringerem Ausmass bis zum neunten Lebensjahr formbar bleibt. Der Hörsinn ist zwar frühreif, entwickelt sich jedoch sehr langsam, wobei er während der Vorschulzeit und der frühen Schuljahre ebenfalls noch formbar ist (Ayres, 2013; Eliot, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2005; Oerter & Montada, 2002).

Für die Entwicklung der sensorischen Integration lässt sich sagen, dass diese drei Grundprinzipien folgt: Organisation durch anpassende Reaktionen, innerer Antrieb und Entwicklung von Baustei-nen. Vor allem die Phase zwischen dem dritten und dem siebten Lebensjahr ist entscheidend für die sensorische Integration, da das Gehirn in dieser Zeit am aufnahmefähigsten für Sinneseindrü-cke ist und sie am besten verarbeiten kann (Ayres, 2013).

Welche Faktoren können eine gesunde Entwicklung der Wahrnehmung von der Geburt bis ins Kindergartenalter fördern?

Die Faktoren welche eine gesunde Wahrnehmungsentwicklung fördern, lassen sich unterteilen in solche, die unveränderlich sind und solche die veränderbar sind. Zu den unveränderlichen Fakto-ren zählen ein intaktes Nervensystem und das Vorhandensein der maximalen Entwicklungsmög-lichkeiten der Gehirnstruktur. Die Qualität und Quantität der Reize, die Möglichkeit zur Eigenaktivi-tät, die Reize in der Prägungsphase eines Sinnessystems und die emotionale Grundstimmung des Kindes sind im Allgemeinen veränderbar, entweder durch das Kind selbst oder durch Bezugsper-sonen. Das kindliche Spiel und die Neugierde sind weitere entscheidende Faktoren für Wahrneh-mungslernen (Ayres, 2013; Pfluger-Jakob, 2003; Zimmer, 1995).

Zusammengefasst lässt sich in Bezug auf die Wahrnehmung von Kindergartenkindern feststellen, dass sich verschiedenste Teilfähigkeiten im Alter von sechs Jahren immer noch weiter ausdiffe-renzieren und aus diesem Grund formbar sind. Einige Faktoren, welche die Wahrnehmungsent-wicklung fördern, könnten durch eine Bezugsperson (z.B. die Kindergartenlehrperson, Eltern, etc.) gezielt so verändert werden, damit dem Kind das Wahrnehmungslernen erleichtert wird. Daraus ergibt sich die Möglichkeit für die Kindergartenlehrperson die Wahrnehmungsförderung in ihre täg-liche Arbeit einzubinden.

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4 Wahrnehmungsschwierigkeiten

In den vorangehenden Kapiteln wurden die Sinne und ihre gesunde Entwicklung thematisiert. Nun wird der Fokus auf Beeinträchtigungen der Wahrnehmung gelegt. Bewusst wurde der Obertitel für dieses Kapitel „Wahrnehmungsschwierigkeiten“ genannt: Im ersten Teil wird der Begriff der Wahr-nehmungsstörungen näher erläutert. Die Schwierigkeiten der Betroffenen im Alltag, die sich aus einer Beeinträchtigung der Wahrnehmung ergeben, werden im zweiten Teilkapitel aufgezeigt.

4.1 Wahrnehmungsstörungen 4.1.1 Begriff

Die Wahrnehmungsfähigkeit eines Menschen ist nach Zimmer (1995) von der Intaktheit der Sin-nesorgane abhängig. Ist ein Sinnesorgan nicht funktionsfähig, äussert sich dies zum Beispiel im Falle des Auges als Blindheit. Die Reize, können vom entsprechenden Sinnesorgan nicht wahrge-nommen und an das Gehirn weitergeleitet werden. Wenn bei einem Kind Auffälligkeiten im Wahr-nehmungsbereich festgestellt werden, sollte immer zuerst medizinisch abgeklärt werden, ob eine Störung der Sinnesorgane, eine „Sinnesbehinderung“, zum Beispiel eine Seh- oder Hörstörung, vorliegt (Zimmer, 1995, S. 157-158).

Von der Störung einzelner Sinnesorgane (periphere Störungen) werden die zentralen Wahrneh-mungsstörungen abgegrenzt. Diese betreffen die Reizverarbeitung im Gehirn und können deswe-gen trotz voller Funktionsfähigkeit der Sinnesorgane auftreten. So führt Zimmer (1995) weiter aus:

„Die betroffenen Kinder können sehen, hören, tasten etc., sie sind jedoch nicht fähig, die aufge-nommenen Reize richtig zu verarbeiten. Die Informationen, die ihnen von den Sinnesorganen übermittelt werden, bleiben ungenau und diffus.“ (Zimmer ,1995, S. 157)

In der sensorischen Integrationstherapie nach Ayres wird von „sensorischen Verarbeitungsstörun-gen“ gesprochen. Dieser Begriff kann mit einer Funktionsstörung des Gehirns bei der Integration von Sinnesinformationen gleichgesetzt werden (Ayres, 2013, S. 64-65). Die Betroffenen sind also nicht fähig, die Informationen, welche von den Sinnen kommen, angemessen im Gehirn ordnen, zu verarbeiten (integrieren) und darauf zu reagieren.

4.1.2 Häufigkeit des Auftretens

Nach Maria Pfluger-Jakob (2003) treten bei jedem sechsten bis achten Kind Störungen in den Hirnfunktionen auf. Diese Hirnfunktionsstörungen können wie bereits erwähnt die Ursache für Ent-wicklungsauffälligkeiten, unter anderem in der Wahrnehmung, sein. Diese Auffälligkeiten reichen von leichten Beeinträchtigungen bis zu schwereren Störungen (Pfluger-Jakob, 2003, S. 9).

Fink et al. (2010) haben im Rahme einer Studie zur Erfassung von Wahrnehmungsstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern festgestellt:

„[…] Kinder mit einer leichten oder mittelgradigen Wahrnehmungsstörung – ähnlich wie bei ande-ren leichten Hirnfunktionsstörungen, wie ADS, Sprachentwicklungsstörung etc. - [machen] einen Anteil zwischen 10 und 25 Prozent in der Normalbevölkerung aus.“ (Fink, Hofer & Pastewka, 2010, S. 5)

Fink et al. gehen also davon aus das jedes vierte bis zehnte Kind von leichten bis mittelgradigen Wahrnehmungsstörungen betroffen ist, was sich mit den Daten von Pfluger-Jakob nicht wider-spricht, die Spannbreite der möglichen Betroffenen jedoch erhöht.

22 4.1.3 Ursachen

In den meisten Fällen ist kann die Ursache einer Wahrnehmungsstörung nicht eindeutig belegt werden. Sie kann nach Zimmer (1995) entweder organisch- oder umweltbedingt sein.

Zu den organischen Ursachen zählen Beeinträchtigungen vor, während oder nach der Geburt.

Ursachen, die vor der Geburt erfolgen (pränatale Ursachen), sind zum Beispiel Infektionen der Mutter während der Schwangerschaft oder die Einwirkung giftiger (toxischer) Stoffe. Während der Geburt (perinatale Ursachen) können Komplikationen einen Sauerstoffmangel des Kindes hervor-rufen, was sich wiederum auf das Gehirn auswirkt. Fieberhafte Entzündungen nach der Geburt (postnatale Ursachen), können ebenfalls negative Einflüsse auf die Gehirnentwicklung darstellen (Zimmer, 1995, S. 158).

Daneben kann eine Wahrnehmungsstörung, wie Zimmer (1995) erläutert, auch durch die Lebens-situation der Kinder verursacht werden, also umweltbedingt sein. Einerseits kann ein Mangel an Entwicklungsreizen, also eine Umgebung mit wenig Möglichkeiten zu sensorischen Erfahrungen (wenig Körperkontakte, Bewegungsmangel, Überbehütung) eine Ursache von Wahrnehmungsein-schränkungen sein. Andererseits können sich auch unausgewogene Reizeinflüsse, d.h. die Über-stimulierung bestimmter Sinnesbereiche und die Unterversorgung anderer, schädlich auswirken.

Beispiele hierfür sind die Überflutung mit optischen und akustischen Reizen, Mangel an körperna-hen Erfahrungen und „einseitige“ Sinneseindrücke (Zimmer, 1995, S. 158-159). Oder wie Ayres weiterführt, der Mangel an „ganzheitlichen Sinneseindrücken“ (Ayres, 2013, S. 70).

Durch eine Beeinträchtigung der Wahrnehmung können sekundäre Probleme auftreten, die sich im Verhalten der Kinder im Alltag und somit auch im Kindergarten äussern. Dies ist das Thema des folgenden Unterkapitels.

4.2 Probleme im Kindergartenalltag

Probleme in der Wahrnehmung oder der sensorischen Integration äussern sich bei jedem Kind anders, wie Ayres (2013) erklärt. Umso schwieriger ist es, diese frühzeitig zu erkennen, um darauf reagieren zu können. Nach Ayres lassen sich trotzdem einige Symptome des Verhaltens beschrei-ben, die bei Kindern mit Wahrnehmungsstörungen auftreten.

Zum einen ist dies die motorische Unruhe oder Hyperaktivität. Das Kind ist praktisch immer in Bewegung, wobei die Aktivitäten oft ziellos sind. Da das Kind unwesentliche Reize nicht ausfiltern kann, ist es leicht ablenkbar und kann nicht bis an seine Leistungsgrenze arbeiten. Gerade im Kin-dergarten, wo ein gewisses Mass an Fokussierung verlangt wird (z.B. in den geführten Sequen-zen), fällt ein solches Verhalten relativ stark auf.

Im Kindergarten kommt das Kind unter Umständen zum ersten Mal in Kontakt mit vielen gleichalt-rigen Kindern. In diesem Kontext kann das betroffene Kind zu spüren bekommen, dass es in ge-wissen Bereichen seinen Altersgenossen unterlegen ist. Daraus kann sich ein geringes Selbst-bewusstsein entwickeln. Dies zeigt sich dadurch, dass das Kind nicht verlieren kann, übermässig empfindlich ist und es Mühe hat mit ungewohnten Situationen. Hinzu kommt, dass es von anderen Kindern häufig abgelehnt wird, weil es eben diese negativen Verhaltensweisen zeigt.

Das Sprechen und die Sprachentwicklung setzen viele sensorisch-integrative Prozesse voraus.

Kinder mit Schwächen in der sensorischen Integration haben deshalb oftmals auch Mühe mit der Sprache. Da die Sprache ein Bildungsbereich des Kindergartens darstellt, und die Lehrperson die einzelnen Kinder in diesem Kontext auch einschätzt, können Schwierigkeiten einzelner Kinder rela-tiv früh auffallen und Anlass zur genaueren Abklärung sein.

23 Durch freie Beobachtungen während des Kindergartenalltags kann der Lehrperson auffallen, dass ein Kind schlaff und schwach wirkt. Die Körperhaltung eines Kindes lässt vorsichtige Rückschlüsse auf Schwächen in der taktil-kinästhetischen und vestibulären Wahrnehmung zu. Ein niedriger Muskeltonus (Muskelspannung) zeigt sich in einer schlaffen Haltung, was auf Probleme in diesem Bereich hindeutet. Auch zeigt das Kind Schwächen bei der Koordination von Bewegungen. Es stolpert oft, Dinge fallen ihm aus den Händen, es wirkt allgemein ungeschickt.

Gerade auch während Sequenzen des Freien Spiels, bei welchem die Kinder ihre Tätigkeit selbst wählen, lassen sich Verhaltensweisen des Kindes im Spiel beobachten. Ein nicht altersgemässes, unreifes Spielverhalten ist ein frühes Zeichen dafür, dass das Kind Mühe bei der sensorischen Integration hat (Ayres, 2013, S. 71-73).

All diese Verhaltensprobleme sind, wie Zimmer (1995) erläutert, nicht die Ursache, sondern Folge einer Wahrnehmungsstörung und werden deshalb als „sekundäre Störungen“ bezeichnet. Das betroffene Kind zieht sich sozial zurück und spielt nur mit Jüngeren oder Erwachsenen, um nicht zurückgewiesen zu werden. Auch Aggression ist eine mögliche Verhaltensweise, um Unsicherheit zu verdecken. Diese sozial-emotionalen Folgen belasten das Kind meist mehr, als die eigentliche Ursache. Umso wichtiger ist es, dass dieser Faktor bei Fördermassnahmen berücksichtig wird (Zimmer, 1995, S. 164-165).

Damit überhaupt eine Förderung eingeleitet werden kann, muss die Kindergartenlehrperson den Entwicklungsstand aller Kinder zuerst einschätzen. Im nächsten Kapitel wird deshalb auf dieses Thema näher eingegangen.

4.3 Einschätzung des Entwicklungsstandes durch die Kindergartenlehrperson Grundlage aller Förderung soll die Einschätzung des Entwicklungsstandes durch die lehrperson oder eine Fachperson sein. Doch welche Aufgaben kommen dabei der Kindergarten-lehrperson zu und wann ist der Einbezug einer Fachstelle oder Fachperson erforderlich? Welche Instrumente stehen der Lehrperson zur Einschätzung des Entwicklungsstandes zur Verfügung?

4.3.1 Aufgaben der Kindergartenlehrperson

Der Kindergärtnerin bzw. dem Kindergärtner kommt als Fachperson eine wichtige Rolle in Bezug auf die Früherkennung von Entwicklungsverzögerungen zu, wie im Lehrplan des Kantons St. Gal-len festgehalten ist (Bildungsdepartement des Kantons St. GalGal-len, 2012). So solGal-len unter anderem auch Verzögerungen im Bereich der Wahrnehmung festgestellt werden. Im Rahmen ihrer Möglich-keiten, reagiert die Kindergartenlehrperson mit fördernden Massnahmen und erzieherischen Hilfen.

Ein weiterer Schritt stellt das Einbeziehen von Fachstellen dar, um weiterführende Abklärungen und Massnahmen zu ermöglichen (Bildungsdepartement Kanton SG, 2012, S. 7).

Damit die Kindergartenlehrperson frühzeitig Entwicklungsverzögerungen feststellen kann, bedarf es einem oder mehrerer geeigneter Diagnoseinstrumente. Auf diese wird im folgenden Teilkapitel näher eingegangen.

Wenn die Kindergartenlehrperson aufgrund ihrer Beobachtungen zu der Einschätzung gelangt, dass ein Kind Auffälligkeiten im Bereich der Wahrnehmung zeigt, sollte zuerst ein Gespräch mit den Förderlehrpersonen (z.B. Heilpädagoge/Heilpädagogin) erfolgen. Dies bildet, neben den Be-obachtungen und den Spiel- und Arbeitsergebnissen, die Grundlage für ein Elterngespräch, wie im Leitfaden für das Beurteilungsgespräch festgehalten ist (Bildungsdepartement Kanton SG, 2009).

So sollen die Eltern möglichst früh miteinbezogen werden, damit die Sichtweisen aller Beteiligten miteinander verglichen werden können. Verhärtet sich der Verdacht, dass das Kind Mühe mit der Wahrnehmung hat, empfiehlt sich eine Abklärung durch eine Fachstelle. Im Kanton St. Gallen stellt

24 der schulpsychologische Dienst (SPD) eine solche Fachstelle dar, welche mit dem Einverständnis der Eltern beigezogen werden kann (Schulpsychologischer Dienst des Kantons St. Gallen, o.J.).

Wichtig hierbei zu beachten ist es nach Pfluger-Jakob (2003), dass nicht zulange abgewartet wird, in der Annahme, dass sich gewisse Auffälligkeiten „auswachsen“. Oft erachten Erwachsene eine diagnostische Abklärung erst für notwendig, wenn das Kind im Grundschulalter ist, und sich bereits zusätzliche Lern- und Leistungsstörungen zeigen. Dabei wären Entwicklungsauffälligkeiten, die Folge einer Hirnfunktionsstörung sind, spätestens im Kindergartenalter erkennbar. Nach Pfluger-Jakob, zeigen sie sich: „… im Spielverhalten, in Bewegungsabläufen, in der Sprache, im Kontakt-verhalten, in der anhaltenden emotionalen Befindlichkeit, in den gestalterischen Werken und vie-lem anderen mehr.“ (Pfluger-Jakob, 2003, S. 9)

Viele betroffene Kinder brauchen neben dem Verständnis der Bezugspersonen individuelle Hilfe-stellungen. Das können gezielte therapeutische Massnahmen sein (heilpädagogische Behandlung, Ergotherapie, Psychomotorik, Logopädie, etc.), oder in leichteren Fällen auch andere Hilfen, wie gezielte sportliche Angebote, Rhythmik oder andere Freizeitaktivitäten (Pfluger-Jakob, 2003, S.9).

Wie in diesem Unterkapitel erwähnt, ist es bereits im Kindergarten möglich, Entwicklungsauffällig-keiten zu erkennen. Nachfolgend werden deshalb verschiedene MöglichEntwicklungsauffällig-keiten vorgestellt, wie die Kindergartenlehrperson den Entwicklungsstand der Kinder mit Hilfe von Diagnoseinstrumenten einschätzen kann.

4.3.2 Diagnoseinstrumente

Um den Entwicklungsstand im Bereich der Wahrnehmung einzuschätzen, stehen der Kindergar-tenlehrperson verschiedene Beobachtungshilfen zur Verfügung. Die aufgeführten Diagnoseinstru-mente sind alle Teil der systematischen Beobachtung nach Kilchenmann et al. (2002), bei der die Kindergartenlehrperson das Kind in Bezug auf ausgewählte Kriterien beurteilt. Daneben ergänzen unsystematische Beobachtungen das Gesamtbild. Diese werden aus alltäglichen Situationen ent-nommen, in welchen die Kindergartenlehrperson zufällige Beobachtungen zu einzelnen Kindern erfasst (Kilchenmann, Walter & Fasseing, 2002, S. 266). Auf die unsystematische Beobachtung wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.

Beobachtungsbogen (Bildungsdepartement Kanton SG)

Das Bildungsdepartement St. Gallen stellt für den Kindergarten einen Beobachtungsbogen zur Ermittlung des Entwicklungsstandes zur Verfügung. Im Teil A (Basisfunktionen), wird neben der Motorik, der Sprache und der Kognition auch die Wahrnehmung beurteilt. Die 11 Beobachtungsi-tems beinhalten die visuelle Wahrnehmung, die auditive, die taktil-kinästhetische und die Gleich-gewichtswahrnehmung. Der Beobachtungsbogen, soll der Kindergartenlehrperson dazu dienen, den Entwicklungsstand zu ermitteln und daraus geeignete Fördermassnahmen abzuleiten und die Übertrittsfähigkeit in die Unterstufe zu ermitteln. Dazu sind bei jedem Item vier Stufen aufgeführt, die in der Regel vom Nicht-Erreichen bis zum guten, problemlosen Erreichen der entsprechenden Kompetenz reichen. Für den Übertritt in die Unterstufe gilt die Faustregel, dass sich die Mehrheit der Kreuze auf der linken Seite (gutes bis genügendes Erreichen der Fähigkeit) befinden soll (Bil-dungsdepartement Kanton SG, 2009). Aus der Förderperspektive betrachtet lässt sich daraus schliessen, dass es angebracht ist, Kinder, deren Kreuze vor allem auf der rechten Seite (ungenü-gende Erreichung der Fähigkeit) befinden, in diesem Bereich speziell zu fördern.

Von den Verfassern wird empfohlen, die Einschätzungen auf dem Beobachtungsbogen mit Notizen aus verschiedenen Beobachtungssituationen zu ergänzen und mit weiteren Beilagen (Zeichnun-gen, Arbeitsprodukte, usw.) anzureichern (Bildungsdepartement Kanton SG, 2009). Als Idee sei hier angefügt, dass die Arbeit mit dem Beobachtungsbogen auch in Kombination mit dem

Diagno-25 setool Kidit erfolgen kann, welches die Integration von persönlichen Notizen zulässt (Institut für Elementar- und Schulpädagogik IESP, o.J.).

Diagnosetool Kidit

Das Kinder Diagnose Tool Kidit ist das empfohlene Beobachtungsinstrument des Kantons Zürich und wird wissenschaftlich begleitet, ausgewertet und weiterentwickelt. Ähnlich wie der vorgestellte Beobachtungsbogen des Kantons St. Gallen, werden verschiedene Items eingeschätzt. Das Aus-füllen am Computer ermöglicht es, Beobachtungen zu erfassen, zu ordnen und auszuwerten.

Die Wahrnehmung wird bei diesem Verfahren nicht isoliert, sondern in Bezug zur Musik und dem Gestalten bewertet. Die angesprochenen Wahrnehmungsbereiche sind der auditive, der visuelle und der taktile Sinn. Diese werden in vier Items bewertet. Beim Bereich Grobmotorik werden Items aufgeführt, welche mit der kinästhetischen und der vestibulären Wahrnehmung in Verbindung ste-hen (IESP, o.J.).

Der Nachteil hierbei ist es, dass die einzelnen Wahrnehmungsbereiche nicht spezifisch bewertbar sind. Der Bereich über die Wahrnehmung ist sehr knapp gehalten und deckt für diese Arbeit nicht alle Wahrnehmungsbereiche genügend ausführlich ab. Positiv ist jedoch, dass die einzelnen Items mit Bemerkungen ergänzt werden können. Auch erlaubt die automatische Auswertung eine über-sichtliche Zusammenfassung über den Entwicklungsstand des Kindes. Es empfiehlt sich für den Bereich der Wahrnehmung den Beobachtungsbogen des Kantons St. Gallen oder ein anderes spezifisches Diagnoseinstrument zusammen mit Kidit zu verwenden.

Gezielte Beobachtung durch diagnostische Verfahren

Eine weitere Methode stellt die strukturierte Beobachtung in vorgegebenen Situationen dar. Dabei

Eine weitere Methode stellt die strukturierte Beobachtung in vorgegebenen Situationen dar. Dabei