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Entwicklung des Äthers hin zu den Ätherbeweisen und Zusammenfassung der

1. Die Vorreden: Kants Forderung nach systematischer Einheit

2.3. Zusammenfassung der Ergebnisse der „Losen Blätter“ und des „Oktaventwurfs“

3.1.4. Ausblick: Kluft oder Lücke? Interpretationen zum Problem des Spätwerks

3.2.4.2. Entwicklung des Äthers hin zu den Ätherbeweisen und Zusammenfassung der

Nach diesen Veränderungen bei der Konzeption des Körpers widmet sich Kant erneut einer Beschreibung der Funktion des Äthers. Damit taucht auch die Frage wieder auf, ob der Äther ein hypothetischer Stoff sei. Wie bereits beschrieben, bejaht Kant diese Frage in den ersten Abschnitten des „Elementarsystems“. Denn es sei völlig hinreichend von einer Hypothese auszugehen. Damit wäre genügend Abgrenzung von einem Äther als tatsächlich realer Materie getroffen.440

Nun jedoch wird die Frage verneint. Der Äther soll keine „hypothetische Materie“ sein, sondern

439 Förster, Eckart: Kant‘s philosophische Konstruktion. In: Kant und die Berliner Aufklärung: Akten des IX.

Internationalen Kant-Kongresses. hrsg. von Volker Gerhardt, Rolf-Peter Horstmann, Ralf Schumacher. Berlin: De Gruyter 2001. S. 183. (Herv. im Original).

440 Vgl. hierzu das bereits Ausgeführte im Unterkapitel „Hypothese“ in diesem Kapitel.

136 als Prinzip fungieren. Die Entwicklung dieses Schrittes möchte ich mit dieser ausführlich wiedergegebenen Textstelle belegen:

„Dieser Aether darf darum nicht als ein hypothetischer Stoff von irgend einer Art bewegender Kräfte (z.B. als Wärme// oder Lichtsmaterie) in die Physik willkührlich eingeschoben werden [(]

wohin er wirklich nicht gehört [)] [,] indem er blos zum Ü b e r g a n g e von den metaphys. A. Gr. d.

N W. zur Physik gehört sondern ist von allen positiven Eigenschaften entkleidet[.] die Agitation einer imponderabellen incoërcibelen incohäsibelen und inexhaustibelen in continuirlichem Wechsel der Anziehung und Abstoßung an ebendemselben Ort begriffenen Materie[,] welche als Princip der Möglichkeit der Erfahrung des Raums und der Zeit in dem absoluten Ganzen der bewegenden Kräfte der Materie in ihrer Bewegung so wie sie[,] nachdem sie angefangen hat[,]

sich forthin unvermindert erhält, postuliert wird.“441

Der Äther ist demnach „Princip der Möglichkeit der Erfahrung des Raumes und der Zeit“442. Hier ist Prinzip am besten in seiner allgemeineren Bedeutung zu verstehen, nämlich im Sinne eines Grundsatzes. Dieses Verständnis ist dann richtig, wenn es um die Begründung eines Systems geht:

„[...] denn ein System des Wissens muss sich auf Prinzipien gründen, damit seine Vollständigkeit und Systematizität gewährleistet ist.“443

Dass der Äther keine Hypothese mehr sein soll, sondern hingegen als „Prinzip“ deklariert wird, lässt ihn zum konstituierenden Grundsatz werden. Die Frage „Wofür konstituierend?“ konnte im Ansatz bereits beantwortet werden, nämlich „für die Physik“. M.a.W.: Er gehört der Übergangswissenschaft an und wird für die Erkenntnis der physikalischen Außenwelt eingefordert.

Im Zitat wird zudem noch einmal deutlich, dass der Äther selbst „von allen positiven Eigenschaften entkleidet“444 ist. Diese Entwicklung der Eigenschaften hatte ich bereits nachgezeichnet: Während die bewegenden Kräfte mit den vier positiven Eigenschaften gekennzeichnet werden, ist der Äther als ihnen zugrundeliegendes Konstrukt durch deren Negation gekennzeichnet. Im folgenden Kapitel zu den „Ätherbeweisen“ liegt der Fokus dann auf etwas gänzlich Neuem.

An dieser Stelle möchte ich mittels einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse aus den Unterkapiteln meine Interpretation der Passagen noch einmal in Gänze darlegen.

Mit der Lektüre der Textabschnitte zum „Elementarsystem“ aus dem Opus postumum wurde

441 OP, AA 22:606.

442 OP, AA 22:606.

443 Messina: Prinzip. S. 1844.

444 OP, AA 22:606.

137 deutlich, dass sich Kant dort mehr und mehr dem Thema des Objektbezugs widmet. Zu beobachten war in diesem Zusammenhang eine schrittweise Lösung von der Auffassung des Äthers als physikalischer Materie. Richtungsweisend war dabei folgende Beobachtung: Zu Beginn der Abschnitte unternahm Kant einen erneuten Versuch Materie mittels der Kategorien genauer zu bestimmen. Dann bricht eben dieser Versuch mit der Anmerkung ab, dass man sich bereits zu weit in den physikalischen Bereich vorgewagt habe. Im Folgenden wendet Kant sich vom Problem der Objektkonstruktion ab, um sich dem zweiten (bisher nur andeutungsweise vorhandenen) Problem des Objektbezugs zu widmen. So muss man davon ausgehen, dass, um einer gesamten Lösung näher zu kommen, beide Probleme gelöst sein müssen. Des Weiteren lässt sich für das gesamte Kapitel zum „Elementarsystem“ feststellen, dass Kant sich seinen Methoden aus der KrV zuwendet, um mit ihrer Hilfe Lösungen für die neuen Probleme zu finden.

In dem Unterkapitel zum „Schematismus“ konnte ich das Problem des Objektbezug als eines der Vermittlung zwischen Sinnlichkeit und Verstand aufzeigen. Nachdem Kants Verständnis des Schematismus aus der KrV dargestellt wurde, blieb die Frage: Warum nun gibt es dort noch eine „Lücke“? Hier vertrete ich die These, dass der Schematismus der KrV nicht ausreichend ist, um einen Gegenstandsbezug zu garantieren, denn der dort vorgeschlagene Zeitschematismus muss durch einen Raumschematismus ergänzt werden.445 Im Unterkapitel „Körper und Organismus“ wird später zu diesem Zweck der Körper als Schema vorgeschlagen.

Eine Abkehr vom bisherigen Ätherbegriff findet man im Unterkapitel „hypothetischer Stoff“. Kant meint hier, dass der Äther als hypothetischer Stoff genüge. Wie man sehen wird, ändert sich diese Einschätzung im folgenden Kapitel.

Im Kapitel zum „leeren Raum“ sah man, dass der Äther als hypothetische Materie ausreicht, um eine Raumerfüllung zu gewährleisten. Die Substanz, mit der der Raum erfüllt wird, beschreibt Kant als „Weltmaterie“ und „Kontinuum“. Nur wenn es diesen Inhalt des Raumes gibt, ist er auch erfahrbar. Im Unterschied zur KrV konnte man hier sehen, dass das Raumverständnis von Kant im Spätwerk ganz durch die Wirkung der Kräfte geprägt ist: Die Kräfte erfüllen erst den Raum.

445 Mathieu formuliert dies drastisch: „Der Äther, der als physikalische Hypothese bloßer Unsinn war, hat im OP als 'realisierter Raum' eine grundlegende Bedeutung, weil er die Materie eines 'cogitabile' liefert, ohne die unser Verstand das Objekt überhaupt nicht konstruieren könnte.“ (Vgl. Mathieu: Kants Opus postumum. S. 140.) Dass der Äther als Hypothese „bloßer Unsinn“ sei, ist meiner Meinung nach nicht richtig. Wie ich versucht habe zu zeigen, ist diese Bezeichnung im Zusammenhang (v.a. der „Losen Blätter“ und des „Oktaventwurfs“ und in den Anfängen des Elementarsystems) sogar nötig. Mathieus Lesart des Äthers als „realisierter Raum“ kann ich mich für die Abschnitte ab dem „Elementarsystem“ hingegen anschließen.

138 Im Unterkapitel „forma dat esse rei“ konnte ich dann weitere Vorbereitungen Kants zum Körper als Schema feststellen. Eine Ausgestaltung lässt aber hier noch auf sich warten.

Im Unterkapitel zu den „Grundsätzen des reinen Verstandes“ habe ich auf die Deutung der ersten Analogie aus der KrV aufmerksam gemacht, die von einem Vorhandensein von zwei Substanzbegriffen ausgeht. Liest man den Äther analog dazu und nimmt für ihn dementsprechend ebenfalls eine Bedeutung im Singular und eine im Plural an (analog zu Substanz und Substanzen), dann kann mit den Ätherbegriffen tatsächlich auf beide Probleme, die Objektkonstruktion (mittels Substanzen) und den Objektbezug (mittels Substanz) reagiert werden. In beiden Fällen spricht Kant jedoch vom „Äther“. Bei ihm gibt es keine erkennbare Unterscheidung mittels Singular- und Pluralform.

Sodann wurde im Unterkapitel „ein regulatives und zugleich konstitutives Prinzip“

deutlich, dass ein Rückgriff auf bekannte Prinzipien für Kants Ziel hierbei nicht genügen wird.

Hingegen wird der Äther das Prinzip sein, das regulativ und konstitutiv zugleich sein kann. Die Ausgestaltung dessen finden wir in den noch folgenden Abschnitten zu den „Ätherbeweisen“.

Durch die Inhalte des Unterkapitels zum „Körper“ kann die Forderung nach einem Raumschematismus446 schließlich am besten eingeholt werden. Denn der Körper ist in der Kräftetheorie verwurzelt und der Raum gefüllt und dadurch wahrnehmbar. Der Äther wiederum ist dafür grundlegend, weil er für die Raumerfüllung verantwortlich ist. Es besteht jedoch nach wie vor die Schwierigkeit, dass man von Körpern zuerst Erfahrung benötigt. Kant bietet nun hierfür eine Lösung an, indem er den Körper als Zwischenbegriff definiert. In diesem Kapitel ist zentral, dass der Äther das Schema wird. Dabei schematisiert das Bewusstsein über den eigenen Körper den Verstand. So ist auch eine räumliche Schematisierung vorzufinden (zur Erinnerung: in der KrV war der Schematismus ein Zeitschematismus).

Abschließend, im Kapitel „der Äther hin zu den Ätherbeweisen“ wird deutlich: Der Äther ist kein hypothetischer Stoff, weil er Prinzip ist. Genauer: er ist das Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung des Raumes und der Zeit. Erst dadurch kann die Lücke zwischen Sinnlichkeit und Verstand geschlossen werden.

446 Eckart Förster sieht in den MAN den Versuch Kants den in der KrV fehlenden Raumschematismus nachzuholen, denn es gehe Kant dort um „Fälle in concreto“. Jedoch mündet dieser Gedanke, wie er meint und wir hier im Nachvollzug der Textpassagen gesehen haben, in einem Zirkelproblem. Auch mit Hilfe der Kohäsion kann ein Objekt nicht konstruiert werden. Im Opus postumum hingegen kann ein Raumschematismus gelingen, weil ich als Person tätig werden muss. (Vgl. Förster: Kant‘s philosophische Konstruktion. S. 183.).

139 Mit diesem Kapitel sind die kantischen Bearbeitungen zum Problem der Objektkonstruktion abgeschlossen. Das Problem des Objektbezugs hingegen wird den Leser auch in den folgenden Abschnitten zum „Ätherbeweis“ noch begleiten. Dort erfährt es schließlich seine Lösung.

Die Beschaffenheit beider Probleme sowie ihre Lösungsansätze seien an dieser Stelle noch einmal knapp genannt:

Das Problem der Objektkonstruktion wurde bereits zu Beginn des Opus postumum diagnostiziert.

Es ergab sich über den „Umweg“ des Beck´schen Zirkels. Dieser stellte einen Zirkel in Kants Kräftetheorie aus den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft fest. Da Kant diesem Problem beipflichtete, gibt es in den Anfängen des Opus postumum viele Schilderungen der Kräfte Attraktion und Repulsion. Schließlich stellt für Kant die Lösung des Zirkels wohl die Kraft der Kohäsion dar. Doch im Zuge dieser Arbeiten offenbarte sich ein weiteres Problem für Kant, das ich als „Objektkonstruktion“ deklariert habe. Ein Raum kann nämlich nicht allein durch Kräfte, sondern muss immer auch mit Materie, an der die Kräfte agieren können, erfüllt sein. Diese Funktion nimmt der Äther als Wärmematerie oder Zwischenmaterie wahr.

Das Problem des Objektbezugs hingegen konnte erst innerhalb dieses Kapitels offengelegt werden. Im Unterkapitel zum Schematismus konnte herausgearbeitet werden, dass es sich um ein Vermittlungsproblem zwischen Sinnlichkeit und Verstand handelt. Der Lösungsvorschlag sieht vor, dass der Körper das transzendentale Schema ist, um zwischen beiden Vermögen zu vermitteln. Der Äther hingegen nimmt eine implizite Rolle wahr, denn er ist für das Entstehen der Körper maßgeblich verantwortlich. Was dieser Lösungsvorschlag bedeutet, wird man jedoch erst im folgenden Kapitel sehen.

Dort widmet sich Kant dem Beweis des Äthers. Durch meine Vorarbeiten in den anderen Kapiteln ist die Relevanz dessen bereits deutlich geworden: um beide Funktionen erfüllen zu können, muss die Existenz eines solchen Äthers bewiesen sein. (Für die detaillierten Inhalte des Kapitels ist dabei zu erwarten, dass die erarbeiteten Ergebnisse, inkl. der Funktionen selbst, noch Ergänzungen erfahren.)

140

4. „Ätherbeweis“: Die Eigentümlichkeiten des Beweises und die Forderung nach zwei Funktionen des Äthers

Wie gewohnt, beginne ich zuallererst mit einer genauen Betrachtung der Textabschnitte, die dem

„Ätherbeweis“ zugeordnet werden. Sodann widme ich mich explizit dem Beweis. Dafür ziehe ich zwei populäre Rekonstruktionen desselben zu Rate (einmal von Bryan Hall und einmal von Eckart Förster), um abschließend zu einem Urteil über die Aussagekraft des Beweises zu kommen. Diese Vorgehensweise bietet sich an, weil im Text des Opus postumum die Beweisstruktur (erwartbarer Weise) schwieriger zu erkennen ist als in den zu Kants Lebzeiten veröffentlichten Werken. Wie durch meine Analyse zu sehen sein wird, sind die vorhandenen Elemente des Beweises im Primärtext allein nicht ausreichend, sondern bedürfen einiger externer Ergänzungen.