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Die Bestimmung des Äthers mittels Kategorien: Erneute Versuche der

1. Die Vorreden: Kants Forderung nach systematischer Einheit

2.3. Zusammenfassung der Ergebnisse der „Losen Blätter“ und des „Oktaventwurfs“

3.1.2. Die Bestimmung des Äthers mittels Kategorien: Erneute Versuche der

Die genauere Bestimmung des Äthers mittels der Kategorien erfolgt in diesen Abschnitten zum ersten Mal ausführlich (im „Oktaventwurf“ gab es lediglich erste Ansätze). Dennoch sind Ausführungen von vielen Brüchen gekennzeichnet und insgesamt unvollständig. Es handelt sich um erste Formulierungsversuche.

Interpretatorisch sind diese Ausführungen vor dem Hintergrund der Objektkonstruktion zu lesen.

Kant reagiert mit diesen Abschnitten, so meine Lesart, auf das (bereits herausgestellte) Desiderat seiner Kräftetheorie nach den MAN.

Auch hier lassen sich erneut Beschreibungen des Äthers finden: einerseits wird er als Wärmestoff und andererseits als „erste Materie“ beschrieben. Als Wärmestoff ist er Raumerfüllendes: „Ob von der Wärmematerie obzwar etwas bewegliches im Raum gesagt werden könne sie e r f ü l l e den Raum, da sie doch jede [Materie; AP][,] die ihn einnimmt[,] durchdringt mithin allgegenwartig ist.“282 Als erste Materie ist der Äther „ursprünglich bewegend“:

„Die erste Materie ist diejenige[,] welche ursprünglich bewegend (motrix) aber selbst nicht beweglich (mobilis) ist[,] weil sie das All des Beweglichen enthält. Sie ist wechselseitig anziehend

280 In meiner Arbeit selbst ist der Begriff nicht neu. Er ist bereits seit den Ausführungen zu den Vorreden präsent.

Jedoch möchte ich hier explizit auf die Erstnennung im Original aufmerksam machen.

281 OP, AA 21:482 (Anm.: Dem Leser dieser Arbeit ist die Formulierung, dass ein „Sprung“ vermieden werden soll, ebenfalls aus den Ausarbeitungen zu den Vorreden des Opus postumum bekannt.

282 OP, AA 21:312.

96 und abstoßend und keine Flüßigkeit (fluidum) aber was alles flüßig macht.“283

Diese Ausführungen zu den Eigenschaften des Äthers fallen noch aus denen der Bestimmung durch die Kategorien heraus, weshalb ich sie hier auch gesondert aufführe.

In diesen auf die Kategorien bezogenen Textabschnitten stechen nun mengenmäßig vor allem die Ausführungen zur „Quantität“ und zur „Qualität“ hervor. Während zur „Relation“ lediglich einige spärliche Anmerkungen zu finden sind, wird die Kategorie der „Modalität“ gänzlich außer Acht gelassen. In den Abschnitten des „Oktaventwurfs“ zu dem Thema der Bestimmung der Materie durch die Kategorien waren die Passagen kürzer, jedoch gab es dort eine kurze Ausführung zur Modalität. Die Auslassung an dieser Stelle ist wohl am wahrscheinlichsten damit zu begründen, dass Kant erst einmal keine Notwendigkeit sah, sie zu ergänzen. Im „Elementarsystem“ selbst sind wieder Ausführungen zu allen Kategorien vorhanden.

Aus den Erörterungen zur Qualität im „Oktaventwurf“ ist bereits bekannt, dass der Äther in seinen Eigenschaften weder flüssig noch fest ist. Nun setzt ihn Kant als das Raumerfüllende284 fest. Der Äther ist damit auch das Material zur Körperbildung.285 Es wird erstmals geschildert, auf welche Weise Körper entstehen, nämlich durch das Hinzukommen oder Entweichen von Wärme:

„Das Princip aller Flüßigkeit setzt man allgemein in der Wärme als deren Entweichung das Starrwerden zur unvermeidlichen Folge haben müsse […].“286 Mit Wärme ist folglich der Wärmestoff, also der Äther gemeint.

Auch in den Ausführungen zur Quantität wird dieselbe Bestimmung des Äthers als Raumerfüllendes287 genutzt. Das ist bemerkenswert und leitet mich zur These hin, dort eine gut erkennbare Entwicklungslinie von Kants Gedanken zu sehen: Im „Oktaventwurf“ wurde der Äther als „Kontinuum“ bezeichnet. Dass er nun als „Raumerfüllendes“ beschrieben wird, bewirkt die Entwicklung des Äthers hin zu etwas, an dem die Kräfte agieren und dadurch Körper entstehen können. Auch durch diese Bestimmung wird das Thema der Körperbildung vorbereitet.288 Weiter kommt das Moment einer Masse hinzu. Kant führt aus, dass diese für ein Experiment289 gegeben

283 OP, AA 21:312.

284 Vgl. OP, AA 22:211.

285 Vgl. OP, AA 22:213.

286 OP, AA 22:213.

287 Vgl. z.B. OP, AA 22:205.

288 Gleiches gilt für die oben angeführte Realrepugnanz.

289 Vgl. OP, AA 22:208.

97 sein muss, um wägbar zu sein. Dafür ist das Instrument der Waage290 nötig.

Der Äther wird in seinen Eigenschaften kontextualisiert und als der Übergangswissenschaft zugehörig beschrieben. Für diese Kontextualisierung treten vor allem Aspekte wie das Instrument der Waage und die Tätigkeit des Wiegens in den Vordergrund. Auch die Notwendigkeit eines Körpers für die Möglichkeit zu wiegen ist aus dem „Oktaventwurf“

bekannt und wird hier vorausgesetzt. Experimentieren ist ein zentraler Bestandteil und macht den Übergang als Wissenschaft aus.

Der Äther selbst, gleichsam einer Ursuppe, wird nun (und das ist eine Neuerung) durch die Negation dieser Eigenschaft gekennzeichnet. Er ist quantitativ „unwägbar“.291 Dieses Charakteristikum möchte ich besonders hervorheben. Denn in den vorherigen Abschnitten zu den

„Losen Blättern“ und zum „Oktaventwurf“ wurde die Materie noch durch ihre positiven Eigenschaften gekennzeichnet. Schleichend findet nun eine Entwicklung im Text statt – und zwar von der Betrachtung der Materie und ihren bewegenden Kräften (einem eher allgemeinen Begriff, der physikalisch gefasst ist), hin zu der expliziten Nennung und Beschreibung des Äthers. So wird deutlich, dass der Äther in seinen Eigenschaften, weil er als Grundlegendes und erste Materie bestimmt wird, nur in Abgrenzung zu den herausgearbeiteten Bestimmungen der einzelnen Materie292 bestimmt werden kann. Dementsprechend wird er als deren Negation aufgefasst. Zu diesem Zeitpunkt gilt dies für die Kategorie der Qualität. Im weiteren Verlauf des Textes wird man sehen, dass es sich um eine allgemeine Entwicklung handelt und Kant den Äther auch mittels der übrigen Kategorien durch die Negation der jeweiligen Eigenschaft bestimmt.

Im Zuge der Überlegungen zur Kategorie „Relation“ beschreibt Kant, dass die Bewegung des Wärmestoffs ihm seinen Namen gebe, da sie eben Wärme erzeuge. Die Wärme wiederum sei dasjenige, was den Zusammenhang der Teile im Körper lockere. Damit erst ist Veränderung möglich.293 Chronologisch folgt an dieser Stelle der Abschnitt, der bereits als Vorrede behandelt wurde (21:524-527)294. Daraus möchte ich lediglich noch einmal einen wichtigen Aspekt hervorheben, nämlich, dass der Äther dort als „qualitas occulta“ beschrieben wird: „Das

290 Vgl. OP, AA 22:209.

291 Vgl. OP, AA 22:215.

292 Dabei ist davon auszugehen, dass Kant mit einer „einzelnen Materie“ ein einzelnes, wägbares Ding, also einen Körper, meint. Jedoch sind die Äußerungen hierzu sehr vage.

293 Vgl. OP, AA 21:521.

294 Wie bereits gesagt, handelt es sich bei den Vorreden um eine Zusammenstellung von Vorreden, die über das Spätwerk hinweg verteilt sind.

98 Ursprünglichflüßige, die Warmmaterie ist qualitas occulta, […]“295

Interpretatorisch möchte ich nur insofern auf diese Bestimmung eingehen, als dass sie in erster Linie die Schwierigkeit der Bestimmbarkeit zum Ausdruck bringt. Diese ist jedoch auch durch die Entwicklung des Ätherbegriffs selbst erkennbar, weshalb ich eben diese als Möglichkeit einer schrittweisen, inhaltlichen Füllung als Entwicklungslinie bevorzuge.