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DER TEXTERARBEITUNG

1 Einführung ins Kapitel

-1 Einführung ins Kapitel

Die „Übersetzung“ des Literaturtextes in den Bühnen- oder Thea-tertext ist nicht nur ein Problem der Inszenierung von Bühnenereig-nissen. Es ist auch ein Problem für die Schauspielausbildung. Das

„Sprechen auf der Bühne“ ist nicht das mehr oder weniger gute Spre-chen eines Literaturtextes, sondern das adäquate Sich-Einfügen in den Bühnentext mit dem Wort. Nicht, daß das Wort seinen Kunst-charakter verlieren müßte – er darf aber nur verwandelt – übersetzt – in Erscheinung treten. Aus dieser Problematik entsteht ein span-nungsreiches – gelegentlich feindliches – Verhältnis zwischen dem situativen Moment des Bühnenereignisses und dem literarischen Wort. (Ritter 1999, 11)

Die Arbeit am Text als Transformation eines schriftlich fixierten Textes in einen theatralen Text innerhalb des Proben- und Inszenierungsprozesses gestaltet sich im zeitgenössischen Theater auf sehr unterschied -liche Art und Weise. Der Erarbeitungsprozess eines Textes kann viel fältige Erscheinungsformen hervorbringen, die sich grob einer rea-listischen, epischen oder performativen Spielweise (vgl. Stegemann 2011, 102 ff.; ebd. 2014, 163 ff.) zuordnen lassen. Zudem lassen sich ver-schiedene Sprechweisen beobachten, für die Stegemann die folgende Systematisierung vorschlägt: „Das Hervorrufen einer neuen Realität als Kennzeichen des narrativen Theaters, das sprechende Handeln als Kennzeichen des realistischen Theaters, die Formalisierungen des Spre-chens und das moderierende Sprechen als Kennzeichen postmoderner Sprechweise.“ (Stegemann 2014, 192) (vgl. S. 60 ff.) Die Schauspielerin-nen und Schauspieler könSchauspielerin-nen aufgrund dieser Vielfalt nicht unreflek-tiert auf eine Theatersprache zurückgreifen, „vielmehr ist die Fähigkeit zu ihrer Variabilität im künstlerischen Schaffensprozess gefordert“

(Hollmach 2013a, 196). Es stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten sie aufgrund dieser hybriden Spiel- und Sprechweisen und den damit ein-hergehenden Anforderungen in Bezug auf das „Sprechen auf der Bühne“ benötigen.

Um dieser Frage nachzugehen, werden im folgenden Kapitel methodische Ansätze der Texterarbeitung beschrieben, wie sie inner-halb der drei untersuchten Probenprozesse beobachtet wurden. Der Zugriff auf eine bestimmte Spiel- und Sprechweise kann nur auf Basis ihres Entstehungsprozesses reflektiert werden. Der Fokus wird dabei auf methodische Aspekte der Texterarbeitung gelegt, die keine realis-tische Spiel- und Sprechweise hervorbringen, sondern sich im weites-ten Sinne einer performativen Spielpraxis bzw. postmodernen Sprechpraktiken zuordnen lassen. Diese Fokussierung begründet sich zum einen darin, dass methodische Wege der Texterarbeitung sowohl aus schauspielpädagogischer als auch aus sprechwissenschaft-licher und sprechpädagogischer Sicht mehrheitlich auf der Basis einer realistischen Darstellungskunst beschrieben worden sind, in der Inhalt und Form, Denken und Handeln zusammenwirken. Zum anderen soll diese Fokussierung zu einer Reflexion performativer Spielpraktiken beitragen, wenngleich sich eindeutige Abgrenzungen zu epischen oder realistischen Darstellungsformen nicht immer zie-hen lassen und sich auch innerhalb der drei von mir untersuchten Proben- und Inszenierungsprozesse Übergänge, Brüche und Misch-formen wiederfinden.

Das Ziel ist es, ein Verständnis dafür zu etablieren, was sich unter einem performativen Ansatz der Texterarbeitung subsumieren lässt, sowie Fähigkeiten und Kompetenzen abzuleiten, die im Umgang der Schauspielerinnen und Schauspieler mit performativen Herangehens-weisen und Erscheinungsformen beobachtet wurden. Mit der Beschreibung beobachteter Herangehensweisen und methodischer Ansätze der Textarbeit geht es mir nicht um eine Aufforderung zum Kopieren oder unreflektierten Anwenden einzelner Schritte. Vielmehr geht es darum, mögliche methodische Wege für die eigene (sprecher-zieherische bzw. schauspielpädagogische) Arbeit auf Basis der Thea-terpraxis ins Be wusstsein zu rufen. Die TheaThea-terpraxis selbst unterliegt einem stetigen Wandel, der durch bestehende Normen, historische Verhältnisse und gesellschaftliche Bedingungen beeinflusst ist. Auf welchem historischen, sozialen und ästhetischen Kontext eine Spiel-oder Sprechweise basiert, sollte den Schauspielstudierenden immer wieder bewusst gemacht werden. Für die Schauspielausbildung, die sowohl realistische, epische als auch performative Spielpraktiken inte-grieren möchte und dementsprechend eine Methodenvielfalt in den Erarbeitungsweisen postuliert, stellt dies eine große Herausforderung dar. Dementsprechend sollte jede/r Schauspieldozent/-in und jede/r Sprecherzieher/-in ein grundlegendes Verständnis für verschiedene

theater- und schauspieltheoretische Ansätze aufweisen (vgl. Ritter 1999, 330) sowie über eine Methodenvielfalt verfügen und ein Reflexi-onsbewusstsein für verschiedene Herangehensweisen und Konzepte besitzen.

Für die Reflexion der beobachteten methodischen Ansätze der Arbeit am Text ist es nötig und sinnvoll, den Blick zunächst auf ver-schiedene Referenzpunkte zu werfen: Um performative Herangehens-weisen definieren zu können, sollen in einem ersten Schritt zusammen-fassend einige wichtige methodische Aspekte der Textarbeit, wie sie in der Grundlagenliteratur, die sich mit der Arbeit von Schauspieler/-innen bzw. Sprecher/-Schauspieler/-innen am Text befasst, als Ausgangspunkt in Erinnerung gerufen werden, um sie später mit den beobachteten Erar-beitungsprozessen in Beziehung zu setzen. In einem zweiten Schritt werden die Bezüge der Regieteams zu bestimmten Theatertheorien, Theatermachern und Ästhetiken vorgestellt, auf deren Basis sich deren Arbeitsweisen entwickelt haben. Wie sich das Sprechen auf der Bühne als ein „Sich-Einfügen in den Bühnentext mit dem Wort“, wie Ritter im Eingangszitat dieses Kapitels schreibt (Ritter 1999,11), konkret inner-halb der drei untersuchten Probenprozesse gestaltet, wird im Anschluss daran beispielhaft beschrieben. Ob sich das gesprochene Wort dabei

„adäquat“ in den Bühnentext einfügt, sei bereits an dieser Stelle in Frage gestellt.

Es lassen sich zum Teil produktionsübergreifende Tendenzen beschreiben, zum Teil werden Arbeitsansätze beschrieben, die produkti-onsspezifisch sind. Diese Tendenzen und methodischen Ansätze sollen in fünf Kategorien systematisiert werden: Zuerst wird für den Proben-prozess des Regisseurs Laurent Chétouane das Erarbeiten und Sprechen von Texten auf der Basis von Nicht-Wissen beschrieben, das sich gegen jede Form von Interpretation und Gestaltung wendet. Zum zweiten werden Musikalisierungsprozesse beschrieben, die in allen drei Proben-prozessen eine Rolle spielen. Hier wird es um die Beschreibung einer musikalischen Arbeit am Text gehen, die u. a. im Rahmen der chorischen Textarbeit stattfand. Darüber hinaus wird es zum dritten eine Systemati-sierung der chorischen Arbeit am Text geben, wie sie im Rahmen der Probenarbeit von Volker Lösch und Bernd Freytag stattfand, bevor zum vierten intervokale Herangehensweisen beschrieben werden, die in den Produktionen von Claudia Bauer und Laurent Chétouane zu beobach-ten waren. Schließlich werden zum fünfbeobach-ten Synchronisationsprozesse beschrieben, die mit der Trennung von Spiel und Sprache einhergehen und insbesondere in der Faust-Produktion von Claudia Bauer zu beob-achten waren.