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Einführung I: Die Handlung der Njáls Saga

Die gesamte Handlung, die in diesem Text geschildert ist, lässt sich im Island des sogenann-ten Saga-Zeitalters verorsogenann-ten – einer Zeitspanne von etwa einhundert Jahren zwischen der Mitte des 10. und der Mitte des 11. Jahrhunderts. Obwohl es der Titel (frei übersetzt ‚Die Sage von Njáll‘) suggeriert und es in anderen Saga-Texten üblich ist, handelt es sich hier nicht allein um die Biographie eines einzelnen wichtigen Mannes oder die Chronik der Er-eignisse innerhalb eines bestimmten Landesteils. Das Werk behandelt vielmehr, wie Einar Ólafur Sveinsson treffend feststellt, die Verflechtung von politischen und privaten Ereignis-sen, die mit dem großen geographischen Gebiet des isländischen Südwestens in Verbindung stehen (Sveinsson, 1971, S. 40).Um sich der detaillierten inhaltlichen Strukturierung des Textes zu nähern, ist es zunächst hilfreich, einen Blick auf seine Makrostruktur, d.h. die Abfolge der einzelnen Kapitel und Abschnitte in ihrer chronologischen Anordnung zu wer-fen. Die Njáls Saga lässt sich in vier übergeordnete Abschnitte einteilen. Dabei orientiert sich der Haupthandlungsstrang an den chronologisch erzählten und kausal miteinander ver-bundenen Verwicklungen der drei zentralen Heldenfiguren (Gunnar, Njáll und Kári) in fa-milienübergreifende, häufig durch Dritte provozierte Konflikte. Die Njáls Saga ist außerdem in insgesamt 159 Kapitel eingeteilt, die in vielen (hauptsächlich den übersetzten) Ausgaben, Kapitelüberschriften tragen. Die einzelnen Kapitel untergliedern sich wiederum in kürzere semantische Segmente, die in der Regel aus einer Kombination von Figurenbeschreibungen und kurzen Handlungssequenzen bestehen. Sie setzen sich zumeist aus einigen einleitenden Worten des Erzählers zu Ort und Situation des Geschehens und einem Figurendialog zusam-men (Lönnroth, 1976, S. 49).

Lars Lönnroths Gliederung der semantischen Einheiten des Textes (ebd., S. 24) bietet einen geeigneten Überblick über die einzelnen Episoden:

I Prolog

1. Hrútur und Unnur

2. Hallgerður und ihre ersten zwei Ehen II Gunnars Saga

1. Einleitung

a) Der juristische Streit um die Rückgabe von Unnurs Mitgift

b) Gunnars Hochzeit mit Hallgerður

2. Der Streit zwischen Hallgerður und Bergϸóra 3. Der Streit zwischen Gunnar und Otkell 4. Gunnars Streit mit Egill und Starkaður 5. Der Streit mit den beiden Þórgeirs 6. Gunnars Niederlage und Tod

7. Der Streit zwischen Þráin und den Söhnen Njáls a) Þráins Tod

b) Die Biographie Höskuldur Þráinssons c) Der Tod Höskuldur Njálssons

III Njáls Saga

1. Die Christianisierung Islands 2. Der Mord an Höskuldur Þráinson

3. Der anschließende Versuch einer Entschädigungsvereinbarung mit Flosi 4. Der Mord an Njáll und seiner Familie

5. Gerichtsverhandlungen gegen die Verantwortlichen für den Mord an Njáll

6. Káris Rachefeldzug nach dem Mord an Njáll und den gescheiterten Verhandlungen a) Der Streit zwischen Kári und Flosi in Island

b) Fortsetzung des Streits im Ausland c) Versöhnung

Lönnroths Gliederung bietet einen ersten Eindruck der generellen Chronologie der im Text dargestellten Ereignisse und Figuren, die im jeweiligen Abschnitt im Fokus der Aufmerk-samkeit stehen. Den ersten Teil bildet ein einführender Prolog, der die wichtigsten Familien der Region und ihre soziale Verbundenheit miteinander vorstellt. Der Prolog beginnt mit der Einführung zweier wichtiger Clanfamilien, die in unterschiedlichen Teilen des Landes an-gesiedelt sind. Eine dieser Familien ist diejenige von Mörður Fiddle und dessen Tochter Unnur. Das Oberhaupt der zweiten Familie ist Höskuldur Dalakollsson, dessen Tochter Hall-gerður später zu den wichtigsten konflikttreibenden Figuren gehören wird. Beide Familien werden durch die geplante Hochzeit von Höskuldurs Bruder Hrútur und Unnur miteinander verbunden. Hrútur heiratet Unnur nach mehrjähriger Verlobungszeit und einem Aufenthalt im Ausland am Hofe des jungen norwegischen Königs. Nach einer Liaison mit der Königs-mutter während dieser Zeit spricht diese aus Eifersucht einen Fluch der Impotenz gegenüber seiner zukünftigen Ehefrau aus. Dieser Fluch wird Unnur später dazu bringen, die Scheidung zu erwirken und zu ihrem Vater zurückzukehren.

Im zweiten Teil des Prologs richtet sich die Aufmerksamkeit auf den Beginn der Biographie von Höskuldurs Tochter Hallgerður und ihre ersten zwei Vermählungen. In beiden Ehen erhält sie nach Streitigkeiten mit dem jeweiligen Ehemann eine Ohrfeige, woraufhin sie in beiden Fällen ihren Ziehvater beauftragt, den jeweiligen Ehemann umzubringen. Zu Beginn des zweiten Teiles der Geschichte wechselt der Fokus auf Gunnar Hámundarsson, der im Zuge der ersten einführenden Charakterisierung als heldenhafte, ikonische Figur glorifiziert wird. Er ist mit Unnur verwandt und heiratet Hallgerður nach dem gewaltsamen Tod ihres zweiten Ehemannes. Nachdem es Unnurs Vater zuvor im Zuge eines legalen Verfahrens nicht gelungen war, ihre Mitgift nach der Scheidung zurück zu gewinnen, gelingt dies Gunnar dank eines Täuschungsmanövers gegenüber Hrútur und Höskuldur. Somit ist diese Episode eng mit den Ereignissen des Prologes verknüpft. Im zweiten Teil der Njáls Saga steht der soziale Aufstieg Gunnars im Fokus. Außerdem werden wichtige Figuren, wie z. B.

der Titelheld Njáll in seiner Funktion als Berater in allen wichtigen juristischen Angelegen-heiten, Kolskeggur (Gunnars Bruder), die Söhne von Njáll, Þráinn Sigfússon und nicht zu-letzt Valgarður der Graue vorgestellt. Letzterer, der später Unnur heiraten und zusammen mit ihr einen Sohn (Mörður) zeugen wird, stellt einen wichtigen Antagonisten gegenüber den Helden der Geschichte dar. Neben der Einführung wichtiger Figuren wird die Handlung von zahlreichen Zerwürfnissen zwischen Gunnar und seinen Nachbarn und Freunden getra-gen, die Gunnars Frau Hallgerður heraufbeschwört. Nachdem Hallgerður während einer Hungersnot ihren Bediensteten beauftragt, eine benachbarte Familie zu bestehlen und an-schließend deren Scheune niederzubrennen, erhält sie auch von Gunnar – ihrem dritten Ehe-mann – eine Ohrfeige. Obwohl Gunnar die Streitigkeiten zunächst rechtmäßig beilegen kann, führen sie letztlich zu seiner Ächtung. Nachdem er sich weigert, seine Heimat entspre-chend eines rechtskräftigen Urteils zu verlassen, fällt er – erneut durch Hallgerðurs Zutun begünstigt – seinen Rächern zum Opfer. Das Ende dieses großen zweiten Abschnittes der Saga wird nicht nur durch Gunnars Tod, sondern auch die explizite ‚Entlassung’ wichtiger Figuren aus dem Fokus der Handlung markiert.

Die darauffolgenden Kapitel stellen eine Brücke zwischen dem Ende der ‚Gunnars Saga‘

und dem Beginn des nächsten großen Abschnittes dar. Sie handeln hauptsächlich von der Fehde zwischen Þráinn und den Söhnen von Njáll, die mit der Tötung von Þráinn endet. Zu Beginn des darauffolgenden Abschnitts, indem die Titelfigur in den Fokus der Aufmerksam-keit rückt, übernimmt Njáll die Verantwortung für Þráinns Sohn Höskuldur und wird dessen Ziehvater. Die enge Freundschaft, die sich daraufhin zwischen seinen leiblichen Söhnen und

seinem Ziehsohn entwickelt, gerät nach einer erneut durch einen Dritten (Mörður) angestif-teten Intrige jedoch in einen unlösbaren Konflikt. Dieser Konflikt findet seinen Höhepunkt, als Höskuldur durch die Hände seiner Ziehbrüder ums Leben kommt. Dieser Mord zieht einen Rachefeldzug nach sich, der in der Brandstiftung seinen Höhepunkt findet, wobei Njáll, seine Frau Bergþóra und ein großer Teil der Familie ums Leben kommen. Allein Njálls Schwiegersohn Kári gelingt die Flucht aus dem brennenden Haus.

Der letzte und vierte Teil des Werkes handelt von Káris Rachefeldzug gegen die Brandstif-ter, denen er bis nach Irland und in die Schlacht von Clontarf gegen den irischen König Brjánn folgt. Auf seine anschließende Pilgerfahrt nach Rom folgt die Versöhnung mit Flosi, dem Anführer der Brandstifter. Kári heiratet anschließend dessen Nichte Hildigunnur, die Witwe des getöteten Höskuldur. Das Werk endet mit dem Bericht von Flosis Tod und einer Liste von Káris Nachkommen, die der Ehe mit Hildigunnur entstammen. Die Versöhnung aller im Verlauf des Werkes entfachten Familienfehden ist damit vollständig.