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Eine Lehre als Frau

Im Dokument Besitz und Ideal (Seite 131-134)

VII. Loslösung von Konventionen

7.4.1. Eine Lehre als Frau

Da Mary mit dem Schiffbauunternehmen ihres Onkels ihre Wertvorstellungen verwirklicht sieht, hofft sie, daß er sie einstellen werde. Der Erzähler vermittelt ein Bild über die Gedanken, denen sie dabei nachgeht:

A delicate glow of satisfaction spread through Mary’s body. [...] it was delicious to be alive, to see the ship that had been first an idea in her head, then a design on the architect’s drawing sheets and a model that would later be carried up to her house, shaping, springing into life above the keel laid down four months ago. Nothing thrilled her as the upward curve of a ship from keel to bows thrilled her, nor gave her the same exquisite sense of rightness and contentment. (210)

Bei keinem von Marys Gedanken läßt sich auf ein Macht- und Besitzstreben in ihr schließen. Darin ist sie Hilda ähnlich, deren ideelles Denken sie gleichfalls einen Berufsweg einschlagen läßt. Die Reaktion, auf die Hilda dadurch als Frau von gesellschaftlicher Seite aus stößt, ist mit der vergleichbar, die Mary durch ihren Onkel über sich ergehen lassen muß, da sie für sich eine Entwicklungsrichtung vorsieht, die von der ihr als Vertreterin ihres Geschlechts zugewiesenen Rolle in der Gesellschaft abweicht. Erst die Innovationen, die sie vorbringt, überzeugen ihren Onkel davon, daß sie als Frau durchaus geeignet ist, in seinem Unternehmen zu arbeiten. Da er sie mit 13 Jahren dafür jedoch noch für zu jung hält, stellt er sie nicht sofort ein. Das Gespräch zwischen beiden vermittelt folgendes Bild:

„You can’t build ships in petticoats,“ [Mark Henry] said. Mary stood her ground. „You don’t build the boats yourself,“ she said urgently. „I wouldn’t, either. I’d tell them what to do. I know a few things about it already. I asked [Mr Mempes] would it be a good thing if he could think of a way to squeeze more pressure out of less coal so as to leave more room for the cargo, and ---“ „It would be a damned good thing,“ said Mark Henry boisterously, „and, by George, if you’re still having ideas in five years’ time I’ll take you into the firm, I will.“ (28/9)

Der Satz „You can’t build ships in petticoats.“ richtet sich gegen Marys Emanzipationsbestrebungen und ist dadurch vergleichbar mit den abwertenden Äußerungen, die Mary Mahony, Hilda und Frances infolge ihrer Emanzipation entgegengebracht werden. Der Satz „Mary stood her ground.“ deutet darauf hin, daß Mary sich den Vorurteilen der Gesellschaft gegenüber, wie sie ihr in Gestalt Mark Henrys zuteil werden, genauso zu behaupten weiß wie Mary Mahony. Marys Vorschläge zur Verbesserung der Schiffstechnik lassen einen Vergleich mit Darius Clayhanger zu, der sich vom Setzer-Lehrling zum Besitzer der ersten Dampfdruckerei in Bursley hochgearbeitet hat.14 Wie besprochen, ist ihm dies jedoch nur über sein Besitzstreben gelungen, während sich Marys Innovationen, die sie Mark Henry verrät, trotz ihrer Einbettung in einen kapitalistischen Produktionszusammenhang, zunächst auf ideelles

14vgl. A. Bennett. The Clayhanger Family. S. 139

Denken gründen. Der sich anbietende Vergleich zwischen Mary und Darius ist eine Bestätigung dafür, daß die Frau den Fähigkeiten des Mannes nicht nachsteht und daher ihre konventionelle Rolle als Ehefrau und Mutter als Diskriminierung anzusehen ist. Vor dem Hintergrund ihrer Befreiung aus dieser Rolle erfährt Marys Aufstieg vom Lehrmädchen zur erfolgreichsten Schiffbauunternehmerin Englands im 19. Jahrhundert eine besondere Würdigung.

Zunächst jedoch kommt nach dem Gespräch mit ihrem Onkel ihre Mutter nach Danesacre, um Mary zu sich nach London zu nehmen. Obwohl sie dort sehr viel Abwechslung erfährt, verliert sie ihren Wunsch, Schiffe zu bauen, nicht einen Augenblick aus den Augen.

[Marys] childish wish to build ships became something real, something almost grim, beating on her mind like a hammer, like the carpenters’ hammers that sent a shiver and a murmur through the whole still body of the ship. (59)

Die Worte „[Marys] childish wish to build ships“ belegen, daß ihr Wunsch, Schiffe zu bauen, zu diesem Zeitpunkt noch durch ihre ideellen Vorstellungen geweckt wird. Nach ihrer Rückkehr in das Haus ihres Onkels läßt dieser aus derselben Argumentation heraus, sie als Mädchen bei sich einzustellen, wie beim ersten Mal, von seinem Versprechen ab.

„What’s this!“ he [Mark Henry] exclaimed. „You’re not going to join the firm. Girls can’t build ships. [...] Don’t be silly.“ (71)

Die Diskriminierung, die Mary als Mädchen erfährt, spiegelt sich in ihren mehrmaligen vergeblichen Versuchen wider, ihren Onkel zu überreden, sie für ihn arbeiten zu lassen.

In den anderen Romanen ergeht es den Frauen ähnlich. So muß sich Mary Mahony erst an einen Freund der Familie wenden, um als Frau einen Beruf ausüben zu können. Hildas Berufsaussichten, wie der Erzähler schreibt, sind als Frau so gering, daß sich ihre Hoffnung auf einen Beruf ohne die Hilfe George Cannons nie erfüllt hätte. Die Willkür, der Mary Mahony, Hilda Lasswade und Mary Hervey gegenüber dem Mann ausgesetzt sind, ist ein erneutes Zeichen für ihre Diskriminierung. So heiratet Mary, weil ihr Onkel sie nicht in seinem Unternehmen aufnimmt, auf Anraten ihres Vaters Archie Roxby. Sie sieht dadurch eine Alternative zu der ihr verhaßten konventionellen Lebensweise auf Hansyke Manor und dem ihr versagten Einstieg in das Schiffbauunternehmen ihres Onkels. Entgegen ihrer klaren Vorstellungen von ihrem Leben zu einer Alternative gezwungen zu sein, spricht dabei erneut für ihre Diskriminierung als Frau. Als sich ihr Onkel nach Archies Tod schließlich doch bereit findet, sie für sich arbeiten zu lassen, geschieht dies nur, da er seinen beiden Neffen, Georg und Rupert Ling, den potentiellen Erben seines Unternehmens, dessen erfolgreiche Fortführung nicht zutraut. Mary hält somit für ihn nur als Mittel zum Zweck her. Aus dieser Perspektive ist die Diskriminierung gegenüber ihr als Frau nicht aufgehoben.

“I’ve come to stay if you’ll let me work for you,“ [Mary] said. „If I’d been a boy you wouldn’t have hesitated.“ [...] Mark Henry gave a grunt of laughter. „Damned if I won’t,“ he said. „I’ll show those Lings. Had the impudence to tell me I’m not the man I was. [They] said I was a fool to talk of building iron wool ships. [...] I’ll tell you, Mary, it’s iron or nothing nowadays. [...] We’ve built our last wooden boat.“ (94/5)

Der Satz „If I’d been a boy you wouldn’t have hesitated [to let me work for you].“ zeigt, daß Mary sich ihrer Diskriminierung bewußt ist. Zugleich läßt er erkennen, daß Mary in ihrem Emanzipationsstreben hartnäckig ist. So ist es bereits das dritte Mal, daß sie sich bei ihrem Onkel um eine Lehrstelle bewirbt. Ihre Durchsetzungskraft erinnert dabei an ihren Vorfahren, John Garton, der solange darum kämpfte, in den Besitz eines eigenen Schiffes zu kommen, bis sich sein Wunsch danach schließlich erfüllte.

Garton who, standing in the door of his cliff-fast cottage, had conceived the idea of owning a boat of his own, and had thereafter never rested until his [...] inconceivable hunger was appeased. (165)

Über Marys Loslösung von Konventionen vergißt ihr Onkel schnell, daß sie eine Frau ist.

Die Sätze „I’ll tell you, Mary, it’s iron or nothing nowadays. We’ve built our last wooden boat.“ sind ein Hinweis darauf, daß er von nun an Mary in sein Unternehmen einbezieht, ohne ihr als Frau gegenüber länger Vorurteile zu haben. Dies zeigt sich speziell an dem Wort „we“. Damit sind Marys Emanzipationsbestrebungen ihrem Onkel gegenüber erfolgreich zum Abschluß gelangt. Vier Jahre lernt sie in seinem Büro, wie Schiffe gebaut und Schiffsladungen verrechnet werden und findet in ihm dabei einen idealen Lehrmeister. Oft sitzt er mit ihr nächtelang über seinen Plänen und erklärt ihr, wie sich das Unternehmen noch stärker ausbauen ließe, woraus Mary im Hinblick auf ihre eigenen Pläne, die sie mit dem Unternehmen verbindet, profitiert.

Much of what [Mark Henry] said, and many of the abandoned ideas he scattered so richly, dropped into Mary’s mind to bear fruit in their time. (98)

Dies schließt jedoch nicht aus, daß sie während ihrer Lehrzeit nicht nur der gemeinhin üblichen Herausforderung gegenübersteht, gute Arbeit zu leisten, sondern auch als Frau zu beweisen, daß sie sich ihrer Emanzipation gewachsen zeigt.

[Mary] knew that Mark Henry Garton would turn her ruthlessly out of the firm if she proved useless.

She had against her [...] the shipwright’s distrust of a woman, and the depths of her own ignorance, which everything and every one combined to expose, leaving her to fight with naked hands and wits in a world that conceded nothing to a woman except her right to be protected from it. And the law of protection for women ran only within the narrowest limits. (97/8)

Der Satz „She had against her the shipwright’s distrust of a woman.“ gibt Aufschluß darüber, daß sich Mary weniger als Lehrling denn als Frau vor Bewährungsproben gestellt sieht. Mit dem Satz „The law of protection for women ran only within the narrowest limits.“ übt der Erzähler Kritik daran, daß Marys Emanzipation rechtlich nicht legitimiert ist. Dadurch wird sie als Frau immer wieder zur Zielscheibe des patriarchalischen Herrschafts- beziehungsweise Macht- und Besitzanspruches, ähnlich wie in den Fällen Irenes in der Forsyte Saga und Eleanors in The Years.

Im Dokument Besitz und Ideal (Seite 131-134)