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Der verarmte Adel

Im Dokument Besitz und Ideal (Seite 179-182)

VIII. Kapitalismus und Niedergang

8.3.1. Der verarmte Adel

Richard Mahony kommt im Jahre 1826 als Sohn einer alteingesessenen, jedoch verarmten irischen Adelsfamilie zur Welt. Da sein Vater frühzeitig stirbt, bewohnt er in der teuersten Wohngegend Dublins eine der größten Villen nur noch zusammen mit seiner Mutter und seinen Schwestern Sophy und Lucinda. Diese suchen trotz ihrer Armut ihren Schein als Adlige nach außenhin zu wahren. McLeod sieht Mahony als Ire fest in den viktorianischen Konventionen verwurzelt:

Richard Mahony is a Victorian gentleman whose perception of himself is inevitably affected by the period in which he lives. He believes that he possesses a coherent scheme of moral and social values that are self-evidently correct. [...] [He] naturally thinks of himself as part of a specific group; he is a gentleman with the obligations of his class and an almost instinctive respect for social authority.13

Obwohl es in der Familie nicht genug zu essen gibt, lehnt Lucinda den Heiratsantrag eines reichen irischen Bierbrauers ab, da sie die Ehe mit einem Bürgerlichem nicht für standesgemäß hält.

She would rather eat rat-bane. (142)

11P. Alden. Social Mobility in the English Bildungsroman. S. 85

12P. Alden. Social Mobility in the English Bildungsroman. S. 85

13K. McLeod. Henry Handel Richardson. S. 100

Mahony leidet als Kind unter der finanziellen Not seines Elternhauses. Um sich ab und zu auch einmal sattessen zu können, sucht er das Arbeiterviertel auf, in dem sein Freund Purdy mit seinen Eltern und Geschwistern wohnt. Da seine Familie wegen des Standesunterschiedes jedoch gegen die Freundschaft ist, besucht er ihn heimlich.

Mahony could still see Purdy’s plump, red-cheeked English mother, who was as jolly and happy as her boy, hugging the loaf to her bosom while she cut round after round of bread and butter and jam, for two cormorant throats. And the elder boy, long-limbed and lank, all wrist and ankle, had invariably been the hungrier of the two; for, on the glossy damask of the big house, often not enough food was set to satisfy the growing appetites of himself and his sisters. (32/3)

Als Mahony volljährig ist, fühlt er sich als einziger männlicher Nachkomme dazu verpflichtet, seiner Mutter und seinen Schwestern aus ihrer Armut herauszuhelfen. Durch seine finanzielle Lage ist er dabei jedoch gezwungen, mit der jahrhundertealten Familientradition zu brechen und einen Beruf auszuüben, statt - wie viele seiner männlichen Vorfahren - eine kostspielige hohe Stellung in der Armee bekleiden oder ein Leben als gentleman nach dem „leisure-time“-Ideal führen zu können. Seine Mutter und seine Schwestern begrüßen in ihrem Standesdünkel, daß er kurz nach Gründung einer eigenen Praxis diese wieder aufgibt und nach Australien auswandert, da er sie als Arzt in ihrer Gegend, die nur von der Oberschicht bewohnt wird, folglich nicht mehr länger in Verruf bringen wird.

Mother and sisters [...] were, he thought, glad to know him well away. In their eyes he had lowered himself by taking up medicine; to them it was still of a piece with barber’s pole and cupping-basin.

(142)

Mahonys Berufswahl als Arzt deutet auf seinen Wunsch hin, heilend tätig zu sein.

Dahinter verbirgt sich jedoch nicht die typisch ethisch-moralische Gesinnung, die jedem Arzt abverlangt wird, der den Eid des Hippokrates abgelegt hat, sondern eine für die Romaninterpretation symbolische Bedeutung. Während der Grund für Mahonys Berufswahl konkret an seinen Bemühungen um seine Mutter und seine Schwestern ablesbar ist, läßt sich abstrakt aus ihr der Schluß herleiten, er wolle den einstigen Status des inzwischen im Niedergang begriffenen Adels wieder herstellen. Beide Hypothesen verdeutlichen, welche Bedeutung die Wahl des Berufes für die Romananalyse hat. So stellt die den Adel repräsentierende Familie Mahonys einen kranken Organismus dar, der eines Arztes bedarf, da ihm in der Industriegesellschaft seine Lebensgrundlage entzogen worden ist. Die einzige erfolgversprechende Behandlungsmethode, die Mahonys Mutter und seine Schwestern vor dem Untergang bewahren könnte, besteht darin, sie aus ihrer Stagnation herauszureißen. Mahony ist jedoch auch Arzt geworden, da es zu der Zeit, in der er lebt, kaum einen anderen reputierlichen Beruf gibt, mit dem sich genug Geld verdienen ließe, um den Niedergang seiner Familie zu stoppen. Palmer sieht den Grund für die Armut von Mahonys Familie in deren starrem Festhalten an Konventionen.

His family was part of the English garrison. Poor as crows, never having enough food on the table, they still retained their stiff-backed gentility, their periwigged forms of address, their unbendable pride.14

Anders als seine Mutter und seine Schwestern hält Mahony nicht kompromißlos an Konventionen fest, sondern trägt nunmehr wie ein Bürgerlicher zu deren Lebensunterhalt bei. Selbst aus Australien läßt er ihnen Geld zukommen. Palmer schreibt hierzu:

Mahony, in becoming first a doctor in England and then an emigrant to the goldfields, had in a sense trodden the conventions of his family underfood.15

Als Mahony seine Familie nach siebzehn Jahren, die seit seiner Auswanderung vergangen sind, in Dublin besucht, stellt er jedoch fest, daß ihr Niedergang trotz seines Eingreifens weiter fortgeschritten ist. Vergeblich suchen sie ihre Armut vor ihm zu verbergen.

At a glance he saw through the inventions and excuses, the tricks and stratagems with which they bolsterd up their lives; while yet retaining their dignity as great ladies. [...] In this big house not a single servant moved; his sisters’s thin, elderly hands were hard and seamy with work. (384)

Seine Mutter und seine Schwestern sind nicht nur in ihrer Lebensführung, sondern auch in ihrem Äußeren von Armut gezeichnet.

His relatives [...] had made giant strides along the road of decay: throats had sagged, eyes grown smaller, knuckles bonier. [...] „What frights!“ was his verdict on this deviation from the norm. [...]

No! the food they set before him stuck in his throat; it was so much taken from them, who looked so bloodless. (383/4)

Das starre Festhalten an Konventionen hat zur Folge, daß der Grundbesitz der Mahonys verfällt.

The spiritual depression that is Ireland’s first gift to her homings sons was invading [Mahony]:

looking about him he saw only stagnation and decay. (383)

Um seine Mutter, Sophy und Lucinda nicht in ihrem Stolz zu verletzen, gibt sich Mahony den Anschein, keine Kenntnis von ihrer Lage zu haben.

Yet, though he grudged himself each mouthful, he did not dare either to refuse what was offered him, or to add to it by a gift of money or eatables - anything that might have shown them he saw how matters stood. Banknotes slipped, unmentioned, into a letter from far Australia had been a different thing. (384)

Eigene berufliche Mißerfolge nach seiner kurzzeitigen Übersiedlung nach England zwingen Mahony jedoch, seine Abgaben an die Familie einzustellen.

[Mahony] unterstood [...] what the withdrawal of the ninety to a hundred pounds yearly [...] must have meant to them. It had no doubt made all the difference between comparative ease and their present dire poverty. (385)

An Mahonys Mutter und seinen Schwestern wird deutlich, daß diejenigen aus der gentry zum Niedergang verurteilt sind, denen es an der Bereitschaft fehlte, sich gesellschaftlichen Lebensumständen anzupassen, die zunehmend vom Bürgertum

14N. Palmer. Henry Handel Richardson. S. 73

15N. Palmer. Henry Handel Richardson. S. 73

beeinflußt und geformt werden. Mahony hat den Niedergang seines Elternhauses nur verlangsamen, ihn aber nicht verhindern können.

Im Dokument Besitz und Ideal (Seite 179-182)