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Die Burg als Machtsymbol

Im Dokument Besitz und Ideal (Seite 46-49)

III. Der Familienwohnsitz

3.5. The Herries Chronicle

3.5.1. Die Burg als Machtsymbol

Einen Landsitz als Ausdruck des Besitzdenkens und als Symbol für den Niedergang einer Familie beschrieb neben Galsworthy auch Walpole. Darüber hinaus gewinnt der Landsitz bei letzterem jedoch auch als Mittel zur Profilierung seiner Macht an Bedeutung.

Walter, der Sohn des wegen seines Reichtums schon zu Lebzeiten legendären Will Herries, läßt sich unter dem nostalgisch verklärten Eindruck von Scotts Waverley-Romanen eine Burg mit einer Freitreppe, Zinnen und Türmen bauen, von deren Spi tze

eine Fahne weht. Rund um die Burg werden Gärten angelegt sowie eine Fontäne und Stallungen errichtet. Das Burggelände ist von großen alten Bäumen umgeben.

[The Fortress] was intended to stand for Herries independence, strength and superiority. Good English material power. (III, 829)

Die Darstellung des Familienwohnsitzes durch den Erzähler ist ironisch zu werten, da die Bewohner High Irebys ein klägliches Beispiel für „independence, strength and superiority“ abgeben, wie im folgenden gezeigt wird.

Walter verfolgt mit der Burg nicht allein die Absicht, seinen Besitz zur Schau zu stellen, sondern auch, mit ihr eine Familienfehde fortzusetzen, die seit dem Maskenball b esteht, den Will vor 36 Jahren, 1796, gab.

The „Fortress,“ which is the vast, cold [...] mansion that Walter Herries built on High Ireby to over-frown the house where the widowed Jennifer Herries and Judith Paris dwelt in Uldale, is the symbol of the ferocious, but causeless, feud between the two branches of the family.17

Allein die Tatsache, daß der Anlaß für die Fehde 36 Jahre zurückliegt und damit längst verjährt sein dürfte, läßt auf Walters negative Charaktereigenschaften schließen: Er ist verbohrt, engstirnig, rachsüchtig und hat den Hang, sich in Dinge einzumischen, die ihn nichts angehen. Doch nicht allein die vielen Jahre, die seit dem Zustandekommen der Fehde vergangen sind, sondern auch der Anlaß dieser Fehde, die Walter mit seinem Handeln neu belebt, sprechen gegen ihn. Der Erzähler wertet die Fehde kritisch

„ferocious, but causeless“. Für die Burg wählt er die Beschreibung „vast, cold mansion“, verschärfend und unter Verwendung einer sich von den übrigen Worten abhebenden Schreibweise sogar „fortress“.

Auf dem Maskenball spalteten sich die Herries' infolge einer Auseinandersetzung in zwei Lager und leiteten durch den seither untereinander fehlenden Zusammenhalt ihren eigenen Niedergang ein. Francis zog sich damals die Feindschaft seines zehn Jahre jüngeren Bruders und Gastgebers Will zu, da er nicht für ihn Partei ergriff.

"Your own betrayal of me, Francis, I am not likely to forget." (II, 503)

Die Gründe für die, wie es schien, plötzlich eingetretene Fehde lagen jedoch tiefer und deuten auf die Absicht des Erzählers hin, ähnlich wie in der Forsyte Saga die Unvereinbarkeit von ideellem und materiellem Denken darzustellen.

[The] external feud is itself only a symbol of a deeper cleavage still within the Herries soul, b etween the two sorts of Herries, the sort that „believes in facts“ and the sort that „believes in things behind the facts“.18

Will hatte bereits als Siebzehnjähriger eine Abneigung gegen Francis, die an Haß grenzte, weil dieser ideellen Neigungen nachging und nicht seine materiellen Interessen teilte.

17TLS v. 25. 8. 1932. „The Fortress“. Rezension. Verfasser unbekannt. S. 592

18TLS v. 25. 8. 1932. „The Fortress“. Rezension. Verfasser unbekannt. S. 592

Neben der Kompromißlosigkeit seinem Bruder gegenüber weist Wills Wunsch, seine Familie zu einer der einflußreichsten und mächtigsten im Land zu machen, auf seinen Größenwahn hin. Vom Erzähler wird dieser Wunsch infolge der mehrfachen Wiederholung des Wortes „made“ ins Exzentrische gesteigert. Wills Stolz auf den Namen Herries macht zugleich aber auch deutlich, welche Stellung der Erzähler dem System Familie in dem Roman einräumt.

Will would follow his father in the business, would in truth double it and more than double it. Now, with all England's glorious foreign conquests, with the India Trade, the China Trade and the rest, now was the very time to make a fortune. But it was to be a fortune made in the grand manner, made in the very heart of the universe, made against the very strongest opposition, and made - here was the fount and crown of the whole ambition - made for the HERRIES' glory. (II, 384)

Francis hingegen war nie von Wills Wesen angetan. Durch die in ihren Gegensätzen unvereinbaren Charaktere der beiden Brüder wird der Niedergang der Herries g efördert.

"I shall build the Herries fortunes, [...] I shall marry [...] and so increase the Herries stock." "There, Will; that's your fancy. It's you, yourself. Money-bags, children, more money-bags. God, what ambition! [...] is that all life is to you?" (II, 388/9)

Da Wills Sohn genauso machtbesessen und geldgierig ist wie er selbst, wird er von diesem im Jahre 1813 überredet, den kostspieligen Herriesschen Familienwohnsitz Westaways, der acht Meilen von Uldale entfernt liegt, zu kaufen. Sir Pomfret Herries, ein Großonkel Wills, hatte ihn vor hundert Jahren von dem Architekten Westaway bauen lassen. Dieser war - wie Bosinney - viel im Ausland gewesen und hatte die Anregungen, auf die er dort gestoßen war, mit seinen eigenen Ideen und Vorstellungen verbunden.

Daraus entstand - ähnlich wie bei Bosinney - ein sehr eigenwilliger Baustil, durch den Westaway zu einem der gefragtesten Architekten Englands wurde. Das ungewöhnlich schöne Haus mit seinen zartrosa getönten Backsteinen, das Westaway für Sir Pomfret Herries baute, zeichnet sich durch moderne Schiebefenster, Säulen am Eingang und einer Terrasse aus. Es ist mit roten Ziegeln gedeckt und ohne Giebel. Seine Front schmückt schmiedeeisernes Gitte rwerk. Bemerkenswert im Innern des Hauses sind die Säulenhalle und eine breite Treppe, die in einen großen Salon hinaufführt, in dem Kristallkronleuchter von der Decke hera bhängen. Die Decke selbst ist mit Fresken verziert. Im kunstvoll angelegten Garten st ehen alte Linden, und der Rasenplatz ist eingefaßt von Kübeln mit Orangen- und Loo rbeerbäumen. Rechts vom Haus sind Treibhäuser, ein Blumen- und ein Gemüsegarten. Westaways war - ähnlich wie Robin Hill - mit großem Kostenaufwand gebaut worden, da Pomfret ein prächtigeres Haus besitzen wollte als seine Nachbarn.

This has always been a habit with certain of the Herries. (I, 36)

Der Erzählkommentar erinnert an die kritische Einstellung, die der Erzähler in der Forsyte Saga Soames entgegenbringt. Auch Pomfret sieht in seinem Landsitz vor allem

ein Mittel zur Zurschaustellung seines Besitzes. Walter und Will verfolgen mit ihm dieselbe Absicht.

Wills Vater David fehlte diese materielle Einstellung. Er kaufte 1760 in Uldale für sich und seine Frau Sarah Fell House nur, weil der Platz bei seinen Eltern für die Gründung einer eigenen Familie und einer eigenen Arbeitsstätte nicht ausreichte. Fell House sieht im Vergleich zu dem sich mit Prunk und ausschweifender Geselligkeit schmückenden Westaways lediglich einem besseren Bauernhaus ähnlich und ist eher für Behaglichkeit gebaut. Vom Fleiß seiner Bewohner zeugen die sich auf dem Grundbesitz befindenden Ställe, eine Molkerei, Scheunen und ein Garten mit Obst-, Gemüse und Zierpflanzen.

Da Will in Uldale zur Welt gekommen und aufgewachsen ist, beginnt Walter, der glaubt, aus diesem Grund ein Anrecht auf Fell House zu haben, seine nunmehr darin lebenden Bewohner - seinen Onkel Francis und dessen Familie - von Westaways aus zu terrorisieren. Sein Vorhaben, Uldale für sich zu gewinnen und damit zum Herrscher über ganz Cumberland zu werden, hält er aber auch für gerechtfertigt, weil Francis mit Jennifer, die die Fehde auslöste, verheiratet ist und er seit Jahren ihr illegitimes Verhältnis zu Hauptmann Fernyhurst toleriert. Bevor Walter für ein abruptes Ende dieser Beziehung sorgt und anschließend Francis in den Tod treibt, wiegelt er die Dorfbewohner von Uldale gegen Fell House auf. Seine Worte fassen sein Vorhaben gegen die Verwandten noch einmal zusammen:

"That place and all in it are doomed." (II, 674)

In seiner Besitzgier läßt er Scheunen in Brand stecken, Kühe vergiften, das Haus bespitzeln, das Dienstpersonal bestechen und die auf einem Berg in High Ireby gelegene Burg bauen, um von ihr aus auf Fell House hinabsehen zu können. Die Aggressivität, mit der er versucht, an seinen vermeintlichen Besitz heranzukommen, erinnert an Soames.

Auch er ging brutal vor, als er seinen vermeintlichen Anspruch auf Irene als seinen Besitz gefährdet sah, indem er sie vergewaltigte und Bosinney in den Tod trieb.

Die Reaktion von Walters Tante Judith auf sein Ansinnen sind ein Beleg für die eingangs erwähnten Gegensätze der Herries zwischen ideellem und materiellem Denken.

„I love this country. [...] I love it because it is dark and full of storms and rains every other day, and smells of bracken and sheep and cow-dung. But you have none of these reasons. You love it because you wish to impress it, and I can tell you it is not so easily impressed. What have you got? You have one thing - money. Nothing else.“ (II, 674)

In Judiths letzten Worten kommt zum Ausdruck, wie wenig Wert sie im Vergleich zu Walter dem Geld beimißt. Ihre Worte stimmen zugleich aber auch nachdenklich, besagen sie doch, wie arm Geld machen kann.

Im Dokument Besitz und Ideal (Seite 46-49)