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Abkehr vom „sense of property“

Im Dokument Besitz und Ideal (Seite 111-114)

VII. Loslösung von Konventionen

7.1.1. Abkehr vom „sense of property“

Im Umgang mit seinen zwei Enkelkindern Jolly und Holly zeigt sich der alte Jolyon von einer Seite, die sich nur schwer mit dem Bild eines Mannes vereinbaren läßt, der es vorzieht, den Kontakt zu seinem einzigen Sohn vierzehn Jahre zu meiden, statt den Verdacht der vom viktorianischen Moralkodex geprägten Gesellschaft hinzunehmen, er stehe zu dessen Ehebruch.

Reason and training - that combination of potent factors which stood for his principles - told him of this impossibility, and his heart cried out. The grim remorselessness of that business had no pity for hearts. (I, 35)

Der Erzähler beschreibt mit den Worten „reason and training“, mit welchen Mitteln der alte Jolyon unter dem Druck der Gesellschaft seine Gefühle beherrscht. Die Worte „his heart cried out“, „grim remorselessness“ und „no pity for hearts“ sind nicht nur ein Hinweis darauf, wie schwer ihm dies fällt, sondern auch, in welchem Zwiespalt er lebt:

Von seinen Emotionen her läßt er sich in die Gruppe derer einordnen, die den Sinn des Lebens in der Verwirklichung ideeller Ziele wie Schönheit, Naturverbundenheit und Liebe sieht. In diesen Zielen sieht er sich durch die Konventionen der Gesellschaft eingeengt. In seinem Handeln stimmt er mit der konventionell eingestellten Gruppe überein, auch wenn er sich in seinem Idealismus von der Notwendigkeit auf unangenehme Weise betroffen fühlt, seinem Sohn den Einfluß auf seine Tochter June entziehen zu müssen, weil er für ihre moralische Entwicklung im viktorianischen Sinn nichts Gutes verheißt.

He saw he must part with one or with the other; no half-measures could serve in such a situation. In that lay its tragedy. [...] He would not run with the hare and hunt with the hounds, and so to his son he said good-bye. (I, 36)

Die Beschreibung des Erzählers entbehrt durch das Wort „tragedy“ der Schärfe in seiner Kritik an dem alten Jolyon. Er wird von ihm als ein Opfer seiner eigenen Prinzipientreue dargestellt, das von einer Gesellschaft umgeben ist, die diese zu ihrem Vorteil ausnutzt.

Nur dadurch gelingt es ihr, den alten Jolyon dazu zu bringen, den Kontakt zu seinem Sohn abzubrechen. Erst als er ein Alter erreicht hat, das ihm nicht mehr viel Zeit läßt, seine Wertvorstellungen zu verwirklichen, wird ihm bewußt, daß ihn seine Prinzipientreue und damit sein Festhalten an Konventionen vierzehn Jahre seines Lebens gekostet hat. Aus diesem Bewußtsein heraus stellt er den Kontakt zu seinem Sohn wieder her und beseitigt damit den Zwiespalt zwischen seinem ideellen und konventionellen Denken, der ihn sein ganzes Leben hindurch begleitet hat.

The boy must be forty by now. He had wasted fourteen years out of the life of his only son. (I, 38)

Die Worte „boy“, „only son“, „Jo“ und „wasted“ drücken den Wunsch des alten Jolyon danach aus, seinem Sohn ein guter Vater zu sein. Von der destruktiven Wirkung seines konventionellen Denkens ist auch seine Enkelin June betroffen. Ihr fehlt die Beziehung zu ihrem Vater, da der alte Jolyon diesem zwischen ihrem dritten und 17. Lebensjahr den Kontakt mit ihr untersagte. Sein Wunsch, auch June wieder mit ihm zusammenzubringen, ist ein erneuter Beweis dafür, daß er sich von seinem konventionellen Denken gelöst hat.

Das hat auch das Bestreben zur Folge, seinem Sohn nicht nur ein guter Vater, sondern seinen Enkelkindern Jolly und Holly ein guter Großvater zu sein.

Those sweet children! Ah! what a piece of awful folly! (I, 115)

Die Worte „what a piece of awful folly!“ stehen in direktem Zusammenhang zu den Worten „reason and training“, mit denen der alte Jolyon seine Gefühle vierzehn Jahre lang unterdrückte. Sie erinnern aber auch an „his heart cried out“, sieht er es doch aus seiner jetzigen Sichtweise als ebenso furchtbare Torheit an, daß er es zu diesem Zustand kommen ließ.

And Nature with her quaint irony began working in him one of her strange revolutions, following her cyclic laws into the depths of his heart. And that tenderness for little children, that passion for

the beginnings of life [...] worked in him to [...] follow these littler things. [...] his eyes grew soft, his voice, and thin, veined hands soft, and soft his heart within him. And to those small creatures he became at once a place of pleasure, a place where they were secure, and could talk and laugh and play; till, like sunshine, there radiated from old Jolyon's wicker chair the perfect gaiety of three hearts. (I, 112)

Worte wie „sunshine“, „tenderness“, „passion“, „perfect gaiety of three hearts“ sowie die auf die Augen, die Stimme und die Hände des alten Jolyon bezogene dreifache Wiederholung des Wortes „soft“ erinnern an Irene als „a concretion of beauty“, verkörpern doch auch sie ideelle Werte und sind damit symbolisch ein Ausdruck der Lebensweise, mit der der alte Jolyon, fern von der in Konventionen verharrenden Gesellschaft, die der Erzähler mit „grim remorselessness“ und „no pity for hearts“

umschreibt, seinen Lebensabend beschließt. Je näher er und seine Enkelkinder sich kommen, um so selbstkritischer bewertet er sein Vorgehen gegen seinen Sohn vor vierzehn Jahren.

He was a poor thing - had always been a poor thing - no pluck! Such was his thought. (I, 116)

Aus den Worten „no pluck“ läßt sich die Vermutung herleiten, daß sich der alte Jolyon nur an Prinzipien gehalten hat, weil ihm der Mut fehlte, zu seinem Sohn zu stehen. Seine Verachtung sich selbst gegenüber bringt er deshalb mit den Worten „poor thing“ zum Ausdruck. Seine Hingabe an seine beiden Enkelkinder wirft aus der Sicht des jungen Jolyon ein völlig neues Licht auf seinen Vater.

The sight of old Jolyon, with Jolly and Holly seemed to young Jolyon a special peep-show of the things that lie at the bottom of our hearts. The complete surrender of that erect old figure to those little figures on either hand was [...] poignantly tender. (I, 217)

So wie der junge Jolyon seinen Vater sieht, kann ihn nur jemand sehen, der dem Leben idealistisch gegenübersteht. Worte wie „complete surrender“, „poignantly tender“ und

„bottom of our hearts“ sind ein Zeichen dieses Vertrautseins. Bei seinem Vater entwickelt sich dies erst durch dessen wiederhergestellte Beziehung zu ihm, aber auch durch dessen Beziehung zu Irene.

[Irene] had come so strangely - a sort of visitation, mysterious, even romantic, as if his desire for company, for beauty, had been fulfilled by - whatever it was which fulfilled that sort of thing. (II, 16)

Die Worte „strangely“, „visitation“, „mysterious“ und „romantic“ weisen mit ihrem poetischen Klang auf Irenes emotionale Wirkung hin, die sie auf den alten Jolyon ausübt.

Durch sie gibt er seine Identität als typischer Forsyte endgültig auf, da er nunmehr sogar bereit ist, sich aufgrund ihres Einflusses von dem ihm anhaftenden „sense of property“ zu trennen. Dieser spiegelt sich bei ihm, wie bei Timothy und den übrigen Forsytes hauptsächlich in der Sorge um seine Gesundheit wider, die er sein Leben lang als seinen kostbarsten Besitz pflegte, um ein hohes Alter zu erreichen.

Of all forms of property their respective healths naturally concerned them most. (I, 15)

Sein Herz schloß er von dieser Sorge aus. Erinnert sei an die Worte „his heart cried out“.

Den Idealen, denen er im Alter nachgeht, ist er durch die jahrelange seelische Belastung, die auf den fehlenden Kontakt zu seinem Sohn folgte, nicht mehr gewachsen. Dennoch kann er dieser Lebensweise nicht widerstehen, besteht sie doch darin, sich der Faszination hingeben zu können, die Irene durch ihre Ausstrahlung und ihr Aussehen auf ihn ausübt. Außerdem teilt sie seine Vorliebe für Chopin und Botticelli, so daß er mit ihr an seiner Seite die Musik des einen und die Malerei des anderen auf sich wirken lassen kann.

Their poetry hit no one in the face, but slipped its fingers under the ribs and turned and twisted, and melted up the heart. And, never certain that this was healthy, he did not care a rap so long as he could see the pictures of the one or hear the music of the other. (II, 20)

Diese völlige Abkehr von materiellen und die Hinwendung zu ideellen Werten hat zur Folge, daß er in dem Augenblick stirbt, in dem er zum ersten Mal zu leben meint beziehungsweise „his desire for company, for beauty, [has] been fulfilled“.

7.2. The Clayhanger Family

Im Dokument Besitz und Ideal (Seite 111-114)