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Grundbuchwesen und Grundstücksverkehr

Im Dokument EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (Seite 138-142)

7.5 Zusammenfassung: Eignung vs. Akzeptanz

5.2.2 Grundbuchwesen und Grundstücksverkehr

5.2.2.1 Historische Ausgangsbedingungen des Grundbuchwesens

Marktgegebenheiten aus der Zeit vor der Wende sind für die vorliegende Arbeit relevant, in-soweit sie die heutige Marktsituation beeinflussen. Es kommt also auf solche historischen Ge-gebenheiten an, die potenziell langfristig nachwirkende Einflüsse auf den Immobilienmarkt haben. Die Qualität der Aufzeichnung von Eigentumsrechten an Grundstücken kann ent-scheidend dafür sein, ob ein lückenloser Nachweis der Eigentumsrechte gelingt oder ob un-geklärte Eigentumsverhältnisse mögliche Immobilientransaktionen mit Risiken behaften.

Im Normalfall ist die Grundbuchsituation innerhalb eines Landes wegen der einheitlichen Ge-setzgebung gleich. In Polen, insbesondere auch im Hinblick auf die geografische Lage der vier Städte der Feldstudie, ist die Situation historisch bedingt komplizierter. Da das Staatsgebiet Polens nicht nur im Laufe der letzten hundert Jahre massiven Veränderungen unterworfen war, ergeben sich Unterschiede, da mit den unterschiedlichen Staatszugehörigkeiten auch eine unterschiedliche Verwaltungspraxis verbunden war.

Nach der ersten polnischen Teilung im Jahre 1772 waren noch alle untersuchten Städte im polnischen Einflussgebiet verblieben. 21 Jahre später, mit der zweiten Teilung des Landes,

272 Vgl. Ernst & Young (2003b), S. 45.

273 Vgl. Jaskiewicz (2002), S. 17-18.

274 Siehe dazu die Ausführungen zu Restitutionsansprüchen in Abschnitt 5.2.4.

fielen Lodz, Danzig und Posen an Preußen.275 Warschau wurde mit der dritten polnischen Teilung in 1795 ebenfalls kurzfristig ein Teil Preußens, war jedoch schon ab 1815 Hauptstadt des de facto unter russischem Einfluss stehenden so genannten „Kongresspolens“, dem auch Posen und Lodz zugehörten. Danzig verblieb ebenfalls nicht durchgängig unter der preußischen Herrschaft: Der 1807 mit Napoleon geschlossene Friedensvertrag sah eine freie Stadt Danzig vor, die faktisch unter französischer Kontrolle stand. Diese Ära endete bereits 1814 mit der Rückeroberung der Stadt durch die Preußen,276 und bis zum Ende des Ersten Weltkriegs blieb es in der Region um Danzig bei diesen Verhältnissen. Mit der Auflösung Kon-gresspolens in 1832 fiel Posen wieder an Preußen. Es folgte eine längere Periode stabiler Verhältnisse, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 währte. In dieser Zeit gehören Posen und Danzig zu Preußen bzw. zum Deutschen Reich, während Warschau und Lodz unter russischem Einfluss stehen.277

Nach dem Ersten Weltkrieg fielen Posen, Lodz und Warschau dem neu gegründeten Polen zu, während Danzig als freie Stadt unter der Verwaltung des Völkerbundes stand.278 Die ganz überwiegende Mehrheit der Danziger bekannte sich als dem deutschen Volk zugehörig, so dass die deutsche Verwaltungsstruktur in der Periode dort im Wesentlichen weiter bestanden haben dürfte.

Während des Zweiten Weltkriegs waren alle vier Städte im Einflussgebiet des Dritten Reichs, bevor 1945 die jetzt gültige territoriale Ordnung in Kraft trat. Damit begann auch die Zeit Po-lens als Satellitenstaat der Sowjetunion und die Zeit des kommunistischen Regimes im Land, das die Marktwirtschaftsordnung abschaffte bzw. bis zur Wende 1988/1989 unterbrach.

Laut Belniak / Schwartz (2000) ist die Qualität der Grundbücher in Polen regional unterschied-lich. Im russischen Zarenreich wurden keine Grundbücher geführt, während Preußen solche Register flächendeckend implementiert hatte. In kommunistischer Zeit wurde den Grundbü-chern wenig Aufmerksamkeit geschenkt, da der Produktionsfaktor Boden weitgehend kollekti-viert war und als wertlos betrachtet wurde. Ein Grundbuchsystem nachhaltig zu etablieren, bedarf einiger Zeit. Daher ist anzunehmen, dass der wichtigste Abschnitt der Geschichte in dieser Hinsicht die Periode der Stabilität zwischen 1832 und 1918 war. Gut gepflegte alte Grundbücher sind zum einen wichtig, um das Bestehen von Regressansprüchen enteigneter Alteigentümer beurteilen zu können. Bestehen keine gepflegten Grundbücher, stellt dies einen Unsicherheitsfaktor für Erwerber dar. Zum anderen bedeutet die Existenz alter Grundbücher, dass man die Implementierung eines modernen Grundbuchwesens schneller vorantreiben kann. Denn es sind bereits alle Parzellen einmal erfasst und man muss lediglich die Verände-rungen fortschreiben, anstatt erst noch alle Parzellen auszumessen und zu erfassen.

275 Vgl. Naujocks (2003); Jäger-Dabeck (2003), S. 34-38; o. V. (2004); Verlagswerkstatt Hauck (Hrsg.) (1986), S. 78-79.

276 Vgl. Naujocks (2003).

277 Vgl. Verlagswerkstatt Hauck (Hrsg.) (1986), S. 114-119.

278 Vgl. Jäger-Dabeck (2003), S. 44; Verlagswerkstatt Hauck (Hrsg.) (1986), S. 128-129; Naujocks (2003).

Eigenschaften und Entwicklung des polnischen Gewerbeimmobilienmarktes Seite 123

tet man die vier Städte der Feldstudie aus diesem Blickwinkel, so lässt sich vermuten, dass Danzig und Posen die beste Grundbuchsituation aufweisen, denn beide Regionen standen in der maßgebenden Zeitspanne unter preußischer bzw. deutscher Verwaltung. In Danzig dürfte die Situation aufgrund der kontinuierlicheren Zugehörigkeit zum deutschen Verwaltungssys-tem in jüngerer Zeit (quasi von 1814-1945) noch besser sein als in Posen, wo bereits ab 1919 die deutsche Verwaltung entfiel, wenn man einmal von der Zeit des Zweiten Weltkriegs ab-sieht. Allerdings zeigte sich durch die Interviews, dass die Grundbuchsituation in der Region um Danzig zwar vergleichsweise positiv ist. In Danzig selbst ist die Lage jedoch nicht so güns-tig, da in der Zeit zwischen den Weltkriegen ein Nebeneinander unterschiedlicher Rechtssys-teme dazu führte, dass teilweise mehrere Grundakten für ein einzelnes Grundstück angelegt wurden. Diese Praxis sorgt noch heute für Konfusion.279

5.2.2.2 Grundbuchwesen und Grundstücksverkehr heute

Das aktuelle polnische Grundbuchwesen beruht auf dem Gesetz über die Grundbücher und Hypotheken aus dem Jahre 1982. Demnach verfügt das polnische Grundbuch über vier Ab-teilungen, die sich von der deutschen Systematik leicht unterscheiden. In der ersten Abtei-lung ist die Bezeichnung der Immobilie festgehalten. Die Abteilung II gibt Auskunft über Ei-gentum und ewigen Nießbrauch. Lasten und Beschränkungen werden in Abteilung III fest-gehalten mit Ausnahme von Hypotheken, für deren Eintrag eigens die IV. Abteilung vorgese-hen ist.280

Im Unterschied zum deutschen Grundbuchrecht, wo das Grundbuch öffentlichen Glauben genießt und die Grundbucheintragung des Eigentümers dessen Eigentum konstituiert, hat eine Eigentumseintragung im polnischen Grundbuch grundsätzlich nur deklaratorischen Charakter. Allerdings entstehen einige andere Rechte am Grundstück, wie zum Beispiel das Erbnießbrauchrecht und auch die Hypothek, erst durch die Eintragung im Grundbuch. Die Grundbucheintragung hat hier also im Gegensatz zum Normaleigentum konstitutiven Charak-ter.281

Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang die äußerst lange Dauer des Eintra-gungsverfahrens – es kann mehrere Jahre dauern.282 Die Regierung hat dieses Problem er-kannt und verspricht sich von der Einführung elektronischer Grundbücher Abhilfe.283 Bis diese Wirkung eintritt, muss sich die Wirtschaft mit dem Abschluss von Versicherungen helfen, die

279 Vgl. Interview mit Herrn Aleksandrowicz (siehe Anhang O).

280 Vgl. Zmuda (1998), S. 3.

281 Vgl. Zmuda (1998), S. 3.

282 Vgl. Interview mit Herrn Michas (siehe Anhang O). Die lange Dauer ist möglicherweise Folge einer Zusatz-belastung der Behörden durch die unten erwähnte Systemumstellung.

283 Vgl. o. V. (2002a), S. 18.

vom Prinzip der amerikanischen „Title Insurance“ gleichen.284 Auch danach kann eine solche Versicherung noch sinnvoll sein, weil das polnische Grundbuch grundsätzlich keinen öffentli-chen Glauben genießt.

Unterschiede zum deutschen Grundstücksrecht bestehen nicht nur im Hinblick auf das Grund-buch, sondern auch beim Grundstücksverkehr. Ebenso wie in Deutschland ist für die Eigen-tumsübertragung an einem Grundstück ein Notarvertrag vorgeschrieben. Doch das Grundprinzip des Kaufvertrags unterscheidet sich vom Grundgedanken des deutschen Rechts. Kerngedanke des deutschen Rechts ist das so genannte Abstraktionsprinzip. Es be-sagt, dass beim Vertragsschluss zwischen zwei eigenständigen Rechtsgeschäften zu unter-scheiden sei: einerseits das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft, andererseits das sa-chenrechtliche Verfügungsgeschäft. Im Verpflichtungsgeschäft verpflichten sich die Vertrags-parteien zum folgenden Verfügungsgeschäft. Erst mit dem Verfügungsgeschäft geht das Ei-gentum an der Sache auf den Erwerber über.285

Das polnische Recht kennt ein solches Abstraktionsprinzip nicht.286 Es gilt stattdessen das so genannte Konsensprinzip, nach dem Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft zwar getrennt existieren, aber im Normalfall zeitlich zusammenfallen. Das Eigentum geht in Polen also re-gelmäßig bereits mit Vertragsschluss über.287 Die in der Praxis wichtigste Konsequenz ist, dass an eine Bedingung gebundene Grundstücksgeschäfte prinzipiell unzulässig sind.288 Damit kann ein Investor beispielsweise keinen Kaufvertrag abschließen, bei dem der Kauf nur dann wirksam wird, wenn der Staat später eine bestimmte Baugenehmigung erteilt.

Das polnische Recht sieht Grundstück und Gebäude grundsätzlich als Einheit an. Es ent-spricht in diesem Punkt dem deutschen Recht und grenzt sich gleichzeitig gegenüber anderen Nachbarländern ab.289 Diese Sichtweise bedeutet für den Grundstücksverkehr, dass Grundstücke und Gebäude gemeinsam übertragen werden müssen.290 Zur Begründung des Erbnießbrauchs ist eine Sonderregelung notwendig, da hier die Eigentumsrechte an den Ge-bäuden und das Eigentumsrecht am Grundstück ausnahmsweise und für eine begrenzte Zeit auseinander fallen. Es muss daher bereits bei Abschluss des Erbnießbrauchvertrags eine

284 Vgl. Interview mit Frau Zaleczna (siehe Anhang O).

285 Eigentlich handelt es sich um ein Verpflichtungsgeschäft und zwei Verfügungsgeschäfte (z.B. 1. Kaufpreis-zahlung und 2. Eigentumsverschaffung). Zum Abstraktionsprinzip vgl. beispielsweise Kallwass (1996), S.

88-97.

286 Das Abstraktionsprinzip ist als deutsche Eigenheit anzusehen, denn alle romanischen Rechtskreise kom-men grundsätzlich ohne dieses Prinzip aus. Vgl. Kallwass (1996), S. 90.

287 Vgl. Art. 155 § 1 ZGB; Tigges (1996), S. 3; Jaskiewicz (2002), S. 18 mit weiteren Nachweisen.

288 Vgl. Jaskiewicz (2002), S. 18; Zmuda (1998), S. 3.

289 Beispielsweise besteht in Tschechien und der Slowakei das Gebäudeeigentum selbständig neben dem Grundstückseigentum. Vgl. dazu: Havlicek (1990), S. 107-108; Arndt (1995), S. 22-23.

290 Vgl. Art. 235 § 2 ZGB.

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Heimfallregelung für den Zeitpunkt des Vertragsablaufs getroffen werden, die auch die dann fällige Entschädigungszahlung für die aufstehenden Gebäude spezifiziert.291

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