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schaftlichen Verfassungstheorie des Kleinstaates, seine strukturelle und iunktionelle Offenheit,

1. Die persönliche Seite (das intensivierte Näheverhältnis Bürger/Staat)

Stichwort ist die gesteigerte Grundrechtswirklichkeit, aber auch Ressour­

cenknappheit.

Die Massendemokratien und grossräumigen Flächenstaaten (klassisch:

die USA) haben ihre von der traditionellen Staatslehre oft geschilderte Grundrechts- und Demokratie-, Organisation- und Integrationsprobleme, die sie u. a. mit besonderen Partizipationsinstrumenten, mit

Dezentralisie-M Die Zeit, Nr. 46 vom 9. November 1990, S. 99 f.; s. auch die Äusserung von G. Batliner (zit.

nach FAZ vom 16. März 1990, S. 10): "Im Innern" (Liechtensteins) sei noch die "Wärme und Nähe des Kleinen" zu finden.

55 Zit. nach NZZ vom 6./7. Okt. 1990, S. 91.

rungsstrukturen von der kommunalen Selbstverwaltung über den Regiona­

lismus bis hin zum Föderalismüs lösen wollen. Die Frage ist, ob und wie der durch die geringe Zahl seiner Bürger und damit sein kleines Volk und oft auch durch die Kleinheit seines kultivierten Raumes gekennzeichnete Kleinstaat die Grundprobleme des "normalen" Verfassungsstaates variiert, d.h. das Staat/Bürgerverhältnis, das Verhältnis von Menschenwürde sowie Grundrechten und Demokratie. Die klassische Staatselementenlehre G. Jel-lineks behält ihr relatives Recht, aber sie ist verfassungstheoretisch zu über­

denken - es gibt nur so viel Staat wie die Verfassung konstituiert - und sie ist vor allem kulturwissenschaftlich anzureichern: Die Kultur der Verfassung ist das übergreifende Ganze, in dem Volk und Staat, Raum und Recht ihren Platz haben.

Wie der grössere Verfassungsstaat so baut sich seine Beispielsgruppe

"Kleinstaat" von der Menschenwürde her auf, um von ihr bzw. den privat und politisch verstandenen Grundrechten her zur Demokratie - spätestens seit der KSZE-Charta von Paris (1990) die einzige Regierungsform - zu führen. So schwer es bis heu te ist, Individuum und Gemeinschaft zugleich zu denken: im modernen Verfassungsstaat b ildet die Menschenwürde des einzelnen den archimedischen Punkt, die kulturanthropologische Prämisse von Recht und Staat. Zugleich politisch verstanden, führt sie notwendig zur pluralistischen Demokratie. "Volksrechte" sind nur die andere Seite der aus der Menschenwürde des einzelnen entfalteten und weiterentwickelten Grundrechte.

Was bedeutet all dies f ür den Kleinstaat? Wenn nach I. Kant der Staat eine "Menge Menschen unter Rechtsgesetzen" ist, s o heisst dies auf den Kleinstaat bezogen: eine kleine Menge Menschen auf zumeist kleinem Gebiet, jedenfalls in einem Raum, für den intensive Näheverhältnisse cha­

rakteristisch sind. Die verfassungsstaatliche Raumtheorie ist hier einzubrin­

gen. "Kleinstaatsbürger" und kleines Kleinstaatsvolk sind sich und den Staatsfunktionen in ihrer Grundrechts Wirklichkeit näher als in den "norma­

len" Verfassungsstaaten, an denen die klassische allgemeine Staatslehre und die Verfassungslehre ihre Grundfragen und Methoden diskutieren. Eigent­

lich wäre es notwendig, die wichtigsten Staatstheorien im deutschsprachi­

gen Raum, besonders die modernen Klassiker H. Heller und R. Smend, auf den Kleinstaat hin zu buchstabieren: etwa die spezifischen Anforderungen an die Organisation ebenso wie besondere Möglichkeiten der Integration.56 56 H. Heller, Staatslehre (1934), 6. Aufl. 1983; R. Smend, Verfassung un d Verfassungsrecht

(1928), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 119 ff.

Das ist hier nicht möglich. Genügen müssen Stichworte: Die Integrations­

vorgänge zwischen Staat und Bürger können im Kleinstaat intensiver sein.

Angesichts oft (heute vor allem ökonomisch und kulturell) bedrohender grösserer Nachbarstaaten werden die Integrationselemente und -gegen­

stände, mit denen sich der Bürger des Kleinstaates für die Selbstbehauptung identifizieren kann, aber auch wichtiger. Symbolvorgänge wie gelebte Fei­

ertage - Liechtenstein illustriert diese Möglichkeiten gut -, aber auch erfahr­

bare Symbole wie Staatsflagge und Hymne werden besonders wichtig.

Im staatsorganisatorischen Bereich lassen sich wohl viele Aufgaben und Chancen, die im Verfassungsstaat den Kommunen, im Bundesstaat den Gliedstaaten (bei uns in Deutschland etwa die Stadtstaaten Hamburg und Bremen) und im "Europa der Regionen" den Regionen zugedacht werden, für den Kleinstaat in Anspruch nehmen: Demokratie von unten nach oben, Gemeinsinn und Verantwortungsgefühl, Bürgernähe der Staatsfunktionen, aktive Teilhabe im überschaubaren Raum "Heimat". Was sich im grösseren Verfassungsstaat schwer bilden lässt: Heimatgefühl und Staatsbewusstsein, das hat im Kleinstaat besondere Chancen.

Die räumliche Enge des Kleinen, die Nähe der Grenzen bzw. der Nach­

barn, die geringere Zahl der Mitbürger vermittelt dem Kleinstaat zumal heute in der einen weltweiten Kommunikationsgesellschaft mit dem Verfassungs­

staat als tendenziell universalem Freiheitsgefüge un d humaner Ordnungs­

struktur in eigentümlicher Dialektik ein spezifisches Element der Offenheit, auch Angewiesenheit auf andere Verfassungsstaaten und internationale Orga­

nisationen. Darauf ist zurückzukommen, zumal es in dem zusammenrücken­

den Europa "der Kommunen und Regionen" paradigmatische Bedeutung hat. An dieser Stelle ist der erste Grund zu nennen, weshalb dem Kleinstaat Modellcharakter zukommt: er bildet eine verfassungsstaatliche Strukturein­

heit, die der grössere Verfassungsstaat durch regionale und föderative Struk­

turen "nachahmt" bzw. tendenziell heute immer mehr zu erreichen sucht.

Der Unterschied zwischen den grösseren Staaten- und den Kleinstaaten rela­

tiviert sich in gewisser Hinsicht: Jene suchen "Verkleinerungs-" bzw. Gliede­

rungsformen, die dem Kleinstaat und seinen Positiva ein Stück weit entgegen­

kommen; der Kleinstaat seinerseits fügt sich in grössere konstitutionelle Zusammenhänge, etwa Regionen, (Kon-) Föderationen, internationale Orga­

nisationen ein, um sich ein Stück "grösser" zu machen. An dem Fallbeispiel Liechtenstein lässt sich dies gut studieren: man denke an seine Staatsverträge mit der Schweiz, seine Einbindungen in Regionalzusammenhänge mit den Nachbarn, seinen Beitritt zum Europarat (EMRK), ja jüngst zur UNO.

Diese wechselseitige Annäherung der kleinen und grösseren Verfassungs­

staaten scheint paradox. Sie ist aber nur Ausdruck einer Dialektik von Begrenzung und Öffnung einerseits, von globalen Entwicklungen anderer­

seits: D ie Weltgemeinschaft der Verfassungsstaaten intensiviert sich, weil die eine Welt des "blauen Planeten" Erde enger zusammenrückt bzw. klei­

ner geworden ist und insofern - überspitzt formuliert - alle Verfassungsstaa­

ten mehr oder weniger "Kleinstaaten" zu werden beginnen.

2. Kulturelle Rezeptionen, insonderheit fremden Rechts