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DER B IODIVERSITÄT ALS G RENZ - UND

2.3 Biodiversität als Wert- und Normbegriff

2.3.1 Die »´Fakten`-Argumentation« für die Erhaltung der Biodiversität

a) Historisch betrachtet, lässt sich die naturwissenschaftlich abgestützte »´Fakten`-Argumentation« auf die, in den 1960er bis 1980er Jahren gewonnenen Erkenntnisse bezüglich des Zusammenhangs zwischen ökosystemarer Stabilität und Artenvielfalt zu-rückführen, die sich vor allem in den verschiedenen Varianten der Diversitäts-Stabili-täts-Hypothese niederschlagen.34 Wie eingängig diese Hypothese zu Zeiten der Genese und Naturschutzforschung fokussiert werden, weil man hier gemäß der guten wissenschaftlichen Praxis sowie der ihnen zugewiesenen Aufgabe der Bereitstellung von Erkenntnissen, Methoden und Kriterien für die Verwirklichung der gesellschaftspolitischen Zielstellungen am ehesten erwarten kann, dass die Biodiversitätsziele begründet werden. De facto ist dies selten der Fall. So weist nicht nur Kirsten Meyer in ihrer Arbeit zur »Begründungsvielfalt im Naturschutz« darauf hin, dass lange Zeit die einhellige Meinung im Umwelt- und Naturschutz herrschte, dass diese sich „ökologisch“ be-gründen ließen, wobei dabei angenommen wurde, dass das Aufzeigen der ökologischen Zusammen-hänge als Begründung für die Umwelt- und Naturschutzziele ausreichend sei (Meyer 2003:45). Dies wird hier als »naturwissenschaftliche Faktenargumentation« bezeichnet. Weiter führt Meyer aus, dass erst seit den 1980er Jahren in den Publikationen der Umwelt- und Naturschutzforschung ver-mehrt darauf hingewiesen wurde, dass sich Umwelt- und Naturschutzziele nicht rein naturwissen-schaftlich begründen lassen, da die Ökologie nur Zustandsbeschreibungen geben und prognostizie-ren, diese aber nicht bewerten kann (ebd., 46). Als Reaktion darauf wurde dann versucht, die Um-welt- und Naturschutzziele über den Wert der Natur/Umwelt zu begründen – entweder über deren instrumentelle Werte, was hier als »ökonomische Faktenargumentation« bezeichnet wird oder über den Eigenwert, was als »Eigenwertargumentation« bezeichnet wird - wobei aber die Spezifika der Ethik als wissenschaftliche Reflexionstheorie nicht in ausreichenden Maße ernst genommen wurden und werden (siehe 2.3.2).

34 Bezüglich der Bedeutung der Diversität für die Stabilität von Ökosystemen gab es schon vor dem Be-ginn der Biodiversitätsdebatte kontroverse Debatten in der Ökologie, die mit dem BeBe-ginn der Biodi-versitätsdebatte erneut Konjunktur bekamen (Trepl 1999:92). Die Diversitäts-Stabilitäts-Hypothese, die, anders als ihr Name suggeriert, oftmals als naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeit betrachtet wurde, wird seitdem immer wieder angegriffen und kritisiert, anderseits aber auch immer wieder partiell bekräftigt. Die Bedeutung, die der Diversitäts-Stabilitäts-Hypothese zugeschrieben wird,

er-des Konzepts der Biodiversität war und es noch immer ist, zeigt sich nicht zuletzt an der NBS, in der die Zusammenhänge zwischen Artenvielfalt und der Pufferkapazität ökologischer Systeme unter dem Stichwort „Versicherungshypothese“ (BMUB 2011:10) aufgenommen werden:

„Es wird angenommen, dass Ökosysteme mit einer natürlichen Vielfalt an Arten Störereignisse (…) besser abpuffern können als Ökosysteme, in denen viele Arten bereits ausgestorben sind. Eine hohe genetische Variabilität der Arten macht es wahrscheinlicher, dass zumindest Teile von Populationen dieser Arten in der Lage sind, sich an verändernde Umweltbedingungen anzupassen. Zudem nimmt mit zunehmender Anzahl der Arten die Wahrscheinlichkeit zu, dass zumindest einige dieser Arten in der Lage sind, unterschiedlich auf äußere Störungen und Änder-ungen der UmweltbedingÄnder-ungen zu reagieren. Außerdem erhöht eine größere An-zahl an Arten die Wahrscheinlichkeit, dass in dem Ökosystem zwei Arten sich funktionell weitgehend decken, so dass die eine bei Wegfall der anderen deren Rolle im Ökosystem übernehmen kann.“ (ebd., 10–11)

Über diese Zusammenhänge wird indes nur ´zwischen den Zeilen` deutlich, warum es gerechtfertigt sein sollte, die ökosystemare Stabilität zu erhalten: Implizit wird hier die Einsicht vermittelt, dass die Natur durch den Menschen und sein Handeln, wenn dieses sich nicht drastisch ändert, unwiederbringlich und unrevidierbar zerstört werden kann, womit wiederum die Gefahr verbunden wird, dass der Mensch sich gerade aufgrund seines Eingreifens in die Natur seiner natürlichen Lebensgrundlagen beraubt. Um eben dies zu verhindern, sollen Biologie und Ökologie dazu beitragen, die Grenzpunkte und Schwellen der ökosystemaren Belastbarkeit zu bestimmen und festzulegen. Biologie und Ökologie werden damit zu Leitwissenschaften des politischen Natur- und Umwelt-schutzes erhoben.35 Wenn aber die biowissenschaftlichen Systemvorstellungen nicht lebt in der Wissenschaft und insbesondere in der Ökologie, im fachlichen Naturschutz sowie in der Naturschutzpolitik daher ein stetiges auf und ab. Fest steht mittlerweile, dass das Bild, das die ´rivet Hypothese` 1981, basierend auf der, in den 1960iger Jahren gängigen Annahme, dass (Arten-)Diver-sität die ökosystemare Stabilität generell begünstige, gezeichnet hat, viel zu einfach gedacht ist: Es gibt keine einfachen positiven, linearen Zusammenhänge zwischen Diversität und Stabilität, es stimmt aber auch nicht, dass diese Zusammenhänge überhaupt nicht vorhanden sind (ebd., 116). Da-her muss detailliert gefragt werden, „auf welche Eigenschaften welcDa-her Arten sich welche Art von Stabilität genau bezieht (ebd., 121).

35 Auch wenn bis heute viele berechtigte und ernstzunehmende Argumente angeführt wurden, die das (vermeintlich) solide Fundament der Biowissenschaften als Leitwissenschaft des politischen Natur- und Umweltschutzes erschüttern (müssten), ist die von Ludwig Trepl konstatierte Diagnose, die er bereits 1988 formuliert hat, nach wie vor zutreffend: „Es sinddie Figuren der Ökologie, die das Den-ken über die Natur und über die Stellung des Menschen in ihr organisieren: Ein Bild der Natur als Systemzusammenhang ist populär geworden, worin nichts geschehen kann, ohne Wirkung auf das Ganze, und das Ganze weist den Teilen die Richtung und setzt ihnen Grenzen.“ (Trepl 1988:164–165) Diese Grundannahme der Ökologie ist - vor allem außerhalb der Biowissenschaften - zur Selbstver-ständlichkeit geworden, so „dass diejenigen, die nicht nur feststellen, dass die Ökologie eine

Leitwis-nur dazu benutzt werden, die Grenzen der ökosystemaren Belastbarkeit festzulegen, sondern wenn die Ergebnisse der empirisch-analytischen Biowissenschaften auch da-zu benutzt werden, um aus ihnen bestimmte ´ökologische`, aber in diesem Sinne gera-de nicht rein beschreibengera-de Zusammenhänge, songera-dern normative Lebenseinstellung und Handlungsanweisungen zur Erhaltung der Natur/Biodiversität zu gewinnen, dann werden speziell die BiowissenschaftlerInnen zu Experten und Anwälten für die gesell-schaftlich wertgeschätzte Vielfalt des Lebens (gemacht), auch wenn dies weit über die eigentlichen Gegenstands- und Kompetenzbereiche der Ökologie und Biologie hinaus-reicht:36

Werden die Biowissenschaften in einer solchen Weise ´entgrenzt`, wobei Uta Eser hier durchaus passend von Selbstentgrenzung spricht, da diese Versuche vor allem aus den Biowissenschaften selbst heraus erfolgt sind (Eser 2001:144), so transportieren sie, als Fundament des modernen Natur- und Umweltschutzes, eine Vielzahl an politischen Einstellungen, Überzeugungen sowie Wert- und Normvorstellungen, die sich nicht aus ökologischen und biologischen Fakten, sondern aus den Bewertungen der Beziehungen von Menschen zu ihrer Umwelt ergeben. Der Versuch, die Biowissenschaften auf die-sem Weg zu entgrenzen - führt indes in eine ´Sackgasse`, da Biologie und Ökologie dazu in der Lage sein müssten selbst die Ziele zu begründen, die es zu verfolgen gilt, sprich Biologie und Ökologie müssten zugleich deskriptiv-empirische und normative Wissenschaften sein. Dass dem Versuch eine solche deskriptiv-normative Leitwissen-schaft zu kreieren, bestimmte Grenzen gesetzt sind, zeigt sich schon allein daran, dass der oftmals erfolgte Versuch, die Normativität direkt aus der Natur heraus zu gewin-nen, indem alles was natürlich ist zum normativen Orientierungszusammenhang ge-macht wird, die Gefahr der Begehung von naturalistischen Fehlschlüssen und Sein-Sollen Fehlschlüssen hervorruft:

Damit wird der Fokus auf die Problematiken gelenkt, dass in der Rede von der Bewah-rung und FördeBewah-rung der Biodiversität von zahlreichen normativ gehaltvollen, aber des-kriptiv verwendeten Begriffen (wie bspw. Funktion, Leistung, Vernichtung, Nachhaltig-keit, Entwicklung,) Gebrauch gemacht wird und dass von den Ergebnissen biologischer und ökologischer Forschungen direkt auf bestimmte Handlungsnormen geschlossen wird, die dann als Handlungsgrenzen im zivilisatorischen Umgang mit der Natur er-scheinen (Birnbacher 1980:103). Insofern wird der Fokus auf die Problematik gelenkt, dass in der Biodiversitätsdebatte die Tendenz besteht, Begründungen für präskriptive Urteile (die Natur/Biodiversität soll geschützt werden) in Form naturwissenschaftlicher sein, auf einem sehr soliden Fundament stehen: Von wissenschaftlicher Kritik ist es kaum zu erschüt-tern.“ (ebd., 165)

36 Auf eben diese Gefahr weisen seit langem zahlreiche Autoren hin (vgl. insb. Takacs 1996; Eser 2001, 2007, 2009; Piechocki 2005, 2007; Potthast 1999, 2005a, 2005b, 2007b, 2007a; Haber 2009).

Hypothesen zu formulieren, wobei die normativen Prämissen aus denen sich die Nor-men eigentlich ergeben, oftmals weggelassen werden. Solche unvollständigen Argu-mente (Enthymeme) finden sich zwar in der Alltagssprache und im politischen Raum unentwegt (siehe auch 4.1),37 sie sind aber sowohl im formalen argumentationstheore-tischen Rahmen, wenn es um die gültigen Logiken und die Struktur von Argumenten geht, als auch im politischen Raum, wenn es um die Aushandlung von Interessenskon-flikten geht, problematisch, da präskriptive Urteile nur dann eine wissenschaftliche Relevanz beanspruchen bzw. ihre handlungswirksame Überzeugungskraft entfalten können, wenn es sich dabei um plausible und nachvollziehbare Aussagen und Urteile handelt. Daher gilt, dass im Einzelfall immer nach der Leitunterscheidung zwischen des-kriptiven, evaluativen und präskriptiven Aussagen ´gefahndet` werden muss,38 so dass sich hier die Aufgabe stellt, die über den Begriff der Biodiversität transportierten Wert- und Normvorstellungen sowie die dahinterstehenden Prinzipien und Maximen sowie Interessen und Präferenzen derer, die sich der Biodiversität bedienen, als angreifbare und kritisierbare Bewertungen und Beurteilungsmaßstäbe kritisch zu reflektieren, da-mit diese nicht als naturwissenschaftlich legitimierte Prämissen stillschweigend voraus-gesetzt werden.

b) Der ökonomische Strang der »´Fakten`-Argumentation« vermeidet die Proble-matiken des naturalistischen Fehlschlusses und des Sein-Sollen-Fehlschlusses, denn hier wird die Erhaltung der (belebten) Natur aufgrund menschlicher Interessen an ihr gerechtfertigt. Hierbei wird i.d.R. das Argument bemüht, dass die Biodiversität deshalb im Rückgang begriffen ist, weil den Menschen noch nicht hinreichend bewusst sei, wie grundlegend und weitreichend die Bedeutung der Biodiversität für die Befriedigung menschlicher (Grund-)Bedürfnisse eigentlich ist. Daher geht es in erster Linie um die Rechtfertigung der Erhaltung der (belebten) Natur aus menschlichen Eigeninteressen an ihrer Nutzung.39 In diesem Sinne konstatiert auch die CBD in ihrer Präambel, dass

37 Die Unvollständigkeit solcher Argumente ist nicht per se problematisch, sondern immer dann voll-kommen problemlos, wenn die implizite normative Prämisse ganz eindeutig und unstrittig ist. Dies ist i.d.R. sogar der Fall, kann aber dann nicht mehr als gegeben betrachtet werden, wenn es zu Kon-fliktsituationen kommt.

38 Die Aufforderung nach der Unterscheidung zwischen deskriptiven, evaluativen und präskriptiven As-pekten zu fahnden, soll hier nicht bereits die epistemische Stellungsname implizieren, ob dies auch immer zweifelsfrei möglich ist. Frido Ricken verweist indes auf die Möglichkeit, dass dies selbst bei

´dicken` moralischen Begriffen, wie dem der Verantwortung oder des Versprechens, möglich ist und expliziert dies exemplarisch (vgl. Ricken 2003:63–65).

39 Thorsten Galert stellt diesbezüglich die weitverbreitende Annahme heraus, dass es, um jeder Person begreiflich zu machen, dass es im Sinne des Eigennutzes jedes Menschen ist, die Biodiversität zu er-halten, keiner moralischen Begründung und damit keiner Ethik bedarf (Galert 1998:14). Hier ist anzu-merken, dass der Verweis darauf, dass der Eigennutz kein genuin moralischer Grund sei, sicherlich zutreffend ist, es bleibt aber zu fragen, ob derartige pragmatische Erwägungen als solche normativ neutral sind, so dass es sich hierbei um Aspekte handelt, die außerhalb ethischer Erwägungen stehen können (siehe 4.3.2.2.1).

die Biodiversität auch aufgrund ihrer zahlreichen instrumentellen Werte für den Men-schen erhalten werden soll:40

“[C]onscious (…) of the ecological, genetic, social, economic, scientific, educatio-nal, cultural, recreational and aesthetic values of biological diversity and its com-ponents (…)“ (UN:Präambel, Abs. 1)

Ohne hier bereits darauf eingehen zu können, was instrumentelle Werte überhaupt sind und durch welche Annahmen sie von anderen Werttypen unterschieden werden können (siehe 4.2.2.1.1), kann bereits herausgestellt werden, dass der Verweis auf die instrumentellen Werte der Biodiversität bedeutet, dass es hierbei um die Erhaltung der (belebten) Natur geht, die dem Menschen potenziell nützlich ist oder sein könnte. Die-se Argumente finden sich vor allem in den einflussreichen Debatten um die ökosyste-maren Leistungen der Biodiversität. Solche Potenzialitätsargumente, dass man nie ge-nau wissen kann, ob man bestimmte Aspekte der Biodiversität nicht doch irgendwann brauche und deshalb besser alles erhalten solle, rekurieren auf das Vorsorgeprinzip (»precautionary principle«). Dieses besagt, dass bei Entscheidungen unter Unsicherheit und begrenztem Wissen, die mit den geringsten Risiken behaftete Option zu wählen ist, so dass selbst dann, wenn man nicht von jedem Element der Biodiversität weiß und wissen kann, ob und wozu man es braucht, man es sicherheitshalber doch erhalten sollte. Dies scheint auf den ersten Blick geeignet, um die Beweislast zugunsten der ge-samten Erhaltung der Biodiversität umzukehren, ist aber an die (schwierige) Explizie-rung dessen gebunden, welche Risiken hier genau gemeint sind und wie genau festge-stellt werden kann und soll, welche Handlungsoption die geringsten Risiken birgt.

Zudem kann hierüber nur die Erhaltung derjenigen Aspekte der Biodiversität argumen-tiert werden, bei denen wir, aus einer Nutzenperspektive heraus, Gründe haben, deren Vielzahl und Vielfalt möglichst zu erhalten. Dies schließt bspw. Krankheitserreger, aber auch fortpflanzungsfähige Chimären und stellenweise auch Neophyten aus, vor allem dann, wenn diese eine Gefahr für die Gesundheit des Menschen oder die Existenz von Nutzpflanzen darstellen. Des Weiteren muss dieser Nachweis in jedem einzelnen Fall erneut geführt werden, so dass natürliche Entitäten nie ein für alle Mal als schützens-wert ausgewiesen werden können, weil gerade der technische Fortschritt die Möglich-keit schafft, den Nutzen, den die (belebte) Natur erbringt, möglicherweise auch schnel-ler, handhabbarer und/oder preiswerter zu ersetzen. In einem solchen Fall spräche nichts mehr gegen das Ausrotten einer Art oder die Zerstörung von Ökosystemen, es sei denn, Umwelt- und NaturschützerInnen brächten Argumente ein, warum die Erhal-tung der gesamten Biodiversität ´um ihrer selbst willen` zu rechtfertigen sei.

40 In der Präambel der CBD ist ebenfalls davon die Rede, dass die Biodiversität aufgrund ihres Eigen-wertes ( „intrinsic value“) erhalten werden soll. Auf diesen Aspekt, wird im Kontext der Eigenwert-argumentation detaillierter eingegangen.