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DER B IODIVERSITÄT ALS G RENZ - UND

2.3 Biodiversität als Wert- und Normbegriff

2.3.2 Die »´Eigenwert`-Argumentation« für den Schutz der Biodiversität

Gerade aufgrund der dargelegten Problematiken und ´Mängel` der faktischen Argu-mentationsstrategien werden biowissenschaftliche oder ökonomische Argumente von vielen Umwelt- und NaturschutzaktivistInnen, PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen skeptisch betrachtet und als nicht ausreichend für die Begründung der Erhaltung der Biodiversität angesehen. Genau aus diesen Gründen ist die Eigenwertargumentation im Umwelt- und Naturschutz so relevant: Da mit biowissenschaftliche Argumenten nur beschrieben, nicht aber auch gefordert oder aufgefordert werden kann und die Nut-zenargumente im Rahmen des ökonomischen Paradigmas immer wieder in die ´miss-liche Lage` führen, dass die Relevanz der Biodiversität immer wieder aufs Neue plausi-bilisiert werden muss, kann die Eigenwertargumentation als Hoffnung darauf verstan-den werverstan-den, die Beweislast umzukehren: Wenn der Biodiversität ein - wie auch immer gearteter – Eigenwert41 zukommt oder zugesprochen werden kann, der den Schutz der Biodiversität ´um ihrer selbst willen` als allgemeine Pflicht rechtfertigt, dann wäre Bio-diversitätsschutz der Normalfall, so dass Ausnahmen davon einer besonderen Begrün-dung bedürften. Gerade weil das Anliegen und der Wunsch nach einer solchen ´Super-begründung mit eingebauter Beweistlastumkehr` aus der Perspektive von Umwelt- und NaturschützerInnen so nachvollziehbar ist, ist der Eigenwert der Biodiversität ei-nes der wichtigsten Argumente, um die Erhaltung der Biodiversität zu begründen.

Dies zeigt sich bereits an den zahlreichen politischen Dokumenten und Abkommen, die zumeist an erster Stelle auf den Eigenwert der Biodiversität verweisen:

„Conscious of the intrinsic value (…).“ (UN 1992: Präambel, Abs. 1)

„By 2050, European Union Biodiversity (…) are protected, valued and appropria-tely restored for biodiversity`s intrinsic value (…).” (EU COM 2011:2)

„Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes (…) zu schützen, zu pflegen, zu entwickeln und (…) wiederherzustellen.“ (DB 2009:Paragraph 1)

„Natur und Landschaft sind auch auf Grund ihres eigenen Wertes zu erhalten.“

(BMUB 2011:9)

41 Die Rede vom Eigenwert wird hierbei in der Regel begrifflich unsauber geführt, weil mal von Selbst-wert, EigenSelbst-wert, inhärentem Wert (»inherent value«, »inherent worth«), intrinsischem Wert (»in-trinsic value«), nicht-instrumentellem Wert (»non-instrumental value«) oder auch nutzenunabhän-gigem Wert (»non-use value«), absoluten Wert, objektivem Wert, unabhängigen Wert, nicht-anthro-pozentrischen Wert, Existenzwert (»existence value«) etc. die Rede ist. Eine solche begriffliche Viel-falt wäre nicht weiter problematisch, wenn im Einzelfall immer expliziert werden würde, was einen solchen Eigenwert überhaupt zum Eigenwert macht und welche Annahmen und Prämissen hinter der Eigenwert-Typologisierung stehen würden. Genau dies ist aber eher selten und wenn dann zu-meist nur recht oberflächlich der Fall, so dass die gesamte Wertedebatte, die außerhalb und inner-halb der Umwelt- und Naturschutzethik geführt wird, eingehender reflektiert werden muss. Eben dies wird in Abschnitt 4.2.2.1 geschehen, da dafür noch weitere Vorarbeiten notwendig sind.

Die Rede vom Eigenwert, vom Selbstwert oder intrinsischen Wert spielt aber nicht nur in den politischen, sondern auch in den umwelt- und naturschutzethischen Debatten eine zentrale Rolle, womit die Eigenwertargumentation wiederum zu einem zentralen Bindeglied zwischen der Umwelt- und Naturschutzpolitik und der Umwelt- und Natur-schutzethik wird. So zentral das Eigenwertargument in Politik und Ethik ist, so unter-schiedlich wird die Eigenwertdiskussion hier jeweils geführt, da die Diskussion unter gänzlich anderen Vorzeichen und unter anderen Voraussetzungen geschieht:Die Ethik ist gerade keine bestimmte Moralposition, sondern sie ist die Wissenschaft oder Refle-xionstheorie der Moral, die versucht die gelebten Sitten und Moralvorstellungen argu-mentativ zu prüfen und zu bewerten sowie Handlungsanweisungen zu begründen. Da-mit wird nicht danach gefragt, wie Menschen sich faktisch verhalten, sondern wie sie sich verhalten sollten, so dass die Unterscheidung von Moral und Unmoral bewertend (evaluativ) und vorschreibend (präskriptiv) gemeint ist, was nicht ohne eine Rechtferti-gung qua Begründung beurteilt werden kann. Daher wird der Eigenwert in der Ethik nicht einfach als gegeben und geltend vorausgesetzt, sondern es geht darum, die An-nahmen, die hinter der postulierten Eigenwertigkeit stehen sowie die daraus abgelei-teten Pflichten kritisch zu reflektieren und plausibel zu begründen.

Genau dieses Spezifikum der Ethik wird indes oftmals gar nicht in Rechnung gestellt, wenn - vor allem von Seiten vieler NaturwissenschaftlerInnen, aber auch PolitikerInnen - daran gezweifelt wird, dass die Ethik überhaupt ein Gebiet ist, in dem sich ein Stand-punkt vor einem anderen als besser begründet auszeichnen lässt (Galert 1998:18).

Dementsprechend werden ethische Begründungen oftmals einfach mit religiösen, spi-rituellen oder ideologischen Sichtweisen und Positionen gleichgesetzt, was nicht heißt, dass deren Bedeutung für Naturschutzanliegen deshalb auch gering geschätzt wird.

Vielmehr ist es so, dass das eigentliche ´Wesen` ethischer Begründungen und Argu-mente vollkommen verkehrt wird, weil Ethik bereits mit bestimmten Moralpositionen gleichgesetzt wird und eben nicht im wissenschaftlichen Sinne als (kritische) Refle-xionstheorie aller Moralpositionen verstanden wird. Wie verbreitet solche grundsätz-lichen (Miss-)Deutung von Ethik sind, zeigt die Aussage von Anne und Paul Ehrlich, zwei der führenden wissenschaftlichen Umwelt- und NaturschützerInnen der USA:

“Our own view, and that of many biologists and environmentalists, is that, as the dominant species on the planet, Homo sapiens has an ethical responsibility to preserve biodiversity. This means opposing intentional exterminations of other species and supporting conservation efforts. One cannot assert this ethical res-ponsibility on scientific grounds. It clearly arises from essentially religious fee-lings; we believe that our own living companions in the universe have a right to exist.“ (Ehrlich & Ehrlich 1992 in Galert 1998:18)

Indem Ethik hier mit moralisch gleichgesetzt und auf diese Weise ´entwissenschaft-licht` wird, gleichzeitig aber den moralischen Haltungen gegenüber der Natur eine gro-ße Relevanz zugeschrieben wird, wird die Ethik zum Legitimierungsinstrument funktio-nalisiert (Potthast 1999:35):

„In einer moralphilosophischen Diskussion um Werte und Normen mutet es merk-würdig an, wenn unmittelbar nach der Praktikabilität oder der Durchschlagskraft ethischer Argumente gefragt wird. Ethische Forderungen können nur dort berechtig-terweise erhoben werden, wo Werte und Normen plausibel und nachvollziehbar be-gründet sind. Trifft dies nicht zu, ergeben sich auch keine ethisch legitimierten Hand-lungsweisen.“ (ebd., 37)

Hierbei wird indes übersehen, dass die ethische Prüfung normativer Argumente nicht direkt mit der Frage der politisch-praktischen Durchsetzung der natur- und umwelt-schützerischer Ziele verknüpft werden kann, weil es vor der instrumentellen Anwen-dung normativer Argumente auf der politischen Ebene für die Ethik immer darauf an-kommt deren Prämissen zu begründen. Hieran wird ersichtlich, dass die ´Tücke` der Eigenwertargumentation in einem, aus der ethischen Perspektive, problematischen Verständnis von Ethik und Begründung liegt: Ungeachtet der terminologischen Proble-me, wie Eigenwert im Einzelnen betitelt wird und den werttheoretischen Fragen, wel-che Aspekte den Eigenwert dabei zum Eigenwert mawel-chen und welwel-che Annahmen im Einzelnen dahinterstehen sowie der pflichtenethischen Frage, welche ethischen Impli-kationen bezüglich der Ableitung und Rechtfertigung von Pflichten damit ggf. einher-gehen, ergeben sich aus der Strategie, die Erhaltung der Biodiversität als eine Pflicht

´um ihrer selbst willen` zu begründen, in Rückgriff auf die bereits herausgestellten Pro-blemlagen bezüglich der biowissenschaftliche Konzeption der Biodiversität (siehe 2.1) sowie ihrer politischen Symbolisierung (siehe 2.2) vor allem zwei Probleme:

Zum einen ist aufgrund der methodisch-theoretischen Unterbestimmtheit der Biodi-versitätskonzeption unklar, worauf genau sich der Eigenwert der Biodiversität genau beziehen soll, da das Biodiversitätskonzept grundsätzlich zwei Ebenen integriert, die dafür in Frage kommen (Ott 2007:91): Einerseits die Ebene der unterschiedlichen En-titäten (und ihrer möglichen Gruppierungen) und zum anderen die Ebene der Unter-schiede und Verhältnisse, die zwischen diesen Entitäten postuliert werden (Wood 1997:253). In diesem Sinne ist gar nicht klar, ob sich der Eigenwert auf die einzelnen Entitäten, die Gruppen von Entitäten, das Beziehungsgeflecht dieser Entitäten bzw.

Gruppen unter- und zueinander oder auf die Unterschiedlichkeit und Vielfalt als sol-che42 beziehen sollen (Ott 2007:96). Je nachdem welche Ebene gewählt wird, ergeben

42 Für Konrad Ott macht die Bewertung der Unterschiedlichkeit als solche indes keinen Sinn, da er nicht nachvollziehen kann, warum die Differenz zwischen etwas als solche wertvoll sein soll. Exemplarisch führt er dies an unterschiedlichen Sprachen aus (vgl. Ott 2007:96–97).

sich unterschiedliche Bewertungs- und Begründungsansätze. Zumeist wird die Bewer-tung auf die Gegenstandsebene bezogen (ebd., 91–92). Dies ist indes eine pragma-tische Entscheidung, theoretisch induziert ist sie nicht.

Zum zweiten ist nicht klar, warum sich aus dem Eigenwert der Biodiversität auch schon eine gesellschaftliche Norm zum möglichst umfassenden Schutz der gesamten Biodi-versität ableiten sollte, wie dies gemeinhin politisch über das Eigenwertargument ge-fordert wird. Zwar wird mit dem Verweis auf den Eigenwert der Biodiversität gemein-hin die Annahme verbunden, dass sich aufgrund des Eigenwertes eine moralische Ver-pflichtung des Menschen zur Erhaltung der belebten Natur oder sogar Rechte nicht-menschlicher Lebewesen rechtfertigen lassen, dies ist aber nur dann schlüssig, wenn auch klar ist, was den Eigenwert überhaupt zum Eigenwert macht, sprich auf Grund-lage welcher werttheoretischen Annahmen dieser zugeschrieben wird ob eben diese Annahmen stichhaltig und plausibel sind. Des Weiteren wird hierbei oftmals die Kluft zwischen der, auf der axiologischen Ebene liegende Frage, ob es so etwas wie Eigen-werte der Natur bzw. EigenEigen-werte in der Natur geben kann und wenn ja, was diese ausmacht und der, auf der moralphilosophischen Ebene relevanten Frage, was daraus für unser Handeln jeweils folgt, übersehen. Hier steht folglich in Frage, ob man, wenn man der Biodiversität oder Teilen bzw. Aspekten der Biodiversität einen Eigenwert zuschreibt bzw. diesen anerkannt, auch notwendigerweise folgt, dass daraus morali-sche Pflichten gegenüber jemanden oder etwas resultieren. Daher fehlt bei dem Schluss von Eigenwert auf die moralische Berücksichtigungswürdigkeit der Schritt von der werttheoretischen Annahme, dass Eigenwerte in der Natur entdeckt oder der Na-tur zugeschrieben werden können hin zur pflichtenethischen Annahme, dass Eigen-werte plausible Gründe dafür darstellen, dass die Biodiversität als eine moralische Pflicht zu bewahren und zu fördern ist.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass jede der Argumentationsstrategien mit je eigenen Problematiken und Schwierigkeiten behaftet ist, die vor allem daraus resultie-ren, dass hierbei auf verschiedenen Wegen versucht wird, die Zielstellung der Erhal-tung der (gesamten) Biodiversität zu rechtfertigen, wobei nicht alle diese Versuche auch gleichermaßen geeignet sind, dies zu tun: Die naturwissenschaftlich abgestützte Argumentationsstrategie zur Erhaltung der Biodiversität führt ökologische Gründe an, deren Kennzeichnung als ökologisch den Anschein nahelegen, es handle sich dabei um rein wissenschaftliche und in diesem Sinne sachliche, objektive und wertfreie Gründe.

Bei genauerer Betrachtung sind indes viele der ökologischen Gründe normativer Natur, was aber über die faktische Argumentationsweise als solche aber nicht deutlich wird.

Die ökonomisch ausgerichtete Argumentationsstrategie setzt von Beginn an die Prä-misse, dass (nur) das für den Menschen Dienliche und Nützliche einen Wert hat und damit schützenswert sei. Je nach Argumentation sind damit nur ganz bestimmte

Teil-aspekte der Natur instrumentell wertvoll, was wiederum der, nicht nur in Naturschutz-kreisen selber weitverbreiteten Intuition entgegenläuft, dass die Natur auch ganz una-bhängig von menschlichen Nutzungsinteressen an ihr einen Wert hat. Die Eigenwert-strategie, die diese Intuition bedienen kann und die sich als ethische Argumentations-linie ausweist, krankt indes an der oftmals zu funktionalistischen Verwendung nor-mativer Argumente sowie an der problematischen Gleichsetzung von Ethik und Moral.