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inhaltliche Ebene: Die Ausblendung der kulturellen Konstitutions- Konstitutions-bedingungen des Forschungsprogramms Biodiversität Konstitutions-bedingungen des Forschungsprogramms Biodiversität

DER B IODIVERSITÄT ALS G RENZ - UND

2.4 Zusammenfassung und Fazit: Biodiversität als Grenzobjekt und

2.4.1 inhaltliche Ebene: Die Ausblendung der kulturellen Konstitutions- Konstitutions-bedingungen des Forschungsprogramms Biodiversität Konstitutions-bedingungen des Forschungsprogramms Biodiversität

Auf der inhaltlichen Ebene steht die, in nahezu allen wissenschaftlichen, politischen und journalistischen Abhandlungen zur Biodiversität vorgenommene Gleichsetzung der Begriffe der abiotischen und biotischen Vielfalt einerseits und der biologischen Vielfalt anderseits über die Kurzform Biodiversität im Fokus der Analyse, die hier, im Anschluss an die wissenschaftstheoretischen und -philosophischen Arbeiten von Peter Janich und Mathias Gutmann (vgl. Janich & Gutmann 2000; Gutmann & Janich 2001a) als metho-dologischer Kurzschluss charakterisiert werden soll. Diese Gleichsetzung, so die hier vertretene These, ist sowohl in wissenschaftstheoretischer als auch in praktischer Hin-sicht in Hinblick auf Biodiversität als hybrides und grenzüberschreitendes Forschungs-programm relevant und wird daher als spezififische Detailproblematik auf der inhalt-lichen Ebene herausgestellt. Der Hintergrund der Problematik des methodologischen Kurzschlusses ist dabei folgender:

Das was Biodiversität bezeichnet, kann sich zum einen auf die Vielfalt der Lebewesen und ihrer Lebensbedingungen, sprich die biotische und abiotische Vielfalt beziehen, die methodologisch betrachtet, als Referenzgegenstände der Biodiversitätsforschung fun-gieren. Zum anderen verweist Biodiversität aber immer auch auf die Vielfältigkeit der Zugänge und Perspektiven zur Beschreibung, Erfassung und Erschließung der Arten-vielfalt, der genetischen Vielfalt und der ökosystemaren Vielfalt, sprich der verschie-denen Forschungskonzepte, die unter dem Oberbegriff biologische Vielfalt subsumiert werden. Eben diese Unterschiedlichkeit zwischen abiotischer und biotischer Vielfalt ei-nerseits und biologischer Vielfalt andererseits, als methodologischer Unterschied zwi-schen Referenzobjekten und Forschungskonzepten, wird immer dann nicht beachtet, wenn Biodiversität synonym mit biologischer Vielfalt gesetzt wird und wenn die biolo-gische Vielfalt wiederum als Konglomerat aus der genetischen Vielfalt, der Artenvielfalt und der ökosystemaren Vielfalt definiert wird, die aber nicht als biologische Beschrei-bungskonzepte ausgewiesen werden, sondern als Spektrum der biotischen und abio-tischen Vielfalt definiert wird.

Bei der umgangssprachlich fest etablierten Gleichsetzung von (a)biotisch und biolo-gisch handelt es sich aber nicht lediglich um eine terminolobiolo-gische ´Laxheit`, die geflis-sentlich übersehen werden kann, sondern es handelt sich hierbei um eine erkenntnis- und wissenschaftstheoretisch relevante Kontroverse bezüglich der Konstitution und Konstruktion wissenschaftlicher Forschungsgegenstände, die aber als solche gar nicht in den Fokus kritischer Reflexionen rückt, weil sie über den methodologischen Kurz-schluss invisibilisiert wird:

„Wo der Unterschied zwischen [a]biotischen und biologischen Objekten nicht nur vernachlässigt, sondern absichtlich ignoriert wird, entwickelt bzw. hält sich die Auffassung, dass die Objekte der Biologie [und der Ökologie] ´naturgegeben` sind, wie man laienhaft Tiere und Pflanzen einer von Menschen unbewohnten Gegend als Gegenstände einer ´unberührten` Natur als natürlich gegeben annimmt. Hier (…) wird erkenntnistheoretisch übersehen, dass jedes mögliche, auch das gering-ste Wissen über das Lebendige immer aus menschlichen Eingriffen in das Vorge-fundene, Vorhandene gewonnen wird - es sei denn, es ist kein Wissen, geschwei-ge denn ein naturwissenschaftliches.“ (Gutmann & Janich 2001a:332)

Das Ergebnis der Invisibilisierung ist die wirkmächtige, aber vor einem wissenschafts-theoretischen Hintergrund problematische Suggestion, dass es sich bei der Biodiversi-tät um ein ´natürlich` verfasstes Phänomen handeln würde, das mit den Mitteln der Biowissenschaften - über das Konzept der biologischen Vielfalt - adäquat und wirklich-keitsgetreu beschrieben und erfasst werden kann. Insbesondere die letztgenannte Suggestion, so wurde bereits in der Grundlagenreflexion aufgezeigt, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Aber auch die erstgenannte Suggestion, dass man es bei

der Biodiversität mit einem natürlichen Phänomen zu tun hat, ist - so die hier vorge-brachte These - ist zu bezweifeln. Denn über die kritische Reflexion des methodo-logischen Kurzschlusses wird überhaupt erst die Problematik der Auffassung verdeut-licht, dass die naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht als eine beobachterunabhängige Erfassung der natürlichen Wirklichkeit angesehen werden kann. Stattdessen wird an-hand des methodologischen Kurzschlusses aufgezeigt, dass alle Wissenschaften teil-nehmende Praxen der Gegenstandskonstitution und –konstruktion sind, weil sich die Konstitution der Referenzobjekte (biotische und abiotische Vielfalt) bereits vorwissen-schaftlichen Erfahrungen verdankt und weil sich die Forschungskonzepte (Artenvielfalt, genetische Vielfalt, ökosystemare Viefalt zur Erfassung) zudem immer aus methodolo-gischen und theoretischen Entscheidungen von WissenschaftlerInnen im Rahmen ihrer Forschungsaktivitäten ergeben, so dass die Forschungskonzepte konstruiert sind.

Eben diese erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Perspektive auf die Konstitution und Konstruktion der Biodiversität als Forschungsprogramm, die erst über die kritische Reflexion des methodologischen Kurzschlusses überhaupt ersichtlich wird, kam bisher bei der Betrachtung der Biodiversität als Grenz- und Hybridkonzept zu kurz. Schaut man dabei etwas tiefer, dann zeigt sich, dass die wesentlichen Gründe für den metho-dologischen Kurzschluss in dem, für moderne Naturwissenschaften und somit auch die Biowissenschaften üblichen, realistischen Wissenschaftsverständnis liegen, nach dem die Naturwissenschaften in der Lage sind die „menschenunabhängige Natur“ (Janich

& Gutmann 2000:67) und die „natürlich gegebene Wirklichkeit“ (ebd., 68) aus der Dis-tanz eines passiven Beobachters objektiv und wahrheitsgemäß zu beschreiben. Gegen ein solches realistisches Wissenschaftsverständnis, das von vielen ProtagonistInnen in der Biodiversitätsdebatte - zumeist unintendiert, unthematisiert und damit auch unre-flektiert - vertreten wird, können indes zahlreiche Argumente ins Feld geführt werden.

Praktisch relevant ist vor allem der, dass die Standards für die ´Normalität` natürlicher Umgebungen nicht problemlos den biowissenschaftlichen Beschreibungen entnom-men werden können, da ansonsten aus biowissenschaftlichen Beschreibungszusam-menhängen auf Handlungsanweisen zum Schutz, zur nachhaltigen Nutzung und zur ge-rechten Verteilung der Biodiversität geschlossen wird (siehe 2.3).

Allerdings ergeben sich noch andere, methodologische sowie erkenntnistheoretische und wissenschaftstheoretische Facetten der Problematik des methodologischen Kurz-schlusses, anhand derer sich verdeutlichen lässt, dass das Forschungsprogramm Bio-diversität zu wenig als geistes- und ideengeschichtlich konstituiertes, methodisch-theo-retisch konstruiertes sowie deskriptiv-normatives Hybridkonzept betrachtet, analysiert und kritisch reflektiert wird. Um eben diesen Ausblendungen konstruktiv zu begeg-nen, werden in Abschnitt III der Arbeit die verschiedenen Ebenen des methodolo-gischen Kurzschlusses beleuchtet:

a) Zum einen werden die wissenschaftstheoretischen Grundlagen bzw.

Voraussetzungen des methodologischen Kurzschlusses dargelegt, wofür die grundlegenden Annahmen des wissenschaftlichen Realismus idealtypisch herausgestellt werden müssen.

b) Zum weiten werden die theorieexternen als auch theorieinternen Kritikpunkte am wissenschaftlichen Realismus herausgestellt und es wird aufgezeigt, inwiefern diese Kritikpunkte auch für Biodiversität als Grenz- und Hybridkonzept relevant sind.

c) Zum dritten wird dargelegt, wie sich das Verständnis von Biodiversität verändert, wenn die kulturellen Konstitutionsbedingungen des Forschungsprogramms Biodiversität hinsichtlich der geistes- und ideengeschichtlichen Konstitutionsideen hinter den Referenzgegenständen der biotischen und abotischen Vielfalt und hinsichtlich der methodologischen Konstruktionsbedingungen der

Forschungskonzepte der biologischen Vielfalt rekonstruiert werden.

Indem folglich auf der inhaltlichen Ebene die These aufgestellt und überprüft wird, dass es über den methodologischen Kurzschluss zu einer systematischen Ausblendung der kulturellen Konstitutions- und Konstruktionsbedingungen des Forschungsgegen-standes Biodiversität kommt und indem diese hinsichtlich der geistes- und ideenge-schichtlichen Konstitutionsideen hinter den Referenzgegenständen der biotischen und abotischen Vielfalt einerseits und hinsichtlich der methodologischen Konstruktionsbe-dingungen der Forschungskonzepte der biologischen Vielfalt andererseits rekonstruiert werden, wird die inhaltliche Ebene der Biodiversität als Grenz- und Hybridkonzept als hinreichend bestimmt angesehen, so dass auf die normative Ebene übergegangen wer-den kann.

2.4.2 normative Ebene: Die problemindizierte Neuausrichtung der Umwelt- und Naturschutzethik hin zu einer problem- und

anwendungsorientierten Biodiversitätsethik

Ausgehend von dem Umstand, dass das Wissen darum, was Biodiversität ist und aus-macht, nicht ausreichend ist, um auch überzeugend begründen und rechtfertigen zu können, warum die Biodiversität bewahrt und gefördert werden sollte, wird im An-schluss an die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung auf die normative Ebene übergegangen. Hier geht es um die ethische Reflexion auf die im wissenschaftlichen, politischen und umwelt- und naturschutzethischen Kontext zugleich relevanten Mo-tive, Intuitionen und Beweggründe sowie Argumente und Begründungen für die Be-wahrung und Förderung der Biodiversität. Hierbei wird von vornherein berücksichtigt, dass die Umwelt- und Naturschutzethik hinsichtlich ihrer Erkenntnisgegenstände, ihrer Verfahren und Vorgehensweisen grundlagentheoretisch ausgerichtet ist, dass sie als

anwendungsorientierte Ethik aber dennoch die praktische Zielstellung verfolgt, mög-lichst lebensnahe Orientierungsleistungen im Umgang mit Natur und Umwelt im Allge-meinen sowie Biodiversität im Speziellen zu liefern (siehe 1.2.2). Bei dem Versuch, zu einer anwendungsorientierten Biodiversitätsethik zu gelangen, die speziell auf die drei, mit der Bewahrung und Förderung verbundenen Zielstellungen, zugeschnitten ist, er-geben sich, so die auf der normativen Ebene relevanten These, drei eigenständige, aber ineinandergreifende Detailproblematiken (a. Fokussierung auf die Inklusionspro-blematik, b. Fokus auf Schutzpflichtbegründungen, c. Fokussierung auf normative Ak-zeptabilitätskriterien), die im Zuge einer ethischen Reflexion auf die Bewahrung und Förderung der Biodiversität als eigenständige Problemkomplexe ersichtlich werden und mit denen konstruktiv umgegangen werden muss, wenn zum einen die Logik der Ethik als interessenlose Prüfung aller Standpunkte nicht unterlaufen werden soll (siehe 2.4), sprich Ethik nicht bereits funktionalisiert und instrumentalisiert werden soll und wenn zum anderen das Ziel möglichst lebensnahe Orientierungsleistungen im Umgang mit der Biodiversität zu geben, als Aufgabenstellung ernst genommen werden soll:

a) Die erste Problematik ergibt sich daraus, dass am Anfang und am Ende nahezu aller umwelt- und naturschutzethischen Beschäftigungen immer die Klärung der Inklusions-problematik steht. Dies macht Angelika Krebs, stellvertretend für viele andere, ähnlich gelagerte Charakterisierungen der Umwelt- und Naturschutzethik, deutlich:

„Ob die Natur nur von Wert für den Menschen sei oder ob ihr auch ein eigener Wert zukomme, ist die Grundfrage der Naturethik. Man kann diese Frage auch anders formulieren: Ist Naturschutz nur etwas, was wir den von der Natur ab-hängigen, der Natur bedürftigen Menschen schulden, oder ist er auch etwas, was wir der Natur selbst schulden? Haben wir - Kantisch gesprochen - nur Pflichten in Ansehung von oder auch Pflichten gegenüber der Natur? Hat nur der Mensch eine Würde, oder gebührt auch der Natur, der Erde, den Meeren, den Wäldern, den Flüssen, den Pflanzen, den Tieren Ehrfurcht?“ (Krebs 1996:31)

Bei der Inklusionsproblematik geht es folglich auf der axiologischen Ebene um die Klä-rung der werttheoretischen Frage, ob und wenn ja, in welchen Hinsichten die au-ßermenschliche Natur ´um ihrer selbst willen` als wertvoll gelten kann und auf der mo-ralphilosophischen Ebene um die Klärung speziell der pflichtenethischen Frage, wem gegenüber Menschen Pflichten haben und welchen Entitäten ggf. welche Rechte zu-kommen (siehe 2.3.2). Je nachdem wie die Grundfrage nach dem Eigenwert sowie den moralischen Pflichten gegenüber oder in Ansehung der Natur beantwortet wird, hat man es, so die ´Lagerdifferenzierung` in der Umwelt- und Naturschutzethik, entweder mit einer anthropozentrischen (anthropos = Mensch) oder mit einer physiozentrischen (physis = Natur) Position zu tun (vgl. insb. Krebs 1997; Ott 2010). Hierüber wird indes hintergründig immer wieder der Dualismus zwischen Mensch und Natur repliziert, was

aber dazu führt, dass die Perspektive auf die Auslotung der gesellschaftlichen Natur-verhältnisse (siehe 1.2.1), sprich auf das komplexe Wechselspiel zwischen Mensch, Na-tur und Gesellschaft, das für den ökosystemaren Ansatz der Bewahrung und Förderung der Biodiversität und mithin für das Innovationspotenzial des Leitbildes der Bewahrung und Förderung der Biodiversität zentral ist (siehe 2.2.1), zu stark ausgeblendet wird.

Allerdings kann hier eingewandt werden, dass weniger um die Entscheidung gehen sollte, ob nun primär der Mensch oder die Natur im Zentrum der umwelt- und natur-schutzethischen Überlegungen stehen sollte, sondern um die Auslotung der individu-ellen und kollektiven menschlichen Naturverhältnisse. Bezüglich der ersten Problematik besteht die zentrale Herausforderung insofern darin, den hintergründigen Dualismus zwischen Mensch und Natur, den die Umwelt- und Naturschutzethik über ihre Fokus-sierung auf das Inklusionsproblem immer wieder repliziert, zugunsten einer relatio-nalen Sichtweise auf die menschlichen Naturverhältnisse zu durchbrechen. Der Mehr-wert der relationalen Sichtweise liegt dabei darin, dass sie den Fokus von der Inklu-sionsproblematik zu anderen Problematiken der individuellen und gesellschaftlichen Naturverhältnisse verschiebt. In diesem Sinne geht es hier um eine, im Lakatoschen Sinne, „progressive Problemverschiebung“ (siehe Abschnitt III, im Besonderen 3.2.2).

b) Zweitens stellt sich selbst, wenn man eine relationale Perspektive zugrunde gelegt, immer noch das Problem, dass der primäre Fokus der Umwelt- und Naturschutzethik zumeist nur auf Schutzpflichtbegründungen unter Vernachlässigung von Nutzungs- und Verteilungsaspekten liegt. Genau dies führt aber dazu, dass die, für das Leitbild der Be-wahrung und Förderung der Biodiversität so entscheidende Integrativität der Zieltrias - vor allem in den physiozentrischen Ethiken, aber auch in den anthropozentrischen An-sätzen - nicht ausreichend beachtet wird.43 Der Startpunkt, um dieser zweiseitigen Pro-blematik auf den Schutzaspekt einerseits und auf Pflichtbegründungen anderseits kon-struktiv zu begegnen, ist bereits darüber getan, dass dem Gedanken Raum gegeben wird, dass es neben der Klärung des Inklusionsproblems auch noch andere wichtige Fragen hinsichtlich des menschlichen Umgangs mit der Biodiversität gibt. Diesbezüglich muss der Aufgabenstellung Rechnung getragen werden, die Konrad Ott bereits vor fast 20 Jahren formuliert hat:

43 Vor allem in den physiozentrischen Ethiken ist die Problematik bereits systematisch indiziert, weil es hier um die Begründung direkter Schutzpflichten gegenüber der Natur/Biodiversität um ihrer selbst willen geht. Dies macht es von vornherein fraglich, ob und ggf. wie Biodiversität überhaupt genutzt und/oder verteilt werden darf. Aber auch in den anthropozentrischen Ethiken geht es zumeist nur um Biodiversitätsschutz, was dann, wenn Biodiversität dabei zudem synonym mit Artenschutz oder Naturschutz gesetzt wird, nicht nur die anvisierte Integrativität der Zieltrias der Bewahrung und För-derung vernachlässigt, sondern auch die begrifflich-konzeptionellen Besonderheiten der Biodiver-sität zu wenig beachtet.

„Es geht nicht um eine »Zentrierung«, sondern vielmehr um eine Auffächerung der Argumente in praktischer Absicht, um sie auf verschiedene Typen von Natur-schutzkonflikten beziehen zu können.“ (Ott 1996:99;SL)

Die geforderte Auffächerung der Argumente in praktischer Absicht bedeutet hier, dass in Bezug auf die Grundfrage der Umwelt- und Naturschutzethik wieder ein entschei-dender Schritt zurückgegangen werden muss, indem erst einmal ganz allgemein da-nach gefragt wird, wie Menschen sich in Bezug auf die Biodiversität verhalten sollten und wie sie in konkreten Situationen unter Berücksichtigung der Biodiversität handeln sollten. Über die Fokussierung auf diese praktischen Fragen kann dann zur ethischen Frage im Speziellen übergegangen wer, ob es gute Gründe44 dafür gibt, die Biodiversi-tät möglichst weitreichend zu schützen, möglichst nachhaltig zu nutzen und die Nutzen und Lasten aus der Erhaltung aber auch der Zerstörung der Biodiversität möglichst ge-recht zu verteilen. Hier muss es folglich um einen biodiversitätsethischen Argumenta-tionsraum45 gehen, der die Zieltrias im Ganzen beleuchtet. Dabei kann auf einen be-reits bestehenden Ansatz zurückgegriffen werden, den Uta Eser, Ann-Kathrin Neu-reuter und Albrecht Müller in ihrer, für das Bundesamt für Naturschutz erstellten, Stu-die »Klugheit, Glück, Gerechtigkeit - ethische Argumentationslinien in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt« entwickelt haben.

Hierüber wird das komplexe Argumentationsfeld zwischen Schutz-, Nutzungs- und Ver-teilungszielen aus Klugheits-, Glücks- und Gerechtigkeitsgründen dargelegt, wobei wiederum die zweite ´Seite` des Problems, die Fokussierung auf Schutzpflichtbegrün-dungen relevant wird: Dieses Problem führt auf eine allgemeinere Ebene zurück und liegt darin begründet, dass die allgemeinen praktischen Fragen der Ethik, wie man sich verhalten bzw. handeln soll, sowohl in der allgemeinen Ethik als auch in den Bereichs-ethiken unter einen stark deontischen, sprich einem auf Pflichten ausgerichteten Fokus beantwortet werden, so dass die praktischen Fragen zumeist auf die speziell pflichten-ethische Frage verengt wird, welche moralischen Pflichten und Rechte wir uns

44 Der Frage nach den Gründen kommt bei praktischen Fragen zwar eine zentrale Rolle zu, es muss aber von vornherein berücksichtigt werden, dass es einen bedeutsamen Hiat zwischen den Handlungs-gründen einerseits und den darauf basierenden Handlungen gibt (bspw: Auch wenn viele Menschen gute Gründe dafür haben, sich rein vegetarisch zu ernähren, tun sie dies nicht immer konsequent).

Gerade deshalb sollten die mit der praktischen Frage verbundenen Entscheidungsaspekte, wie Men-schen tatsächlich handeln, nicht in reine Erkenntnisfragen nach dem Grund ihres Handelns aufgelöst werden, sondern Erkenntnis und Entscheidung sollten als sich gegenseitig bedingende Aspekte der praktischen Frage selbst angesehen werden.

45 Wenn hier von »Argumentationsraum« die Rede ist, dann wird damit eine wenig offensichtliche, aber weitreichende Grundentscheidung bezüglich der Ausrichtung der eigenen Argumentation ge-troffen, die bereits an anderer Stelle erwähnt wurde (siehe 1.2.2): Mit Konrad Ott soll davon ausge-gangen werden, dass es sinnvoll ist, die Umwelt- und Naturschutzethik weder über das Konzept der Natur, noch über das Interessenkonzept zu fundieren, sondern in der Argumentationspraxis von Menschen über ihre je individuellen und kollektiven Zugänge zur Natur zu verankern (vgl. zusam-menfassend Ott 2010).

seitig schulden und welche Pflichten und Rechte in Bezug auf die Natur/Biodiversität begründet werden können. Antworten auf die Frage nach den Pflichten und Rechten von Menschen untereinander und in Bezug auf die Natur/Biodiversität decken aber im-mer nur einen Aspekt von Gründen für die Bewahrung und Förderung der Biodiversität ab, weil hierbei auch pragmatische Fragen (Was mache ich, um Ziel x zu erreichen?

Welches Ziel sollte ich wählen, wenn mir bestimmte Mittel zur Verfügung stehen?) und eudaimonistische Fragen (Was macht ein gutes Leben aus und welche Rolle spielt da-bei die Natur/Biodiversität?) eine entscheidende Rolle spielen. Um diesem Problem wiederum zu begegnen, muss der Versuch unternommen werden, den biodiversitäts-ethischen Argumentationsraum in einem mehrdimensionalen Ethikverständnis zu fun-dieren, das sowohl die Frage nach den moralischen Pflichten, nach dem guten Leben und der klugen Lebensführung gleichermaßen berücksichtigt, ohne das eine in dem an-deren aufgehen zu lassen.

c) Zum dritten ergibt sich das Problem, dass in der ethischen Kommunikation über Na-tur- und Umweltschutzanliegen im Allgemeinen und bezüglich der Bewahrung und För-derung der Biodiversität im Speziellen oftmals zu wenig beachtet wird, dass die Aus-weisung ´guter Gründe` nicht lediglich eine Frage der normativen Akzeptabilität46 der Gründe ist, sondern immer auch eine Frage ihrer faktischen Akzeptanz.47 Obgleich der qualitative Unterschied zwischen faktischer Akzeptanz und normativer Akzeptabilität nicht negiert werden soll, wird problematisiert, dass es im umwelt- und naturschutz-ethischen Kontext zu einseitig nur um die normativen Akzeptabilitätsbedingungen für Umwelt- und Naturschutzanliegen geht - oftmals unter Ausblendung der Bedingungen ihrer faktischen Akzeptanz - während es im umwelt- und naturschutzpolitischen Kon-text primär um die faktischen Akzeptanzen für Umweltschutzziele und -maßnahmen in der Bevölkerung geht - hier oftmals unter Ausblendung der Akzeptabilitätsbedingun-gen dieser Ziele und Maßnahmen. Zwar wird von Seiten der EthikerInnen immer wie-der (zu Recht) betont, dass Akzeptanz und Akzeptabilität nicht aufeinanwie-der reduzierbar sind, weil man nicht vom Vorliegen faktischer Akzeptanzen für etwas auf dessen nor-mative Akzeptabilität schließen kann, andererseits ist es aber aus der Sicht einer an-wendungsorientierten Ethik unzureichend, bei der Behandlung gesellschaftspolitischer

46 In der Ethik wird Akzeptabilität zumeist synonym mit Richtigkeit gesetzt. Etwas ist in diesem Sinne akzeptabel, wenn - und nur wenn - es die Eigenschaft des Richtigseins erfüllt. Welche Kriterien (in-haltliche oder formale) dabei in der Ethik für Richtigkeit von Handlungsmotiven, Handlungen und Handlungsfolgen herangezogen werden, ist selbst ein metaethischer und ethischer Disput und daher nicht einheitlich beantwortbar.

47 Akzeptanz bezieht sich auf „kognitive, emotionale und behaviorale Elemente des positiven Umgangs mit Elementen der Welt, dergestalt, dass diese Elemente handlungsrelevant sind und nicht zur Ab-stoßung, zur Missachtung, zur Auflehnung oder dergleichen führen.“ (Wolkenstein 2014:226) Damit ist nicht gesagt, dass Akzeptanz auch schon bedeutet, etwas Gutzuheißen und/oder sein Handeln da-nach auszurichten (ebd., 226–227). Des Weiteren ist damit nicht gesagt, dass all das, was man ge-meinhin akzeptiert auch akzeptanzwürdig, d.h. akzeptabel ist (siehe vorherige FN).

Problematiken, wie die Bewahrung und Förderung der Biodiversität, bei der Beleuch-tung der normativen Akzeptabilitätskriterien stehen zu bleiben. Denn die Bewahrung und Förderung der Biodiversität ist hinsichtlich ihrer Umsetzung im

Problematiken, wie die Bewahrung und Förderung der Biodiversität, bei der Beleuch-tung der normativen Akzeptabilitätskriterien stehen zu bleiben. Denn die Bewahrung und Förderung der Biodiversität ist hinsichtlich ihrer Umsetzung im