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2 Stand der Forschung und Theorie

2.4 Massenmedien, Öffentlichkeit und Diskurse

2.4.3 Die Entwicklung der Wirkungslogik von Massenmedien

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sentiert.26 Ähnlich verhält es sich auch im Jahr 2005 (Wahlergebnis Bündnis 90/Die Grünen:

8,1 %).27 Es scheint, als ob sie sich insgesamt mittig links, mit einer starken Neigung zu Bündnis 90/Die Grünen verorten würden.28

Dies zeigt sich hinsichtlich der späten 1970er-Jahre auch in einer Arbeit Hans Matthias Kepplin-gers. Er merkt außerdem an, dass die politische Ausrichtung von Journalist(inn)en nicht folgenlos sei:

Die Tatsache, daß unter Journalisten prozentual mehr Anhänger „linker“ Parteien sind als in der Gesamtbevölkerung, macht aus individuellen Parteipräferenzen institutionelle Parteibindungen, die im Gegensatz zu den Individualentscheidungen der Legitimation bedürfen. Die individuellen politischen Einstellungen der einzelnen Journalisten geraten dabei gerade deshalb in den Ver-dacht ungerechtfertigter Parteinahme, weil sie von der Mehrheit der Kollegen gebilligt werden.

[...] Der Nachweis, daß die politischen Einstellungen von Journalisten mit ihren sachbezogenen Urteilen zusammenhängen, untergräbt zudem das Selbstbild vom unabhängigen Kritiker und rückt die Parteipräferenz in die Nähe der subalternen Parteilichkeit. Die Parteipräferenz er-scheint als Grundlage der Sachurteile und gerät damit von einem marginalen Bekenntnis ins Zentrum des Denkens und Handelns. (Kepplinger 1979, S. 8)

Kepplinger konstatiert, dass Journalist(inn)en in einer großen Mehrzahl ähnliche Werte und Ansich-ten vertreAnsich-ten, also einen ähnlichen Standpunkt hätAnsich-ten, den er wiederum etwas links von der Mitte verortet (Kepplinger 1979, S. 13). Im Jahr 1979 haben Journalist(inn)en ihm zufolge eine politische Verantwortung in ihrer Arbeit gesehen; sie hätten jedoch eine moralische Verantwortung für die Folgen ihrer Berichterstattung abgelehnt, da sie diese als nicht allzu einflussreich betrachten würden (Kepplinger 1979, S. 17).

Nachdem die politischen Hintergründe der Journalist(inn)en näher beleuchtet wurden, soll in Kapi-tel 2.4.3 eine Beschreibung der Entwicklung der Wirkungslogik von Massenmedien folgen.

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munikationswissenschaftlers Michael Meyen, in der er Zeitungsveröffentlichungen in einem histo-risch-vergleichenden Kontext untersucht (vgl. Meyen 2015). Ausgangspunkt dieser Studie ist die Frage, nach welchen Prinzipien deutsche Tageszeitungen in der heutigen Zeit Realität konstruieren.

Meyen merkt hierzu an, dass es zweifelhaft sei, ob man von ‚dem’ Mediensystem sprechen könne, da das mediale Feld sehr vielfältig sei (Meyen 2015, S. 22). Meyen nimmt jedoch auch an, „dass die Regeln und Normen, die die Institution Nachrichtenmedien als Ganzes leiten [...] wichtiger sind als das, was einzelne Verlage oder Zeitungstypen voneinander unterscheidet“ (Meyen 2015, S. 23).

Zum Untersuchungsdesign seiner Studie merkt er an, dass die Auswahl des Materials sich schwierig gestaltet habe,

[…] da es sich ausnahmslos um Ereignisse handelt, die das Selektionsraster der Massenmedien zumindest in der Gegenwart problemlos passieren und die deshalb offensichtlich Eigenschaften aufweisen, die der Handlungslogik des Systems entgegenkommen. Die Untersuchung hat aller-dings bestätigt, dass sich diese Handlungslogik mit den Akteurskonstellationen, den Akteursfik-tionen und den Erwartungsstrukturen ändert. Die Premieren von James-Bond-Filmen oder der Eurovision Song Contest zum Beispiel wurden in den untersuchten Zeitungen in den 1960er Jahren entweder überhaupt nicht erwähnt oder mit Kurznachrichten abgehandelt. (Meyen 2015, S. 29)

Dies ist eine für die vorliegende Arbeit wichtige Erkenntnis. Sie zeigt auf, dass es im historischen Kontext verschiedene Aspekte in den Printmedien gegeben hat, die die Veröffentlichung von Arti-keln beeinflussten. Nachrichten, die vor 30 Jahren so nicht in einer Zeitung aufgetaucht wären, werden heute viel umfangreicher abgedeckt. So konnte er aufzeigen, dass die deutsche Tagespresse sich mehr und mehr von kommerziellen Interessen leiten lässt. Dies zeige sich u.a. darin, dass De-tails häufig ausgelassen würden, die Exklusivität von Nachrichten eine immer größere Bedeutung erlange, Selektion, Interpretation und Präsentation immer kreativer erfolgen würden und in Artikeln vereinfacht, zugespitzt und übertrieben werde (Meyen 2015, S. 32). Wie bereits angesprochen, ha-ben sich über die Jahre die Nachrichtenwerte verschoha-ben. Die Berichterstattung über Parteitage wurde bspw. deutlich kürzer, während bestimmte Ereignisse, wie bspw. der European Song Contest oder die jährliche Verleihung der Oscars, immer prominenter platziert wurden. Meyen merkt hierzu an, dass „selbst“ die BILD 1979 den ESC lediglich im Fernsehprogramm ankündigte, während ihm 2002 sogar eine Doppelseite eingeräumt wurde (Meyen 2015, S. 32). Meyen bezeichnet dies selbst als „Trend zur Entpolitisierung“ (Meyen 2015, S. 33). Dies zeige sich auch darin, dass immer häu-figer über „Atmosphärisches“, wie bspw. der Hinweis, dass ein Politiker während einer Rede eines Parteifreundes nur auf sein iPad geschaut habe, als über inhaltliches berichtet werde (Meyen 2015, S. 33).

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Des Weiteren hat Meyen herausgearbeitet, dass Massenmedien heutzutage in ihrer Berichterstattung besonders spektakuläre Ereignisse – egal wie (un)wichtig sie sind – bevorzugen und sich immer stärker auf einzelne Personen hinter den Nachrichten konzentrieren.29 Besonders beachtet würden hierbei Prominente oder Menschen, „denen entweder Außergewöhnliches passiert ist oder die über exklusives Wissen verfügen“ (Meyen 2015, S. 34). Meyen bezeichnet dies als „Trend zur Personali-sierung“ (Meyen 2015, S. 34). Mit dieser These steht Meyen jedoch nicht alleine. Der Medienwis-senschaftler Kurt Imhof bemerkte ebenfalls Folgendes:

[Es] ist im historischen Vergleich eine beispiellose Privatisierung des Öffentlichen und Persona-lisierung der politischen Kommunikation zu konstatieren [...]. Beobachtbar ist eine Zunahme von Human Interest Storys, Betroffenheits-, Thesen- und Moraljournalismus und die Etablie-rung neuer boulevardisierender Nachrichtenformate in Radio und Fernsehen. Die Personalisie-rung des Politischen findet im Fernsehen ihr wichtigstes Medium: Politikdarstellung gleicht sich strukturell und inhaltlich der Unterhaltung an, und politische Argumente werden durch Charak-terdarstellungen im privaten Lebensraum und medienattraktive Konfliktinszenierungen ergänzt.

(Imhof 2006, S. 203)

Auch Weischenberg, Malik und Scholl (2016, S. 17) stützen diese These und konstatieren, dass der Mensch in der Nachricht wichtiger werde als die Nachricht selbst.

Des Weiteren bemerkt Meyen, dass die Medien in ihrer Präsentationslogik versuchen würden, mehr und mehr Aufmerksamkeit zu generieren. Das Material werde immer visualisierter und origineller aufgearbeitet (Meyen 2015, S. 35). Außerdem gingen Massenmedien dazu über, Geschichten zu erzählen. Ereignisse würden hier in eine historische Traditionslinie gestellt, es werde ein Ausblick in die Zukunft gewagt. Hinzu komme die Emotionalisierung und Dramatisierung von Ereignissen (Meyen 2015, S. 35).

In einer thematisch verwandten Studie kommt Maria Karidi zu vergleichbaren Ergebnissen. Sie hat sich mit der Frage des Wandels von massenmedialer Logik auseinandergesetzt und ist zu mehreren Erkenntnissen gelangt. Ein Aspekt ist, dass sich die Medien 2014 stärker auf kommerzielle Selekti-onskriterien innerhalb ihrer Nachrichtenauswahl stützen als noch 1984. Es wird Aufmerksamkeit durch eine verstärkte Darstellung negativer Berichte und die Darstellung von Konflikten, Prominen-ten, Skandalen, Experten und die Personalisierung von Nachrichten generiert. Dies ziehe sich in der Regel durch alle Nachrichtenressorts (Karidi 2017, S. 180). Insgesamt werde mehr über Personen berichtet als über eigentliche Ereignisse. Dies sei zwar auch in der Vergangenheit schon in umfang-reichem Maße der Fall gewesen, die Entwicklung habe sich jedoch weiter intensiviert (Karidi 2017, S. 181). Hinsichtlich der Präsentationskriterien („Umfang der Berichterstattung, Platzierung der

29 Dieser Trend wurde bereits im letzten Kapitel kurz erwähnt.

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Inhalte, Visualisierung, markt- und publikumsorientierte Formate“) konstatiert Karidi, dass sich die Medieninhalte verändert hätten (Karidi 2017, S. 185). Einen großen Einfluss hierauf habe das Inter-net, das dafür sorge, dass die (Print-)Medien nicht mehr der aktuellste Nachrichtenvermittler seien (Karidi 2017, S. 185). Aus diesem Grund konzentrieren sich die Printmedien Karidi zufolge immer stärker auf Hintergrundberichte und „unterhaltsame Nachrichtengeschichten“, „um ihre Daseinsbe-rechtigung auf dem Medienmarkt zu sichern“ (Karidi 2017, S. 185). Als eine Konsequenz daraus würden in den Printmedien mittlerweile tendenziell weniger, aber dafür aber längere Artikel er-scheinen (Karidi 2017, S. 185).

Mit Blick auf die Interpretationslogik von Massenmedien hat Karidi herausgearbeitet,

[…] dass emotionale Nachrichtengeschichten, eine lockere Sprache, Folgeberichte, Meinungen und Interpretationen sowie Simplifizierungen und Narrativität in den Massenmedien eine immer wichtigere Rolle spielen. [...] Emotionale Beiträge, Folgeberichte, Meinungen und Interpretatio-nen befördern genauso wie der Einsatz einer lockeren Sprache die Narrativität einer Nachrich-tengeschichte und verweisen nicht nur auf die zunehmende Kommerzialisierung der Medienin-halte, sondern verdeutlichen auch einen Wandel im journalistischen Selbstverständnis. (Karidi 2017, S. 188)

Folgeberichte werden laut Karidi deshalb gerne publiziert, weil sie Ressourcen sparen würden, da das Grundgerüst der Berichterstattung hier aus bereits früher publizierten Artikeln bestehe. Es wer-de also insgesamt mehr über einzelne spezifische Themen berichtet (Karidi 2017, S. 189).

Meyens und Karidis Ausführungen sind für diese Arbeit von großer Bedeutung, da sie im Interpre-tationsprozess vor dem Fehler bewahren können, journalistische Rahmenbedingungen während der Zeit des Oktoberfestattentats mit journalistische Rahmenbedingungen während Rostock-Lichtenhagen und während des ‚NSU’-Komplexes gleichzusetzen. Statt ausschließlich davon aus-zugehen, dass zu einem Thema so und nicht anders berichtet wurde, da es dieses und nicht ein ande-res Thema war, begünstigen die Thesen den Blick auf die Tatsache, dass zur selben Zeit möglich-erweise auch über vollkommen andere Themen mit einer ähnlichen Logik berichtet wurde. Berich-teten FAZ, ZEIT und BILD bspw. vergleichsweise wenig über das Oktoberfestattentat, so kann dies daran gelegen haben, dass sie es als wenig relevant erachteten. Es kann aber auch sein, dass in den 1980er-Jahren singulären Ereignissen weniger Platz in Zeitungen eingeräumt wurde, da ein paar Tage später etwas Neues, Berichtenswerteres geschah. Dies muss also nicht eine explizite Abwer-tung eines Themas per se bedeuten, sondern kann Teil der medialen Gegebenheiten zu einer be-stimmten Zeit sein. Insofern unterstützen Meyens und Karidis Thesen die Herangehensweise der historischen Diskursanalyse, die spezifischen historischen Hintergründe einer spezifischen Zeit im

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Interpretationsprozess nicht zu vernachlässigen, sondern auch auf die zu untersuchenden Quellen anzuwenden.

Zusätzlich zu den Ausführungen zu den sich wandelnden massenmedialen Gegebenheiten ist es unerlässlich, sich zudem Gedanken über die mediale Objektivität zu machen, weshalb diese Frage im Folgenden kurz thematisiert werden soll.