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2 Stand der Forschung und Theorie

2.4 Massenmedien, Öffentlichkeit und Diskurse

2.4.2 Die deutsche (Print-)Medienlandschaft

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gumentativer Unterstützung geprägt. Auch die Streitparteien, über die berichtet wird, untermauern ihre Thesen in gerade einmal 6 % der Artikel aktiv argumentativ (Rager/Rinsdorf 2002, S. 52).

Kretschmer und Jäger betrachten die von den Medien (re-)produzierten Diskurse als einen der wich-tigsten, wenn nicht gar den „wichtigsten Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Herrschafts- und Machtverhältnisse“ (Kretschmer/Jäger 1996, S. 804). In den medial geprägten Diskursen sehen sie die Schnittstelle von wissenschaftlichen und politischen Diskursen, was in der Folge einen starken Einfluss auf den Alltagsdiskurs und schließlich auf die Gedanken und Taten der Medienkonsu-ment(inn)en habe (Kretschmer/Jäger 1996, S. 804). Ihnen zufolge muss hierbei beachtet werden, dass die Medien keinesfalls ein Instrument der, wie sie es nennen, Herrschenden seien. Vielmehr würden die Medien und ihre Vertreter selbst auch einen großen Einfluss auf den vorherrschenden Diskurs ausüben und müssten deshalb unbedingt als eigenständige Macht angesehen werden. Auf diesen Überlegungen baut das Konzept der „Vierten Gewalt“ auf, das besagt, dass die Medien herr-schende Diskurse (re-)produzieren würden, während die Mediengestalter/-innen gleichzeitig selbst in diese Diskurse verstrickt seien und somit selbst ein gewisses Interesse an jener Richtung hätten, welche die Diskurse einschlügen (Kretschmer/Jäger 1996, S. 804).

Abschließend soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die Medien sich der vermeintli-chen Realität nur annähern können, da Informationen bis zu ihrer Publikation verschiedene journa-listische Auswahlentscheidungen durchlaufen (Görke 1993, S. 137). Um zu verstehen, wie diese Auswahlentscheidungen entstehen und getroffen werden, wird im nachfolgenden Kapitel auf die Struktur der deutschen (Print-)Medienlandschaft ausführlicher eingegangen.

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Diese Spezifika sind für die jeweiligen Branchen charakteristisch. Dies ist ein Aspekt, der in der Analyse unbedingt beachtet werden muss. So darf es nicht verwundern, dass die BILD mehr Bilder in ihren Artikeln zeigen wird als bspw. die FAZ. Die Frage, welche Zeitung wie viele Bilder zeigt, soll im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit jedoch nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr ist von Interesse, was auf diesen Bildern gezeigt wird.

Das deutsche (Print-)Mediensystem

Der Konkurrenzdruck ist in der Medienlandschaft heute um einiges größer als noch vor einigen Jahren. Mitverantwortlich dafür sei die Entwicklung, dass das Internet Redaktionen zu einer viel höheren Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung und -veröffentlichung zwinge (Weischen-berg/Malik/Scholl 2006, S. 197). Weischenberg, Malik und Scholl sehen außerdem die „Entgren-zung“ des Medienbereichs als ein großes Problem an. Sie beklagen eine immer stärkere Ausrich-tung ausschließlich zum ökonomischen Gewinn hin, außerdem eine unklare Abgrenzung von Inhal-ten und eine immer weiter abnehmende Professionalisierungsrate innerhalb der Medienlandschaft:

Zu den Entgrenzungen des Journalismus gehört auch, dass es in Redaktionen Trends zu Teams aus „Eier legenden Wollmilch-Redakteuren“ gibt, wie der Kress-Report geschrieben hat [Her-vorhebung im Original]. Damit werden fachliche Grenzen, die auch Kompetenzgrenzen sind, aufgelöst. Solche Beispiele geben Hinweise darauf, dass sich die Rahmenbedingungen des (deutschen) Journalismus in den letzten zwölf Jahren erheblich verändert haben. (Weischen-berg/Malik/Scholl 2006, S. 16)

Man kann also davon ausgehen, dass sich Journalist(inn)en heute immer weniger auf bestimmte Bereiche spezialisieren und sich somit zu Allroundern entwickeln. Dies kann im Resultat bedeuten, dass für die Berichterstattung zu bestimmten Themen die entsprechende Expertise fehlt.

Die Entstehung von Berichterstattung ist Maurer und Reinemann zufolge ein sehr komplexer Pro-zess innerhalb von Redaktionen mit arbeitsteiligen ProPro-zessen. Hierbei seien die Journalist(inn)en mehr oder minder diversen Vorgaben von Verlegern und Verlegerinnen, leitenden Redakteur(inn)en oder Anzeigenkund(inn)en unterworfen (Maurer/Reinemann 2006, S. 99 f.).

In den meisten Zeitungsredaktionen herrschen grundsätzlich strenge Hierarchien. An der Spitze stehen die Chefredakteure und -redakteurinnen, die vor allem Führungs-, Kontroll- und Koordinati-onsaufgaben haben. Die Redaktion ist in verschiedene Ressorts gegliedert, die sich jeweils auf be-stimmte Themenfelder konzentrieren. An der Spitze eines Ressorts steht der/die Ressortleiter(in) und hat die Führungs-, Kontroll- und Koordinationsverantwortung gegenüber den Redakteur(inn)en des Ressorts. Unter den Redakteur(inn)en herrschen meist zusätzlich noch informelle Hierarchien,

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auf der untersten Sprosse der Leiter stehen in der Regel die Volontäre und Volontärinnen (Wei-schenberg/Malik/Scholl 2006, S. 75).

Bevor ein Artikel entstehe, müssten die Journalist(inn)en entscheiden, welche Ereignisse in dem Artikel beschrieben, welche Eigenheiten dieser Ereignisse hervorgehoben und wie die Beschrei-bungen der Ereignisse dargestellt werden sollen (Schanne 1995, S. 111). Doch wie wird entschie-den, was überhaupt publiziert wird? Maurer und Reinemann zufolge kann das sog. „Zwei-Komponenten-Modell“ hierüber Aufschluss geben (Maurer/Reinemann 2006, S. 102):

Demnach muss man für eine Erklärung journalistischer Selektion einerseits die Merkmale der aktuellen Ereignisse und Themen berücksichtigen, die für eine Publikation in Frage kommen, andererseits die journalistischen Selektionskriterien, die diesen Merkmalen erst eine Bedeutung für die Publikationsentscheidung verleihen. (Maurer/Reinemann 2006, S. 102)

Die Ereignismerkmale werden auch Nachrichtenfaktoren genannt. Hierzu zählen „die Reichweite eines Themas oder Ereignisses (Wie viele Menschen betrifft es?), seine Konflikthaftigkeit bzw. sein Schadenspotential, seine Kontinuität (Wurde bereits früher darüber berichtet?), die Prominenz oder Bedeutung der beteiligten Personen sowie die wirtschaftliche, politische oder geographische Nähe des Ereignisortes“ (Maurer/Reinemann 2006, S. 102). Hinzu kommen die Selektionskriterien, „sie bestimmen, welchen Nachrichtenfaktoren Journalisten ein hohes und welchen ein niedriges Ge-wicht für ihre Publikationsentscheidung beimessen“ (Maurer/Reinemann 2006, S. 102). Ebenso werden die sog. Gatekeeper mit ins Spiel gebracht. Gatekeeper sind Entscheidungsinstanzen, die bestimmen, welche Informationen weitergegeben und welche unterdrückt werden (Nis-sen/Menningen 1979, S. 212). So können Informationen bevorzugt behandelt oder in den Hinter-grund gedrängt werden. Gatekeeper können sowohl positiv als auch negativ auf ein Thema einwir-ken (Nissen/Menningen 1979, S. 215). Gerade bei den Nachrichtenfaktoren gewichten verschiedene Zeitungen unterschiedlich. In Boulevardzeitungen spielt z. B. die „Prominenz“ als Nachrichtenfak-tor eine viel größere Rolle als in anderen Zeitungen. So sei in Boulevardzeitungen eine starke Ten-denz zur Personalisierung in der Berichterstattung zu erkennen (Maurer/Reinemann 2006, S. 103).

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass Zeitungen stets eine gewisse politische Ausrichtung haben.23 Diese politische Tendenz bezeichne man auch als redaktionelle Linie (Maurer/Reinemann 2006, S. 129). Manche Medien haben eine stärker ausgerichtete redaktionelle Linie als andere, grundsätz-lich gilt aber Folgendes: „Bei Printmedien wird die redaktionelle Linie vom Verleger oder

23 Die politischen Ausrichtungen von FAZ, ZEIT und BILD werden ausführlicher im Methodenkapitel angesprochen.

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geber weitgehend bestimmt und über die alltägliche Sozialisation in der Redaktion an die Redakteu-re weitervermittelt“ (MauRedakteu-rer/Reinemann 2006, S. 129).

Die redaktionellen Linien äußern sich vor allem in Kommentaren. Analysen belegen aber, dass die politische Ausrichtung durchaus auch in Berichten und Nachrichten Niederschlag findet (Mau-rer/Reinemann 2006, S. 129). In Kommentaren werden in Printmedien persönliche Meinungen der Kommentierenden wiedergegeben; meist stehe in Printerzeugnissen jedoch nur wenig Platz für Kommentare zur Verfügung (Eilders 2008, S. 29). Die Tatsache, dass aufgrund des Platzmangels nur wenige Ereignisse als kommentarwürdig eingestuft werden, bedeutet somit wiederum, dass Themen, die kommentiert werden, von der Redaktion als besonders relevant angesehen werden und innerhalb dieses Mediums repräsentativ für das eigene Profil sind (Eilders 2008, S. 30).

Aufgrund der in diesem Kapitel beschriebenen hierarchisch gegliederten Strukturen wird im Rah-men dieser Studie nicht untersucht, welche(r) Journalist(in) für welchen Artikel verantwortlich ist.

Vielmehr wird davon ausgegangen, dass ein Artikel, wenn er veröffentlicht wurde, durch einen ge-wissen Homogenisierungsprozess innerhalb der Redaktion gegangen ist, also als Aussage der Zei-tung als solcher betrachtet werden kann. Es wird also weniger der/die einzelne Journalist(in) er-wähnt, sondern die jeweilige Zeitung, in der ein Artikel veröffentlicht wurde. Dennoch ist es wich-tig, die politische und soziokulturelle Prägung von Journalist(inn)en in Deutschland zu beschreiben.

Dies wird im folgenden Kapitel geschehen. Hierdurch soll verdeutlicht werden, wie sich der/die durchschnittliche Journalist/-in innerhalb Deutschlands im Vergleich zur restlichen Bevölkerung positioniert.

Ein Querschnitt der Journalist(inn)en in Deutschland

Weischenberg, Malik und Scholl zufolge kann man den „typischen deutschen Journalisten“ auf der Grundlage von quantitativen Erhebungen wie folgt beschreiben: „[…] ein knapp 41 Jahre alter Mann, der aus der Mittelschicht stammt, einen Hochschulabschluss hat, bei der Presse arbeitet, in einer festen Beziehung lebt und ca. 2.300 Euro netto im Monat verdient“ (Weischen-berg/Malik/Scholl 2006, S. 57). Im Vergleich zu 1993 hat sich hier wenig geändert, der einzig sig-nifikante Unterschied ist, dass der Altersdurchschnitt damals noch bei 37 Jahren lag (Weischen-berg/Malik/Scholl 2006, S. 57). Für die vorliegende Arbeit können auch die politischen Präferenzen von Journalist(inn)en aufschlussreich sein. Weischenberg, Malik und Scholl haben für die Jahre 1993 und 2005 folgende Parteipräferenzen erfragt:

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Abbildung 1: Tabelle ‚Parteipräferenzen Journalist(inn)en’; Angaben in %, Quelle: eigene Abbildung nach Weischen-berg/Malik/Scholl 2006, S. 71.

Hierbei fällt auf, dass die politische Ausrichtung von Journalist(inn)en sich leicht verändert hat.24 Die CDU/CSU haben im Vergleich zu 1993 (12 %) drei Prozentpunkte im Vergleich zu 2005 (9 % verloren). Ähnlich verhält es sich bei der FDP (1993: 9 %, 2005: 6 %). Gleichzeitig muss man aber auch beachten, dass die PDS ebenfalls drei Prozentpunkte verloren hat (1993: 4 %, 2005: 1 %).25 Die SPD ist relativ stabil geblieben (1993: 25 %, 2005: 26 %). Die Partei mit dem größten Zuwachs an Prozentpunkten im Vergleich zu 1993 (19 %) ist Bündnis 90/Die Grünen. Sie konnte 2005 mit der Unterstützung von 36 % der Journalist(inn)en rechnen, was gleichzeitig den höchsten Wert ausmachte, den eine Partei aus dem Feld des Journalismus erwarten konnte. Auch scheinen sich die Medienvertreter(inn)en im Laufe von zwölf Jahren deutlich politisiert zu haben. Haben 1993 noch 30 % von ihnen angegeben, keine spezifische Parteineigung zu haben, so waren es 2005 nur noch 20 %. Es lässt sich also festhalten, dass sich die politischen Präferenzen von Journalist(inn)en sehr von den Ergebnissen der Bundestagswahlen unterscheiden. Im Vergleich zur Bundestagswahl von 1994 sind bis auf Bündnis 90/Die Grünen (Wahlergebnis: 7,3 %) alle Parteien deutlich

24 Alle nachfolgenden Zahlen nach Weischenberg/Malik/Scholl 2006, S. 71.

25 Hierbei sollte nicht vergessen werden, dass es die PDS heute in dieser Form nicht mehr gibt. 2007 ist sie gemeinsam mit der WASG in der Partei DIE LINKE aufgegangen. Jedoch hatten die PDS und die WASG bereits im Zuge der Bundestagswahl 2005 ein gemeinsames Kandidat(inn)enmodell (DIE LINKE/PDS), weshalb die hier genannten Zahlen für 2005 nur eine eingeschränkte Aussagekraft ha-ben können.

0 5 10 15 20 25 30 35 40 Ohne Parteineigung

Sons6ge PDS Bündnis 90/Die Grünen FDP SPD CDU/CSU

1993 2005

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sentiert.26 Ähnlich verhält es sich auch im Jahr 2005 (Wahlergebnis Bündnis 90/Die Grünen:

8,1 %).27 Es scheint, als ob sie sich insgesamt mittig links, mit einer starken Neigung zu Bündnis 90/Die Grünen verorten würden.28

Dies zeigt sich hinsichtlich der späten 1970er-Jahre auch in einer Arbeit Hans Matthias Kepplin-gers. Er merkt außerdem an, dass die politische Ausrichtung von Journalist(inn)en nicht folgenlos sei:

Die Tatsache, daß unter Journalisten prozentual mehr Anhänger „linker“ Parteien sind als in der Gesamtbevölkerung, macht aus individuellen Parteipräferenzen institutionelle Parteibindungen, die im Gegensatz zu den Individualentscheidungen der Legitimation bedürfen. Die individuellen politischen Einstellungen der einzelnen Journalisten geraten dabei gerade deshalb in den Ver-dacht ungerechtfertigter Parteinahme, weil sie von der Mehrheit der Kollegen gebilligt werden.

[...] Der Nachweis, daß die politischen Einstellungen von Journalisten mit ihren sachbezogenen Urteilen zusammenhängen, untergräbt zudem das Selbstbild vom unabhängigen Kritiker und rückt die Parteipräferenz in die Nähe der subalternen Parteilichkeit. Die Parteipräferenz er-scheint als Grundlage der Sachurteile und gerät damit von einem marginalen Bekenntnis ins Zentrum des Denkens und Handelns. (Kepplinger 1979, S. 8)

Kepplinger konstatiert, dass Journalist(inn)en in einer großen Mehrzahl ähnliche Werte und Ansich-ten vertreAnsich-ten, also einen ähnlichen Standpunkt hätAnsich-ten, den er wiederum etwas links von der Mitte verortet (Kepplinger 1979, S. 13). Im Jahr 1979 haben Journalist(inn)en ihm zufolge eine politische Verantwortung in ihrer Arbeit gesehen; sie hätten jedoch eine moralische Verantwortung für die Folgen ihrer Berichterstattung abgelehnt, da sie diese als nicht allzu einflussreich betrachten würden (Kepplinger 1979, S. 17).

Nachdem die politischen Hintergründe der Journalist(inn)en näher beleuchtet wurden, soll in Kapi-tel 2.4.3 eine Beschreibung der Entwicklung der Wirkungslogik von Massenmedien folgen.