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2.6 Die elektrische Reaktionsaudiometrie als Ableittechnik für akustisch und

Unter akustisch evozierten Potentialen (AEP) versteht man die beim Hörvorgang auftretenden elektrischen Potentialschwankungen, die an der Schädeloberfläche über Nadel- oder Oberflächenelektroden ableitbar sind (Hoth u. Lenarz 1994). Die Methode zur Messung dieser Potentiale bezeichnet man als elektrische

Reaktionsaudiometrie (ERA), die ursprünglich der Ableitung weit überschwelliger auditorisch evozierter Potentiale diente und heute in klinischen Bereichen ein Teil der Hörprüfung ist. Potentiale können gezielt aus den verschiedenen Stufen der Hörbahn abgeleitet werden. Da die ERA nur als Oberbegriff zu verstehen ist, wird eine

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Unterteilung notwendig, die sich durch den zeitlichen Ablauf (Latenzzeit) der Reizantworten ergibt.

Dem Hörnerven und dem Hirnstamm können die frühen auditorisch evozierten Potentiale (FAEP, 0-10 ms) zugeordnet werden. Die mittleren auditorisch evozierten Potentiale (MAEP, 10-50 ms) werden im Lemniscus lateralis und den auditorischen Feldern des Thalamus generiert. Die späten auditorisch evozierten Potentiale (SAEP, 50-500 ms) stellen Summenpotentiale aus der primären und sekundären Hörrinde dar (Lehnhardt 1996). Entsprechend ihrer Entstehungsorte werden die frühen Potentiale auch als Hirnstammpotentiale (BAEP) und die späten als corticale Potentiale (CAEP) bezeichnet. Da die mittleren Potentiale sowohl im Mittelhirn als auch im Cortex generiert werden erfo lgt eine Klassifizierung nur aufgrund ihrer Latenz (Abb. 2.12).

Abbildung 2.12: Verlauf der akustisch evozierten Potentiale (aus Ross 2001)

Das Prinzip der ERA besteht in der Applikation akustischer oder elektrischer Reize und der Erfassung der dadurch ausgelösten Änderungen der neuronalen Strukturen.

Um solche Potentiale aus allen Regionen der Hörbahn und auch bei geringen Reizlautstärken registrieren zu können, muss mit Hilfe eines Computers durch Mittelwertbildung (Averaging) das Antwortsignal aus dem Grundrauschen des EEGs herausgefiltert werden (Lehnhardt 1996). Eine ERA-Messapparatur setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen: 1. ein Reizgenerator, dB-Teiler und Wandler, die den Stimulus liefern, 2. Elektroden, Anschlussleitungen und Abschirmung, die für die Verbindung zwischen Patient und Apparatur sorgen, 3. ein Verstärker und Filter für die Bearbeitung des EEGs und 4. ein Analog/Digitalwandler, Datenprozessor und

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Programm, die für die digitale Verarbeitung des EEG-Signals zuständig sind (Abb.

2.13) (Hoth u. Lenarz 1994).

Abbildung 2.13: Anlage zur Registrierung auditorisch evozierter Potentiale (aus Hoth u.

Lenarz 1994)

Da die Refraktärzeit in Richtung auf die Hirnrinde zunimmt, muss die

Reizfolgefrequenz umso niedriger gehalten werden je zentraler Potentiale abgeleitet werden sollen. Um die Schwelle der Reizantwort zu ermitteln, reduziert man die Reizlautstärke bei 90 dB beginnend schrittweise um jeweils 10 dB.

Die Potentiale der FAEP werden sowohl mit römischen Ziffern P I-VII als auch mit J1-J7 nach Jewett, einem der Erstbeschreiber, benannt. Ferner werden per Definition nur die positiven Peaks ausgewertet. Jeder Peak hat seinen anatomischen Ursprung in unterschiedlichen Generatoren. P I entstammt dem distalen Anteil des Hörnerven (Buchwald u. Huang 1975). P II entsteht in den proximalen Anteilen des Hörnervs und im Nucleus cochlearis (NC). P III hat seinen Ursprung wahrscheinlich im Bereich des NC bis zum oberen Olivenkomplex (SOC) der kontralateralen Seite. Die P IV - bis P V-Komplexe entstammen dem Lemniscus lateralis und dem Colliculus inferior.

Aufgrund dieser anatomischen Zuordnung wird deutlich, dass P I und P II von

ungekreuzten, ipsilateralen Strukturen generiert werden, während die nachfolgenden Peaks auch gekreuzten Anteilen der Hörbahn entstammen. Die Indikation zur

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Ableitung von Hirnstammpotentialen ist vielfältig und reicht von der Hörprüfung bei Säuglingen und Kleinkindern über die Diagnostik von Tumoren im inneren

Gehörgang oder im Kleinhirnbrückenwinkel bis hin zur Lokalisation intrazerebraler Störungen der Hörbahn (Lehnhardt 1996). Ein Schwerpunkt ist die Differenzierung zwischen cochleären und retrocochleären Hörstörungen. Auch im Bereich der Tiermedizin findet die ERA in zunehmendem Maße in der Diagnostik Verwendung.

Aufzeichnungen der Klinik für kleine Haustiere der Tierärztlichen Hochschule

Hannover zeigen, dass seit 1996 vermehrt auch Katzen auf das Vorhandensein einer cochleären Hörstörung untersucht wurden, was mit der von vielen

Katzenzuchtverbänden bei weißen Katzen geforderten Nachweispflicht der

beidseitigen Hörfähigkeit begründet werden kann (Keller 1997). Bei der Auswertung der Potentiale werden die Latenzen und Amplituden ermittelt. Unter der Latenz versteht man die Zeit zwischen Reizbeginn und Auftreten des Potentials. Die Amplitude wird vom Extremwert zur Nulllinie oder als Differenz aus Maximal- und Minimalwert ermittelt. Untersuchungen der Hirnstammpotentiale an Menschen und Katzen haben gezeigt, dass die Form und die Größe der Potentialfolge bei beiden Spezies vergleichbar sind. Die Latenzen der einzelnen Potentiale sind bei Katzen kürzer als beim Menschen (Tab. 2.1 u. 2.2). Ferner wurde eine Verkürzung der Absolutlatenz der elektrisch evozierte Potentiale (FEEP) im Vergleich mit den akustisch evozierten Potentialen (FAEP) bei Katze und Mensch beschrieben, was auf die direkte elektroneurale Ankopplung bei den elektrische evozierten Potentialen zurückzuführen ist (van den Honert 1985). Mit sinkender Reizlautstärke verlängern sich die Latenzen und die Amplitude ist im unteren Bereich der Reizlautstärke (< 50dB nHL) kaum noch zu identifizieren. Hinsichtlich der Auswertung einer BERA-Untersuchung sind die Normwerte der Potentiallatenzen P I, P III und P V wichtige Größen, da Abweichungen Hinweise a uf pathologische Veränderungen geben (Hoth u. Lenarz 1994).

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Tabelle 2.1: Latenzen der FAEP bei Katzen und Mensch

(nach Van den Honert u. Stypulkowski 1986, Hoth u. Lenarz 1994)

FAEP Katze Mensch

Tabelle 2.2: Latenzen der FEEP bei Katzen und Menschen (nach Van den Honert u. Stypulkowski 1986)

FEEP Katze Mensch

Die Reizantwort der MAEP befindet sich in einem Zeitfenster von 10-50 ms nach Reizbeginn und stellt sich als Wellenfolge mit den Benennungen N0/Po, Na/Pa und Nb dar. Es werden sowohl positive als auch negative Potentiale ausgewertet. Die größte Konstanz zeigen die Wellen P0 und Pa. Die Latenzen der MAEP können allerdings auch unter physiologischen Verhältnissen deutliche Schwankungen aufweisen. Die MAEP sind zum Zeitpunkt der Geburt nicht nachweisbar, da die Reifung des auditorischen Systems von peripher nach zentral verläuft.

Bei den SAEP stellen sich die Potentiale mit zwei positiven und zwei negativen Peaks (P1, N1, P2, N2) über einen Zeitraum von 50-500 ms nach Stimulusbeginn dar. Im Gegensatz zu den FAEPs werden hier jedoch positive

Potentialschwankungen nach unten und negative Schwankungen nach oben aufgetragen. Klinisch sind hauptsächlich die FAEPs von Interesse. Werden die Messungen der MAEP und SAEP in Narkose oder Sedation durchgeführt, sind die

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Ergebnisse weniger konstant, da sie von der Art und der Tiefe der Narkose bzw.

Sedation stärker beeinflusst werden als die FAEP. Vergleichende Untersuchungen zwischen Pentobarbital (Injektionsnarkose) und Isofluran (Inhalationsnarkose) haben ergeben, dass die mittlere minimale Schwelle der Potentiale bei Verwendung von Isofluran um durchschnittlich 12 dB höher liegt und die Latenz um 2 ms verlängert ist gegenüber Pentobarbitalnarkosen. Ebenso ist die Anzahl der spontanen Potentiale bei Pentobarbital signifikant höher als bei Isofluran (Cheung et al. 2001).

Abbildung 2.14: Übersicht der Eigenschaften der verschiedenen AEP-Gruppen (nach Hoth u. Lenarz 1994)