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2 Literaturübersicht

2.3 Der Aufbau und die Funktion des Colliculus inferior

Der Colliculus inferior (IC) stellt eine wichtige Position im Bereich der zentralen Hörbahn dar. Er bildet die Schnittstelle zwischen den unteren Hirnstammbereichen der Hörbahn, dem auditorischen Cortex und dem motorischen System. Der IC erhält viele aufsteigende Projektionen von den verschiedenen Kernen aus dem unteren Bereich des Hirnstamms. Außerdem erhält er Signale vom IC der Gegenseite und absteigende Signale vom auditorischen Cortex. Daraus wird ersichtlich, dass sich im IC Informationen von verschiedenen Bereichen der Hörbahn versammeln und ein Teil der verarbeiteten Signale vom Cortex zurückgeleitet wird. Der IC erhält auch Fasern von aufsteigenden somatosensorischen Bahnen, was vermuten lässt, dass auditorische und somatosensorische Informationen im Mittelhirn zusammenkommen.

Die meisten vom IC abgehenden Bahnen ziehen zu den in Thalamus und Cortex gelegenen Abschnitten der Hörbahn, allerdings werden auch Informationen an Bereiche des motorischen Systems, wie z.B. den Colliculus superior (SC) oder das Kleinhirn weitergeleitet. Der IC repräsentiert eine Schaltstelle, um Hörinformationen zu verarbeiten, die im Verhaltenskontext von Bedeutung sind, und eine adäquate Beantwortung dieser Informationen zu veranlassen (Casseday et al. 2002). Dieser Verarbeitungsprozess ermöglicht eine Selektion zwischen wichtigen und weniger wichtigen Höreindrücken um gegebenenfalls eine Handlung einzuleiten, wofür die sensorischen und motorischen Verbindungen des IC die Grundlage darstellen.

Anatomisch gehört der IC zur Vierhügelplatte, die einen Bestandteil des Mittelhirns (Mesencephalon) darstellt. Die innere Struktur des IC ist gekennzeichnet durch die Verteilung von verschiedenen Zelltypen, von den Verzweigungsmustern der

Dendriten dieser Zellen und den Mustern, die durch die Endungen der afferenten, intrinsischen und kommisuralen Fasern entstehen. Im IC wird eine Unterteilung in einen zentralen Kern (ICC), einen Cortex und einen parazentralen Kern

vorgenommen (Abb. 2.5).

2. Literaturübersicht

Abbildung 2.5: Der Colliculus inferior (IC);Der zentrale Kern des IC mit seinem medialen (M), zentralen (C), lateralen (L) und ventralen(V) Anteilen und die parazentralen Kernen (DM,VL, LN, B), (aus Morest und Oliver 1984)

Die schichtartige Struktur des ICC wird definiert durch die Orientierung der

scheibenförmigen Zellen und einem Geflecht aus afferenten Fasern, die teilweise dort enden (Casseday et al. 2002; Oliver u. Morest 1984). Allerdings ist durch die überlappende Anordnung der Neurone eine exakte Abgrenzung der einzelnen Schichten nicht möglich. Die Dendriten der scheibenförmigen Zellen sind ebenfalls parallel zu den Endfeldern der ankommenden aufsteigenden und absteigenden Fasern und zu den lokalen Axonen der Zellen ausgerichtet. Daraus ergibt sich eine übereinstimmende Organisation von eintreffenden Fasern, den Dendritenschichten und den intrinsichen Verbindungen (Rockel u. Jones 1973a,b, Morest u. Oliver 1984, Oliver u. Morest 1984, Oliver u. Huerta 1992). Der schichtweise Aufbau im ICC liefert die strukturelle Grundlage für die tonotope Organisation, wobei die tonotope Achse im rechten Winkel zum anatomischen Aufbau verläuft (Irvine 1992). Im ICC werden die Frequenzen entlang eines Gradienten präsentiert, der von dorsolateral (niedrige Frequenzen) nach ventromedial (hohe Frequenze n) verläuft (Abb. 2.6). Durch diese Tonotopie bildet sich im ICC ein Stapel von isofrequenten Schichten von

verschiedener Größe, der alle Frequenzen des Hörbereichs umfasst (Ehret u.

2. Literaturübersicht

Schreiner 2005, Brown et al. 1997). Ein zweiter Frequenzgradient wurde im ICC der Katze beschrieben, der innerhalb einer isofrequenten Schicht verläuft, wobei niedrige

„Charakteristische Frequenzen“ (CF) dorsomedial und höhere CFs lateral und ventrolateral angeordnet sind (Schreiner und Langner 1997).

Abbildung 2.6: Anordnung der isofrequenten Schichten im ICC (aus Casseday et al. 2002)

Der zentrale Kern erhält überwiegend afferente Signale von mehr als 20 Arten von Nervenzellen aus etwa 10 verschiedenen Hirnstammkernen. Im Gegensatz zum Cortex, der überwiegend absteigenden Signale vom Endhirn (Telencephalon) erhält (Oliver u. Huerta 1992).

Etwa 75-85% der Neurone des zentralen Kerns sind scheibenförmige Zellen, bei den übrigen handelt es sich um sternförmige Zellen (Oliver u. Huerta 1992).

Die Dendriten und die Zellkörper der scheibenförmigen Zellen bilden eine Schicht und sind parallel zueinander angeordnet, innerhalb einer zweidimensionalen Ebene, die sich von dorsomedial nach ventrolateral und von rostral nach caudal erstreckt (Casseday et al. 2002). Die scheibenförmigen Zellen erreichen mit ihren Dendriten eine Länge von 200-800 µm und werden dementsprechend in kleine, mittlere, mittlere-große und große Untereinheiten eingeteilt (Oliver u. Morest 1984).

Die sternförmigen Nervenzellen werden charakterisiert durch die ovale oder sphärische Ausdehnung ihrer Dendriten. Sie kreuzen häufig in mediolateralen

Verlauf mehrere fibrodendritische Banden, was bedeuten könnte, dass eine Aufgabe der sternförmigen Zellen in der Integration mehrerer Frequenzen besteht. Eine Klassifizierung der verschiedenen sternförmigen Zellen erfolgt aufgrund ihrer Größe, Form und Verzweigungsmuster der Dendriten. Den Hauptanteil der Axone in den

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oben beschriebenen Schichten liefert der laterale Lemniscus. Bei der Katze ist eine Schicht 200 µm breit, bis zu 4 mm in rostrocaudaler Richtung , bis zu 2 mm hoch und verläuft von caudolateral nach rostromedial mit einem Winkel von 45° zur

rostrocaudalen Ebene und von ventrolateral nach dorsomedial in dorsoventraler Richtung (Oliver 2005, Brown et al. 1997). Diese Banden liefern das strukturelle Fundament für die tonotope Organisation innerhalb eines Frequenzbereichs von 0,2 – 50 kHz im ICC der Katze, woraus folgt das in jeder einzelnen Schicht ein Spektrum mehrerer Frequenzen repräsentiert wird (Abb. 2.7). Die Frequenzen ändern sich in Schritten von 175 ± 83 µm und umfassen etwa 0,28 Oktaven, woraus sich eine Anzahl von 35 bis 40 Schichten zur Codierung des 9 Oktaven umfassenden Hörbereichs der Katze ergeben (Schreiner und Langner 1997). In einigen

Untersuc hungen wird eine weitergehende Unterteilung des zentralen Kern in einen zentralen, einen medialen, einen lateralen und einen ventralen Anteil beschrieben.

Dabei stellt der zentrale Anteil des zentralen Kerns die größte Untereinheit dar, dessen Banden von ventrolateral nach dorsomedial verlaufen. Im kleineren medialen Anteil verlaufen die Schichten in ähnlicher Richtung, im Gegensatz zum lateralen Anteil, in dem die Banden im rechten Winkel zur angrenzenden zentralen Zone verlaufen. Dem ventralen Anteil fehlt eine klare Schichtung, da er nur wenige Zellen enthält (Oliver u. Huerta 1992).

Abbildung 2.7: Verlauf der Projektionen des Hirnstamms von der Cochlea zum Colliculus Inferior (aus Popper und Fay 1992)

Die Art der Neurone im zentralen Kern ist bei vielen untersuchten Spezies wie z.B.

Katze, Maus, Ratte und Mensch vergleichbar. Häufig befinden sich auch die Untereinheiten des IC in einer ähnlichen Lokalisation. Durch Untersuchungen der

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Synapsenendungen konnte gezeigt werden, dass die Anzahl der im ICC ankommenden erregenden Signale die Zahl der hemmenden Signale deutlich übertrifft (Oliver 2005).

Der Cortex bildet die dorsale und caudale Oberfläche des IC. Im Gegensatz zum zentralen Kern des IC fehlen die engen fibrodendritischen Banden. Der Hauptanteil der Nervenzellen sind sternförmige Zellen, wobei auch scheibenförmige Neurone vorkommen (Oliver et al. 1991). Am dorsalen Cortex können vier Schichten unterschieden werden. Die erste Schicht enthält wenige Zellen, deren Dendriten parallel zur Oberfläche verlaufen. In der zweiten Schicht sind viele kleine oder mittlere sternförmige Zellen zu finden, im Gegensatz zur vierten Schicht, die aus sternförmigen Zellen aller Größen besteht (Morest u. Oliver 1984). Der dorsale Cortex unterscheidet sich vom ze ntralen Kern durch seine vielen vom auditorischen Cortex kommenden absteigenden Projektionen, die eine tonotope Organisation aufweisen.

Die parazentralen Anteile des IC umgeben den zentralen Kern und den dorsalen Cortex und können eingeteilt werden in eine n lateralen, einen dorsomedialen, einen ventromedialen und einen kommissuralen Kern. Ferner gibt es noch einen Kern des rostralen Pols, der Projektionen vom LL erhält und Signale an den Colliculus superior weiterleitet (Rockel u. Jones 1973; Oliver u. Morest 1984). In den parazentralen Kernen verläuft ein Frequenzgradient bei der Katze von lateral (hohe Frequenzen) nach medial (niedrige Frequenzen) (Roth et al. 1978).

Zwischen dem IC und dem auditorischen Thalamus verlaufende Nervenfasern und der darin befindliche Kern bilden das Brachium des IC (BIC). Das BIC enthält Axone, die zum Corpus geniculatum mediale ziehen, absteigende Bahnen, die vom

auditorischen Cortex zum IC verlaufen und liefert ferner Signale an den ipsilateralen Colliculus superior (SC). Untersuchungen haben ergeben, dass der Kern des BIC eine wichtige Rolle beim räumlichen Hören spielt (Smith 2002, Kelly 1985).

Der untere Abschnitt der zentralen Hörbahn besteht aus mehr als zehn im

Hirnstamm lokalisierten Kernen, die sich in Struktur und Funktion unterscheiden und im IC zusammenlaufen. Die Hauptwege kommen vom NC, SOC und LL. Die Bahnen, die binaurale Informationen beinhalten verlaufen anatomisch getrennt von den

monauralen Wegen. Alle drei Anteile des NC verlaufen direkt zum kontralateralen IC und beliefern den IC somit mit monauralen Informationen (direkter monauraler

Leitungsweg) (Abb. 2.8). Innerhalb des IC befinden sich die Projektionen des

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ventralen Nucleus Cochlearis (VCN) vor allem in ventralen Regionen und die Fasern des dorsalen Nucleus Cochlearis (DCN) vorwiegend in dorsalen Bereichen. Ebenso ziehen Fasern vom VCN kontralateral zu den Kernen des lateralen Lemniscus (LL).

Dabei handelt es sich um den mittleren Kern (INLL) und den ventralen Kern (VNLL) des LL. Somit erhält der IC monaurale Informationen direkt vom NC und indirekt über den INLL und VNLL (multisynaptischer Leitungsweg) (Casseday et al. 2002). Diese Kerne übermitteln spezielle zeitliche Informationen an den IC. Der anteriore ventrale Nucleus cochlearis (AVNC) projiziert auch zu den wichtigsten binauralen Strukturen, dem medialen superioren Olivenkern (MSO) und dem lateralen superioren

Olivenkern (LSO). Fasern vom MSO und LSO verlaufen sowohl direkt zum IC als auch zum dorsalen Kern des lateralen Lemniscus (DNLL), der dann bilateral zum IC projiziert (indirekter, binauraler Leitungsweg). So erhält der IC binaurale

Informationen direkt vom LSO und MSO und indirekt über den DNLL. Die meisten der im IC ankommenden Signale des ipsilateralen LSO sind inhibitorisch, ebenso wie vom DNLL beider Seiten. Sowohl in den direkten als auch in den indirekten

aufsteigenden Bahnen ist eine tonotope Organisation vergleichbar der des IC vorhanden (Oliver u. Huerta 1992).

Abbildung 2.8: Verlauf der aufsteigenden Bahnen vom Nucleus cochlearis (CN) zum Colliculus inferior (IC), (aus Casseday et al. 2002)

2. Literaturübersicht

Der IC der einen Seite steht mit dem IC der Gegenseite über die sogenannte Kommissur des IC in Verbindung (Aitkin u. Phillips 1984). Die Strukturen der Verbindung weisen ebenfalls eine schichtartige Organisation auf. Die Projektionen zwischen den beiden ICs sind sowohl inhibitorischer als auch exzitatorischer Natur.

Die Projektionen der absteigenden Bahnen erreichen den IC von den Pyramidenzellen der V. Schicht des auditorischen Cortex. Die Axone der

Pyramidenzellen enden überwiegend im Cortex und den parazentralen Anteilen des IC und weniger im ICC. Die absteigenden cortikalen Bahnen zum IC sind

überwiegend exzitatorisch.

Die Endungen der aufsteigenden Projektionen befinden sich überwiegend im

ventralen Bereich des IC, wohingegen die absteigenden Bahnen und die gekreuzten Projektionen zwischen den beiden ICs hauptsächlich im dorsalen Bereich des IC enden. Das Hauptziel der vom IC ausgehenden aufsteigenden Projektionen ist das ipsilaterale Corpus geniculatum mediale (MGB). Die Axone des ICC enden

vornehmlich im ventralen Anteil, die Fasern des dorsalen Cortex ziehen zum

dorsalen Teil des MGB. Andere Ziele des IC sind der ipsilaterale Kern des Brachium, der kontralaterale IC und der kontralaterale MGB. Absteigende Projektionen des IC enden im SOC und im NC.

Somatosensorische Signale erreichen die parazentralen Anteile des IC über Projektionen der in der Medulla oblongata befindlichen Kerne Nucleus gracilis und Nucleus cuneatus. Bei der Katze wurden im parazentralen Kern bimodale

Nervenzellen gefunden, die sowohl auf kutanen als auch auf auditorischen Reiz eine Reaktion zeigten (Aitkin et al. 1981).

Die wichtigsten nicht-auditorischen Informationen erhält der IC aus Bereichen des Vorderhirns, die beteiligt sind an der Steuerung der Motorik, wie der Globus pallidus und die Substantia nigra. Diese Projektionen erreichen vornehmlich den Cortex und die parazentralen Bereiche des IC.

Von den parazentralen Kernen des IC ausgehend verlaufen Projektionen zu den tiefen Schichten des Colliculus superior (SC). Diese Bereiche sind an der Steuerung der Bewegung des Kopfes und der Augen beteiligt und stellen somit eine Verbindung zwischen dem IC und dem motorischen System her.

Im ICC und im Cortex des IC liegen zwei gegensätzliche Gradienten vor, die sich entlang der fibrodendritischen und isofrequenten Schichten erstrecken: die

aufsteigenden Fasern der Kerne der unteren Hirnstammbereiche enden überwiegend

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in den ventralen Bereichen jeder Schicht und nur we nige in den dorsalen Regionen.

Die absteigenden Fasern haben die gleiche Orientierung, allerdings enden die meisten im dorsalen Teil der Schichten und wenige in ventralen Bereichen. Dies legt die Vermutung nahe, dass der ventrale Anteil des ICC überwiegend unter dem Einfluss der aufsteigenden Bahnen steht, während der dorsale Bereich des ICC und der dorsale Bereich des Cortex des IC hauptsächlich von den Bahnen vom

auditorischen Cortex und dem kontralateralen IC beeinflusst werden (Casseday et al.

2002).