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5.1 Die Beschreibung der akustisch evozierten Hirnstammpotentiale

5.1.1 Die Latenzen der akustisch evozierten Hirnstammpotentiale der ersten und zweiten Kontrolluntersuchung bei unterschiedlichen

Narkosebedingungen in Abhängigkeit von der Reizstärke

Die erste Kontrolluntersuchung wurde etwa eine Woche vor der Implantation der Mittelhirnelektrode durchgeführt, die zweite Kontrolluntersuchung am

Implantationstag unmittelbar vor Operationsbeginn. Es konnten bei beiden

Kontrollmessungen fünf Potentiale abgeleitet werden. Die Latenzen betrugen bei einem Reizpegel von 80 dB nHL bei der zweiten Kontrolluntersuchung für P I

0,95 ms, P II 1,78 ms, P III 2,58 ms, P IV 3,63 ms, P V 5,05 ms. Dieses Ergebnis ist vergleichbar mit den Untersuc hungen der FAEPs von Keller et al (1996) und Van den Honert u. Stypulkowski (1986). Der P I lag bei Keller unter vergleichbaren

Stimulationsbedingungen bei 1,19 ms und bei Honert u. Stypulkowski bei 1,10 ms.

Die Potentiale verhielten sich hinsichtlich ihrer Latenzen, Amplituden und der Häufigkeit ihres Auftretens bezüglich der Versuchsbedingungen stabil. Die Messungen wurden aufgrund der Vergleichbarkeit mit den elektrisch evozierten Potentialen überwiegend im Bereich von 50 bis 80 dB nHL durchgeführt. Eine Abhängigkeit der Potentiallatenzen vom Reizpegel konnte bei beiden

Kontrolluntersuchungen festgestellt werden. Mit zunehmendem Schalldruckpegel, von 50 bis 80 dB nHL, verkürzten sich die Latenzen. Für P IV betrug die

Latenzverkürzung 0,45 ms. Eine intensitätsabhängige Latenzverkürzung wurde ebenso von Smith et al. (1989) und Walsh et al. (1992) beschrieben. Dabei ergab sich für P V über den Messbereich von 50 bis 100 dB SPL eine Latenzabnahme von 0,6 ms. Bei Keller (1997) betrug Latenzverkürzung von 10 bis 100 dB nHL für P IV 1,01 ms.

Dieses Verhalten der Latenzen der FAEP kann durch einen pegelabhängigen

Verarbeitungsprozess in der Cochlea erklärt werden. Ursachen für eine Verzögerung

5. Diskussion

könnten dabei die mechanoelektrische Transduktion in den Haarzellen, die benötigte Zeit zur Synchronisation vieler Hörnervenfasern oder die Laufzeit auf der

Basilarmembran sein (Hoth u. Lenarz 1994). Die Intensität eines Schallreizes wird durch die Stärke der Aktivierung übermittelt, wobei erhöhter Schalldruck mit höheren Entladungsraten einhergeht. Bei hohen Schalldruckpegeln kommt es dabei auch zur Erregung benachbarter Fasern (Recruitment). Die Größe des Sinnesreizes wirkt sich demzufolge auch auf die Geschwindigkeit des peripheren Verarbeitungsprozesses aus. Van der Honert und Stypulkowski (1986) zeigten in ihren Untersuchungen, dass sich die Latenzen bei elektrischer Stimulation im Vergleich zur akustischen

Stimulation geringer mit ansteigender Stimulusintensität ändern. Dies impliziert, dass die Latenz-Intensitäts-Abhängigkeit in der Mehrheit periphere, verzögerte

Verarbeitungsprozesse wiederspiegelt, die durch direkte elektrische Stimulation des Hörnervs umgangen werden können. Im klinischen Bereich stellt die Auswertung der Latenz-Intensitätskennlinien eine Möglichkeit zur Diagnostik von Hörschäden dar.

Zwischen der ersten und zweiten Kontrolluntersuchung gab es Unterschiede

hinsichtlich der Narkosebedingungen. Die erste Kontrollmessung wurde unter einer leichten Sedation mittels Medetomidinhydrochlorid (Domitor®) durchgeführt. Die zweite Kontrollmessung (am Implantationstag) wurde unter einer

Pentobarbital-Anästhesie (Narcoren®) durchgeführt. Der Latenzunterschied der beiden Messungen betrug bei P IV 0,36 ms (Tab. 4.3). Ein Einfluss unterschiedlicher Narkoseformen und Narkotika auf die Latenzen von akustisch evozierten Hirnstammpotentialen wurde schon mehrfach beschrieben. Santarelli et al (2003) untersuchten an Ratten die Auswirkungen verschiedener Isoflurankonzentrationen auf FAEP und MAEP und stellten dabei einen signifikanten Anstieg der Latenzen mit zunehmender

Isoflurankonzentration fest. Cheung et al (2001) verglichen in ihren Studien Isofluran (Inhalationsnarkose) mit Pentobarbital (Injektionsnarkose) und beschrieben für

corticale Potentiale eine Verlängerung der Latenzen unter Isofluran. Die Verwendung unterschiedlicher Narkotika kann daher eine Ursache für die geringe Verlängerung der Latenzen bei der ersten Kontrolluntersuchung gegenüber der zweiten

Kontrolluntersuchung darstellen.

5. Diskussion

5.1.2 Die Interpotentiallatenzen der Hirnstammpotentiale der ersten und zweiten Kontrolluntersuchung bei unterschiedlichen

Narkosebedingungen in Abhängigkeit von der Reizstärke

Bei den akustisch evozierten Hirnstammpotentialen konnte keine Abhängigkeit der Interpotentiallatenzen von der Reizintensität festgestellt werden. Die

Interpotentiallatenzen blieben auch bei sich ändernden Schalldruckpegel

(50 – 80 dB nHL) annährend konstant. Die IPL IV -V betrug bei Messung mit 50 dB nHL 1,12 ms und bei 80 dB nHL 1,10 ms. Ebenso wurde es in den Untersuchungen von Hoth u. Lenarz (1994), Fullerton et al (1987) und Keller (1997) beschrieben. Bei Keller lag die IPL IV-V für 70 dB nHL bei 1,07 ms und bei 90 dB nHL bei 1,05 ms.

Eine Ursache der Unabhängigkeit der Interpotentiallatenzen vom Reizpegel kann in der Eigenschaft neuronaler Verarbeitungsprozesse liegen. Ist einmal der neuronale Verarbeitungsprozess angestoßen, so läuft dieser im Sinne einer „Alles-oder-Nichts-Reaktion“ mit einer interindividuell sehr konstant ausgeprägten Geschwindigkeit unabhängig von der Größe des auslösenden Reizes ab.

Zwischen den ersten beiden Kontrolluntersuchungen ergaben sich für die IPL I-II und die IPL II-III nahezu keine Unterschiede, was sich im parallelen Kurvenverlauf der Latenzen der Potentiale P I, P II und P III zeigt (Abb. 4.6). Die Latenzen der Potentiale P IV und P V zeigten eine geringe Verlängerung bei der zweiten Kontrollmessung, woraus eine minimale Zunahme der IPL III-IV und IPL IV-V resultierte.

5.1.3 Die Amplituden der Hirnstammpotentiale der ersten und zweiten Kontrolluntersuchung bei unterschiedlichen Narkosebedingungen in Abhängigkeit von der Reizstärke

Die Amplituden der akustisch evozierten Potentiale zeigten eine Abhängigkeit von der Reizstärke. Mit zunehmendem Schalldruckpegel von 50 bis 80 dB nHL stieg die Amplitudenhöhe an. Für P IV betrug die Amplitude bei 50 dB nHL 2,07 µV und bei 80 dB nHL 5,36 µV. In den Untersuchungen von Keller (1997) betrug die Amplitude P IV bei einem Schalldruckpegel von 50 dB nHL 1,13 µV und bei 80 dB nHL 6,82 µV.

5. Diskussion

Ein Einfluss der Reizintensität auf die Amplitudenhöhe, wurde auch von Smith et al.

(1989), Van den Honert u. Stypulkowski (1986), Cords (1996) und Hoth u. Lenarz (1994) beschrieben. Die Größe eines Reizes wird bei akustischer Stimulation im peripheren Verarbeitungsprozess umgesetzt, der dem neuronalen

Verarbeitungsprozess vorangestellt ist. Dieser periphere Vorgang bestimmt die Anzahl der aktivierten Nervenzellen und damit die Größe der abgeleiteten

Summenantwort. Die Höhe des Schalldruckpegels resultiert in der Entladungsrate der Nervenfaser, ähnlich wie bei den Latenzen in Kapitel 5.1.1 beschrieben. Eine einzelne Nervenfaser kann jedoch eine bestimmte Entladungsrate nicht

überschreiten. Bei höherem Schalldruck kommt es dann zur Rekrutierung benachbarter Nervenfasern, was zu größeren Amplituden führt (Zenner 1997, Silbernagl u. Despopoulos 1991).

5.1.4 Die akustisch evozierten Hirnstammpotentiale post Craniektomie in Abhängigkeit von der Reizstärke

Die dritte und vierte Kontrolluntersuchung wurden nach Eröffnung des Craniums durchgeführt. Die dritte Messung erfolgte unmittelbar vor, die vierte Messung

unmittelbar nach der Implantation der Mittelhirnelektrode in den Colliculus inferior. In beiden Kontrolluntersuchungen konnten nach akustischer Stimulation ebenfalls fünf Potentiale der FAEP über subcutan am Schädel befindliche Nadelelektroden

abgeleitet werden. Bei einem Schalldruckpegel von 80 dB nHL betrug die Latenz t I

0,95 ms, t II 1,85 ms, t III 2,65 ms, t IV’ 3.50 ms, t V 4,55 ms. Vergleichbare Latenzwerte für FAEP wurden auch von Keller (1997) und Van den Honert u.

Stypulkowski (1986) beschrieben. Bei beiden Messungen konnte eine Reizpegelabhängigkeit der Potentiallatenzen festgestellt werden. Die

Latenzverkürzung mit zunehmender Reizintensität betrug über einen Messbereich von 50 bis 80 dB nHL für die Latenz t IV 0,25 ms. Diese Latenzenabnahme mit zunehmendem Reizpegel ist in der Literatur bekannt und überwiegend ein Ausdruck reizpegelabhängiger Verarbeitungsprozesse in der Cochlea. Zwischen der dritten und vierten Kontrollmessung gab es mit einer Ausnahme keine Unterschiede in den Latenzen (Tab. 4.12). Anhand der ermittelten Latenzen ist die Schlussfolgerung

5. Diskussion

zulässig, dass die Implantation der Mittelhirnelektrode keinerlei Auswirkung auf den peripheren und neuronale n Verarbeitungsprozess des Schallreizes hat.

Für die Interpotentiallatenz konnte bei der dritten und vierten Kontrolluntersuchung keine Abhängigkeit von der Reizintensität festgestellt werden. Die IPL II-III betrug bei einem Schalldruckpegel von 50 dB nHL 0,85 ms und bei 80 dB nHL 0,80 ms

(Tab. 4.13). Vergleichbare Ergebnisse für die Interpotentiallatenzen der FAEP wurden von Keller (1997) und Fullerton et al. (1987) beschrieben. Eine Ursache für dieses konstante, reizpegelunabhängige Verhalten der Interpotentiallatenzen kann in der zugrundeliegenden neuronalen Verarbeitungsweise im Sinne einer „Alles-oder-Nichts-Antwort“ liegen.

Die Amplituden wurden bei beiden Kontrolluntersuchungen von der Reizintensität beeinflusst. Mit steigendem Schalldruckpegel kommt es zu einem vermehrten Recruitment von Nervenfasern und damit zu höheren Amplituden, ähnlich wie bei den Amplituden der ersten und zweiten Kontrolluntersuchung beschrieben. Der Vergleich zwischen den beiden Messungen ergab eine geringgradig kleinere

Amplitude bei der vierten Kontrollmessung (Tab. 4.18). Bei beiden Messungen wurde mit einer Reizintensität von 80 dB nHL stimuliert, so dass es eigentlich zur

Aktivierung der gleichen Anzahl von Nervenfasern und damit zu gleichen

Amplitudenhöhen kommen müsste. Da die Unterschiede der Amplitudenhöhe hier nur gering sind und die Potentiale in ihrer Gestalt und Latenz vergleichbar sind, kann die Differenz auf individuelle oder messtechnische Schwankungen zurückgeführt werden. Eine Änderung in der Position der Ableitelektroden kann zu einer deutlichen Variation der FAEP führen (Keller 1997, Walsh et al. 1992, Fullerton et al.1987). In den Untersuchungen von Fullerton et al. wurde gezeigt, dass Unterschiede in den Ableitbedingungen größere Auswirkungen auf die Amplitude als auf die Latenz haben. In den eigenen Experimenten kann ein minimales Verrutschen der

Ableitelektroden in der Unterhaut trotz ständiger Kontrollen der korrekten Position nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

5. Diskussion

5.1.5 Die akustisch evozierten Potentiale nach der Implantation der Mittelhirnelektrode in Abhängigkeit von der Stimulationsfrequenz

Nach der Implantation der Mittelhirnelektrode (AMI) im Colliculus inferior (IC) konnten wie in den Kontrolluntersuchungen fünf akustisch evozierte Potentiale gemessen werden. Die Ableitung der Potentiale erfolgte über die Mittelhirnelektrode. Aufgrund ihrer Latenzen können die Potentiale den FAEP zugeordnet werden. Bei einer Stimulationsfrequenz von 8 kHz betrug P I 0,87 ms, P II 1,65 ms, P III 2,67 ms, P IV 3,68 ms, P V 4,83 ms. Die Latenzen verhielten sich nach der akustischen Stimulation mit den verschiedenen Frequenzen so ähnlich, dass kein Einfluss der

Stimulationsfrequenz auf die Potentiallatenzen festgestellt werden konnte. P II betrug bei 1 kHz 1,55 ms, bei 2 kHz 1,56 ms, bei 4 kHz 1,61 ms, bei 8 kHz 1,65 ms, bei 12 kHz 1,81 ms und bei 16 kHz 1,61 ms. Smith et al. (1989) konnten bei ihren

Untersuchungen von MAEPs unter Verwendung gleicher Frequenzen ebenfalls keine Abhängigkeit der Latenzen von der Stimulationsfrequenz nachweisen. Bei der

Verarbeitung der im Schallreiz enthaltenen Information werden verschiedene Frequenzen nach dem sogenannten Ortsprinzip weitergeleitet. In der Cochlea ist jede Haarzelle einer bestimmten Frequenz zugeordnet. Dadurch wird die mit einer entsprechenden Haarzelle synaptisch verbundene Hörnervenfaser bei Stimulation mit dieser Frequenz optimal erregt (charakteristische Frequenz). Bei akustischer Stimulation mit einer anderen Frequenz werden andere Hörnervenfasern aktiviert (Zenner 1997). Vermutlich kommt es dabei allerdings nicht zu einer

frequenzübergreifenden Rekrutierung benachbarter Nervenfasern. Diese

frequenzspezifische Anzahl der zu synchronisierenden Hörnervenfasern sowie die Tatsache, dass es durch unterschiedliche Frequenzen nicht zu einer Änderung der Entladungsrate der Nervenfaser kommt, kann eine Erklärung für die

Frequenzunabhängigkeit der Latenzen darstellen.

Ein Einfluss der Stimulationsfrequenz auf die Interpotentiallatenz konnte nicht festgestellt werden. Die Interpotentiallatenzen waren bei allen

Stimulationsfrequenzen vergleichbar. Die IPL III-IV betrug bei 1 kHz 1,11 ms, 2 kHz 1,17 ms, 4 kHz 1,25 ms, 8 kHz 1,04 ms, 12 und 16 kHz 1,14 ms. Die konstanten Interpotentiallatenzen resultieren aus den vergleichbaren Kurvenve rläufen der zuvor beschriebenen Potentiallatenzen.

5. Diskussion

Die Amplituden der akustisch evozierten Potentiale nach der Implantation der Mittelhirnelektrode zeigten keine Abhängigkeit von der Stimulationsfrequenz

(Abb. 4.42 - 4.46). Die Ursache kann wie schon bei den Latenzen in der konstanten, frequenzspezifischen Anzahl der aktivierten Nervenfasern liegen. In der Literatur wurde eine Abhängigkeit der Amplitudenhöhe von der Reizfrequenz mehrfach beschrieben wird, jedoch mit gegensätzlichen Ergebnissen. Im Gegensatz zu den eigenen Ergebnissen zeigten Smith et al. (1989) in Studien an MAEPs bei

Wüstenrennmäusen eine Abnahme der Amplitude mit zunehmender

Stimulationsfrequenz von 0,5 bis 16 kHz. Als mögliche Ursache wird eine optimale Reizverarbeitung niedriger Frequenzen bei Wüstenrennmäusen angeführt.

Knight et al. (1985) beschrieben einen Anstieg der Amplitude mit zunehmender Stimulationsfrequenz in einem Bereich von 2 bis 8 kHz.

Ein Einfluss des Ableitortes an der Mittelhirnelektrode auf die Amplitudenhöhe war festzustellen. An EK13 konnte nahezu immer die höchste Amplitude abgeleitet werden. Ursächlich dafür kann das Fehlen von inhibitorischen Einflüssen sein, in dem Bereich des IC, in dem der EK13 der Mittelhirnelektrode positioniert ist. Im Hirnstamm laufen elementare neuronale Verarbeitungsprozesse an den Synapsen, Dendriten und Zellkörpern in den Kerngebieten der Hörbahn ab. Dabei kommt es zu erregenden und hemmenden Vorgängen, die Einfluss auf die Potentiale nehmen (Hoth u. Lenarz 1994). Weiterhin könnte die Qua lität des Gewebewiderstandes Einfluss auf die Amplitudenhöhe haben. Wenn EK13 einen deutlich besseren Gewebekontakt mit entsprechend niedriger Impedanz im Vergleich mit den übrigen Elektrodenkontakten aufweisen würde, könnte dies in der höchsten Amplitude resultieren. Diese Vermutung ist allerdings fragwürdig, da es sich um eine

penetrierende Elektrode handelt, und ein gleichmäßiger Kontakt des umgebenden Gewebes wahrscheinlich ist. Vor der Implantation der Mittelhirnelektrode wurden alle Kontakte gemessen und hatten eine vergleichbare Impedanz. Es ist nicht davon auszugehen, dass an 19 von 20 Kontakten eine deutliche Veränderung mit einem parallelen Anstieg der Impedanzen erfolgte.

5. Diskussion

5.1.6 Die Entwicklung der Potentiallatenzen, Interpotentiallatenzen und Amplituden über einen Zeitraum von sieben Stunden nach der Implantation der Mittelhirnelektrode

Bei einem Tier (Katze 354) wurden exemplarisch die Latenzen, Interpotentiallatenzen und Amplituden von akustisch evozierten Potentialen über eine Zeitraum von sieben Stunden nach der Implantation der Mittelhirnelektrode untersucht. Die Ableitung der Potentiale erfolgte über die Mittelhirnelektrode. Für die Latenzen ergaben sich bei den Messungen unmittelbar nach der Implantation und eine Stunde nach der Implantation vergleichbare Werte. Bei der Messung nach sieben Stunden konnte eine Latenzanstieg gemessen werden. Für P I betrug die Latenz bei den ersten beiden Messungen 0,98 ms und verlängerte sich innerhalb von sieben Stunden um 0,25 ms auf 1,23 ms (Ableitort EK13). Diese Latenzentwicklung kann auf allgemeine Vitalitätsverluste der Nervenzellen und mögliche Degenerationsprozesse an den Myelinscheiden der Nervenfasern nach einer Versuchsdauer von sieben Stunden zurückgeführt werden. An der Entstehung der Hirnstammpotentiale sind nur die myelinisierten Nervenfasern beteiligt, da es bei der langsamen Erregungsfortleitung der unmyelinisierten Fasern zu einer Desynchronisation der Erregung kommen würde. Daraus resultiert die hohe Sensitivität der Hirnstammpotentiale bei pathologischen Prozessen mit Schädigung der Myelinscheiden (Hoth u. Lenarz 1994). Verlängerte Latenzen könnten ebenfalls auf Schwankungen der

Körperinnentemperatur des Tieres beruhen, die trotz regelmäßiger Kontrollen und dem Einsatz einer elektrischen Wärmematte nicht gänzlich auszuschließen sind.

Die Latenzen zeigten zu allen Messzeitpunkten eine Abhängigkeit vom Ableitort im Colliculus inferior (IC). An den basal befindlichen Elektrodenkontakten der

Mittelhirnelektrode wurden geringgradig längere Latenzen abgeleitet als an den apikalen Kontakten. Die Latenz t I betrug direkt nach der Implantation gemessen an EK1 (basal) 1,09 ms, an EK10 1,01 ms und an EK20 (apikal) 0,82 ms. Damit ergab sich eine Differenz zwischen den basal und apikal befindlichen Ableitorte n von 0,27 ms. Die apikalen Kontakte der Mittelhirnelektrode leiten Potentiale aus dem ventromedialen Bereich des IC ab, die basalen Kontakte leiten Potentiale aus dem dorsolateralen Bereich des IC ab. Dieser Latenzgradient lässt sich möglicherweise mit Hilfe von zwei gegensätzlich verlaufenden Gradienten erklären, die sowohl im zentralen Kern als auch im Cortex des IC vorhanden sind. Die aufsteigenden Fasern

5. Diskussion

der Kerne der unteren Hirnstammbereiche enden überwiegend in den ventralen Bereichen und nur wenige in den dorsalen Regionen. Die absteigenden Fasern haben die gleiche Orientierung, allerdings enden die meisten im dorsalen Bereich.

Dies legt die Vermutung nahe, dass der ventrale Anteil des IC überwiegend unter dem Einfluss der aufsteigenden Bahnen steht, während der dorsale Bereich

hauptsächlich von den Bahnen vom auditorischen Cortex und dem kontralateralen Colliculus inferior beeinflusst wird (Casseday et al. 2002).

Die Kurvenverläufe der Interpotentiallatenzen waren vergleichbar. Die

Interpotentiallatenzen hatten bei den drei Messungen sehr ähnliche Werte, wobei häufig die nach sieben Stunden ermittelte Interpotentiallatenz minimal verlängert gegenüber den vorangegangenen Messungen war. Die IPL I-V betrug unmittelbar und eine Stunde nach der Implantation 3,41 ms. Sieben Stunden später lag sie mit einer geringen Differenz von 0,17 ms bei 3,58 ms (Ableitort EK11). Diese minimale Verlängerung der Interpotentiallatenz nach sieben Stunden ergibt sich aus den verlängerten Potentiallatenzen bei der Messung nach siebenstündiger

Versuchsdauer. Es kommt also nicht nur zu einer Verschiebung der FAEP, sondern es liegt auch eine geringgradig verzögerte Reizfortleitung mit einer verlängerten Hirnstammlaufzeit vor (IPL I-V). Ursache dafür kann eine Schädigung der

Myelinscheiden der Hörnervenfasern oder der zentralen Leitungsbahnen sein (Hoth u. Lenarz 1994).

Die Amplituden zeigten bei allen drei Messzeitpunkten (Abb. 4.54 - 4.57)

vergleichbare Kurven. Eine Abhängigkeit der Amplitudenhöhe vom Messzeitpunkt konnte festgestellt werden. Nach einer Versuchsdauer von sieben Stunden konnten häufig die kleinsten Amplituden abgeleitet werden. Die Amplitude P III betrug direkt nach der Implantation 42,78 µV, eine Stunde später 45,45 µV und nach sieben Stunden 23,55 µV. Daraus ergibt sich eine Differenz von 19,23 µV zwischen der Messung direkt nach der Implantation und sieben Stunden später, was einem Amplitudenrückgang von fast 50 % entspricht. Die Amplitudenabnahme kann die Folge einer Ganglienzellschädigung oder von Ganglienzellverlusten sein, die Ausdruck einer abnehmenden Zellvitalität nach einer Versuchsdauer von sieben Stunden sein können (Hoth u. Lenarz 1994). Nach einer mindestens neunstündigen Vollnarkose und Ableitungen von Hirnstammpotentialen am eröffneten Cranium ist im Vergleich zum Versuchsbeginn eine instabilere Kreislaufsituation und ein

herabgesetzter Stoffwechsel des Versuchstieres durchaus wahrscheinlich. Daher

5. Diskussion

erscheint eine Vitalitätsabnahme der Nervenzellen bedingt durch einen reduzierten Zellstoffwechsel als Ursache für die Amplitudenabnahme sehr wahrscheinlich. Durch ladungsungleiche Stimuli kann es, bedingt durch lokal veränderte

Ionenkonzentration, zu Ermüdungseffekten kommen, die in kleineren Amplituden resultieren. Eine Überstimulation des Gewebes kann ebenfalls Ursache für eine Amplitudenabnahme nach mehrstündiger Versuchsdauer sein.

5.1.7 Beschreibung der Potentiale nach akustischer Stimulation und Ableitung am auditorischen Cortex

Nach akustischer Stimulation mit verschiedenen Frequenzen im Bereich von

1 – 16 kHz und bei einem konstanten Schalldruckpegel von 99 dB nHL konnten am auditorischen Cortex über eine mehrkanalige Oberflächenelektrode neun Potentiale abgeleitet werden. Die ersten fünf Potentiale, P I – P V, konnten anhand ihrer Formen und Latenzen als FAEP identifiziert werden. Bei einer Stimulationsfrequenz von 2 kHz betrug die Latenz t IV 3,27 ms. Dieses Ergebnis ist vergleichbar mit dem von Keller (1997) bei einem Schalldruckpegel von 100 dB nHL, mit einer Latenz t IV

3,40 ms.

Die auf die FAEP folgenden vier Potentiale wurden mit A, B, P0 und Pa benannt (Abb. 4.58). Für die Potentiale A und B konnten in der Literatur kaum Hinweise gefunden werden. In den Studien von Smith et al. (1989) sind zwei Potentiale mit einer Latenz von ca. 6-8 ms zu finden. Diese Potentiale wurden von Smith et al. nicht bei der Auswertung berücksichtigt. Sie befanden sich zeitlich vor den untersuchten MAEPs, die bei Smith et al. ab einer Latenz von 10 – 13 ms auftraten. Die Potentiale P0 und Pa der eigenen Ergebnisse konnte n aufgrund ihrer Latenzen den MAEP zugeordnet werden. Die beiden Potentiale zeigten bei einer Stimulationsfrequenz von 2 kHz Latenzen von t P0 10,14 ms und t Pa 15,22 ms. Knight und Brailowsky (1990) beschrieben ein Potential Pa mit einer Latenz von 18,3 ms. In weiteren Studien an MAEPs wurde von Kral et al. (2002) ein Potential Pa mit einer Latenz von 16,5 ms genannt. In den Untersuchungen von Santarelli et al. (2003) konnten zwei positive Potentiale, P1 und P2, mit einer Latenz von t p1 9,3 ms und

5. Diskussion

t p2 30,1 ms nachgewiesen werden. Hinsichtlich der Form und der Latenz ist das Potential P1 von Santarelli et al. vergleichbar mit dem Potential P0 der eigenen Ergebnisse. Smith et al. (1989) beschrieben zwei Potentiale, die sie mit A und C bezeichneten und die eine Latenz für A von 10-13 ms und für C von 20-25 ms hatten.

Die zwei Potentiale sind vergleichbar mit den Potentialen P0 und Pa der eigenen Ergebnisse.

Die Latenzen zeigten nach akustischer Stimulation mit unterschiedlichen Frequenzen keinen frequenzspezifischen Gradienten (Abb. 4.59 - 4.67). Teilweise kam es mit steigender Stimulationsfrequenz zu einer geringen Latenzverlängerung, so dass die größten Latenzen mit einer geringen Differenz häufig bei einer Frequenz von 12 und 16 kHz abgeleitet werden konnten. Die Latenz t I betrug bei 1 kHz 0,78 ms, bei 2 kHz 0,73 ms, bei 4 kHz 0,85 ms, bei 8 kHz 0,78 ms, bei 12 kHz 1,06 ms und bei 16 kHz 1,01 ms. Dieses Ergebnis ist vergleichbar mit den Untersuchungen von Smith et al.

(1989), in denen keine eindeutige Veränderung der Latenzen in Abhängigkeit von der Stimulationsfrequenz festgestellt werden konnten. Im Gegensatz dazu zeigten

Popelar et al. (1995) einen Einfluss der Reizfrequenz in Abhängigkeit vom Ableitort am auditorischen Cortex. Bei der Stimulation mit 20 kHz war die Latenz Pa bei Ableitung im hochfrequenten Bereich des auditorischen Cortex etwa 1-3 ms verkürzt

Popelar et al. (1995) einen Einfluss der Reizfrequenz in Abhängigkeit vom Ableitort am auditorischen Cortex. Bei der Stimulation mit 20 kHz war die Latenz Pa bei Ableitung im hochfrequenten Bereich des auditorischen Cortex etwa 1-3 ms verkürzt