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Die Einbettung des Feldes

Der Stromsektor als organisationales Feld

4.2 Die Einbettung des Feldes

Ein organisationales Feld ist zum einen selbst als eine komplexe Architektur ineinander verschachtelter Felder zu verstehen,23 zum anderen ist es selbst in ein Geflecht aus benachbarten Feldern eingebettet. Im Folgenden soll vertiefend auf die Einbettung des Feldes nach außen hin eingegangen wer-den, und zwar in zwei Schritten: Zunächst werden die Verbindungen zwi-schen verschiedenen Handlungsfeldern im Allgemeinen beschrieben. An-schließend wird auf die Rolle von staatlichen Feldern eingegangen.

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23 Jeder kollektive Akteur innerhalb des Feldes setzt sich selbst aus strategischen Handlungs-feldern zusammen. So ist etwa ein Unternehmen als Handlungsfeld zu sehen, jede Unter-abteilung innerhalb desselben als ein weiteres – die Autoren verwenden die Metapher der

»Russian Doll« um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen (Fligstein und McAdam 2011, S. 3).

4.2.1 Benachbarte Felder

Ein Handlungsfeld lässt sich nicht isoliert betrachten. Jedes Feld steht in Verbindung zu einer Vielzahl weiterer Handlungsfelder, deren Dynamiken auf verschiedene Weise Einfluss auf dessen Konstitution haben. Mit dem Konzept der benachbarten Felder (Fligstein und McAdam 2012, S. 18) wird dieser Sachverhalt systematisiert. Dadurch lassen sich unterschiedlichste wirtschaftliche sowie sozio-politische Entwicklungen in Verbindung mit dem analysierten Handlungsfeld bringen. Zunächst unterscheiden Fligstein und McAdam benachbarte Felder entlang von zwei Dimensionen. Der Ent-fernung sowie der hierarchischen Position. Während entfernte Felder keinen Einfluss auf die Geschehnisse innerhalb eines fraglichen Feldes haben, ist das Verhältnis zu benachbarten Feldern durch wiederkehrende Verbindungen gekennzeichnet, die Auswirkungen auf die Routinen im Feld haben. Dazu unterscheiden Fligstein und McAdam zwischen horizontalen und vertikalen Feldern und stellen damit die Frage nach dem hierarchischen Verhältnis zwi-schen Handlungsfeldern. Vertikal verbundene Felder stehen in einem Ver-hältnis ungleicher Macht – eines ist dem anderen über- oder untergeordnet – während horizontal verflochtene Felder in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander stehen, ohne dass eines Autorität über das andere ausübt (Flig-stein und McAdam 2011, S. 7). Horizontal benachbarte Felder wären im vorliegenden Fall vor allem benachbarte Sektoren – dies können regional angrenzende Sektoren sein, wie etwa der Stromsektor eines anderen Landes oder funktional angrenzende Sektoren, welche aufgrund der dort gehandel-ten Güter in direkter Verbindung mit der Elektrizitätsversorgung stehen, etwa der deutsche Gassektor. Vertikal übergeordnete (ökonomische) Felder wären im vorliegenden Fall sämtliche Sektoren, bezüglich derer sich das Feld der Elektrizitätsversorgung in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet – dies sind vor allem vorgeschaltete Beschaffungsmärkte wie Rohstoff- oder Fi-nanzmärkte. Die Elektrizitätsversorger sind abhängig von Entwicklungen in diesen Sektoren, können sie jedoch selbst nicht maßgeblich mitgestalten, da sie lediglich als Käufer auftreten. Eine Sonderform vertikal übergeordneter Felder sind die sogenannten staatlichen Felder. Sie werden weiter unten separat vorgestellt. Zusammengefasst bestimmt die Entfernung zweier Felder mit welcher Stärke Veränderungen in einem Feld Einfluss auf das jeweils andere Feld haben, während die hierarchische Positionierung von Feldern be-stimmt, zu welchem Ausmaß die Feldakteure in der Lage sind, die Ereignisse in einem jeweils benachbarten Feld zu kontrollieren.

Nachdem die Positionen verschiedener Felder zueinander behandelt wurden, schließt sich die Frage an, welcher Art die Verbindungen zwischen Feldern sein können und in welcher Weise Felder sich entlang dieser Ver-bindungen wechselseitig beeinflussen. Grundsätzlich gelten zwei Hand-lungsfelder als miteinander verbunden, wenn ihre Akteure routinemäßig in-teragieren.24 In Anlehnung an Fligstein und McAdam (2012, S. 59) lassen sich verschiedene Interaktionsebenen identifizieren:

1. Die Akteure von zwei Feldern stehen in ökonomischem Austausch, sind also in unterschiedlichem Ausmaß auf Produkte, Güter oder Dienstleis-tungen anderer Felder angewiesen. Dies kann in mehrerlei Weise vorlie-gen. Benachbarte Felder können zunächst Beschaffungs- oder Absatz-märkte darstellen. Genauso ist jedoch auch ein wechselseitiger Austausch zwischen benachbarten Feldern denkbar. Veränderungen in auf diese Weise verbundenen Feldern können empfindliche Auswirkungen auf die Stabilität eines Handlungsfeldes haben.

2. Es bestehen Informationsströme zwischen zwei Feldern, das heißt, die Feld-akteure sind in bestimmter Weise auf Informationen aus anderen Feldern angewiesen. Auch hier sind verschiedene Machtkonstellationen denkbar in Abhängigkeit davon, wie die so verbundenen Felder hierarchisch zu-einander positioniert sind.

3. Es herrscht eine technologische Verbindung zwischen zwei Feldern. So ent-stammt ein großer Teil der technischen Apparaturen, welche in Unter-nehmen routinemäßig genutzt werden, anderen Feldern. UnterUnter-nehmen sind somit nicht nur bezüglich der Beschaffung dieser Gerätschaften, sondern auch bezüglich deren Weiterentwicklung auf die Aktivitäten in anderen Feldern angewiesen.

4. Dazu können Interdependenzen bezüglich der Legitimität verschiedener Felder bestehen. So können beispielsweise mehrere Wirtschaftssektoren gemäß gesellschaftlicher Deutungsmuster miteinander verbunden sein (etwa verschiedene Rohstoffindustrien), wodurch Veränderungen der Legitimität eines Feldes die Legitimität anderer, ansonsten nicht verbun-dener Feldern beeinflussen kann. Genauso ist denkbar, dass zwei Felder in uni- oder bidirektionaler Legitimitätszuschreibung verbunden sind.

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24 Freilich müssen solche Interaktionsbeziehungen in einer bestimmten kritischen Masse vorliegen. Erst wenn Beziehungen vergleichbarer Art von einer größeren Zahl an Feld-akteuren unterhalten werden, lässt sich von einer Verbindung zwischen zwei Feldern spre-chen. Ab wann dieses Kriterium erfüllt ist, lässt sich nicht vorab festlegen, sondern muss letztlich im Einzelfall bestimmt werden.

5. Außerdem ist ein interessenspolitischer Austausch zwischen Feldern mög-lich. So kann es sich, wenn in einer spezifischen Situation gleichgerich-tete Interessenslagen bestehen, für verschiedene Akteure unterschiedli-cher Felder als gewinnbringend erweisen, politische Koalitionen zu schmieden und gegenüber politischen Entscheidungsträgern gemein-same Interessen zu artikulieren.

4.2.2 Staatliche Felder

Grundlegend wird bei Fligstein und McAdam dem Staat eine zentrale Rolle für die Stabilität wie auch für den Wandel von Handlungsfeldern beigemes-sen. »[…] the state’s unique claim to exercise sovereignty within a designated geographic territory means that state fields have tremendous potential to shape the prospects for change and stability in virtually all nonstate strategic action fields within those geographic coordinates« (Fligstein und McAdam 2012, S. 67). Zum einen kann der Staat über regulatorische Eingriffe die for-mellen Feldregeln bestimmen. Dies geschieht etwa durch die Festlegung von Eigentumsrechten, der Bestimmung der Grenzen fairen Wettbewerbs, die sektorspezifische Wirtschaftsgesetzgebung sowie die Art der Besteuerung der Besitztümer und Geschäftstätigkeiten der Feldakteure (ebd., S. 174).

Über diese regulatorischen Bestimmungen hinaus stehen den staatlichen Akteuren weitere Instrumente zur Verfügung, um auf das Geschehen inner-halb eines Handlungsfeldes einzugreifen. So können sie beispielsweise Sub-ventionen bestimmen, Aufträge an private Unternehmen vergeben oder Forschungsgelder ausschütten (vgl. Bourdieu 2005, S. 204). Der Staat wird dabei jedoch nicht als monolithischer (kollektiver) Akteur verstanden, der top-down in das Handlungsfeld eingreift. Vielmehr stellt der Staat selbst ein komplexes Geflecht von Handlungsfeldern in Form von Behörden, Ministerien oder Arbeitskreisen dar, in denen staatliche und nichtstaatliche Akteure in einem (wenn auch häufig asymmetrischen) Aushandlungsprozess die for-mellen Regeln der nichtstaatlichen Handlungsfelder bestimmen. Bourdieu und Wacquant verstehen den Staat als »ein Ensemble von bürokratischen oder administrativen Feldern (oft in der konkreten Gestalt von Kommissi-onen, Ausschüssen, Ämtern), in denen staatliche und nichtstaatliche Akteure und Gruppen von Akteuren persönlich oder stellvertretend um eine beson-dere Form von Autorität kämpfen, um die Macht nämlich, eine besonbeson-dere

Sphäre von Praktiken […] durch Gesetze, Bestimmungen, Verwaltungsmaß-nahmen (Subventionen, Genehmigungen usw.) zu regeln […]. Der Staat […]

wäre demnach ein Ensemble von Machtfeldern, in denen sich Kämpfe ab-spielen, deren Objekt […] das Monopol auf die legitime symbolische Gewalt ist«

(Bourdieu und Wacquant 1992, S. 143. Hervorhebungen im Original). Da-mit stellen staatliche Felder Arenen dar, in denen um die Hoheit über (formelle) Feldregeln gekämpft wird. Das Auftauchen spezifischer Themen auf der Agenda kann dabei sowohl seinen Ursprung in staatlichen Feldern haben als auch von nichtstaatlichen Handlungsfeldern ausgehen. So können sich Aus-einandersetzungen innerhalb eines Handlungsfeldes auf staatliche Felder ausweiten oder sich auf diese verlagern. In Abhängigkeit von ihrem sozialen Kapital sind die Akteure eines Handlungsfeldes in unterschiedlichem Maße dazu im Stande, Koalitionen in staatlichen Feldern zu schmieden, um sich auf diesem Wege für die Berücksichtigung ihrer spezifischen Interessen ein-zusetzen. Über die Nutzung persönlicher Netzwerke hinaus können Akteure jedoch auch andere Feldressourcen mobilisieren, um ihre Verhandlungspo-sition zu verbessern. Das kann etwa das Angebot von fachspezifischem Wis-sen sein (technologisches Kapital) oder die Platzierung von finanziellen An-reizen, etwa in Form von Sponsoring (ökonomisches Kapital). Die Chancen der Feldakteure, ihre Interessen in staatlichen Feldern durchzusetzen, ist zu-dem stets von deren Legitimität in Form von symbolischem Kapital abhän-gig, welches die Akteure etwa durch Öffentlichkeitsarbeit zu erhalten oder auszubauen versuchen. In Anlehnung an Hillman und Hitt (1999, S. 834 f.) können drei Strategien unterschieden werden, die von Akteuren nicht-staatlicher Felder genutzt werden, um staatliche Akteure für ihre Sache zu gewinnen:

1. Die Bereitstellung von Informationen und Expertise. Feldakteure können versuchen, Entscheidungsträger zu beeinflussen, indem sie Vorschläge zur Lösung bestimmter Problemstellungen anbieten oder die Vor- oder Nachteile spezifischer, zur Debatte stehender Entscheidungen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Interessen herausstellen. Informationsstrate-gien umschließen Taktiken wie Lobbying (durch die Unternehmen selbst oder über externe Partner), die Veröffentlichung von Positionspapieren, die Beauftragung von wissenschaftlichen Studien oder die Einrichtung von Think-Tanks.

2. Die Setzung finanzieller Anreize. Durch die Mobilisierung von monetären Ressourcen können Feldakteure versuchen, Entscheidungsträger für ihre Sache zu gewinnen. Dies kann in Form von situativ gesetzten Anreizen geschehen, etwa über bezahlte Vorträge oder Reisen sowie längerfristig durch die Einbindung von Entscheidungsträgern in die Kreise des Un-ternehmens, etwa durch die direkte oder indirekte Anstellung von Poli-tikern oder deren Verwandten. Eine Zwischenform der ersten beiden Taktiken stellt die Finanzierung von Forschungseinrichtungen oder Lehrstühlen mit dem Ziel, opportune wissenschaftliche Ergebnisse zu generieren, dar.

3. Indirekt durch die Vereinnahmung von zivilgesellschaftlichen Akteuren sowie Wählern. Diese Strategie zielt nicht direkt auf politische Entscheidungs-träger, sondern versucht über die Beeinflussung einer breiten Öffentlich-keit oder spezifischer Gruppen wie Angestellte, Zulieferer, Kunden oder Pensionäre das politische Klima zu beeinflussen. Hierzu können Unter-nehmen Taktiken wie Öffentlichkeitsarbeit oder Pressekonferenzen wählen oder versuchen, zielgerichtet Interessensgruppen zu mobilisieren – etwa in Form von Astroturfing.

Grundsätzlich stehen der Staat und die in seinem Einflussbereich befindli-chen Handlungsfelder in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit. Auf der einen Seite hat der Staat aufgrund seiner Macht, Gesetze und Regularien zu erlassen, einen entscheidenden Einfluss auf die Konstitution der Handlungs-felder (Fligstein und McAdam 2012, S. 67), die Akteure eines Feldes sind also auf das Wohlwollen des Staates angewiesen. Auf der anderen Seite je-doch ist der Staat ebenso von bestimmten Handlungsfeldern abhängig – dies ist beispielsweise im Fall von ökonomischen Feldern gegeben, welche hohe Beschäftigtenzahlen aufweisen, hohe Steuereinnahmen generieren und/oder für nationales Prestige sorgen. Gleichzeitig bedürfen staatliche Akteure des Know-hows solcher Felder zur politischen Entscheidungsfin-dung. Aufgrund dessen finden die etablierten Akteure in ihrem Unterfangen, den Status quo des von ihnen kontrollierten Feldes aufrechtzuerhalten, häu-fig Rückhalt durch mächtige Verbündete in staatlichen Feldern (ebd.).