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Allgemeine Feldveränderungen: Politische Regularien, exogene Schocks, neue Herausforderer und exogene Schocks, neue Herausforderer und

Der Stromsektor als organisationales Feld

Teil 2: Darstellung der empirischen FallstudieFallstudie

5. Deskriptiver Überblick

5.1 Allgemeine Feldveränderungen: Politische Regularien, exogene Schocks, neue Herausforderer und exogene Schocks, neue Herausforderer und

Marktentwicklungen

Zunächst will ich die zentralen Entwicklungen beschreiben, welche tieferen Einfluss auf die Konstitution des deutschen Stromsektors hatten. Dabei geht es um regulatorische Veränderungen, exogene Schocks, Aktivitäten von neuen Herausforderern im Feld sowie allgemeine Marktentwicklungen. Die Auswahl der hier aufgeführten Veränderungsimpulse erfolgt auf Basis der Interviews, die mit Mitarbeitern der Stromkonzerne geführt wurden. In die-sen Gesprächen wurde in der Regel einleitend die Frage gestellt, welche Ver-änderungen im Zeitverlauf prägenden Einfluss auf die Geschäftstätigkeiten ihres Unternehmens hatten. Die Gesprächspartner wiesen bei der Beantwor-tung dieser Frage mit wenigen Ausnahmen auf dieselben, im Folgenden aus-geführten, Entwicklungen hin.

Zunächst nahmen gesetzgebende Instanzen einige tiefgreifende Verände-rungen der formell-institutionellen Rahmenbedingungen vor. Diese sollen kurz vor-gestellt und in ihrem Einfluss auf das Feld im Allgemeinen sowie auf die Stromkonzerne im Speziellen bewertet werden – dies dient ausschließlich dem Zweck einer grundlegenden Einordnung, eine ausführliche Beschrei-bung der einzelnen regulatorischen Veränderungen, ihres Zustandekom-mens sowie ihrer Auswirkungen erfolgt jeweils an späterer Stelle:

1. Im Untersuchungszeitraum wurden zwei grundlegende Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) vorgenommen. Dies war zunächst die Liberalisierung des deutschen Strommarktes 1998 und die damit einher-gehende formelle Auflösung von Gebietsmonopolen und staatlichen Preiskontrollen, eine Entwicklung, die von den Vertretern der Unterneh-men mehrheitlich als positiv benannt wurde. Mit der EnWG-Novelle von 2005 erfolgte anschließend eine stärkere Re-Regulierung des Mark-tes, während gleichzeitig die Entflechtung der Stromnetze vorangetrie-ben wurde. Diese Novelle erleichterte den Markteintritt für neue Akteure und wurde in Interviews mehrheitlich als Herausforderung für die Stromkonzerne dargestellt.

2. Von großer Relevanz war zudem die gesetzliche Förderung erneuerbarer Energien in Form des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), welches im Jahre 2000 eingeführt und in den Jahren 2004, 2009, 2012 sowie 2014

novelliert wurde. Dieses Gesetz stimulierte den Ausbau von Stromerzeu-gungskapazitäten aus erneuerbaren Energien, und leitete damit einen gra-duellen Wandel ein, welcher gegen Ende der 2000er Jahre zunehmend negative Auswirkungen für die Unternehmen hatte.

3. Zudem wurde im Untersuchungszeitraum dreimal das Atomgesetz novel-liert. Der Atomausstiegsbeschluss von 2002 hatte (bis auf die Abschal-tung zweier Atomkraftwerke) keine direkten Auswirkungen auf das Feld, setzte jedoch erstmals ein Zeitfenster für das Ende der Nutzung der Kernenergie als Technologie zur Energiegewinnung. Die in dieser No-velle festgelegten Restlaufzeiten der Kernkraftwerke wurden im Rahmen der 2010er Novelle des Atomgesetzes signifikant verlängert – ein Be-schluss, der von den Unternehmen begrüßt wurde, zumal sie ihn maß-geblich mit herbeigeführt hatten. Als Reaktion auf die Reaktorkatastro-phe von Fukushima erfolgte schließlich 2011 ein zweiter U-Turn: Neben der direkten Abschaltung der acht ältesten deutschen Kernkraftwerke wurde die Restlaufzeit der übrigen Anlagen deutlich verringert. Diese Novelle benannten die Interviewten einhellig als die – neben der Libera-lisierung – tiefgreifendste Veränderung im deutschen Stromsektor inner-halb der letzten beiden Dekaden.

4. Eine weitere, wichtige Veränderung stellte die Einführung des europäi-schen Emissionshandels 2005 dar. Der Emissionshandel führte durch die weitgehend kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten in den ers-ten beiden Handelsperioden 2005–2007 und 2008–2012 zu erheblichen Zusatzgewinnen für die Unternehmen.

Darüber hinaus wurde das Feld im Untersuchungszeitraum von zwei exoge-nen Schocks erschüttert:

1. Die Wirtschaftskrise von 2008 hatte tiefgreifenden Einfluss auf den Stromsektor und auf die Geschäftstätigkeiten der Versorger. In Folge der Rezession ging die Nachfrage nach Strom zurück, während gleichzeitig sinkende Rohstoffpreise auf den Strompreis drückten.

2. Die oben bereits erwähnte Nuklearkatastrophe von Fukushima hatte re-levante Auswirkungen, auch über die daraus folgende Novellierung des Atomgesetzes hinaus. Das Unglück führte nicht nur zu einem Erstarken der Anti-Atom-Stimmung in der deutschen Bevölkerung und war des-halb mit großem Legitimitätsverlust für die Stromkonzerne verbunden.

Vor allem stand die Kehrtwende in der Atompolitik nach Fukushima als Symbol für eine endgültige Abkehr vom traditionellen fossil-nuklearen

Energiesystem hin zu einer dezentraleren Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energien und zwang die Manager der Unternehmen dazu, tradierte Denkmuster zu hinterfragen.

Außerdem wurde das Feld durch die Aktivitäten von neuen Herausforderern ge-prägt. Dabei geht es vor allem um die Expansion und Professionalisierung der Erneuerbare-Energien-Branche. Unter anderem stimuliert durch gesetz-liche Förderung, kam es im Untersuchungszeitraum zu einem signifikanten Ausbau ErneuerbarEnergien-Anlagen. Die Bruttostromerzeugung aus er-neuerbaren Energien stieg in Deutschland von 26,3 Terawattstunden in 1998 auf 187,4 Terawattstunden in 2015, was 4,7 Prozent beziehungsweise 29 Prozent der Gesamtstromerzeugung entspricht. Tabelle 9 zeigt die Ei-gentümerstruktur Erneuerbarer-Energien-Anlagen im Jahr 2010.

Tabelle 9: Eigentümerstruktur Erneuerbarer-Energien-Anlagen in Deutschland 2010 Wind Biogas Photovoltaik Wasserkraft EE gesamt

»Große 4« 2,1 0,1 0,2 51,9 6,5 Regionalerzeuger

und Stadtwerke 3,4 3,1 2,6 8,7 4,3 Internationale

Versorger 1,9 0,5 16,1 2,7 Gewerbe 2,3 0,1 19,2 9,9 9,3 Projektierer 21,3 13,1 8,3 0,1 14,4 Fonds/Banken 15,5 6,2 8,1 1,3 11 Privatpersonen 51,5 0,1 39,3 7 39,7 Landwirte 1,8 71,5 21,2 10,8 Sonstige 0,3 5,7 0,6 5,1 1,3 In Prozent an der deutschlandweit installierten Gesamtleistung.31 Quelle: trend:research (2011)

Demnach lag der Anteil der großen Versorger an den in Deutschland ans Netz angeschlossenen Erneuerbare-Energien-Anlagen bei lediglich 6,5 Pro-zent – Pumpspeicherkraftwerke ausgeschlossen – wobei der größte prozen-tuale Anteil auf Wasserkraftwerke entfiel. Der Anteil der großen Vier an

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31 Wind nur Onshore. Wasserkraftwerke ohne Pumpspeicher. Pumpspeicherkraftwerke werden von den Verfassern der Studie nicht in die Berechnungen einbezogen. 2010 waren 6.630 MW an Pumpspeicher-Kapazitäten installiert. Dies entspricht etwa 12,5 Prozent der installierten Leistung an erneuerbaren Energien sowie 57 Prozent der installierten Leis-tung an Wasserkraft. Die deutschen Pumpspeicherkraftwerke wurden zum größten Teil von den großen Vier betrieben (trend:research 2011, S. 45).

Windkraft-, Photovoltaik- und Biogasanlagen war marginal. Den Berech-nungen von trend:research (2011) zufolge befand sich der größte Anteil Er-neuerbarer-Energien-Anlagen in Besitz von Privatpersonen (39,7 Prozent), Projektierern32 (14,4 Prozent) und Landwirten (10,8 Prozent). Der Anteil von kleineren Elektrizitätsversorgern sowie internationalen Versorgern be-lief sich auf lediglich sieben Prozent. Das bedeutet, der Ausbau erneuerbarer Energien ging maßgeblich auf Akteure zurück, welche zuvor kaum eine Rolle im deutschen Elektrizitätsversorgungssystem gespielt hatten. Jedoch auch Akteure benachbarter Felder spielten eine Rolle. Während der Beitrag von Elektrizitätsversorgern anderer Länder kaum von Bedeutung war (2,7 Prozent), stellten insbesondere Fonds und Banken (11 Prozent) relevante neue Player dar.

Außerdem ist auf grundlegende Marktentwicklungen hinzuweisen, welche – teilweise in Zusammenhang mit den oben genannten Entwicklungen ste-hend – relevanten Einfluss auf das Feld hatten. Von hervorgehobener Be-deutung sind zwei Entwicklungen:

1. Nachdem die Nachfrage nach der Marktöffnung 1998 zunächst für längere Zeit anstieg, kam es in Folge der Wirtschaftskrise zu einem verhältnis-mäßig starken Verbrauchsrückgang, insbesondere im Industriesegment.

Obwohl es sich hierbei um einen einmaligen Einbruch handelte, von dem sich die Wirtschaft bis 2010 erholt hatte, ist seither ein tendenzieller Fall der Nachfragekurve zu verzeichnen (siehe Abbildung 3). Da die Ent-wicklung der Nachfrage nach Elektrizität letztlich die Größe des (End-kunden-)Absatzmarktes bestimmt, waren diese Veränderungen von grundlegender Bedeutung für die Versorger.

2. Die Entwicklung der Großhandelspreise für Strom dagegen bestimmt die Rentabilität der Stromproduktion maßgeblich. Abbildung 4 zeigt die Entwicklung des Day-Ahead-Spotmarktpreises, dem Referenzpreis im deutschen Stromsektor (Bontrup und Marquardt 2010, S. 152; Giacovelli 2014, S. 208). Dieser stieg von 2002 bis 2006 tendenziell an, um nach einer turbulenten Phase bis 2011, die sowohl Einbrüche wie auch einen Preis-Peak im Jahr 2008 aufweist, stetig zu fallen. Dieser Preisverfall wurde von den interviewten Managern als ein wesentlicher Grund für die Branchenkrise nach Fukushima benannt.

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32 Die Verfasser der Studie definieren Projektierer als »Unternehmen mit Haupt- oder Ne-bengeschäftszweck Entwicklung und Veräußerung von Projekten im Bereich der Erneu-erbaren Energien […]« (trend:research 2011, S. 35)

Abbildung 3: Netto Stromverbrauch in Deutschland nach ausgewählten Verbrauchs-gruppen 1998–2015

In GWh. Quelle: BDEW e.V. (2016b)

Abbildung 4: Entwicklung des Day-Ahead Spotmarktpreises für Strom 2002–2015

In EUR/MWh. DE European power exchange. Quelle: Energinet.dk 0

50.000 100.000 150.000 200.000 250.000 300.000

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

Industrie Handel und Gewerbe Haushalte Andere

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015

day-ahead spotprice (Monatsdurchschnitt) day-ahead spotprice (Jahresdurchschnitt)

Welche grundsätzlichen Entwicklungen lassen sich hieraus ablesen? Zu Be-ginn des Untersuchungszeitraumes war das Umfeld der Unternehmen vor allem von positiven Entwicklungen geprägt (Liberalisierung, steigende Preise, steigende Nachfrage). Die negativen Ereignisse (Kernenergieausstieg sowie die Förderung erneuerbarer Energien) hatten dagegen zunächst kei-nen direkten Einfluss auf die Unternehmen. Ab 2005 erfolgten parallel po-sitive Entwicklungen (Emissionshandel, steigende Preise und Nachfrage, Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken) sowie negative Entwicklungen (Re-Regulierung, Wirtschaftskrise). Seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 zeigt sich schließlich ein Abwärtstrend auf allen Ebenen (Preise, Nachfrage). Die zu Beginn des Untersuchungszeitraumes für die Stromkonzerne weitgehend positiven Rahmenbedingungen veränderten sich also im Zeitverlauf zum Negativen hin.