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Das traditionelle technologische Profil des Feldes

Stromkonzerne und Veränderungen ihrer Position im Feld

6. Ausgangspunkt: Der Elektrizitätssektor vor der Liberalisierung vor der Liberalisierung

6.3 Das traditionelle technologische Profil des Feldes

Die Beschreibung des technologischen Profils des Feldes erfolgt entlang dreier Linien. Zunächst werden die Spezifika des im Sektor produzierten und gehandelten Produktes – Elektrizität – beschrieben. Danach werden die Technologien, welche zum Transport sowie zur Produktion des selbigen ge-nutzt werden, behandelt. Schließlich sollen diese Technologien und ihre Rolle für die Strukturierung des Feldes unter Rückbezug auf die theoretische Rahmung der Arbeit bewertet werden.

Zunächst handelt es sich bei dem im Feld produzierten und gehandelten Produkt Elektrizität nicht selbst um ein technisches Artefakt (wie etwa im Automobil- oder Mobiltelefonsektor). Vielmehr zeichnet sich Strom durch seine Unveränderbarkeit aus, eine Besonderheit, die insbesondere mit Blick auf die verbrauchernahen Bereiche der Wertschöpfungskette von Bedeutung ist.

Im Gegensatz zu anderen ökonomischen Feldern, deren Unternehmen ste-tig ihr Produkt weiterentwickeln und nach entsprechenden Kundenwün-schen auszurichten versuchen, ist im Falle der Elektrizität das produzierte Gut immer dasselbe. Innovationen sind damit nur in Bezug auf die Produk-tion und den Transport des Gutes möglich, nicht jedoch bezüglich des Gu-tes an sich.

Dazu ist Strom nur in begrenztem Ausmaß speicherbar. Eine entscheidende Besonderheit der Elektrizitätswirtschaft ist aufgrund dessen die Gleichzei-tigkeit von Produktion und Verbrauch. Das bedeutet, dass die Strompro-duktion zu jedem Zeitpunkt an den entsprechenden Bedarf angepasst sein muss. Dieser Bedarf unterliegt im Tagesverlauf beträchtlichen Schwankun-gen. Aufgrund dessen wird im traditionellen Energiesystem zwischen den Kategorien Grundlast, Mittellast und Spitzenlast unterschieden.

– Grundlast entspricht der mindesten, erforderlichen Strommenge, die rund um die Uhr nachgefragt wird. Sie wird in der Regel von Kraftwerken bedient, die zu niedrigen Grenzkosten produzieren, deren Produktion sich jedoch nur in eingeschränktem Maße kurzfristig herauf- oder herab-regeln lässt. Diese Rolle fällt im traditionellen Energiesystem den Kern-kraftwerken, Braunkohlekraftwerken sowie Laufwasserkraftwerken zu.

– Mittellast bezeichnet die im Tagesverlauf vorhersehbaren Erhöhungen der Lastkurve oberhalb der Grundlast. Diese Bedarfsschwankungen, wel-che vor allem zur Mittagszeit oder in den frühen Abendstunden auftreten, werden traditionell vor allem durch Steinkohlekraftwerke abgedeckt, die sich flexibler regeln lassen – jedoch bei höheren Brennstoffkosten.

– Spitzenlast bezieht sich auf kurzzeitig und kurzfristig auftretende erhöhte Leistungsnachfrage. Diese wird üblicherweise von Gas- und Pumpspei-cherkraftwerken bedient, deren Leistung sich ziemlich flexibel abrufen lässt. Diese Kraftwerke weisen gleichzeitig vergleichsweise hohe variable Kosten auf.53

Abbildung 17 zeigt dieses Lastprofil im Verlauf eines Tages. Aus diesem Lastverlauf, verbunden mit der begrenzten Speicherbarkeit von Strom, ergibt sich der Bedarf der Vorhaltung von Erzeugungskapazität. Die Ge-samtheit der erforderlichen Kraftwerkskapazität hat damit am maximal denkbaren Strombedarf im Jahresverlauf ausgerichtet zu sein (Latkovic 2000, S. 96).

Abbildung 17: Lastprofil im Tagesverlauf

Stilisierte Darstellung

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53 Zu technischen Details bezüglich der Regelbarkeit konventioneller Kraftwerke siehe etwa Hundt et al. (2009, S. 24 ff.) oder Lambertz et al. (2012, S. 20).

Ein weiteres Spezifikationsmerkmal von Strom ist dessen Leitungsgebunden-heit. Dies führt direkt zur Frage nach dem technologischen Profil auf der Transportebene. Die Übertragung von Strom erfolgt entlang weitflächiger Stromnetze. Es wird zwischen Übertragungsnetz und Verteilnetz unter-schieden. Das Übertragungsnetz wird mit Höchstspannung betrieben (220 oder 380 Kilovolt) und dient dem Transport von Energie über weite Strecken, von Großkraftwerken zu den Lastzentren, sowie dem Stromaus-tausch mit Nachbarländern. Das Verteilnetz wird entlang dreier Ebenen dif-ferenziert. Das überregionale Verteilnetz, auch Hochspannungsnetz ge-nannt, wird mit 110 Kilovolt betrieben und sorgt für die Grobverteilung von Energie in verschiedene Regionen. Mittelgroße Kraftwerke sowie Standorte der Großindustrie sind ebenfalls auf dieser Spannungsebene angeschlossen.

Das regionale Verteilnetz wird mit Mittelspannung von 10, 20 oder 30 Kilo-volt betrieben und dient der Verteilung über kürzere Strecken, vor allem in ländlichen Gebiete. Hier speisen auch kleine Kraftwerke ein, etwa Solar- oder Windparks. Das lokale Verteilnetz mit Niederspannung von 400 Volt beliefert schließlich die Haushalte mit Strom. Kraftwerke mit sehr niedriger Leistung, wie einzelne Photovoltaikanlagen oder kleine Laufwasserkraft-werke, speisen direkt in das Niederspannungsnetz ein (Bundesnetzagentur 2016c; BPB 2016). Abbildung 18 zeigt eine Systematisierung der verschiede-nen Netzebeverschiede-nen.

Auf der Ebene der Stromproduktion war das Feld zu Beginn des Untersu-chungszeitraumes von großskaligen, kapitalintensiven technischen Anlagen geprägt. 1998 wurden vor allem fossile Energieträger zur Stromproduktion genutzt – 25 Prozent Braunkohle, 27,5 Prozent Steinkohle und 9,1 Prozent Erdgas – sowie Kernenergie (29,1 Prozent). Ein geringer Teil des Stroms (3,4 Prozent) wurde in Wasserkraftwerken erzeugt, der Rest entfiel auf Mi-neralölprodukte (1,2 Prozent), andere erneuerbare Energien (1,3 Prozent) sowie weitere, nicht spezifizierte, Energieträger (3,4 Prozent) (AG Energie-bilanzen e.V. 2017). Die Stromproduktion erfolgte maßgeblich in Groß-kraftwerken, was mit einer historisch hohen Bewertung von Skalenerträgen bei der Stromerzeugung in Verbindung steht (vgl. Bontrup und Marquardt 2010, S. 23). Zwar ließ sich prinzipiell auch Strom in kleineren, weniger ka-pitalintensiven Anlagen produzieren. Dies geschah auch, erforderte jedoch trotzdem spezifisches Know-how, den Zugang zu entsprechenden Brenn-stoffen und die Möglichkeit in die Netze einzuspeisen, was sich aufgrund der Machtposition der großen Unternehmen (siehe oben) als vorausset-zungsvoll darstellte.

Abbildung 18: Ebenen des deutschen Stromnetzes

Stilisierte Darstellung

Wie lässt sich vor dem Hintergrund der beschriebenen Charakteristika des Produktes Elektrizität sowie der Techniken zur Stromerzeugung und -über-tragung das technologische Profil des Feldes übergreifend beschreiben?

Zunächst handelt es sich um Technologien von hoher Kapitalintensität. Das Stromnetz gilt, ähnlich wie das Eisenbahnnetz, als natürliches Monopol. Das heißt, aufgrund hoher Fixkosten bei gleichzeitig niedrigen Grenzkosten und der sich daraus ergebenden Subadditivität stellt sich der Ausbau von Paral-lelstrukturen als betriebs- wie volkswirtschaftlich unattraktiv dar (Eising 2000, S. 45). Genauso sind Investitionen in Großanlagen aufgrund erzielba-rer Skaleneffekte attraktiver als Investitionen in Kleinanlagen. Mit Blick auf das Verbundsystem im Ganzen repräsentiert das Elektrizitätsversorgungs-system das Paradebeispiel für ein Großtechnisches System im Sinne des Technikhistorikers Hughes (vgl. Hughes 1987; Joerges 1988). Dazu handelt es sich beim Stromnetz wie auch bei den Erzeugungsanlagen um hochspezia-lisierte Technologien, welche in einem eng gefassten Funktionszusammen-hang stehen. Dabei wird den einzelnen Erzeugungstechnologien bei der Be-dienung der Last im Tagesverlauf jeweils eine bestimmte, feste Rolle zugeschrieben. Der Betrieb der jeweiligen Anlagen erfordert spezifisches (In-genieurs-)Fachwissen, dessen Aneignung für einen breiteren Personenkreis aufgrund des eingeschränkten Anwendungszusammenhangs und der geringen Deu-tungsoffenheit der Technologie wenig attraktiv ist. Zudem war (und ist) das Feld sowohl bezüglich der Technologien zur Produktion als auch derer zum Transport von Strom maßgeblich von Entwicklungen von außerhalb des Feldes abhängig. Die Forschungsschwerpunkte im Bereich Energie lagen bei den Verbundunternehmen auf anwendungsbezogener Forschung, es ging maß-geblich um Effizienzverbesserungen bestehender Technologien sowie um Praxistests bereits verhältnismäßig reifer, neuer Technologien. Die Unter-nehmen verstanden sich als Produzenten von Elektrizität und nicht als Ent-wickler von Erzeugungsanlagen. Damit entfiel sämtliche Grundlagenfor-schung auf Unternehmen im Bereich des Anlagenbaus, also feldexterne Akteure. Die VIAG – der Dachkonzern des Bayernwerkes – schrieb hierzu etwa: »Die vorrangig markt-, produkt- und kundenorientierten Forschungs- und Entwicklungsprojekte konzentrieren sich auf endverbrauchernahe Pro-dukte, Prozesse- und Verfahrensinnovationen sowie ständige Qualitätsver-besserung« (VIAG AG 1999, S. 44, vgl. auch RWE AG 1998, S. 39, 1999, S. 42; EnBW AG 1998, S. 12).

Was bedeutet dies unter Rückbezug auf die eingangs (Abschnitt 4.1.3) angeführten Überlegungen über den Zusammenhang zwischen dem techno-logischen Profil eines Feldes und den damit verbundenen Machtpotentialen technologischen Kapitals? Da das Feld 1998 von großskaligen, kapitalinten-siven Technologien von hohem Spezialisierungsgrad geprägt war, welche von geringer Deutungsoffenheit gekennzeichnet waren und deren Aneig-nung spezifisches Fachwissen voraussetzte, ging der Besitz dieser Anlagen sowie das Know-how, welches für ihren Betrieb erforderlich war, mit signi-fikanter struktureller Macht einher. Dass die dominanten Feldakteure die genutzten Technologien nur in inkrementeller Weise selbst innovierten und keine Grundlagenforschung betrieben, deutet zusätzlich auf ein Feld von großem Beharrungsvermögen hin, welches sich nur in begrenztem Ausmaß aus inneren Kräften weiterentwickelt. Dass zudem das Produkt Strom, um welches sich das Feld bildet, nicht veränderbar ist, entzieht einen maßgebli-chen Teil des Marktes – den der Produktinnovation – den Dynamiken des Wettbewerbes, wodurch weitere potentielle Veränderungsimpulse unter-bunden werden.

7. Phase 1 (1998–2005): Liberalisierung,