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Der Kommunikationsbegriff im systemtheoretischen Verständnis

3 KOMMUNIKATION - DEFINITIONEN UND

3.4 Kommunikation aus systemtheoretischer Perspektive

3.4.3 Der Kommunikationsbegriff im systemtheoretischen Verständnis

Die überragende Bedeutung von Kommunikation in der Systemtheorie wurde bereits angedeutet und soll an dieser Stelle weiter vertieft werden, um das von Luhmann vertretene Kommunikationsverständnis richtig zu begreifen und für weiterführende Analyseschritte nutzen zu können. Kommunikation selbst ist als kleinstes, flüchtiges System Keimzelle für alle soziale Evolution.125 „Ohne Kommunikation gibt es keine menschlichen Beziehungen, ja kein menschliches Leben.“126 Hier wird betont, dass erst durch Kommunikation Existenz möglich und die Realität geprägt wird, sodass sowohl für das Individuum als auch für soziale Gebilde Kommunikation zugleich „Nährboden“ als auch „Nahrung“ ist.

Die Relevanz von Kommunikation im systemtheoretischen Kontext ist mit diesen Worten angemessen umrissen und kann kaum überbewertet werden. Es drängt sich dabei die Frage auf, was genau sich hinter diesem allem anderen übergeordneten Begriff verbirgt, der so vielseitigen und weitreichenden Einfluss auf das menschliche Leben und die Gemeinschaft übt. Luhmann beschreibt Kommunikation als laufendes Prozessieren der Differenz von Wissen und Nichtwissen, ohne dass es dazu nötig wäre, die Wissens- bzw.

Nichtwissensbestände in den beteiligten Individuen oder Maschinen zu ermitteln.127

„Der Begriff bezeichnet hier nicht einfach ein Mitteilungshandeln, das Informationen ´überträgt´, sondern eine eigenständige autopoietische Operation, die drei verschiedene Selektionen, nämlich Information, Mitteilung und Verstehen, zu einer emergenten Einheit verknüpft, an die weitere Kommunikationen anschließen können.“128

125 vgl. Merten, K. 1977, S. 162.

126 vgl. Luhmann, N. 1981, S. 25.

127 vgl. Luhmann, N. 1997, S. 303.

128 Luhmann, N. 1986, S. 267.

Der hier dargelegte Definitionsvorschlag gibt sich mit dem vor allem in der Nachrichtentechnik häufig vertretenen Verständnis von Kommunikation als Informationsübertragung nicht zufrieden und löst sich somit von der Übertragungsmetapher, die sich auf das Kodieren, die physikalische Übertragung und das Dekodieren einer Information bezieht. Zu kritisieren ist an diesem Ansatz vor allem, dass Aspekte des Verstehens, Interpretierens und der Bedeutungszuordnung ausgeklammert werden, die sich bei kommunizierenden Menschen vollziehen.129

Das von Luhmann konzipierte Kommunikationsbild greift diese Kritik auf und löst sich, wie von Pribilla gefordert, konsequent von der vereinfachenden Vorstellung eines Informationsaustausches zwischen Individuen, indem zusätzliche Prozesse in die Betrachtung integriert werden:

Abbildung 11: Kommunikation als dreifacher Selektionsprozess

Quelle: Darstellung in Anlehnung an: Luhmann, N. 1986, S. 267.

An erster Stelle der Kommunikationsselektionen steht die Auswahl der Information, die zum Gegenstand der Kommunikation werden soll. Bereits diese Selektionsleistung entscheidet maßgeblich über den späteren Erfolg der Kommunikation, da nur eine geeignete Vorauswahl von Inhalten die gewünschte Aufmerksamkeit erregen und so die Voraussetzung dafür erfüllen kann, auch richtig verstanden zu werden. Im Rahmen dieses ersten Teilprozesses entscheidet sich, welche Informationen außen vor gelassen werden bzw. welche in Form einer Mitteilung zum Objekt der Kommunikation werden.130

In der nächsten Phase wird die Information für die Übertragung „präpariert“, indem sie als Mitteilung zum Selektionsvorschlag wird. „Die Mitteilung muss die Information duplizieren, sie nämlich einerseits draußen lassen und sie andererseits zur Mitteilung

129 vgl. Pribilla, P. et al. 1996, S. 12.

130 vgl. Luhmann, N. 1984, S. 197.

Information Mitteilung

Synthese

Verstehen

verwenden und ihr eine dafür geeignete Zweitform geben, zum Beispiel eine sprachliche (und eventuell lautliche, schriftliche, etc.).“131 „Die Bedeutsamkeit von Information (…) wird ihr vom System zu einem bestimmten Zeitpunkt zugeschrieben. Als Mitteilung wendet sie sich als vom System ausgewählter Vorschlag an einen Empfänger“132

Der hier beschriebene Modifikationsprozess von Informationen in ein kommunikationsgerechtes Format ist vergleichbar mit dem vor allem aus nachrichtentechnischen Kommunikationsmodellen bekannten Prozess der Kodierung, durch den Inhalte vom Sender zur Übertragung vorbereitet werden, um später vom Empfänger dekodiert zu werden. Zudem sind Parallelen zum Modell der Wissensvermittlung von Nonaka/Takeuchi erkennbar, die bereits weiter vorne ausführlich dargestellt wurden (vgl. Kapitel 3.2.2).

Die Begriffsverwendung in der Systemtheorie unterscheidet sich vor allem dadurch von vielen anderen Ansätzen, dass hier nicht die Information, sondern die Mitteilung zum Objekt der Kommunikation wird.

Der Kommunikationsprozess findet seinen Abschluss mit der dritten und letzten Selektion, die durch das Verstehen der Mitteilung vollzogen wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Empfänger die Mitteilung von der Information unterscheiden kann, indem er bemerkt, dass der Sender sich mit seinem Mitteilungsverhalten auf ihn bezieht bzw. an ihn wendet.133 Das Selektionsangebot muss also wahrgenommen und zudem im intendierten Sinne verstanden werden, damit Kommunikation realisiert ist und das Prozessieren der drei Selektionen als kleinste Einheit der Kommunikation als abgeschlossen gilt. Damit soll keineswegs angedeutet werden, dass Kommunikation nach der Prozessierung der drei Selektionsleistungen beendet wäre, da diese neue Anschlusspunkte für Kommunikationen bieten und so eine unendliche Verkettung aufeinander bezogener Selektionsleistungen entsteht.

Festzuhalten ist, dass Verständigung keineswegs immer in einem Konsens münden muss, da für Kommunikation im Sinne Luhmanns lediglich das Verstehen des Selektionsangebots von Bedeutung ist, nicht aber die Annahme bzw. Ablehnung der Mitteilung, die als vierte Selektion der Kommunikation gilt, aber streng nach Luhmann nicht zu dieser zählt, sondern bereits als Anschlussakt anzusehen ist. Dieser ist insbesondere bedeutsam für die Bewertung von Kommunikationsvorgängen, da er offenbart, ob eine Mitteilung erfolgreich war im Hervorbringen einer intendierten Reaktion auf Empfängerseite. Auch Luhmann

131 Luhmann, N. 1984, S. 197.

132 Kortzfleisch, H. F. O. von 2004, S. 260.

133 vgl. Brock, B. (k. J.), Onlinequelle.

selbst misst der Annahme/Ablehnung von Mitteilungen offenbar große Bedeutung bei, auch wenn er diese nicht als Selektion der Kommunikation erwähnt: „Erst die Reaktion schließt die Kommunikation ab, und erst an ihr kann man ablesen, was als Einheit zustande gekommen ist.“134 Anschlusshandlungen können so gewissermaßen als Indikator für die Erfolgsmessung von Kommunikation herangezogen werden, ohne dass sie streng genommen zum eigentlichen Prozess dieser gehören. Martens spricht sich vor allem im Hinblick auf den Unternehmenskontext dafür aus, die Annahme/Ablehnung als festen Bestandteil der Kommunikation zu begreifen. Er argumentiert in diesem Zusammenhang, dass Informationen über das Verstehen hinaus angenommen werden und auch akzeptiert werden muss, um die systemtheoretische Perspektive zu einer Kommunikationstheorie der Unternehmung zu konkretisieren.135