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Den Weg, den er geht, ist bisher wohl niemand gegangen:

Im Dokument Impulse Ausgabe 2015/2 (Seite 63-68)

Freigeist-Fellow Dr. Volker Busskamp kombi-niert in einem neuen Ansatz Bioin-genieur- und Neurowissenschaften sowie Stammzellforschung. Sein Ziel ist es, funktionsfähige mensch-liche Nervenschaltkreise künstlich herzustellen: zum einen, um mehr über bestimmte Eigenschaften unseres Nervengewebes zu erfah-ren; zum anderen in der Hoffnung, dass die Erkenntnisse therapeuti-sches Potenzial etwa für neurode-generative Erkrankungen haben.

Schwerpunktthema

Neue Sichtachsen und Zugänge

Dr. Volker Busskamp entwickelt eine Technik, mit der sich Stamm-zellen schnell und passgenau zu NervenStamm-zellen ausdifferenzieren lassen. Das Ziel: neue Behandlungsoptionen für verschiedene Erkrankungen. Der Bildschirm zeigt den Ausschnitt einer Netz-haut; die Erforschung des Sehverlusts ist eines seiner Themen.

Induzierte pluripotente Stammzellen, deren Ver-wendung weniger ethische Probleme und gesetz-liche Vorschriften mit sich bringt als die Arbeit mit embryonalen Stammzellen, bergen unzählige Möglichkeiten für die medizinische Forschung.

Sie sind wandlungsfähige Alleskönner, die sich prinzipiell zu jeder beliebigen spezialisierten Zelle weiterentwickeln können beziehungsweise züch-ten lassen: zum Beispiel zu Haut-, Herzmuskel- oder Leberzellen, weißen Blutkörperchen – oder eben Nervenzellen. Wenngleich iPS-Zellen natür-lichen Stammzellen in vielen Eigenschaften stark ähneln, ist ungeklärt, ob sie in allen Merkmalen mit natürlichen Stammzellen übereinstimmen.

Einige gerade in jüngster Zeit vorgelegte Studien sprechen eher dagegen.

iPS-Zellen kommt vermutlich auch (hohes) thera-peutisches Potenzial zu. Sie gelten aus medizini-scher Sicht als Ausgangspunkt, um erkrankte oder abgestorbene Zellen des Körpers zu ersetzen. Dies ist umso mehr von Bedeutung, als sich im Prinzip für jeden Menschen individuell zugeschnittene, also passende iPS-Zellen erzeugen lassen, die im Falle einer Transplantation vom Körper nicht abgestoßen werden.

Freigeist-Fellow Volker Busskamp plant nun, mit von ihm zunächst aus Stammzellen generierten künstlichen Nervenzellen in einem weiteren Schritt funktionale menschliche Nervenschalt-kreise herzustellen, um so Rückschlüsse auf die Eigenschaften menschlichen Nervengewebes zie-hen zu können sowie neurodegenerative Erkran-kungen zu modellieren. Sein Vorgehen ist dabei überraschend anders. Inwiefern und was er genau vorhat und damit perspektivisch erreichen will:

Darüber sprach er mit Christian Jung.

A

usgestattet mit einem Freigeist-Fellowship der VolkswagenStiftung, arbeitet Dr. Volker Busskamp seit Herbst 2014 im DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der Technischen Universität Dresden an der Entwicklung einer Technik, mit der sich Stammzellen schnell und zielgerichtet zu Nervenzellen ausdifferenzieren lassen sollen. Nun sind Stammzellen nicht gleich Stammzellen: Man unterscheidet zunächst grundsätzlich nach Art des Zelltyps und deren Potenzial. So haben einige Stammzellen die Fähigkeit, sich in jegliches Gewe-be zu entwickeln (embryonale Stammzellen), andere können nur noch in bestimmte festgelegte Gewebetypen ausdifferenzieren (adulte Stamm-zellen). Darüber hinaus gibt es die sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) sowie multipotente Stammzellen.

Als pluripotent werden Zellen bezeichnet, die schon einmal ausdifferenziert waren, sich nach ihrer „Rückversetzung“ in ein früheres Stadium aber wieder in sämtliche Körpergewebe umwan-deln können; multipotente vermögen das zumin-dest in einige Zelltypen. Die künstliche Reprogram-mierung ausdifferenzierter Zellen des Körpers, die wie beschrieben zu den iPS-Zellen führt, lässt sich inzwischen durch verschiedene Techniken anre-gen. Im Jahr 2012 wurde für die Entdeckung der iPS-Zellen der Nobelpreis für Medizin vergeben.

Text: Christian Jung // Fotos: Sven Döring

Die Weitergabe seines Wissens ist ihm wichtig. Regelmäßig lädt Volker Busskamp die am Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) in einer Vielzahl von Arbeitsgruppen beschäftigten Nachwuchswissenschaftler zu Seminaren ein.

Entscheidend ist, dass es mir zu Beginn gelingt, aus bestimmten Stammzellen Nervenzellen zu züchten, die dann später gezielt verknüpft werden können. Ich verwende adulte menschliche, genau-er: induzierte pluripotente Stammzellen – wir nennen sie kurz iPS-Zellen (nähere Erklärung siehe Einleitungstext). Sie sind ethisch unbedenklich und haben das Potenzial, in Nervenzellen zu dif-ferenzieren; sie sind einfach zu handhaben und zu modifizieren. Eine unserer Zwischenetappen ist es, unmittelbar in Stammzellen genetische Faktoren so kontrollieren zu können, dass eben jene Stammzellen sich verlässlich in verschiedene Typen von Nervenzellen programmieren lassen.

Sobald ich eine Palette unterschiedlicher Ner-venzellen stabil vorliegen habe, wird die nächste Herausforderung sein, einzelne davon gezielt zu verbinden. Dazu werden wir auf Objektträgern bioaktive Polymere in Form von Schaltkreisen auf-bringen und anschließend die Zellen hinzugeben.

Die Nervenfortsätze können nur an den Polyme-Herr Busskamp, Sie wollen eine neue Technik

entwickeln, um eines der komplexesten biologi-schen Systeme besser erforbiologi-schen zu können – das Gehirn. Können Sie kurz detaillieren, was Sie kon-kret vorhaben und inwiefern Stammzellen dabei eine Rolle spielen?

In der Tat ist das menschliche Gehirn äußerst komplex. Man schätzt, dass es 100 Milliarden Ner-venzellen gibt, und eine einzelne Nervenzelle kann bis zu 30.000 Verknüpfungen mit anderen Zellen eingehen. Nun ist Nervenzelle nicht gleich Nerven-zelle; es gibt nach derzeitigem Wissensstand schät-zungsweise rund 320 verschiedene Zellklassen mit einen unbekannten Zahl an Subtypen. Um dieser Komplexität entgegenzutreten, konzentrieren sich viele Forscher in ihrer Arbeit traditionell auf spe-zielle Hirnareale. Mein Ansatz zielt nun nicht auf eine Fragmentierung des menschlichen Gehirns, sondern ich möchte einzelne Nervenschaltkreise kreieren – also letztlich ebenfalls Teile des Gehirns, aber ich sehe mehr den übergreifenden Vernet-zungsaspekt als die Anatomie.

Volker Busskamp studierte zunächst Biotechnologie an der Technischen Universität Braunschweig. Im Anschluss erwarb er an der Universität Genf ein Postgraduiertendiplom in Biologie und promovierte 2010 in Neurobiologie am Friedrich Miescher Institut für Biomedizinische Forschung der Universität Basel.

2011 folgte der Sprung in die USA an die Harvard Medical School in Boston. Seit Ende 2014 leitet er die Forschungsgruppe zur

„Entwicklung synthetischer menschlicher Nervenschaltkreise“

am Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden.

Der erst 34-Jährige hat bereits zahlreiche Fellowships und Auszeichnungen erhalten. Er ist einer der elf „Freigeist-Fellow-Pioniere“, die 2014 – gefördert mit insgesamt 8,2 Millionen Euro – als Gewinner der ersten Wettbewerbsrunde der neuen Förder-initiative der VolkswagenStiftung mit ihren Projekten starten konnten. Das fachoffene Freigeist-Angebot richtet sich an

exzel-lente Postdoktorandinnen und Postdoktoranden, die risikobe-haftete, unkonventionelle Forschung an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen betreiben möchten. Es soll dem wissenschaftlichen Nachwuchs neue Wege im

Wissenschafts-system eröffnen und Karriereperspektiven bieten. Davon pro-fitieren inzwischen weitere acht Fellows, die im Frühjahr 2015 erfolgreich aus der zweiten Wettbewerbsrunde hervorgingen und im Laufe des Jahres 2015 mit ihren Projekten beginnen.

zumindest bei einem nicht unerheblichen Anteil der Betroffenen ein oder mehrere Gendefekte der Krankheit zugrunde liegen können.

Was die Technik und die Handhabbarkeit angeht:

Grundzüge der von meiner Arbeitsgruppe jetzt eingesetzten Technik, Stammzellen besonders schnell in Nervenzellen umzuwandeln, habe ich in den USA mit entwickelt. Beim Menschen können wir die Informationsverarbeitung im Gehirn bis-her kaum unmittelbar überprüfen – aus ethischen Gründen, aber auch, da immer gleich unzählige Nervenzellen beteiligt sind und komplex zusam-menwirken. Mein Verfahren ermöglicht es nun, zwei oder künftig einmal auch mehrere Neuronen gezielt und reproduzierbar zusammenzuschalten und damit in der Petrischale zu überprüfen, wie menschliche Nervenzellen Informationen verar-beiten: wie letztlich also unser Gehirn in dieser Hinsicht funktioniert.

Alles in allem ist es also Ihr Ziel, Zusammenhänge zu erkennen, die bestehen bei Prozessen wie etwa der Zellentwicklung, der Zellmorphologie, der Kommunikation zwischen Zellen mittels Boten-stoffen und anderen Molekülen – bis hin zu der Frage, was sich daraus für die eine oder andere Erkrankung ableiten lässt …

ren haften und entlangwachsen. Auf diese Weise sollte es uns gelingen, verschiedene Zellen gezielt zusammenzuführen. An definierten Knoten-punkten werden wir versuchen, eine kontrollierte Synaptogenese zu induzieren, das heißt: zellu-läre Verbindungen zu schaffen. Auf diese Weise erhalten wir funktionale Nervenschaltkreise aus menschlichen Zellen.

Zusammengefasst: Bei Ihrem Projekt geht es dar-um, synthetische Nervenschaltkreise zu kreieren.

So wie Sie das erläutern, hört sich das ebenso logisch nachvollziehbar wie zugleich schwie-rig in der Umsetzung an. Beherrschen Sie denn bereits das nötige Handwerk dafür – und welches womöglich therapeutische Ziel wollen Sie genau erreichen?

Um mit dem Ende Ihrer Frage zu beginnen: Letzt-lich geht es darum, auf der Basis meines Ansatzes herauszufinden, wie das menschliche Gehirn Informationen verarbeitet. Spannend wird es auch, wenn es uns – deshalb verwenden wir Zel-len vom Menschen – gelingt, krankheitsrelevante Mutationen einzufügen, um biomedizinische Anwendungen für bestimmte neurodegenerative Erkrankungen zu erforschen. Denken Sie allein einmal an das mögliche therapeutische Potenzial bei Parkinson, hier weiß man ja inzwischen, dass

Blick in die Tierhaltung im Keller des

Forschungs-zentrums für Regenera-tive Therapien in Dresden (CRTD). Hier tummeln sich, bestens betreut von Anja Wagner (links) und Beate Gruhl,

Krallenfrö-sche, Zebrafische und ein großer Bestand an Axolotln, einer in Mexiko in unterirdischen Höhlen lebenden Salamanderart.

Ja. Denken Sie allein einmal daran, dass sich bis-lang – etwa bei vielen Hirnerkrankungen – zahl-lose wechselseitige Abhängigkeiten auf biomole-kularer oder anderen Ebenen mangels geeigneter Techniken und Methoden und wegen der enor-men Menge beteiligter Nervenzellen längst noch nicht lückenlos erforschen oder sicher beschreiben lassen. Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Bei einer neurodegenerativen Erkrankung wie Alzhei-mer oder auch der Netzhautdegeneration sterben bestimmte Zellen ab. Doch es nützt nichts, nur diese Zellen zu betrachten, denn man weiß mitt-lerweile, dass sich eine einzelne Nervenzelle nicht als geschlossene Einheit begreifen lässt. Jede Zelle bekommt Inputsignale, verarbeitet diese und sen-det sie weiter zu unter Umständen gleich mehre-ren postsynaptisch gelegenen Zellen. Daher wäre es erstrebenswert, überschaubare multizelluläre menschliche Nervenschaltkreise als Modell zu haben. Zum einen, um von der Betrachtungsebene der einzelnen Nervenzelle wegzukommen; zum anderen, um neuen Therapieansätzen losgelöst von Tiermodellen nachgehen zu können. Eben in diese Lücke stößt mein Ansatz.

Sie sagen, Sie wollen sich nicht auf ein bestimmtes Hirnareal beschränken. Aber wäre das nicht doch der einfachere Weg – gerade im Hinblick darauf, dann schneller ein wissenschaftlich belastbares Modell an der Hand zu haben?

Eine solche Fokussierung erscheint in der Tat zunächst einmal plausibel, jedoch können wir zurzeit nur eine sehr geringe Anzahl von Nerven-zellen herstellen. Bisher haben wir zu wenige

Zell-typen, die ein Hirnareal sinnvoll repräsentieren könnten. Daher ist der erste Schritt, so viele Bau-teile wie möglich zu erzeugen – das heißt, mög-lichst viele verschiedene Nervenzellen für unsere Verknüpfungsversuche zu bekommen.

Sie sind von Haus aus Biotechnologe; das was Sie tun, könnte man als neurobiologisch inspirierte Bioingenieurwissenschaften bezeichnen … – ein neues Forschungsfeld?

Man könnte meine Arbeit in der Tat so deklarie-ren. In jedem Fall eröffnet eine solche Zusam-menführung etablierter Disziplinen neue Forschungsräume, aber ob sich da am Ende ein neues Forschungsfeld auftut, wird die Zukunft zeigen. Den Weg, den ich gehe, ist noch kaum jemand gegangen: Bioingenieurwissenschaften, Stammzellforschung und Neurowissenschaften zu kombinieren, um mit künstlich hergestellten, funktionsfähigen menschlichen Nervenschalt-kreisen eine neue Methode zu etablieren, die dann therapeutisches Potenzial entfalten soll.

Für die fernere Zukunft denken Sie sogar an „bio-logische Computer“. Was meinen Sie damit?

Zunächst einmal ist mir wirklich daran gelegen, dass die neue Methode funktioniert und dazu beiträgt, neuronale Krankheiten wie Alzheimer oder Netzhautdegeneration besser zu erforschen und zu verstehen. Davon ab: Wir gehen ja generell davon aus, dass Nervengewebe eine Art biolo-gischen Computer darstellt. Jedoch ist es in den vergangenen hundert Jahren trotz intensiver Forschung nicht gelungen, den neuronalen Code

Ein Transilluminator macht deutlich, was zuvor geschah:

Zunächst wurde die Erb-substanz DNA in einem Gel aufgereinigt. Dann werden bestimmte, mithilfe des Illuminators identifizierte DNA-Fragmente aus dem Gel ausgeschnitten, um diese anschließend mithilfe von Vektoren klonieren zu können.

Sie haben für das Freigeist-Fellowship die Harvard Medical School in Boston hinter sich gelassen. Nun ist Dresden Ihr neuer Wirkungsort. Warum haben Sie gerade das Forschungszentrum für Regenera-tive Therapien Dresden (CRTD) ausgewählt, es gibt doch sicher einige mindestens ebenso renommier-te Einrichtungen in Deutschland, an die man bei Ihrem Forschungsthema sofort denkt …

Vermutlich käme im ersten Moment niemand auf die Idee, die Gesamtsituation in Harvard und Dres-den zu vergleichen. Betrachtet man allerdings Dres-den biomedizinischen Campus der Technischen Univer-zu knacken, also jene Sprache in Form von

Aktions-potenzialen zu entschlüsseln, mit der Nervenzellen kommunizieren. Die definierten und isolierten synthetischen Schaltkreise unter konstanten Bedin-gungen, die ich schaffen will, könnten dazu beitra-gen, dieses Rätsel zu lösen. Im Umkehrschluss kann man die synthetischen Schaltkreise auch als biolo-gische Computer verstehen, die bestimmte Infor-mationen verarbeiten können. Die ersten techni-schen Computer konnten am Anfang auch nur eins plus eins rechnen. Mal sehen, was wir in Zukunft durch Nervenzellen berechnen lassen können …

Auszeichnung

Im Dokument Impulse Ausgabe 2015/2 (Seite 63-68)