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Man bringt Autoren und Forscher an einem Ort zusammen und beide

Im Dokument Impulse Ausgabe 2015/2 (Seite 79-82)

profitieren voneinander. Hier und da entwickelt sich etwas anders als geplant; da und dort entsteht Neu-es: mal ein Text, mal entfaltet sich eine wissenschaftliche Idee. Dann und wann formulieren sich Erkennt-nisse, scheinen Zusammenhänge auf. Klingt nach einem guten Pro-jekt? Ist ein gutes Projekt! Auf nach Oldenburg, Bremen, Delmenhorst – oder eigentlich: in die weite Welt.

Januar 2015: Treffen der am Projekt „Fiction Meets Science“ Beteiligten in der Universitätsbibliothek Bremen; hier das Leitungsteam (von links):

Norbert Schaffeld (Universität Bremen), Anton Kirchhofer (Universität Oldenburg), Uwe Schimank (Universität Bremen), Peter Weingart (Universität Bielefeld) sowie Susan M. Gaines (Universität Bremen).

Schwerpunktthema

Neue Sichtachsen und Zugänge

machen. Ein wenig scheint es, als sei hier ein Markt entstanden, der (s)ein – neues? – Publikum gefunden hat. Und ein Blick auf die Bestsellerli-sten bestätigt, dass es offenkundig eine „junge“, frische, eigene Art von Wissenschaftsromanen gibt, die gut ankommt: ob Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ oder Ann Patchetts „Fluss der Wunder“; ob Judith Schalanskys „Der Hals der Giraffe“ oder Barbara Kingsolvers „Das Flugver-halten der Schmetterlinge“; ob Frank Schätzings

„Der Schwarm“ oder Susan M. Gaines’ „Carbon Dreams“. Doch warum sind solche Werke jüngst so erfolgreich, insbesondere im angelsächsischen Raum? Wie treffen Wissenschaft und Gesell-schaft im Roman aufeinander? Welches Bild von Naturwissenschaft wird in der modernen Wis-senschaftsliteratur vermittelt? Und wie im Detail werden in der aktuellen Romanliteratur naturwis-senschaftliche Erkenntnisprozesse zum Thema gemacht? Helfen solche Romane gar, die Welt und wie sie funktioniert, besser zu verstehen?

Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich ein 16-köpfiges, interdisziplinär aufgestelltes Forscherteam in Bremen, Oldenburg und am Hanse-Wissenschaftskolleg (HWK) in Delmen-horst in dem von der VolkswagenStiftung mit 770.000 Euro geförderten Projekt „Fiction Meets Science. The World of Science under the Literary Microscope“. Das Team untersucht Romane wie die eingangs genannten und deren Wirkung aus literaturwissenschaftlicher und soziologischer Perspektive und legt dabei die literarische Auf-arbeitung des Wissenschaftsbetriebes in diesen Büchern unter das Brennglas, um dort in aller gebotenen Ruhe zu sezieren.

Mitte 2015 nun befindet sich das auf drei Jahre angelegte Vorhaben, das untergliedert ist in ein Dutzend Teilprojekte, auf seinem Zenit und biegt allmählich auf die Zielgerade ein. Es gilt, am Ende wohl zumindest der Beantwortung einer zentra-len Frage nahezukommen: „In welcher Form, auf welche Weisen kann das Bild von Wissenschaft, das die Romane entwerfen, auf die Gesellschaft wirken – beziehungsweise auch in die Wissen-schaft zurückwirken?“, fasst Projektkoordinatorin

D

er Evolutionsbiologe Frank Moebus ist ein Star seines Forschungsgebiets. Urzellen in der Tiefsee hat er entdeckt, eine bis dato unbekannte Lebensform. In seinem Kieler Universitätslabor wird eines Abends zwischen zersplitterten Aqua-rien und auf dem Boden zappelnden Fischen einer seiner Assistenten mit aufgeschlitzter Kehle auf-gefunden. Ein weiterer Mitarbeiter des Forscher-teams hat sich augenscheinlich aus dem Fenster gestürzt. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Ist dies der bittere Ausgang eines Streits unter Kollegen?

Als mehrere prominente Forscher Moebus öffent-lich vorwerfen, ihren Labors trotz mehrfacher Bitten zwecks Überprüfung seiner wissenschaft-lichen Entdeckung keine der spektakulär in der Tiefsee gefundenen Zellen zu überlassen, drängt sich jedoch mindestens noch eine ganz andere Vermutung auf …

Bereits mit seinen Romanen „Wenzels Pilz“ und

„Der Rote“ und auch seinen populären Sachbü-chern wie „Die Ameise als Tramp“ oder „Epigenetik.

Wie Erfahrungen vererbt werden“ feierte der Autor Bernhard Kegel große Erfolge. Gekonnt meistert der promovierte Biologe in beiden Genres – Fiktion hier, populärwissenschaftliches Sachbuch dort – auf jeweils passende Weise den Brückenschlag zwischen der publikumsfreundlichen Vermitt-lung fundierten Fachwissens und dem sorgsamen Gebrauch selbst komplexer, stets wissenschaftlich valider Fakten. All das verbindet er mit talentvol-lem Schreibstil. In seinem bislang letzten Wissen-schaftskrimi um den Biologen Frank Moebus nun taucht er ein in den akademischen Mikrokosmos.

„Ein tiefer Fall“ erzählt von den Schattenseiten der Forschungswelt, in der Konkurrenzdruck und Ruhmsucht selbst die Angesehensten jegliche wissenschaftliche Korrektheit und Fairness ver-gessen lassen. Nun gut, man kennt das. Aber ist es ein reales Problem, dessen tatsächliches Ausmaß oftmals doch deutlich unterschätzt wird? Kegel vermittelt über die Geschichte in diesem Buch, dass das wohl tatsächlich der Fall ist.

Bernhard Kegel ist nur einer von in jüngerer Ver-gangenheit zahlreichen Autoren, die Wissenschaft auf andere Weise zum Gegenstand von Literatur

Text: Christian Jung

Fotos: Michael Löwa (Interview) und Helge Krueckeberg (Bremen) // Illustrationen: Dorota Gorski

ben zugrunde liegende Motivation spiegelt und bereits zu einem möglichen Argument hinleitet, warum Werke wie die eingangs genannten ein Publikum finden und reüssieren. „In diesen neuen Wissenschaftsromanen wird meist unmittelbar auf naturwissenschaftliche Vorgänge, Prozesse und Ideen abgestellt sowie auf die komplexen Beziehungen zwischen Wissen und den Men-schen, die es erschaffen oder die davon betroffen sind“, ergänzt Susan Gaines, deren Buch Carbon Dreams ein frühes Beispiel für diese neue Art von Wissenschaftsliteratur ist. Die Meeresforscherin, die seit Langem Romane schreibt, arbeitet zurzeit an der Universität Bremen im Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaften und bildet in dem Projekt eine Brücke zwischen der Vielzahl einge-bundener Autoren und Naturwissenschaftler.

Susan Gaines zusammen. Und darüber hinaus:

Welches Bild von Wissenschaft, sofern diese Frage überhaupt verallgemeinerbar zu beantworten ist, lasse sich aus den Romanen extrahieren?

Vom „absonderlichen Forscher“ hin zum möglichst genauen Abbild des Wissenschaftsbetriebes

„Am Beginn des 21. Jahrhunderts bestehen viele hochkomplexe Schnittflächen und wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den Naturwissenschaf-ten einerseits und Gesellschaft, Politik und Wirt-schaft zum anderen“, nennt Professor Dr. Uwe Schimank vom Institut für empirische und ange-wandte Soziologie der Universität Bremen einen Aspekt, der zugleich eine dem

Forschungsvorha-„Der Fuchs hatte mit gesträubten Nackenhaaren ausgeharrt, doch als sich der große Fen-sterflügel endlich mit einem lauten Quietschen nach innen bewegte, reichte es ihm. Sein Weg würde ihn dicht am Ort des Geschehens vorbeiführen. Er fiel in leichten Trab und lief, immer schneller werdend, auf dem Schwarzen Weg zum Mensaparkplatz und weiter bis zum Biologiezentrum. Das helle Licht brannte noch immer, er vermied es aber, nach oben zu schauen. Das Fahrrad, das an einem der vielen, den Weg zum Eingang säumenden Stahlbögen angeschlossen war, beachtete er nicht, genauso wenig wie die beiden PKWs, die hinter dem Biologiezentrum parkten. Er wollte nur noch weg von hier. Und da alles, was nach dem Öffnen des Fensters geschah, völlig geräuschlos vor sich ging, sah er auch den in diesem Moment aus dem zwölften Stock herabstürzenden menschlichen Körper nicht. Er hörte nur den dumpfen Laut, als etwas hinter ihm auf ein Dach des Flachbaus aufschlug, zuckte zusammen, schoss ein paar Meter nach vorne, wandte sich schließlich mit zittern-den Flanken um und blickte nach oben zur Dachkante. Das Fenster, an dem die Gestalt gestanden hatte, war offen, der dazugehörige Raum nach wie vor hell erleuchtet. Davon abgesehen war nichts Ungewöhnliches zu erkennen.“

(aus: Bernhard Kegel „Ein tiefer Fall“)

Im Gespräch mit ihr und ihren Projektkollegen wird wie im Zeitraffer noch einmal die Entwicklung deutlich, die diese Literaturgattung durchlaufen hat: Während im 19. und weit ins 20. Jahrhundert hinein Naturwissenschaft in entsprechend populä-ren Werken oft oberflächlich behandelt und in ste-reotypen und klischeehaften Charakteren wie dem

„absonderlichen Wissenschaftler“ repräsentiert wurde, gehen die neuen Romane den Verstrickun-gen und WirkunVerstrickun-gen der Naturwissenschaft in der Welt nach, in der wir heute leben. „Sie nehmen ihre Leser mitten hinein in die naturwissenschaftliche Wissensproduktion“, meinen Schimank und Gaines unisono. Die Autorin und Wissenschaftlerin ist sich sicher: „Wir leben in einer Zeit des Umbruchs in der literarischen Beschäftigung mit Naturwissen-schaft“, betont sie mehrfach. „Die anspruchsvolle zeitgenössische Belletristik zielt zunehmend auf den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess und seinen gesellschaftlichen Ort.“ Deshalb sei es zwingend geboten, die literarischen und gesell-schaftlichen Auswirkungen dieses kulturellen Trends auszuloten.

Reichlich Gelegenheit dazu hatten Mitte Novem-ber 2014 etwa sechzig Geistes- und Sozialwissen-schaftler, Schriftsteller und Naturwissenschaftler aus Europa, Nordamerika und Australien während einer gut dreitägigen Veranstaltung am HWK

in Delmenhorst und in Bremen. Sie diskutierten über eben diese literarische Entwicklung – und gleichzeitig darüber, was ihre Forschungen lehren über die naturwissenschaftliche Praxis und deren gesellschaftliche Einrichtungen, über die Natur wissenschaftlicher Erkenntnis und über unsere

„Wissens“-Gesellschaften, die den Ausbau voran-treiben dieses Wissens, das zugleich ihr innerer Antrieb ist. Bei dieser Veranstaltung wurde sofort die breite Basis sichtbar, auf der das Vorhaben steht und von der es profitiert. So ist eines der Standbeine ein gleich zu Beginn des Kooperati-onsprojekts geknüpftes Netzwerk internationaler Autoren, die in standardisierten Erhebungen und Interviews im Laufe des Projekts danach befragt werden, wie und auf welche Weise die Wissen-schaft in die Fiktion kommt. Dieses Netz spülte nun viele in ihm Verwobene, neugierig Geworde-ne für drei Tage in die niedersächsische Provinz.

„Ist es nicht pure Alchemie, aus Physik Fiktion zu machen …?“

Die Tagung öffnete gleich mit einem Pauken-schlag. Die vielfach preisgekrönte Philosophin und Autorin von Romanen und Sachbüchern Rebecca Goldstein stellte in der weit über den letz-ten Sitzplatz hinaus gefüllletz-ten Bremer Stadtwaage

„Wäre es nicht verlockend, als Pflanze zu existieren? Man hätte Blätter, die mit ihrem Chlorophyll Photosynthese betreiben. Die Energieversorgung wäre dauerhaft gesichert.

Sorgen gäbe es keine mehr, man müsste nicht

Im Dokument Impulse Ausgabe 2015/2 (Seite 79-82)