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4. Das Suchtgedächtnis

4.1. Tiermodelle der Substanzabhängigkeit

4.2.1. Das ‚Point-of-no-Return’-Modell

Die Muster von Alkoholkonsum – bis hin zur Abhängigkeit – entwickeln sich in Phasen. Eine Phase der initialen Auseinandersetzung mit der Droge, hier dem Alkohol, beinhaltet die Entwicklung eines Konsummusters, eines angemessenen Umgangs mit der Droge. Dies entspricht dem sozialen, gesellschaftlich akzeptier-ten Trinken. Bei einem Teil der Individuen kommt es nach einiger Zeit zum Verlust der Kontrolle mit drastischer Erhöhung des Konsums. Das Konzept eines ‚Point-of-no-Return’, also des Zeitpunkts der irreversiblen Entwicklung der Abhängigkeit, legt die Überlegung nahe, dass es zwei Phasen in der Entwicklung der Abhängig-keit gibt: die Phase des kontrollierbaren Konsums und die des unkontrollierbaren Konsums. Zwischen beiden Phasen ist eine Übergangsphase zu vermuten (Coper, Rommelspacher et al. 1990). Dies ist im Tiermodell darzustellen.

Wolffgramm hat mit seiner Arbeitsgruppe an einem Tiermodell der Abhängigkeit gearbeitet, das die Entwicklung des Kontrollverlustes, wie auch Dauer und Menge des Alkoholkonsums, als zentrales Kriterium der Abhängigkeit abbildet (Wolffgramm 1991; Wolffgramm and Heyne 1991; Wolffgramm and Heyne 1995).

Ratten des Wi-Star Stammes erhalten freien Zugang zu Wasser und Alkohollö-sungen von 5, 10 und 20 Volumenprozent. Zu Beginn des Versuchs experimentie-ren die Tiere mit dem Konsum. Tage hohen Konsums wechseln sich mit Tagen niedrigen Konsums oder der Abstinenz ab. Die konsumierte Tagesdosis und das zeitliche Muster sind instabil und kaum vorhersagbar. Die Ratte scheint mit dem Alkohol zu experimentieren. Der Geruch und der Geschmack der Alkohollösung haben einen starken Einfluss auf das Trinkverhalten. In dieser Zeit lernt das Tier die zentralnervösen Aspekte des Alkohols einzuschätzen und seinen Konsum zu regulieren. Dieses Trinkverhalten verändert sich nach ein bis zwei Wochen. Die Ratte entwickelt ein individuelles, stabiles Konsummuster. Dieses Konsummuster besteht über einen längeren Zeitraum, der mehrere Monate andauern kann (Wolffgramm 1990). Es handelt sich um kontrollierten Konsum, der die sozialen Verpflichtungen des Tieres, das Explorationsverhalten oder gegenseitige Fellpfle-ge, nicht beeinträchtigt. Der Konsum scheint durch die inneren Bedingungen – Instinkt und Verhaltensmuster – kontrolliert. Auch äußere Bedingungen haben ei-nen Einfluss auf den Konsum. Die soziale Stellung in der Gruppe ist von Bedeu-tung. Dominante männliche Tiere konsumieren weniger als subordinante Männ-chen. Sozialer Stress führt zu einer Erhöhung des Konsums, vor allem bei domi-nanten Männchen. Die Tiere scheinen gezielt die psychotrope Wirkung des Alko-hols zu nutzen.

Nach etwa sechs bis neun Monaten kommt es bei einem Teil der Tiere zu einer Veränderung im Konsummuster. Der Alkoholkonsum steigt über einen längeren Zeitraum deutlich an. Die Veränderungen der Umgebungsbedingungen zeigen nunmehr keinen Einfluss auf den Konsum (Wolffgramm and Heyne 1991). Nach einer Abstinenzphase von einem bis neun Monaten zeigen diese Tiere gegenüber alkoholnaiven Tieren bei der erneuten Exposition mit Alkohol ein deutlich abwei-chendes Verhalten. Die Tiere beginnen sofort hohe Mengen Alkohol zu

konsumie-ren. Die in alkoholnaiven Tieren zu beobachtende Eingangsphase, in der der Um-gang mit der Droge gelernt wird, entfällt. Auch Vergällung der Lösung mit Chinin führt nicht zu einer Reduktion des Konsums. Dabei ist diese Veränderung von dem ADE zu unterscheiden. Der ADE dauert wenige Tage an und erlischt danach.

Die in diesem Tiermodell zu beobachtenden Veränderungen weisen eine Zeitsta-bilität auf. Auch war nach der Reexposition zu beobachten, dass die soziale Posi-tion oder Umgebungsbedingungen keinen Einfluss auf den Konsum haben. Das Konsumverhalten ist nicht nur in der Menge, sondern auch in der Rigidät und dem Zwang trotz widriger Umstände – z.B. der Vergällung – zu konsumieren, patholo-gisch. Es scheint angemessen, hier von einer Alkoholabhängigkeit zu sprechen.

Diese Veränderungen im Verhalten der Ratten scheinen permanent zu sein. Abs-tinenz, bis zu einem Drittel des Rattenlebens, führt nicht zu einer Löschung des Verhaltens. Bei Reexposition beginnen die ‚abhängigen’ Ratten erneut massiv zu konsumieren. In diesem Tiermodell zeigt sich nach einer offensichtlich sensiblen Phase in der Entwicklung der Abhängigkeit ein Umschlagen in eine fixierte Ab-hängigkeit, die dann permanent besteht. Ein Point-of-no-Return in der Entwicklung der Abhängigkeit zeigt sich hier tatsächlich (Spanagel 2000).

4.3. Beiträge aus Neurobiologie und klinischer Forschung

Experimentelle Induktion einer Abhängigkeit verbietet sich am Menschen. Insofern bleibt die Untersuchung Abhängiger, vorwiegend in der Abstinenz oder im Über-gangsstadium vom aktiven Konsum zur Abstinenz. Hier sind besonders die Er-gebnisse bildgebender Verfahren zu erwähnen.

Veränderungen im Metabolismus der Nervenzelle bei chronischen Alkoholikern konnten mittels der Multislice-Protonen-Magnet-Spektroskopie dargestellt werden.

Interessant ist, dass sich hier eine Reversibilität der Pathologie unter Abstinenz zeigt (Ende 2005). Insgesamt konnte bisher keine strukturelle, permanente Patho-logie der Struktur im Zentralnervensystem (ZNS) überzeugend belegt werden (Volkow, Fowler et al. 2004; Spanagel and Heilig 2005). Auch Volkow geht davon aus, dass die Effekte der Drogen zu einer lang anhaltenden positiven Bewertung

im ZNS führen. Hier löst er sich in seiner Betrachtung von der akuten Drogenwir-kung im Sinne z.B. der Dopaminausschüttung und kommt zu einer Auffassung, die eher mit einer Idee von Lernen übereinstimmt. Von Bedeutung sind Befunde zur Konfrontation abstinenter Alkoholiker mit Bildern, die Bezug zur Droge haben, also als Auslösereize dienen können. Im Unterschied zu nicht abhängigen Probanden fand sich bei den Abhängigen eine Aktivierung des ventralen Putamen durch dro-genspezifische Auslösereize, die sich in der funktionellen Kernspintomografie ab-bildete. Die Probanden, bei denen die stärkste Aktivierung des Putamen zu beo-bachten war, wurden innerhalb der nächsten drei Monate rückfällig (Braus, Wrase et al. 2001). Dies wurde mehrfach bestätigt (Wrase, Grusser et al. 2002). Auch in den Ereignis korrelierten Potentialen konnte die Auswirkung spezifischer Stimuli dargestellt werden (Herrmann, Weijers et al. 2000). Diese Aktivierung durch spezi-fische Auslösereize scheint die neurobiologische Fundierung des von Abhängigen so oft geschilderten abrupten Anspringens des Verlangens nach einer Droge durch einen spezifischen Auslösereiz zu sein und bildet einen spezifischen Unter-schied gegenüber nicht Abhängigen ab. Es liegt nahe hier von Lernen zu spre-chen.

4.4. Das Suchtgedächtnis

Klinische Erfahrung lässt in der Schilderung von einigen Rückfallsituationen an die Auslösung einer Erinnerung, also an Gedächtnis denken. Der Anblick eines Gla-ses Bier, der Geruch von Spirituosen oder auch die Wahrnehmung einer komple-xen Reizkonstellation lässt ein intensives, unmittelbares Verlangen nach der Dro-ge ansprinDro-gen. Im Tiermodell der Alkoholabhängigkeit finden sich überzeuDro-gende Hinweise zu Vorgängen des Lernens und der Gedächtnisbildung. Spätestens seit der Einführung des Begriffs Reinstatement durch Edwards und Gross 1976 sind Grundlinien des Konzepts eines Suchtgedächtnisses in die wissenschaftliche Dis-kussion eingeführt (Edwards and Gross 1976). Schrappe sprach von einem Addic-tion-Body-Memory, um die leibliche Qualität des Erlebens zu beschreiben (Schrappe 1978).

In der Gedächtnisforschung wird gegenwärtig zwischen explizitem und implizitem, bzw. noetischem und anoetischem Gedächtnis unterschieden (Markowitsch and Welzer 2005). Dabei werden vier Gedächtnisarten diskutiert: Zwei deklarative des expliziten Lernens (ein semantisches Gedächtnissystem für erworbenes, sprach-lich gebundenes Wissen und ein prozedurales System für erlernte Fähigkeiten, bzw. Handlungsabläufe) und zwei nicht deklarative im Sinne des impliziten Ge-dächtnisses. Die Subsysteme des impliziten Gedächtnisses umfassen das episo-dische Gedächtnis und das Priming (Böning 2000; Böning 2001). Implizites Ge-dächtnis ist nicht mit dem Gefühl von Erinnern verbunden, arbeitet sehr schnell und ist teilweise an Stimuli gebunden (Markowitsch 1997). Ein Großteil der le-bensgeschichtlichen und kontextuellen Zusammenhänge ist im impliziten Ge-dächtnis gespeichert. Das SuchtgeGe-dächtnis, das im Folgenden noch näher zu be-schreiben sein wird, ist im Wesentlichen dem System impliziter, anoetischer Erin-nerung zu zurechnen.

Anatomische Korrelate des episodischen Gedächtnisses sind das limbische Sys-tem (Einspeicherung und Konsolidierung), Assoziationsgebiete des zerebralen Cortexes (Abspeicherung) und der rechte fronto-temporale Cortex, zuständig für den Abruf. Der präfrontale Cortex wird ebenfalls mit der Funktion des Abgleichs von Stimuli als Teil des Belohnungssystems in Verbindung gebracht. Das Priming meint eine Erleichterung von Gedächtnisaktivierung für ähnliche Wahrnehmungs-muster unter Bezug auf alte Inhalte. Zerebrale Korrelate dieses vorbewussten Prozesses sind der Cortex (Einspeicherung und Konsolidierung) und Gebiete der primären sensorischen Felder für den Abruf. Zur Übersicht sei auf Böning verwie-sen (Böning 2000; Böning 2001). Böning verweist auch auf die Ähnlichkeit zu an-deren Vitalphänomenen, wie dem Schmerz und der Angst (Böning 2000). Unter Bezug auf die vorliegende Forschung scheint es angemessen von einem Schmer-gedächtnis oder Gedächtnis für Angst zu sprechen. Für das SchmerzSchmer-gedächtnis hat Rüegg hier die Bedeutung von Lernen und Gedächtnisbildung dargestellt (Rüegg 2003).

Delius (2001) zieht den Vorgang der Sensitivierung als Erklärung heran. Diese sei – abhängig von der Art der Droge – massiv und schnell eintretend. Im Tiermodell

reagieren Ratten einige Wochen nach einer einmaligen Amphetamininjektion mit gesteigerter motorischer Aktivität bei einer Folgeinjektion (Vanderschuren, Wardeh et al. 1999). Wiederholte Amphetamingabe führt bei Ratten zu neuronalen Verän-derungen in Ncl. Accumbens und präfrontalem Cortex (Robinson and Kolb 1997).

Hier könnte sich die Veränderung auf struktureller Ebene durch das Suchtmittel zeigen. Es bleibt jedoch eine offene Frage, ob dies im selben Umfang für andere Suchtmittel gilt, oder ob hier klinische Besonderheiten der Abhängigkeit von Psy-chostimulantien zu sehen sind. Spanagel interpretiert die vorliegenden Befunde dahingehend, dass schon eine einmalige Drogeneinnahme zu einer Gedächtnis-bildung führen kann und möglicherweise ein Leben lang erhalten bleibt (2001).

Zur Darstellung des Suchtgedächtnisses zieht Spanagel die Ergebnisse der For-schung im Tiermodell, besonders im Reinstatement-Modell und im Point-of-no-Return-Modell (2001), heran. Die Bedeutung des Suchtgedächtnisses sieht er – im Unterschied zum Drogengedächtnis – im Entstehen des Cravings. Vorel konnte vor kurzem zeigen, dass im Tierexperiment die elektrische Reizung des Hippo-campus zum Kokainrückfall führt, jedoch nicht die Reizung des dopaminergen Vorderhirnbündels. Drogenwirkung im Belohnungssystem und über das Suchtge-dächtnis entstehendes Cravings können hier differenziert dargestellt werden (Vorel, Liu et al. 2001). Hiermit rückt der Hippocampus als eine zentrale Struktur des Gedächtnisses in den Vordergrund. Eine alleinige Erklärung der Abhängigkeit durch die dopaminerge Neurotransmission und das Belohnungssystem ist also nicht möglich.

Eine ausführliche Sichtung der vorliegenden Erkenntnisse aus der Grundlagenfor-schung, dem Tiermodell, ist für das weitere Verständnis notwendig (Heyne, May et al. 2000). Ein wesentlicher Punkt für die Annahme der Existenz eines Suchtge-dächtnisses ist die Erkenntnis, dass forcierte Applikation einer Droge nicht zur Entwicklung einer Abhängigkeit im Tiermodell führt (Wolffgramm and Heyne 1995). Es bedarf offensichtlich der Kopplung von Motivation zur Drogeneinnahme mit der Drogenwirkung, die sich bei forcierter Exposition nicht entwickeln kann.

Denn hier stellt der Wunsch nach Flüssigkeitseinnahme die Motivation dar, der Drogeneffekt jedoch nur eine ‚Nebenwirkung’. Die forcierte Applikation, wenn

lan-ge lan-genug aufrechterhalten, führt zur Ausbildung einer Neuroadaptation mit der Folge der Entwicklung eines Entzugssyndroms bei Sistieren der Drogenzufuhr.

Bleibende Veränderungen, im Sinne des protrahierten Entzugs, sind nach Abklin-gen des Entzugssyndroms nicht nachzuweisen (Satel, Kosten et al. 1993). Wenn Ratten einem Opiat ausgesetzt werden, lässt sich die Drogenerfahrung an Zeit überdauernden Veränderungen im ZNS nachweisen. Allerdings finden sich keine Unterschiede zwischen dem Paradigma der freien Wahl und dem der forcierten Applikation. So können diese Veränderungen der dopaminergen Neurotransmissi-on nicht mit der Abhängigkeit in Verbindung gebracht werden, die sich nur bei den Tieren im Versuch der freien Wahl entwickelte (Heyne 1996). Dies lässt in die Richtung einer Gedächtnisbildung unter Nutzung der üblichen Strukturen denken, die das Suchtgedächtnis tragen.

Modelle der intermittierenden Substanzzufuhr versuchen einen Aspekt des huma-nen Konsummusters abzubilden. Hier zeigt sich eine Sensitivierung bei Opiatex-position (Vanderschuren, Tjon et al. 1997). Dieser Effekt klang bei den Ratten rasch ab, die forciert exponiert wurden und war bei den Tieren, die intermittierend exponiert wurden deutlich länger nachweisbar. Der Unterschied lässt sich mit dem Konzept eines Drogengedächtnisses erklären. Dieses Gedächtnis trägt nicht nur Erinnerung an die Drogenwirkung, sondern auch an Kontextfaktoren, sodass die Reagibilität auf Stimuli verstehbar wird. Die Frage, ob es bei dieser Gedächtnisbil-dung des Faktors der freien Wahl, also der möglichen EntscheiGedächtnisbil-dung zur Drogen-einnahme, bedarf, oder ob es sich lediglich um das pure zeitliche Muster handelt, kann durch die nähere Betrachtung des folgenden Experiments beantwortet wer-den. Ratten erhielten nur eine Trinklösung, die mit dem Opiat Etonitazen versetzt wurde. Sie wurden also forciert exponiert. Da das Etonitazen eine kurze Halb-wertszeit von 1-2 Std. aufweist, ist eine kontinuierliche Wirkung nicht gegeben. Die Ratten nahmen die Droge abhängig von ihrer Aktivität im Tageszyklus unregelmä-ßig zu sich, sodass sich spontane zeitliche Muster ergaben. Diese Exposition führ-te aber nicht zur Abhängigkeit (Heyne 1996).

Die Grundsätze bei der Entwicklung der Abhängigkeit im Point-of-no-Return-Modell scheinen für Alkohol, D-Amphetamin und Etonitazen gleich zu sein. Nach

der Erfahrung mit der jeweiligen Droge folgt eine Phase des stabilen Konsums, der sich bei einem Teil der Tiere die Entwicklung der Abhängigkeit anschließt, die irreversibel zu sein scheint (Wolffgramm 1991; Heyne 1998). Lernen findet offen-sichtlich statt. Auch die Zeitstabilität eines Gedächtnisses für den Drogenkonsum lies sich im Tierexperiment darstellen, ohne dass sich eine spezifische Pathologie oder Struktur als Ursache dieser Veränderung finden lies (May, Juilfs et al. 1998;

May, Juilfs et al. 1999). Da sich nicht nur grundlegend ähnliche Prinzipien der Entwicklung der Abhängigkeit im Tiermodell bei den drei oben genannten Drogen finden ließen, sondern auch vergleichbare neurochemische Veränderungen bei alkohol- und amphetaminabhängigen Ratten zu finden waren (Heyne, May et al.

2000), ist die Annahme eines grundlegenden Mechanismus angemessen. Dieser kann am ehesten als Lernen und Gedächtnisbildung verstanden werden. Unter den Auswirkungen eines langanhaltenden Substanzkonsums lassen sich also die chronischen pharmakologischen Auswirkungen im Sinne der Adaptation von der Gedächtnisbildung abgrenzen. Es scheint sinnvoll drei Formen der Gedächtnisbil-dung zu unterscheiden: Das Gedächtnis der Drogenwirkung, das Gedächtnis des Gebrauchs und das Suchtgedächtnis im engeren Sinn.

Das Gedächtnis der Drogenwirkung verknüpft Erinnerung an Drogeneinnahme inklusive der kontextuellen Information – also die Basis der Auslösereize – mit der Drogenwirkung. Im Gedächtnis des Drogengebrauchs geht die Entscheidung zur Drogeneinnahme mit dem Wunsch der Veränderung des inneren Zustands als wichtiger Bestandteil mit ein. Erinnerung an optimale Dosierung und Timing mö-gen dazu gehören. Das Suchtgedächtnis im engeren Sinn entwickelt sich auf der Basis der freien Wahl zur Drogeneinnahme und des phasenweise kontrollierten Konsums. Da das Craving im Tiermodell nicht durch Gabe einer anderen Droge zu mindern war, ist anzunehmen, dass das Suchtgedächtnis aus den Komponenten Erinnerung an spezifische Drogenwirkung und unspezifische Erinnerung an Kon-trollverlust besteht. Die zeitliche Abfolge der Veränderungen bei der Entwicklung der Alkoholabhängigkeit bei der Ratte scheinen eine derartige Abfolge der Bildung des Suchtgedächtnisses zu bestätigen. Im Tiermodell ist bei den abhängigen Rat-ten ein signifikanter Unterschied in der Lokomotion zu beobachRat-ten. Motorische Aktivität vor der Drogeneinnahme beginnt deutlich früher (Wolffgramm 2002).

Wolffgramm interpretiert dies als Hinweis auf den subcorticalen Beginn des Dro-gen-Suchverhaltens und formuliert markant: „Der Rückfall beginnt subcortical.“

Dies ist mit der Vorstellung der impliziten Erinnerung gut vereinbar. Das Suchtge-dächtnis ist ohne therapeutische Einwirkung veränderungsresistent. Im Tiermodell konnte das Suchtgedächtnis im Rückprägung-Verfahren gelöscht werden. Dabei wird unter Gabe von Corticosteron bei der Ratte – bzw. Prednisolon beim Men-schen – eine Lernbereitschaft des ZNS induziert und dann die Droge bei forcierter Gabe ausgeschlichen. Dies zeigte sich bei der Opiat- und Nikotinabhängigkeit im Tiermodell hocheffektiv, nicht jedoch so eindeutig bei alkoholabhängigen Ratten.

Eine Pilotstudie an opiatabhängigen Menschen zeigte positive Ergebnisse (Wolffgramm 2002; BMBF 2004; Wolffgramm 2004). Dabei wird dem Konzept ei-nes Suchtgedächtnisses auch bei der Alkoholabhängigkeit für die Ausrichtung the-rapeutischer Konzepte Bedeutung beigemessen (Mann, Diehl et al. 2006). Mann verweist hier auf das Potential einer Löschung konditionierten Suchtverhaltens durch eine systematische Konfrontation mit einem drogenassoziierten Reiz, gibt aber zu bedenken, dass diesbezügliche Studien noch keine konkludenten Ergeb-nisse liefern konnten (O´Brien, Childress et al. 1998). Dabei regt gerade das Kon-zept des Suchtgedächtnisses dazu an, neben der systematischen Desensibilisie-rung nach alternativen Möglichkeiten der VerändeDesensibilisie-rung eben dieses Suchtge-dächtnisses zu suchen.

Ob die im Tiermodell dargestellten Veränderungen, die Entwicklung und Wesen der humanen Abhängigkeit in jeweils verschiedenen Facetten gut abbilden, mit einfacheren, aber etablierten Modellen erklärt werden können, ist zu diskutieren.

Der Vorschlag humane Abhängigkeit mit Sensitivierung, Toleranzentwicklung und motivationalen Anteilen zu erklären, wird mit Befunden zur sensitivierenden Wir-kung der pickauslösenden WirWir-kung von Apomorphin dargestellt (Delius, Keller et al. 2001). Delius selbst führt dann den Begriff einer langfristigen Gedächtnisbil-dung ein. Eher grundlegende Bedenken wurden unter Verweis auf Vorteile einer kybernetisch orientierten bio-psychologischen Sichtweise erhoben (Tretter 2000).

Diesen Bedenken wurde differenziert und nachvollziehbar widersprochen (Böning 2000; Wolffgramm and Heyne 2000).

4.5. Zusammenfassung

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden Begriff und Bedeutung des ‚Suchtgedächt-nisses’ noch kritisch diskutiert. Grundlagen- sowie klinische Forschung, experi-mentelle Neurobiologie wie auch experiexperi-mentelle Psychologie liefern Daten, die das Modell ‚Suchtgedächtnis’ stützen. Selbst wenn das Konzept noch nicht völlig ausgearbeitet ist, bietet es einen Verständnisrahmen, der hilft bisher widerspre-chende Befunde zu integrieren und der einen Ansatz zur Entwicklung neuer thera-peutischer Interventionen ermöglicht. Spanagel verband seine Darstellung des aktuellen Entwicklungsstandes der Tiermodelle der Alkoholabhängigkeit mit der Hoffnung, dass sich neue Wege in der medikamentösen Rückfallprophylaxe eröff-nen (Spanagel 2000). Während dies durchaus zu hoffen ist, bleibt die Frage, ob sich hier nicht auch neue Ansätze in der psychotherapeutischen Behandlung er-öffnen können.

5. Zusammenfassung des Forschungsstandes

Eye Movement Desensitization and Reprocessing ist eine inzwischen gut etablier-te Methode in der Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung. Die EMDR-Methode hat ihren Schwerpunkt in der Durcharbeitung traumatischer Erin-nerungen und anderer traumaassoziierter Symptome. Obwohl die Wirkungsweise derzeit noch nicht völlig geklärt ist, kann die EMDR-Methode als sichere Therapie für Erwachsene, Jugendliche und Kinder gelten. In der Theorie der EMDR-Methode nimmt man die Verarbeitung impliziter Erinnerung als wirksames Agens an. Ideen zur weiteren Anwendung liegen zum Einsatz bei der Substanzabhängig-keit vor. Hier zielt der Einsatz der EMDR-Methode zum einen auf die Bearbeitung traumatischen Erinnerungsmaterials, um damit den Symptomdruck und somit das Risiko für Substanzkonsum zu mindern. Zum anderen wird eine direkte Bearbei-tung von Auslösereizen für Verlangen nach der Droge mit dem Ziel der Minderung dieses Verlangen versucht. Die Datenlage ist bisher unzureichend.

Die Alkhoholabhängigkeit ist eine häufige Krankheit, die mit einer hohen Chronifi-zierungsgefahr einhergeht. Obwohl differenzierte Behandlungsprogramme in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit entwickelt und validiert wurden, ist eine hohe Rückfallquote auch nach intensiver Behandlung festzustellen. Dabei scheint die Spezifität unterschiedlicher Behandlungsprogramme gering zu sein, da sich Be-handlungserfolge eher durch unspezifische Faktoren voraussagen lassen. Dem Verlangen nach Konsum des Alkohols, dem Craving, kommt vermutlich eine zent-rale Rolle im Rückfallgeschehen zu. Obwohl hier vorwiegend medikamentöse Be-handlungsstrategien mit Gewinn in die Behandlung eingeführt wurden, ist die Situ-ation noch nicht befriedigend.

Derzeit konvergieren Befunde aus verschiedenen Forschungsrichtungen, der Grundlagenforschung, der experimentellen Neurobiologie, der experimentellen Psychologie und der klinischen Forschung in Richtung der Formulierung des Mo-dells ‚Suchtgedächtnis’. Das ‚Suchtgedächtnis’ ist unter ausdrücklichem Bezug auf

Derzeit konvergieren Befunde aus verschiedenen Forschungsrichtungen, der Grundlagenforschung, der experimentellen Neurobiologie, der experimentellen Psychologie und der klinischen Forschung in Richtung der Formulierung des Mo-dells ‚Suchtgedächtnis’. Das ‚Suchtgedächtnis’ ist unter ausdrücklichem Bezug auf