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8. Ergebnisse

8.6 Bisherige Veröffentlichungen

10 12 14 16

1.Monat 6.Monat

Anzahl

EMDR Kontrolle

*

* =statistisch signifikanter Unterschied in Fischers Exakt Test (p < .05)

Zum ersten und zweiten Katamnesezeitpunkt, einen und sechs Monate nach Ab-schluss der Behandlung, findet sich also jeweils ein Unterschied in der Anzahl rück-fälliger Patienten zwischen der Behandlungs- und der Kontrollgruppe. Zum zweiten Katamnesezeitpunkt ist der Unterschied nach Fischers Exakt Test statistisch signfi-kant (p < .05).

8.6 Bisherige Veröffentlichungen

Teilergebnisse der Studie, Daten der ersten zwanzig untersuchten Patienten – je zehn der EMDR- und der Kontrollgruppe –, wurden bereits veröffentlicht (Hase 2005; Hase 2006).

9. Diskussion

Im folgenden Abschnitt sollen die vorliegenden Ergebnisse der Studie sowohl in me-thodischer als auch inhaltlicher Hinsicht auf ihre wissenschaftliche Aussagekraft hin diskutiert werden.

In Anbetracht der untersuchten und behandelten Patientengruppe, der überwiegend chronisch kranken Alkoholabhängigen, ist die hohe Anzahl rückfälliger Patienten durchaus zu erwarten. Trotzdem findet sich eine Verringerung des Cravings in der Be-handlungsgruppe nach der EMDR-Behandlung. Diese Veränderung ist statistisch signi-fikant (p > .05) und unterscheidet sich deutlich vom Ergebnis der Kontrollgruppe. Der Behandlungseffekt ist zum Ende der Behandlung am deutlichsten und nimmt zum ers-ten Katamnesezeitpunkt einen Monat nach Behandlung ab. Allerdings ist auch hier noch ein deutlicher Behandlungseffekt zu sehen, der weiterhin gegenüber dem Aus-gangswert der OCDS-G statistisch signifikant (p > .05) ist. Es ist allerdings zu diskutie-ren, ob in Anbetracht der Verringerung des Effekts einen Monat nach der Behandlung ein unspezifischer Effekt oder Plazeboeffekt Haupt- oder Teilursache der beobachteten Veränderung ist. Die Veränderung des Cravings in der Kontrollgruppe zeigt auch hier einen Anstieg zum ersten Katamnesezeitpunkt. Die Kontrollgruppe zeigt hier sogar ei-nen höheren Wert als bei der initialen Messung. Hier ist zu diskutieren, ob sich der Zu-stand der Kontrollgruppen-Probanden tatsächlich verschlechtert. Dies wäre mit dem mehrfach berichteten negativen Effekt wiederholter Entzüge vereinbar (Gonzalez, Veatch et al. 2001). Eine andere Erklärungsmöglichkeit wäre, dass der initial gemesse-ne OCDS-G-Wert das Craving nicht in seigemesse-ner wahren Stärke abbildet, da er nach der somatischen Entgiftung gemessen wurde. Dies würde bedeuten, dass sich der Zustand der Kontrollgruppen-Probanden nicht verschlechtert, diese aber den geringen – durch die Standardbehandlung erreichten – Vorteil wieder verlieren. Dies scheint wahrschein-licher. Es ist sinnvoll, den Anstieg des Cravings zum ersten Katamnesezeitpunkt noch einmal aus einem anderen Blickwinkel, nämlich in Bezug zur Behandlungsgruppe, zu betrachten. Der Anstieg des Cravings auch in der Kontrollgruppe spricht also eher für einen Effekt der EMDR-Behandlung, da der Anstieg in beiden Gruppen zu finden ist und der Unterschied zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppe deutlich ist.

Im Vergleich des Depressionsscores im Beck-Depressions-Inventar vor und nach der Behandlung fällt ein deutlicher Unterschied zwischen der Behandlungs- und der Kon-trollgruppe auf. In der Behandlungsgruppe zeigt sich eine deutliche Verringerung des Wertes, die statistische Signifikanz erreicht (Prä vs. Post T: 3,959, df: 14, Sig. (2-seitig):

.001). Dieser Effekt ist in der Kontrollgruppe nicht zu beobachten. Es ist zu diskutieren, ob es sich hier um eine Auswirkung der EMDR-Therapie oder um einen unspezifischen Effekt handelt.

Die Wirkung auf depressive Symptomatik als Nebeneffekt einer Behandlung der post-traumatischen Belastungsstörung (PTBS) mittels der EMDR-Methode ist bekannt (Power, McGoldrick et al. 2002). Allerdings kann aus den dort vorgelegten Daten nicht abgeleitet werden, dass es sich hier um einen direkten Effekt oder eine indirekte Wir-kung durch Nachlassen des Symptomdrucks der PTBS oder einen Placebo-Effekt handelt. In der hier diskutierten Studie ist sicher der unspezifische Effekt der Hoffnung durch die Anwendung einer neuen Intervention als Wirkfaktor zu berücksichtigen. Auch ist der Placebo-Effekt in der Behandlung leichterer Depressionen sehr ausgeprägt fest-zustellen (Elkin, Shea et al. 1989). Eine direkte Wirkung der EMDR-Methode auf ko-morbide Depression scheint auch in Anbetracht der bearbeiteten Zielerinnerungen und der geringen Therapiedosis unwahrscheinlich.

Im Folgenden wird die Methodik der Studie in Hinblick auf ihre wissenschaftliche Aus-sagekraft hin diskutiert. Zunächst ist positiv zu erwähnen, dass die geplante Randomi-sierung recht erfolgreich umgesetzt werden konnte. Auch waren die Postmessung und die Katamnese nach einem Monat mit ausreichender Probandenzahl durchführbar.

Zum zweiten Katamnesezeitpunkt konnten nur wenige Daten – bei zwei Patienten der Kontroll- und bei sechs der Behandlungsgruppe – erhoben werden. So konnte dieser Messzeitpunkt wissenschaftlich nicht mehr ausgewertet werden. Die bekannten Schwierigkeiten in der Untersuchung abhängiger Menschen haben sich hier bestätigt (Körkel 2003).

Auch lässt sich feststellen, dass sich die Interventionsgröße, das Craving, mit dem an-gewandten Fragebogen und der Erhebung der Rückfälle gut operationalisieren lies.

Dies steht im Einklang mit den von Anton (Anton, Moak et al. 1996) vorgelegten Daten.

Die Adaption der EMDR-Methode mit einer Verkürzung der Sitzungsdauer auf 60 Minu-ten und der Fokussierung auf Erinnerungen an erlebtes Craving erwies sich als praxis-tauglich.

Kritisch ist zu diskutieren, dass Untersucher und Behandler nicht getrennt waren. Dies war bei dieser Studie – die als Pilotstudie konzipiert war – im Setting der Versorgungs-psychiatrie aus Gründen der Praxis unvermeidbar. Auch wurde die Behandlung nur als Ergänzung gegenüber der Standardbehandlung und nicht gegen eine Placebobehand-lung untersucht. Es ist also nicht auszuschließen, dass der Effekt – oder ein Teil des-sen – Folge einer unspezifischen Wirkung oder Placebowirkung sein könnte. In diedes-sen zwei Punkten genügt die Studie dem Gold-Standard nach Foa (Foa and Meadows 1997) nicht.

Im Folgenden wird die Studie in Hinblick auf weiterführende Forschungsansätze disku-tiert. Zunächst ist die Festsetzung der Items 7 und 8 der OCDS-G, zurückgehend auf eine Empfehlung von Mann (Mann 2005), zu nennen. Durch diese Festsetzung soll ein Effekt, der alleine durch die stationäre Behandlung – bzw. die dadurch erzwungene Abstinenz – bedingt ist, ausgeschlossen werden. Dies ist für den prästationären-stationären Übergang sinnvoll. Die Entscheidung, dies auch bei den Katamneseunter-suchungen so zu belassen, kann kritisch diskutiert werden. Es bleibt das Risiko, den OCDS-G-Wert falsch zu bestimmen. Der Abstinente erhält einen falsch hohen Wert.

Ein falsch niedriger Wert ist allerdings weniger zu befürchten, da die Angaben, die ja für die Zeit des Konsums erhoben werden, vermutlich per se einen hohen Wert abbilden.

Desweiteren muss berücksichtigt werden, dass die initiale Diagnostik nach Abschluss der körperlichen Entgiftung erfolgte. Durch die Behandlung kann das Craving günstig beeinflusst werden. Es ist anzunehmen, dass das Craving ohne die vorhergehende Entgiftungsbehandlung höher gewesen wäre, da die Effektivität der Behandlung insge-samt nachgewiesen ist (Sonntag and Künzel 2000; Fleischmann 2001). Aus den be-reits dargelegten Gründen war aber ein früherer Messzeitpunkt nicht zu realisieren. Da die Veränderung des Cravings in der Behandlungsgruppe deutlich ausfällt, kann diese mögliche Verzerrung vernachlässigt werden. Auch war es nicht Ziel der Studie den Ein-fluss der Standardbehandlung auf das Craving zu messen.

Zur Wertung der Rückfälle ist kritisch anzumerken, dass der Katamnesestandard DGSS-4 einen falsch hohen Wert von Rückfällligen vortäuschen kann, denn ein Teil der Patienten, die sich nicht zur Folgeuntersuchung stellen, könnte weiterhin abstinent leben. Es wird aber angenommen, dass die wahre Zahl der Rückfälligen in Katamne-seuntersuchungen näher am Standard DGSS-4 liegt (Körkel and Schindler 2003), als an dem weniger rigorosen Standard DGSS-3, bei dem die nicht Erreichbaren heraus-gerechnet werden (DGS 2001).

Der strikte Umgang mit dem Alkoholkonsum in den Katamnesezeiträumen ist zu disku-tieren. Es ist möglich, dass der Konsum einer kleinen Menge Alkohol noch keinen Rückfall bedeutet: Er könnte im Sinne eines Ausrutschers (Marlatt 1985) zu verstehen sein oder sogar als Rückgewinnung von Kontrolle über den Konsum im Sinne eines kontrollierten (Petry 2000) oder reduzierten Trinkens (Körkel and Schindler 2003). Hier-zu ist Hier-zu sagen, dass der Rückfall nach einer Phase von Abstinenz noch keine definiti-ve Aussage über den weiteren Verlauf erlaubt (Körkel and Schindler 2003). Gegenüber dieser eher therapeutisch orientierten Sichtweise halte ich aber bei der Untersuchung einer Behandlung, die die Abstinenzaussicht verbessern soll, eine strikte Definition für angemessen. Die Dichotomie wird der Komplexität der klinischen Verläufe zwar nicht gerecht, erleichtert aber die Beurteilung der Behandlungseffektivität.

Es ist zu fragen, ob die Veränderung im Craving, wie mittels der OCDS-G dargestellt, überhaupt von Relevanz für den Verlauf der Alkoholkrankheit ist. Die Bedeutung des Cravings für das Rückfallgeschehen wird in der Literatur kritisch diskutiert. Während mehrere Autoren die Bedeutung des Cravings für das Rückfallgeschehen stark relati-vieren und eher interpersonelle Einflüsse sowie unangenehme Gefühlszustände als Rückfallgrund annehmen (Maffli, Wacker et al. 1995; Miller, Westerberg et al. 1996;

Drummond 2000), zeigen die Untersuchungen von Anton (1995; 1996; 2000) einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem mit der OCDS gemessenen Craving und dem späteren Rückfall.

Es bleibt die Frage, warum in einigen Studien Suchtdruck nur wenig beschrieben wird.

Denn neben den genannten Studien mittels der OCDS sprechen die Ergebnisse der Grundlagenforschung für das Anspringen eines subcorticalen Systems (Herrmann,

Weijers et al. 2000; Braus, Wrase et al. 2001; Wrase, Grusser et al. 2002). Wenn es sich hier um subcorticale Prozesse, also um implizite Erinnerungen handelt, so kann diese handlungsbestimmend werden, bevor überhaupt bewusst wahrgenommen wird.

Auch fehlt oft die Qualität des Erinnerns und Erlebens, die unser übliches Seelenleben begleitet. Insofern könnten Probanden dazu neigen, dieses in ihnen ablaufende Ge-schehen unter Rückgriff auf ‚übliche’ Vorgänge, z.B. Schwierigkeiten im interpersonel-len Bereich, zu erklären. Wie Grawe (2004) formuliert, spüren wir vom Einfluss motiva-tionaler Determinanten nur das Ergebnis, nicht aber den determinierenden Prozess. Da wir den ursächlichen Prozess nicht spüren, tendieren wir in der Regel dazu, die be-wussten Gedanken selbst für die wichtigsten Verursacher dessen, was wir als willent-lich kontrollierbar erleben, zu halten. Auch könnte das Erleben von Suchtdruck peinwillent-lich sein und bei der Befragung eher verschwiegen werden. Ein geeignetes Messinstru-ment wie die OCDS würde hier eine präzisere Abbildung ermöglichen. Die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen von Befragung und der Messung mittels der OCDS scheint in diese Richtung zu deuten. Selbst wenn die Bedeutung des Cravings für das Rück-fallgeschehen eher gering einzuschätzen wäre, so ist die Entwicklung einer ergänzen-den, spezifisch auf das Craving wirkenden Behandlung in Anbetracht des Dilemmas der Unspezifität in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit (Project MATCH 1997) doch von Interesse.

Die Bedeutung des Cravings für die Behandlung der Alkoholabhängigkeit zeigt sich auch in der intensiven Forschung an medikamentöser Beeinflussung des Cravings. Die Behandlung mit Disulfiram (AntabusR) ist effektiv, kommt jedoch wegen der nicht uner-heblichen Nebenwirkungen bei Alkoholkonsum nur für eine kleine Gruppe hochmoti-vierter und zuverlässiger Patienten in Betracht (Blanc and Daeppen 2005). Während die Wirksamkeit von Acamprosat (Böning 1999; Tretter 2000; Smolka, Kiefer et al.

2003) und Naltrexon (Boening, Lesch et al. 2001; Romach, Sellers et al. 2002) zur Rückfallprophylaxe erwiesen ist, haben sich die Hoffnungen in Modulatoren des dopa-minergen und serotonergen Systems bisher im Wesentlichen nicht erfüllt (Wiesbeck, Weijers et al. 2000). Untersuchungen zur Anwendung des Oxcarbazepin als potentielle Anti-Craving-Substanz sind nicht nur wegen der bisher ermutigenden Ergebnisse von Interesse: In zwei kürzlich vorgestellten Untersuchungen (Croissant 2004; Croissant, Scherle et al. 2004 (b)) kam die OCDS-G zum Einsatz, die auch in dieser Studie

ange-wandt wurde, um das Craving zu messen. In der Pilot-Studie und der randomisierten offenen Vergleichsstudie zwischen Acamprosat und Oxcarbazepin zeigte sich eine Re-duktion des OCDS-G-Wertes unter der Medikation mit Oxcarbazepin und Acamprosat.

In der Pilotstudie (Croissant 2004 (a)) fällt die Reduktion des OCDS-G-Wertes im Ver-gleich mit der EMDR-Behandlung in verVer-gleichbarer Größe aus. Die Pilotstudie weist eine längere Katamnesedauer auf. In dieser Studie scheiden vier von zehn Patienten aufgrund von Medikamentennebenwirkungen aus, während die EMDR-Behandlung von allen 15 Patienten gut toleriert wurde. In der randomisierten offenen Behandlungs-studie zeigt sich eine deutliche Reduktion des Wertes. Der initiale OCDS-G-Wert liegt aber in beiden Gruppen (Acamprosat und Oxcarbazepin) unter dem initialen Wert der Behandlungsgruppe in der hier vorgelegten Studie. Auch schließen nur fünf Patienten in der Acamprosatgruppe und sechs Patienten in der Oxcarbazepingruppe (von jeweils fünfzehn Patienten) ab, sodass die statistische Aussagekraft gering ist.

Es bleibt zu vermuten, dass der Effekt eines medikamentös verringerten Cravings nur unter der Behandlung bestehen wird, während sich mit der Bearbeitung der impliziten Erinnerungsform Suchtgedächtnis die Hoffnung auf eine zeitstabile Veränderung ver-bindet, die anhält, solange der abstinente Abhängige die Abstinenz wahrt. Ergebnisse der Behandlungsforschung im Tiermodell mit dem Re-Imprinting nach Wolffgramm zei-gen, dass eine Löschung des Suchtgedächtnisses bei der Ratte grundsätzlich möglich ist (Wolffgramm 2000; BMBF 2004; Wolffgramm 2004). Hier ist zu berücksichtigen, dass die Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen wegen der Komplexität schwierig ist. Auch kann eine solche Behandlung nur in Richtung Abstinenz führen.

Denn es wäre zu erwarten, dass sich bei erneuter Drogeneinnahme wiederum ein Suchtgedächtnis bilden würde. Die Unterstützung des zur Abstinenz motivierten Ab-hängigen wäre allerdings von großer Bedeutung.

Weiterhin ist zu überlegen, welche Gedächtnisformationen zum Craving, Rückfall und damit zur Aufrechterhaltung des Alkoholkonsums beitragen. Hier sind die von Wolff-gramm genannten Komponenten des Suchtgedächtnisses, Erinnerung an spezifische Drogenwirkung und unspezifische Erinnerung an Kontrollverlust, zu erwähnen. Eben-falls rechnet Wolffgramm die Verknüpfung mit Kontextfaktoren zum Suchtgedächtnis (Wolffgramm 2004). Darüber hinaus ist zu überlegen, ob auch das Erleben von

Zufrie-denheit über die dann zu vermutende Aktivität des Belohnungssystems ein Verlangen nach Substanzzufuhr in Gang setzen könnte. Unterschiedliche Wirkmechanismen der Anti-Craving-Substanzen Acamprosat und Naltrexon mit unterschiedlichen Wirkungen auf die Symptomatik der Abhängigkeit lassen an differente Wege denken (Cowen, Adams et al. 2005; Fachin-Scheit, Frozino Ribeiro et al. 2006). Ob man hier eher einen Auslösereiz oder eine Gedächtnisformation vermuten kann, muss noch offen bleiben.

Weiterhin ist zu überlegen, ob nicht Erinnerung an aversive Erfahrungen im Entzug besteht und ebenfalls zum Wunsch nach Konsum, hier zur Vermeidung des aversiven Erlebens, beiträgt.

Die für die Studie gewählte Vorgehensweise stellt keinesfalls eine EMDR-Behandlung der Alkoholabhängigkeit dar. Die EMDR-Methode erfordert immer die therapeutische Arbeit an der Vergangenheit – hier die Erinnerungen an Craving – und die Arbeit an gegenwärtigen Auslösern, gegenwärtigen Problemen, sowie die Verbesserung zukünf-tigen Verhaltens (Hase 2006). Die vorgelegte Studie versucht das Prinzip einer psycho-therapeutischen Einwirkung auf das Suchtgedächtnis mittels der EMDR-Methode zu überprüfen. Mit einem vollständigen EMDR-Protokoll – einer strukturierten Vorgehens-weise zur Behandlung der Abhängigkeit – könnten verschiedene Gedächtnisinhalte und Auslösereize bearbeitet werden, sodass die Behandlung der komplexen Situation des alkoholabhängigen Menschen eher gerecht werden kann.

10. Fazit: Arbeit an impliziter Erinnerung – Neue Wege in der Psychotherapie?

„Sobald ich akzeptiere, dass mein Selbst wesentlich mehr um-fasst als das, was mir bewusst ist, kann ich auch akzeptieren, dass meine Entscheidungen in dem Moment, wo ich sie subjek-tiv fälle, schon festgelegt waren, nämlich durch die implizite Sei-te meines Selbst.“

K. Grawe: Neuropsychotherapie (2004, S.123)

Mit dem plötzlichen Tod von Klaus Grawe hat die Psychotherapieforschung einen ihrer prominentesten Vertreter verloren. Mit seinem Entwurf einer Neuropsychotherapie liegt je-doch das Ergebnis der langjährigen Forschung vor (Grawe 2004), das der psychotherapeu-tischen Entwicklung entscheidende Impulse zu geben vermag. Grawe ging davon aus, dass implizite Erinnerung durch psychotherapeutische Behandlung kaum direkt zu errei-chen ist. Grawe (2004) verstand Psychotherapie als einen Nutzen des expliziten Funkti-onsmodus, um im impliziten System eine Veränderung herbeizuführen. Die Möglichkeit der Beeinflussung der Amygdala durch frontale Aktivität ist im Tierexperiment – wie auch am Menschen – experimentell dargestellt worden (Verbene 1996; Hariri, Bookheimer et al.

2000; Quirk, Likhtik et al. 2003). Die Nutzung des expliziten Funktionsmodus ist in der Psy-chotherapie der Alkoholabhängigkeit in elaborierten Behandlungsprogrammen und Pro-grammen zur Rückfallprävention betont ausgeformt. Trotzdem werden hier Grenzen der Behandlungen deutlich. Das Craving lässt sich nicht verändern. Der Abhängige erlernt ei-nen besseren Umgang, er trainiert die frontale Inhibition. Durch kognitive Therapie werden allerdings die Strukturen der Abhängigkeit nicht verändert (Boening 2001). Ähnliches ist auch aus der Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung und des Phantom-schmerzes bekannt. Die Bedeutung einer Beeinflussung impliziter Erinnerung rückt zuneh-mend in das Interesse der Forschung (Quirk and Gehlert 2003; Centonze, Siracusano et al.

2005; Barry, Naus et al. in Press).

Das Modell der Adaptiven Informationsverarbeitung der EMDR-Methode (Shapiro 2001) entstand aus der Beobachtung von Behandlungen an Patienten, die an der

Posttraumati-schen Belastungsstörung litten und versucht die hier beobachtete Generalisierung von Be-handlungsergebnissen und Assoziativität des EMDR-Prozesses zu erklären. Es bietet au-ßerdem eine Theorie der Bearbeitung impliziter Erinnerung. Die Analogie zur physiologi-schen Informationsverarbeitung ist beschrieben, bedarf aber noch der experimentellen Bes-tätigung (Stickgold 1998; Stickgold 2002). Der Versuch einer Behandlung des Phantom-schmerzes mit der EMDR-Methode entstand aus dem Wunsch, das Modell der Adaptiven Informationsverarbeitung außerhalb der Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstö-rung zu erproben. Die beobachtete BesseBelastungsstö-rung des Phantomschmerzes (Andrade, Kava-nagh et al. 1997; Wilson, Tinker et al. 1997; Wilson, Becker et al. 2000) war durch andere Psychotherapie, im expliziten Funktionsmodus, vordem so nicht erreichbar gewesen. Es scheint, als ob in dem durch physiologische Stimuli oder eine duale Aufmerksamkeitsfokus-sierung unterstützten Behandlungsprozess der EMDR-Methode eine tiefgreifende Verände-rung eintritt. Behandlungsergebnisse mit der EMDR-Methode bei der Körperdysmorphen Störung (Brown, McGoldrick et al. 1997) deuten in eine ähnliche Richtung. Veränderungen physiologischer Parameter und eine Normalisierung der Funktion zentralnervöser Struktu-ren (Rauch, van der Kolk et al. 1996; Heber, Kellner et al. 2002; Lamprecht, Kohnke et al.

2004; Lansing, Amen et al. 2005) nach einer erfolgreichen Behandlung mit der EMDR-Methode unterstreichen das Gesagte. Allerdings bleibt unklar, ob diese Veränderungen nicht überhaupt das Ergebnis einer gelungenen Psychotherapie der Posttraumatischen Belastungsstörung abbilden.

Die Bedeutung des Cravings Alkoholabhängiger für den Rückfall wird kontrovers diskutiert.

Studien, in denen mit standardisierten Instrumenten gemessen wird, zeigen einen Zusam-menhang zwischen Craving und Rückfallhäufigkeit. Die geringe Abstinenzkompetenz, die zu häufigen Rückfällen in den ersten Wochen nach einer qualifizierten Entzugsbehandlung führt (Stetter and Mann 1997), ist Anlass genug das Phänomen Craving ernst zunehmen.

Auch legen Ergebnisse der Grundlagenforschung und bildgebender Diagnostik eine Be-deutung des Cravings für den Rückfall nahe. Die Beschreibung der Initiierung des Konsum-verhaltens als subkortikaler Prozess im Tiermodell (Wolffgramm and Heyne 1995) und der Nachweis der Aktivierung subkortikaler Strukturen in den Stimulationsexperimenten (Braus, Wrase et al. 2001; Wrase, Grusser et al. 2002) weisen auf die Möglichkeit hin, Craving als Ausdruck einer impliziten Erinnerung zu verstehen. Die Qualitäten impliziter Erinnerung – dem bewussten Erleben nicht zugänglich, durch Auslösereize aktivierbar, starke Power und

unmittelbare Auswirkungen auf das Verhalten – finden sich in den Schilderungen Alkohol-abhängiger über das Erleben von Craving oftmals wieder. Die Theorie des Suchtgedächt-nisses, das als implizite Erinnerung verstanden werden kann (Heyne, May et al. 2000; Bö-ning 2001), bietet einen Verständnisrahmen.

Das Konzept eines Suchtgedächtnisses umfasst die Annahme des Lernens der Abhängig-keit mit ihren verschiedenen Komponenten. Bei der Ausbildung von Schlüsselreizen kann das Modell der klassischen Konditionierung herangezogen werden (Lindenmeyer 2005).

Allerdings lassen sich andere Ergebnisse der Forschung im Tiermodell so nicht erklären (Spanagel 2000). Die Ausbildung eines zeitstabilen und löschungsresistenten Verhaltens, wie es sich im Point-of-no-Return Modell zeigt, bedarf anderer Erklärungsversuche (Heyne, May et al. 2000). Das Modell des impliziten, maladaptiven Gedächtnisses vermag die Trig-gerbarkeit, das explosionsartige Anspringen und die automatisierten Handlungsabläufe zu erklären. Ein solches Modell bildet die zugrunde liegenden neurobiologischen

Allerdings lassen sich andere Ergebnisse der Forschung im Tiermodell so nicht erklären (Spanagel 2000). Die Ausbildung eines zeitstabilen und löschungsresistenten Verhaltens, wie es sich im Point-of-no-Return Modell zeigt, bedarf anderer Erklärungsversuche (Heyne, May et al. 2000). Das Modell des impliziten, maladaptiven Gedächtnisses vermag die Trig-gerbarkeit, das explosionsartige Anspringen und die automatisierten Handlungsabläufe zu erklären. Ein solches Modell bildet die zugrunde liegenden neurobiologischen