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3. Theorie und Therapie der Alkoholabhängigkeit

3.4. Bedeutung des Cravings für den Rückfall

Craving, das süchtige Verlangen (Wetterling, Veltrup et al. 1996), prägt heute als Begriff das Verständnis der Dynamik süchtigen Verhaltens (Tretter 2000). Die vermehrte wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Craving setzte mit der Ver-fügbarkeit potentiell wirksamer Anti-Craving Substanzen ein. Stellvertretend ist hier das Acamprosat zu nennen. In Anbetracht der teilweise hohen Rückfallraten nach einer Behandlung der Alkoholabhängigkeit ist die intensive Suche nach einer Verbesserung der Behandlungsbedingungen auch unbedingt notwendig. Dabei wird der Beitrag des Cravings zum Rückfall durchaus kontrovers diskutiert.

Nicht nur der Begriff des Cravings steht noch im Bemühen um seine Definition.

Auch der Begriff des Rückfalls erfährt definitorische Veränderung. Die enge, di-chotome Rückfalldefinition fragt schlicht danach, ob nach einer Phase der Absti-nenz Alkohol konsumiert wurde. Damit wäre die Phase der AbstiAbsti-nenz beendet und der Rückfall eingetreten. Diese Definition ist durch ihre Klarheit gekennzeichnet und führt zu eindeutigen Verhaltensanweisungen: nämlich nicht zu trinken. Der Nachteil liegt in der Einengung klinischer Verläufe auf nur zwei Möglichkeiten, nämlich die Abstinenz oder den Rückfall, Erfolg oder Versagen. Insofern ist es verständlich, dass weitere Definitionen des Rückfalls versucht wurden, die weiche-re Beschweiche-reibungen darstellen.

Eine Möglichkeit ist die differenziertere Beschreibung von Trinkmengen und/oder Trinkmustern. Der Begriff des ‚mäßigen Alkoholkonsums’ oder die Verlaufsbe-schreibung ‚abstinent nach Rückfall’ sind hier zu nennen. Auch der Begriff

‚kontrol-liertes Trinken’ wird als differenzierte Rückfallbeschreibung genutzt. Der Begriff des kontrollierten Trinkens wird allerdings kontrovers diskutiert und kann als Ziel einer Entwöhnungsbehandlung nicht uneingeschränkt angenommen werden, bzw.

wird im Sinne des Ziels der Fähigkeit zur Punktabstinenz ausdifferenziert (Reymann 2000; Lindenmeyer 2002). Eine wichtige – allerdings m.E. auch etwas unscharfe – Differenzierung wurde von Marlatt eingeführt (Marlatt 1985). Hier wird zwischen „Ausrutscher“ und „Rückfall“ unterschieden. Während mit dem Begriff

„Ausrutscher“ der kurzfristige, umschriebene Konsum nach Abstinenz gemeint ist, beschreibt Marlatt mit dem Begriff „Rückfall“ den Alkoholkonsum wie in früheren Zeiten. Die in der Literatur eingeführten Begriffe ‚subjektiver Rückfall’, ‚trockener Rückfall’, ‚systemischer Rückfall’ und ‚iatrogener Rückfall’ zeigen die Schwierigkei-ten in der Abbildung der vielfältigen FacetSchwierigkei-ten des menschlichen Lebens und der Alkoholabhängigkeit ab. Zur Übersicht sei hier auf Körkel verwiesen (Körkel 2003).

Neben der Definition ist noch die Frage der Erhebung zu berücksichtigen. Rück-fallhäufigkeiten werden in der Regel für bestimmte Zeiträume – Katamnese-zeiträume oder BehandlungsKatamnese-zeiträume – erhoben. Hier sind methodische Proble-me zu berücksichtigen. Die Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung versucht durch die Formulierung von Katamnesestandards Abhilfe zu schaffen (DGS 2001).

Der Katamnesestandard 3 rechnet die nicht mehr zu erreichenden Teilnehmer an einer Untersuchung heraus. Der Katamnesestandard 4 rechnet alle Teilnehmer, die zu einem Katamnesezeitpunkt keine Daten einbringen, als rückfällig. Dieser Standard dürfte die Wirklichkeit des Rückfallgeschehens schärfer abbilden.

Die hohen Rückfallraten sind nicht nur wegen des Rückfalls an sich – also einem Versagen der Therapie – kritisch zu sehen, sondern weil es mit zunehmender An-zahl der Rückfälle zu einer Intensivierung des Rückfallgeschehens, also einem Fortschreiten der Erkrankung kommt (Mann and Stetter 2002). Mittlerweile ist der wissenschaftliche Nachweis einer Schädigung durch die dann immer wieder not-wendigen Entzugsbehandlungen, genauer durch exzitatorische Schädigung von Nervenzellen, erbracht (Gonzalez, Veatch et al. 2001). In Anbetracht der darge-stellten Problematik ist es konsequent, dass verschiedene Interventionen zur Ver-ringerung der Rückfallhäufigkeit untersucht wurden. Eine Intensivierung der Be-handlung im Sinne der qualifizierten EntzugsbeBe-handlung oder eine Intensivierung

der Entwöhnungsbehandlung ist effektiv. Dies zeigt sich in begleitenden Untersu-chungen (Stetter and Mann 1997) und im Vergleich mit Daten aus den USA. Die in den USA zu findenden höheren Rückfallraten (Polich 1981) werden zum Teil mit der im Vergleich deutlich kürzeren Behandlungsdauer erklärt. Weitere Interventio-nen bestanden in der Entwicklung von Theorien des Rückfallgeschehens (Marlatt 1985) und daraus abgeleiteten Präventionsprogrammen (Marlatt and Gordon 1995; Körkel and Schindler 2003). Die Analyse von Rückfallgründen ist hier von Bedeutung. Als Rückfallgründe, so genannte Hochrisikobereiche, werden intraper-sonale und interperintraper-sonale Einflussfaktoren genannt (Marlatt, Stout et al. 1996). Zu den intrapersonalen Einflussfaktoren rechnet Marlatt unangenehme Gefühle, un-angenehme körperliche Zustände, unwiderstehliches Alkoholverlangen (Craving) sowie angenehme Gefühle und Versuche des kontrollierten Trinkens. Als interper-sonale Rückfallfaktoren werden Konflikte mit anderen Menschen, das sein mit Alkoholkonsumenten und unangenehme Gefühlszustände im Zusammen-sein mit anderen bezeichnet. Andere Forscher versuchten prospektiv eintretende Lebensereignisse oder die Belastung durch komorbide seelische Störung mit dem dann auftretenden Rückfall zu korrelieren (Hodgins, el-Guebaly et al. 1995; Green-field, Weiss et al. 1998). Es ist festzustellen, dass einige Autoren dem Craving nur eine untergeordnete Rolle zuweisen (Maffli, Wacker et al. 1995; Miller, Westerberg et al. 1996; Drummond 2000). Auf der anderen Seite wird die Rolle des Cravings in der Entstehung des Rückfalls immer wieder betont (Böning 2001; Hartling 2001;

Duka, Townshend et al. 2002; Bottlender and Soyka 2004; Dawes, Johnson et al.

2005). Auch aus der bildgebenden Forschung wird die Aktivierung subkortikaler Strukturen durch alkohol-assoziierte Reize überzeugend dargestellt (Grüsser, Heinz et al. 2000; Braus, Wrase et al. 2001; Wrase, Grusser et al. 2002; Olbrich, Valerius et al. 2006). Im Tiermodell der Abhängigkeit lässt sich das Phänomen des Cravings ebenso abbilden (Wolffgramm and Heyne 1995; Heyne, Thimm et al.

2000; Spanagel 2000; Wolffgramm, Galli et al. 2000). Zudem weist die intensive Forschung an potentiellen Medikamenten zur Reduktion des Cravings auf die kli-nische Bedeutung hin (Delmeire 1980; Borg 1983; Kabel and Petty 1996; Anton, Moak et al. 1999; Ait-Daoud, Johnson et al. 2001; Romach, Sellers et al. 2002;

Croissant, Scherle et al. 2004 (b); Deas, May et al. 2005).

Die unterschiedliche Bewertung des Cravings scheint also nicht zuletzt abhängig von der Anwendung geeigneter Messinstrumente zu sein (Moak, Anton et al.

1998; Anton 2000). Konstatiert man, dass Craving grundsätzlich von Bedeutung für das Rückfallgeschehen ist, (Wetterling, Veltrup et al. 1996), ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer genaueren Beschreibung, einer Analyse möglicher Kom-ponenten (Drummond 2000; Heinz, Lober et al. 2003) und der neurobiologischen Grundlagen (Robinson and Berridge 1993). In diesem Zusammenhang scheint es sinnvoll sich mit dem Konzept des Suchtgedächtnisses auseinanderzusetzen.

3.5. Zusammenfassung

Die Alkoholabhängigkeit ist eine häufige Erkrankung, die mit einer hohen Chronifi-zierungsgefahr einhergeht. Chronifiziert bedeutet Alkoholabhängigkeit ein intensi-ves Leiden für die Betroffenen und ihre Angehörigen, sowie hohe gesamtgesell-schaftliche Belastung durch die mit der Erkrankung verbundenen Kosten. Neuro-biologische Forschung und Grundlagenforschung tragen zunehmend zum Ver-ständnis der Alkoholabhängigkeit bei. Es wird deutlich, wie tief sich die Spuren der Alkoholabhängigkeit in das zentrale Nervensystem des Menschen eingraben.

Obwohl differenzierte Behandlungsprogramme in der Behandlung der Alkoholab-hängigkeit entwickelt und validiert wurden, ist doch eine hohe Rückfallquote auch nach intensiver Behandlung festzustellen. Dabei scheint die Spezifität unterschied-licher Behandlungsprogramme gering zu sein, da sich ein Behandlungserfolg eher durch unspezifische Faktoren voraussagen lässt. Die bisherigen psychotherapeu-tischen Behandlungsprogramme sind durchaus hilfreich, scheinen aber den Kern der Abhängigkeit nicht zu erreichen. Dem absoluten Verlangen nach Konsum der Droge Alkohol, dem so genannten Craving, kommt vermutlich eine zentrale Rolle im Rückfallgeschehen zu. Obwohl hier vorwiegend medikamentöse Behandlungs-strategien mit Gewinn in die Behandlung eingeführt wurden, ist die Situation noch nicht befriedigend.