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Beschreibung der Alkoholabhängigkeit und ihrer Epidemiologie

3. Theorie und Therapie der Alkoholabhängigkeit

3.1. Beschreibung der Alkoholabhängigkeit und ihrer Epidemiologie

In der Bundesrepublik Deutschland2 wurde die Alkoholabhängigkeit erst 1968 als Erkrankung anerkannt und die Leistungspflicht der Kranken- und Rentenversiche-rung festgeschrieben. Inzwischen ist zudem abzusehen, dass in naher Zukunft Erkrankungen, die durch Nikotin- und Alkoholmissbrauch sowie durch Umweltbe-lastung entstehen, die häufigsten Todesursachen ausmachen werden (Murray &

Lopez 1996). Eine besondere Problematik in der Bewertung von Alkoholabhängig-keit zeigt sich im Unterschied zwischen öffentlicher Meinung und Ergebnissen der Forschung, hier besonders der Neurobiologie: Während in der Öffentlichkeit die Alkoholabhängigkeit noch weitgehend als Charakterschwäche gesehen wird, zeigt sich in der aktuellen Forschung – im Tiermodell wie auch mittels bildgebender Ver-fahren – die Schwere und Tiefe der Erkrankung (Wolffgramm and Heyne 1995;

Grüsser, Heinz et al. 2000; Braus, Wrase et al. 2001; Wrase, Grusser et al. 2002).

Verschiedene Definitionen von problematischem Trinkverhalten und unterschiedli-che Erhebungsinstrumente erschweren den Vergleich epidemiologisunterschiedli-cher Daten. In Allgemeinkrankenhäusern finden sich im internationalen Überblick 10 bis 20% al-koholkranke Patienten (Arolt, Driessen et al. 1995; Edwards 1997). In deutschen psychiatrischen Kliniken liegt die Zahl etwa zwischen 25 und 30% (Feuerlein, Küf-ner et al. 1998). Die Untersuchungen mit standardisierten und diagnosebezoge-nen Instrumenten fanden in einer bundesdeutschen repräsentativen Gesamtstich-probe bei 3% aller Befragten ausreichend Hinweise, um eine Diagnose der Alko-holabhängigkeit nach dem DSM-IV stellen zu können. In ihrer gesellschaftlichen Haltung muss die Bundesrepublik als alkohol-permissiv beschrieben werden (Tretter 2000). In der alkohol-permissiven Gesellschaft fällt die Abgrenzung zwi-schen sozial akzeptiertem Trinken, schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit durchaus schwer.

3.1.1 Definition von Alkoholabhängigkeit

In der Definition der Abhängigkeit der Weltgesundheitsorganisation (Dilling, Mom-bour et al. 1994) bildet der starke Wunsch oder Zwang die Droge zu konsumieren, auch als Craving bezeichnet, zusammen mit der verminderten Kontrolle über den Beginn, die Beendigung oder die Menge des Konsums den Kern des Abhängig-keitssyndroms. Bezogen auf die Alkoholabhängigkeit findet sich dies in den dia-gnostischen Kriterien der Alkoholabhängigkeit gemäß der ICD-10 wieder (Dilling, Mombour et al. 1991). Toleranzentwicklung, ein körperliches Entzugssyndrom, zunehmende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Konsums und anhaltender Konsum, trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen (körper-lich, sozial oder psychisch), ergänzen die diagnostischen Kriterien. Die diagnosti-schen Kriterien des DSM-IV entsprechen denen der ICD-10 (American Psychiatric Association 1987).

Eine körperliche Abhängigkeit liegt vor, wenn sich nach Absetzen der Droge, hier

des Alkohols, ein typisches Entzugssyndrom ausbildet. Innere Unruhe, Schlafstö-rung, ausgeprägte Verstimmung, Schreckhaftigkeit, Angst, Schwitzen, Erbrechen oder Durchfall kennzeichnen das klinische Bild. Treten zu dieser psychomotori-schen Unruhe und den vegetativen Zeichen noch zeitliche Orientierungsstörungen und optische Halluzinationen hinzu, so handelt es sich um ein Delirium Tremens (DT). Das DT wird oftmals von Entzugskrampfanfällen eingeleitet oder begleitet.

Die Letalität liegt unbehandelt bei etwa 30%. Das vegetative Alkoholentzugssyn-drom ist Folge der stürmischen Gegenregulation der durch andauernde Alkoholzu-fuhr kompensatorisch veränderten Neurotransmission, vorwiegend der Neu-rotransmitter Glutamat, GABA und Dopamin. Toleranzentwicklung beschreibt die Abnahme der Alkoholwirkung bei chronischer Zufuhr. Dieser liegen verschiedene Anpassungsvorgänge zugrunde. Hier sind der verstärkte Alkoholabbau in der Darmschleimhaut wie auch Anpassungsvorgänge am Neuron zu nennen.

Die ‚psychische’ Abhängigkeit zeigt sich sui generis im Kontrollverlust und dem starken, unwiderstehlichen Verlangen, das im folgenden als Craving bezeichnet wird. Die oben genannten Verhaltenskonsequenzen sind Folgen dieses Kernge-schehens der Abhängigkeit. Die Bezeichnungen der ‚körperlichen’ und ‚psychi-schen’ Abhängigkeit spiegeln eine klare Dichotomisierung vor, die es angesichts der Dualität körperlicher Prozesse und des begleitenden Erlebens so nicht gibt.

Vielmehr liefern Ergebnisse der neurobiologischen Forschung und der Tiermodelle einen Einblick in das eng ineinander verwobene Geschehen. Alkoholbezogene Worte (Cues) führen bei Alkoholabhängigen zu einer signifikant höheren Amplitu-de Amplitu-der ereigniskorrelierten Potentiale als bei nicht abhängigen ProbanAmplitu-den (Herrmann, Weijers et al. 2000). Mittels der funktionellen Kernspintomografie lässt sich zeigen, dass entsprechende Bilder (Cues), bei Alkoholabhängigen eine Akti-vierung subkortikaler, limbischer Strukturen auslösen (Olbrich, Valerius et al.

2006). Diese Aktivierung findet sich bei nicht abhängigen Versuchspersonen nicht (Wrase, Grusser et al. 2002). Bei abstinenten Alkoholabhängigen findet bei ent-sprechender Konfrontation mit alkhoholbezogenen Stimuli (cue-exposure) eine Aktivierung des G. cinguli statt (Grüsser, Heinz et al. 2000). Diese, als Konfliktma-nager funktionierende, Struktur scheint die Auseinandersetzung zwischen hem-mendem Input aus dem präfrontalen Kortex und dem süchtigen Impuls aus

kortikalen Strukturen abzubilden. Diese Befunde belegen die Aktivität auch sub-kortikaler Strukturen – eine Aktivität, die scheinbar dem bewussten Willen nicht zugänglich ist und die im Bewusstsein vermutlich als Craving erlebt wird. Die Be-deutung des Eingreifens der Droge Alkohol in die dopaminerge Neurotransmissi-on, also in die neuralen Strukturen, die als Belohnungssystem bezeichnet werden, ist hinreichend nachgewiesen (Heinz, Siessmeier et al. 2004).

3.1.2 Diagnostik der Alkoholabhängigkeit

Die Diagnostik der Alkoholabhängigkeit ist aus den oben genannten Gründen – z.B. der Einstellung zum Alkohol in einer Permissivkultur – nicht einfach. Die For-mulierung reliabler Kategorien in den Klassifikations- und Diagnosesystemen ICD-10 und DSM-IV erleichtert die Diagnostik. Zudem wurden Fragebogentests entwi-ckelt und validiert, die wertvolle bzw. diagnostische Hilfsmittel darstellen. Als Bei-spiel für Screeninginstrumente sei der Lübecker Alkoholismus-Screening-Test (LAST) (Rumpf, Hapke et al. 1997), als Beispiel für diagnostische Hilfsmittel der Münchner Alkoholismus-Test (MALT) genannt (Feuerlein, Küfner et al. 1979). Al-koholspezifische Laborparameter, wie die Gamma-Glutamyl-Transferase (Gam-ma-GT) oder das Carbohydrate-deficient-transferrin (CDT), können zur Unterstüt-zung der Diagnostik herangezogen werden. Die verschiedenen biologischen Mar-ker weisen jedoch alle unterschiedliche Schwächen auf. In einer Kombination ver-schiedener Marker, z.B. der Gamma-GT und des mittleren korpuskulären Volu-mens der Erythrozyten (MCV), lässt sich die diagnostische Sicherheit erhöhen, da hier verschiedene, jeweils durch den Alkohol geschädigte Organsysteme erfasst werden. Basis der Diagnostik und Königsweg zur Diagnose sind jedoch das ärztli-che Gespräch und die Erhebung des psychopathologisärztli-chen und körperliärztli-chen Be-fundes. Dabei ist es sehr sinnvoll eine Fremdanamnese einzubeziehen. Die Dia-gnostik sollte in jedem Fall eine Einordnung in den Phasenablauf der Störung er-möglichen. Das ärztliche Gespräch kann zudem als klärende und motivierende Intervention – im Sinne der ‚motivierenden Gesprächsführung’ (Miller und Rollnik 1999) – den Einstieg in die Behandlung der Alkoholabhängigkeit ermöglichen. Ins-gesamt dient die Einordnung in eine Phase der Auswahl phasenspezifischer

Inter-ventionen. Die Diagnostik dient auch der Erfassung der psychiatrischen Komorbi-dität. Diese wird jedoch durch verschiedene Faktoren erschwert. Psychische Stö-rungen können sich sekundär, als direkte Folge der Alkoholabhängigkeit entwi-ckeln und im Rausch oder im Entzug auftreten. Sie sind dann als substanzindu-zierte Störungen einzuordnen und die Störung der Alkoholabhängigkeit ist primär.

Allerdings können der Alkoholabhängigkeit auch andere psychische Störungen vorausgehen, die den Konsum zumindest mitbedingen oder interagieren. Die di-rekten und indidi-rekten Auswirkungen des Alkohols im Rausch, im Entzug oder in der Postentzugsphase können verschiedene psychische Störungen imitieren, wie z.B. Depression oder Angststörungen. Dies macht die Einschätzung außerordent-lich schwierig und fordert eine genau angesetzte prospektive Forschung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine deutliche Komorbidität von PTBS und Abhängigkeit besteht (Breslau, Davis et al. 2003). Diese Verbindung ist von Bedeutung für die Entstehung, wie auch für den Verlauf der beiden Erkrankungen. So wird die ko-morbide PTBS im Entzug instabil. Dadurch werden Entzugssituationen für den Patienten belastender. Dies bedarf einer entsprechenden psychopharmakologi-schen Behandlung. Andererseits bedeutet die PTBS mit ihrem Symptomdruck evtl.

ein Risiko für weiteren Substanzkonsum (Hase 2003).

3.1.3 Typisierung der Alkoholabhängigkeit

Immer wieder wurde der Versuch einer Typisierung der Verläufe der Alkoholab-hängigkeit und hiermit auch der betroffenen Menschen unternommen. Unter ei-nem Typus versteht man die Kombination von überdauernden Merkmalen oder Konsummustern eines Abhängigen, die eventuell eine Aussage über das klinische Bild oder eine Verlaufsprognose ermöglichen. Von großer klinischer Bedeutung war die Einteilung von Jellinek (Jellinek 1946; Jellinek 1960). Jellinek unterschied den Gamma-Alkoholiker (vorwiegend kontrollverlustartiges Trinken mit häufigen Räuschen) vom Delta-Alkoholiker (konstant hoher Alkoholkonsum, Spiegeltrinker, körperliche Abhängigkeit im Vordergrund). Als Epsilon-Typ bezeichnete Jellinek einen Trinktyp mit periodischen Alkoholexzessen unterbrochen von Abstinenz (Quartalssäufer). Mit Alpha- und Beta-Typ werden nicht abhängige

Gelegenheits-trinker bezeichnet. Unter den jüngeren Typologien kommt den Vorschlägen von Cloninger (Cloninger, Bohmann et al. 1981) die größte Bedeutung zu. In dieser Typologie werden zwei Typen unterschieden. Der Typ 1 mit spätem Krankheitsbe-ginn, geringer familiärer Belastung, ohne Geschlechtspräferenz und mit besserer Prognose wird dem Typ 2 mit Beginn der Abhängigkeit vor dem 25. Lebensjahr, klarem Überwiegen des männlichen Geschlechts, erhöhter familiärer Belastung, vermehrtem Auftreten von Zügen der antisozialen Persönlichkeitsstörung und ei-ner schlechteren Prognose gegenüber gestellt.

3.1.4 Verlauf der Alkoholabhängigkeit

Der Verlauf der Alkoholabhängigkeit bedarf besonderer Beachtung: Eine Untersu-chung an der Psychiatrischen Universitätsklinik Tübingen erbrachte das Ergebnis, dass von 94 Patienten nach 16 Jahren 27 verstorben waren und fast alle an den Folgen ihres Alkoholkonsums (Längle, Mann et al. 1993; Schäfer 1996). Edwards berichtete, dass 44% der Patienten 20 Jahre nach ihrer Erstbehandlung gestorben waren. Die Mortalität war um das 3,6fache gesteigert (Edwards 1996). Ähnliche Daten werden aus den USA berichtet (Vaillant 1996). Feuerlein geht davon aus, dass die Lebenserwartung Alkoholabhängiger um mindestens 15 Jahre verkürzt ist (Feuerlein 1996). Dabei sterben 15% dieser Gruppe an Suiziden.

Neben der oben genannten rein deskriptiven Betrachtungsweise erscheint es sinn einen mehr am Inhalt orientierten phasenhaften Verlauf zu beschreiben: Abhängi-ge durchlaufen Stufen der Verhaltensveränderung (Prochaska, DiClemente et al.

1985; Prochaska, DiClemente et al. 1992). Auf das Stadium der Vorbesinnung folgt das Stadium der Besinnung, in dem eine reflektiertere Position zur Abhängig-keit bezogen wird. Im folgenden Stadium der Entscheidung wird die Weiche in Richtung der Veränderung des Verhaltens gestellt. Danach wird die Veränderung geplant (Stadium der Veränderung), bevor im Stadium der Handlung konkrete Schritte Richtung Reduktion des Konsums oder Abstinenz unternommen werden.

Im Stadium der Stabilisierung wird das bisher Erreichte gefestigt. Im Idealfall schließt sich das Stadium der Beendigung mit definitivem Ausstieg aus der

Ab-hängigkeit an. Die phasenhafte Abfolge der Verhaltensänderung ist zyklisch zu sehen. Wie bekannt, kann es in jedem Stadium zum Rückfall in den Konsum kommen. Aus dem Rückfall kann der Abhängige erneut in das Stadium der Besin-nung eintreten und den Zyklus erneut durchlaufen. Es entspricht der therapeuti-schen Erfahrung, dass Abhängige mehrfach Verhaltensveränderungen beginnen, bevor eine längere Phase der Stabilisierung oder auch der Ausstieg aus der Ab-hängigkeit gelingt. Auch Sporn hat aus psychoanalytischer Sicht ein Konzept des phasenhaften Ablaufs vorgelegt, dass handlungsleitend für die Auswahl therapeu-tischer Interventionen ist (Sporn 2005).