• Keine Ergebnisse gefunden

1 Einleitung und Zielsetzung

2.2 Das Neuropeptid Substanz P

Im Jahr 1931 beschrieben Von Euler und Gaddum erstmals einen aus dem Intestinaltrakt und dem Gehirn von Pferden isolierten Atropin-resistenten Faktor, der hypotensiv sowie stimulierend auf glatte Muskulatur wirkte. Es zeigte sich, dass die Wirkung des Extrakts auch nach Verdampfung erhalten blieb, und das entstandene Pulver wurde als Substanz P bezeichnet (HOKFELT et al. 2001). CHANG und LEEMAN (1970) gelang es erstmals, Substanz P aus Rinderhypothalamus zu isolieren und als Undekapeptid (Peptid aus 11 Aminosäuren) zu charakterisieren.

2.2.1 Gene und Peptidsynthese

Substanz P gehört zur Familie der Tachykinine, die ihren Namen aufgrund der Eigenschaft erhielt, schnelle Kontraktionen in glatter Muskulatur hervorzurufen (HOLZER u. HOLZER-PETSCHE 2001). Alle Tachykinine haben die gemeinsame C-terminale Sequenz Phe-Xaa-Gly-Leu-MetNH2 (Xaa = variable Aminosäure) (MAGGI 1997). Neben Substanz P sind Neurokinin A (NKA) und B (NKB) die bekanntesten Mitglieder der Tachykinin-Familie. Die N-terminal erweiterten Formen von NKA (Neuropeptid K und Neuropeptid γ) sind ebenfalls biologisch aktive Peptide. In neueren Studien konnten das beim Menschen und der Maus entdeckte Hemokinin-1 sowie die humanen Endokinine A-D ebenfalls der Tachykinin-Familie zugeordnet werden, obwohl sie im C-Terminus in einer Aminosäure von der klassischen Tachykinin-Sequenz abweichen (PENNEFATHER et al. 2004). In Tab. 1 sind die Aminosäuresequenzen der bei Säugetieren identifizierten Tachykinine dargestellt. Die Primärstruktur von SP, NKA und NKB scheint für alle Säugetier-Spezies identisch zu sein, wohingegen die Aminosäurensequenz von Hemokinin-1 in Ratte und Maus sich von dem humanen Peptid unterscheidet.

Tab. 1: Aminosäurensequenz der bei Säugetieren identifizierten Tachykinine; nach PENNEFATHER et al. (2004).

Spezies Name Sequenz

Säugetiere Substanz P Arg-Pro-Lys-Pro-Gln-Gln-Phe-Phe-Gly-Leu-MetNH2

Säugetiere Neurokinin A His-Lys-Thr-Asp-Ser-Phe-Val-Gly-Leu-MetNH2 Säugetiere Neurokinin B Asp-Met-His-Asp-Phe-Phe-Val-Gly-Leu-MetNH2

Ratte/Maus Hemokinin-1 Arg-Ser-Arg-Thr-Arg-Gln-Phe-Tyr-Gly-Leu-MethNH2

Mensch Hemokinin-1 Thr-Gly-Lys-Ala-Ser-Gln-Phe-Phe-Gly-Leu-MetNH2

Mensch Endokinin C Lys-Lys-Ala-Tyr-Gln-Leu-Glu-His-Thr-Phe-Gln-Gly-Leu-LeuNH2 Mensch Endokinin D Val-Gly-Ala-Tyr-Gln-Leu-Glu-His-Thr-Phe-Gln-Gly-Leu-LeuNH2

Die für Tachykinine spezifische Sequenz ist fett gedruckt. Die N-terminalen Erweiterungen von Neurokinin A (Neuropeptid K und γ) und humanem Hemokinin-1 (Endokinin A und B) sind nicht dargestellt.

Tachykinine werden aus Vorläuferproteinen, den so genannten Preprotachykininen synthetisiert, die von drei verschiedenen Genen kodiert werden. Das Preprotachykinin A (PPT-A) Gen kodiert bei Säugetieren für Substanz P, Neurokinin A, Neuropeptid K und γ (CARTER u. KRAUSE 1990). Eine Transkription von PPT-A führt zu einer vorläufigen mRNA, aus der nach unterschiedlichem „splicing“ vier verschiedene mRNA-Isoformen entstehen, die sich jeweils in der Kombination der Exons unterscheiden. Das Vorläuferpeptid von Substanz P wird aus allen mRNA-Isoformen synthetisiert, während die entsprechenden Exons für NKA nur in zwei, die für NPK und NPγ nur in einer Isoform enthalten sind (KRAUSE et al. 1987; HARMAR et al. 1990). Das PPT-B Gen kodiert nur für Neurokinin B (HOKFELT et al. 2001). Das humane Hemokinin-1 und die Endokinine A-D werden ebenfalls über verschiedene mRNA-Isoformen durch das PPT-C Gen kodiert (PAGE et al.

2003).

Die aus der reifen mRNA entstandenen Preprotachykinine sind große Polypeptide, die aus einem Signalpeptid, einer oder mehrerer Kopien des Neuropeptids und einem oder mehreren Platzhalter-Peptiden bestehen. Das am N-Terminus befindliche Signalpeptid erlaubt während der Synthese die Bindung und den Eintritt in das Endoplasmatische Retikulum und wird dann rasch abgespalten. Das so entstandene Propeptid wird zum Golgi-Apparat transportiert, wo

die Platzhalterpeptide entfernt werden und das aktive Neuropeptid in Vesikel verpackt wird (PENNEFATHER et al. 2004).

2.2.2 Abbau

Nach Freisetzung wird die physiologische Aktivität von Substanz P im Allgemeinen durch hydrolytische Spaltung terminiert. Es gibt mehrere unspezifische Enzyme, die zur Hydrolyse von Substanz P in der Lage sind, von denen Angiotensin converting enzyme (ACE) und neutrale Endopeptidase (NEP) jedoch die bedeutendsten sind (KATO et al. 1978; SKIDGEL et al. 1984; JOOS et al. 2000). NEP und ACE spalten die Peptidbindungen zwischen den Aminosäuren Gln-Phe, Phe-Phe und Gly-Leu, was bei Substanz P zu der Entstehung inaktiver Fragmente führt, denen das C-terminale Ende für die Rezeptorbindung fehlt (SKIDGEL et al.

1984; DI MARIA et al. 1998). Die Enzyme sind im Organismus weit verbreitet. NEP kommt in Niere, Lunge, bestimmten Gehrinregionen sowie Knochenmark und Lymphknoten vor Besonders gut ist die Hydrolyse von Substanz P durch NEP in den Atemwegen beschrieben.

Die Hemmung von NEP verstärkt die Effekte von exogen zugeführten Tachykininen, wie Bronchospasmus, Extravasation und Degranulation von Mastzellen in der Lunge (CHEUNG et al. 1992; ROQUES et al. 1993).

Aus menschlichem Gehirn und Rückenmark konnte auch eine für Substanz P spezifische Peptidase isoliert werden, die so genannte Substanz P Endopeptidase (SPE) (KARLSSON u.

NYBERG 1998). Die Autoren konnten zeigen, dass durch die Spaltung mit SPE Fragmente mit biologischer Aktivität entstanden. Daraus wurde von KARLSSON und NYBERG (1998) geschlossen, dass es sich nicht um ein inaktivierendes sondern ein konvertierendes Enzym handelt. Das aus der Spaltung entstehende N-terminale Fragment beeinflusst verschiedene Verhaltensmuster, wie zum Beispiel das Lernverhalten von Mäusen (HASENOHRL et al.

1990; LARSON u. SUN 1993).

2.2.3 Rezeptoren

Wie alle Tachykinine bindet Substanz P an eine bestimmte Rezeptorgruppe, die Neurokininrezeptoren (NKR). Es handelt sich hierbei um G-Protein-gekoppelte Rezeptoren mit sieben Transmembran-Domänen, einem extrazellulären N-Terminus und einem

intrazellulären C-terminalen Teil (MAGGI et al. 1993). Zurzeit sind für Säugetiere drei verschiedene Neurokininrezeptoren beschrieben, NKR1, NKR2 und NKR3. Alle drei Rezeptoren werden von den klassischen Tachykininen Substanz P, Neurokinin A und Neurokinin B erkannt, es gibt jedoch unterschiedliche Affinitäten. Substanz P bindet mit höchster Affinität an NKR1. Die relative Affinität von NKR1 für Neurokinin A und Neurokinin B ist 100- und 500-fach geringer im Vergleich mit Substanz P, während NKR2 und NKR3 für Substanz P die geringste Affinität aufweisen (GERARD et al. 1991; REGOLI et al. 1994).

Die Bindung von Substanz P an den NKR1 führt zur Aktivierung von Phospholipase C, welche Phosphatidylinositolbiphosphat in Inositoltriphosphat (IP3) und Diacylglycerol (DAG) spaltet. Diese Second messenger stehen dann für die Mobilisation von Calcium aus intrazellulären Speichern (IP3) und für die Aktivierung der Proteinkinase C (DAG, Ca2+) zur Verfügung (O'CONNOR et al. 2004). Für den Haupt-Rezeptor von Substanz P existieren zwei Isoformen, die sich in der Länge des zytoplasmatischen C-Terminus um etwa 8 kDa unterscheiden, Substanz P jedoch mit derselben Affinität binden (KAGE et al. 1993). Zellen, die den verkürzten Rezeptor ausbilden, zeigen bereits bei geringeren Konzentrationen von Substanz P einen intrazellulären Calcium-Einstrom als Zellen, die den Rezeptor in voller Länge exprimieren. Auch in ihrer Deaktivierung unterscheiden sich die Isoformen. So wird der NKR1 in voller Länge nach Aktivierung schnell internalisiert und von Rezeptor-Kinasen gespalten, während der verkürzte Rezeptor nicht dieser Deaktivierung unterliegt (LI et al.

1997). Neuere Studien zeigen, dass die durch den voll ausgebildeten NKR1 ausgelöste Internalisierung zur Aktivierung von Enzymkaskaden führt, die ihrerseits Zellproliferation und anti-apoptotische Faktoren induzieren. Der verkürzte Rezeptor kann durch die fehlenden Abschnitte in der C-terminalen Sequenz diese Effekte nicht auslösen (DEFEA et al. 2000;

BOCKMANN et al. 2001).

Der NKR1 konnte im zentralen Nervensystem in Groß- und Kleinhirn sowie im Rückenmark nachgewiesen werden (CABERLOTTO et al. 2003). Auch im autonomen Nervensystem von Atmungsapparat, Gastrointestinaltrakt und Urogenitaltrakt ist der NKR1 exprimiert und an der Regulation der Organfunktionen beteiligt (QUARTARA u. MAGGI 1998). Die Expression von NKR1 ist auch für Immunzellen beschrieben. Der Rezeptor wird von humanen Blutmonozyten und aus Monozyten gewonnenen Makrophagen (Monocyte derived

Macrophages; MdM) sowie von humanen Alveolarmakrophagen exprimiert (HO et al. 1997;

BARDELLI et al. 2005). Auch in humanen Lymphozyten konnte die NKR1-mRNA nachgewiesen werden (LAI et al. 2005). Für das Rind konnte der NKR1 in Membranextrakten von Alveolarmakrophagen und Lutealzellen nachgewiesen werden (BRYLLA et al. 2005;

ROGERS et al. 2006).

2.2.4 Verbreitung und Funktion

Substanz P ist im zentralen und peripheren Nervensystem weit verbreitet. Im zentralen Nervensystem ist das Neuropeptid an der Steuerung von Verhaltensmustern und der Regulation von Überleben und Degeneration von Nervenzellen beteiligt (O'CONNOR et al.

2004). Im peripheren Nervensystem wird Substanz P in primären sensorischen Neuronen und intrinsischen Neuronen des Gastrointestinaltrakts, Respirationstrakts und Urogenitaltrakts gebildet und ist dort an der Regulation der Organfunktionen beteiligt (MAGGI 2000).

Außerdem wird Substanz P eine wichtige Rolle bei der Schmerz-Weiterleitung vom peripheren zum zentralen Nervensystem zugeschrieben (IVERSEN 1982). Substanz P wird jedoch auch von Zellen des Immunsystems, wie Makrophagen, Granulozyten, Lymphozyten und dendritischen Zellen produziert (BOST et al. 1992; KILLINGSWORTH et al. 1997). Im Folgenden wird der regulatorische Einfluss von Substanz P auf die Organfunktionen von Magen-Darm-Trakt und Respirationstrakt sowie die Rolle bei der Schmerz-Weiterleitung näher erläutert. Die immunmodulatorischen Funktionen von Substanz P auf zellulärer Ebene werden in Kapitel 2.3 beschrieben. Die Rolle von Substanz P bei pathologischen Prozessen wird in Kapitel 2.4 beschrieben.

Substanz P wird im Gastrointestinaltrakt hauptsächlich von enterischen, cholinergen Motoneuronen produziert und nimmt zusammen mit Neurokinin A die Funktion eines Ko-Transmitters ein (COSTA et al. 2000; FURNESS 2000; SCHEMANN et al. 2001). Die beiden Tachykinine sind dem Transmitter Acetylcholin untergeordnet und fördern als unterstützendes System die Motilität des Magen-Darm-Trakts (MAGGI 2000). Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass eine Hemmung der Tachykinin-Rezeptoren NKR1 und NKR2 zu einer deutlichen Verminderung der Peristaltik in Dünn- und Dickdarm sowie im Ösophagus führt (BARTHO et al. 1999; TONINI et al. 2001). Auch der Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt und die Sekretion von Verdauungsenzymen werden durch Substanz P

beeinflusst. Studien mit humanen und porcinen Systemen konnten zeigen, dass Substanz P an der Sekretion von Chlorid-Ionen im Kolon sowie an der Säureproduktion und Pepsinogen-Sekretion im Magen beteiligt ist (RIEGLER et al. 1999; SCHMIDT et al. 1999). Die vaskulären Effekte von Substanz P im Gastrointestinaltrakt sind variabel. Substanz P und NKA können sowohl Vasodilatation als auch Vasokonstriktion hervorrufen. Außerdem erhöht Substanz P bei inflammatorischen Prozessen über den NKR1 die Permeabililtät von Venolen in Magen-Darm-Trakt und Pankreas, die unter physiologischen Bedingungen durch die Anwesenheit von neutraler Endopeptidase niedrig gehalten wird (STURIALE et al. 1999;

MAA et al. 2000). Substanz P konnte auch in nicht neuronalen Zellen im Gastrointestinaltrakt, wie enteroendokrinen Zellen, eosinophilen Granulozyten und Makrophagen nachgewiesen werden (METWALI et al. 1994; CASTAGLIUOLO et al. 1997).

Im Respirationstrakt sind SP-haltige Nervenfasern in Epithelien, Drüsen, Blutgefäßen und glatter Muskulatur von Bronchien lokalisiert (BARNES et al. 1991). Substanz P reguliert in den Atemwegen vor allem neurogene Entzündungsprozesse. Eine Freisetzung von Substanz P und NKA aus Capsaicin-sensitiven sensorischen Nervenfasern führt zu Bronchokonstriktion, Plasma-Extravasation und Vasodilatation (O'CONNOR et al. 2004). Auslösende Faktoren können eine Reihe von Substanzen wie Allergene, Zigarettenrauch, Ozon aber auch bronchoaktive Substanzen wie Histamin, Prostaglandine und Leukotriene sein (MARTINS et al. 1991; BALUK et al. 1996; TAKEBAYASHI et al. 1998). Substanz P ist potenter in der Stimulation von Extravasation und Vasodilatation, während NKA der stärkere Bronchokonstriktor ist (SHELDRICK et al. 1995; VAN RENSEN et al. 2002). Tachykinine, im Besonderen Substanz P, lösen über den NKR1 eine Reihe von Reaktionen bei Leukozyten aus, die Entzündungsprozesse in der Lunge initiieren und verstärken (DEROSE et al. 1994;

NAKAGAWA et al. 1995).

Mitte der 70er Jahre wurde Substanz P in demyelinisierten Capsaicin-sensitiven Nervenfasern sowie in Spinalganglien und Neuronen des dorsalen Horn des Rückenmarks nachgewiesen, was die ersten strukturellen Hinweise auf eine Beteiligung an der Schmerz-Weiterleitung lieferte (ZUBRZYCKA u. JANECKA 2000). Das Neuropeptid wird in den Spinalganglien synthetisiert und von dort nach zentral in das dorsale Horn oder nach peripher in unmyelinisierte, Capsaicin-sensitive Nervenfasern transportiert, die größtenteils Nozizeptoren sind. Versuche mit Mäusen und Ratten haben gezeigt, dass eine Injektion von Substanz P zu

Schmerzäußerungen führt, während eine Behandlung mit einem Antagonist eine Analgesie hervorruft (YASHPAL u. HENRY 1983; ZUBRZYCKA et al. 1997). Die Gabe von Capsaicin führte bei Ratten zu einer Abnahme der Substanz P-Gehalte im Rückenmark einhergehend mit einer Erhöhung der Schmerzreiz-Schwelle (NAGY u. VAN DER KOOY 1983).