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bilingualen Sachfachunterricht?

1. Das Dilemma des bilingualen Fachunterrichts

Das Dilemma des bilingualen Fachunterrichts lässt sich kurz und knapp identifizieren als Diskrepanz zwischen den fremdsprachlichen und den kognitiven Möglichkeiten der Lernenden in den Sachfächern. Dazu Gröne (1997: 45) mit Beobachtungen aus der unterrichtlichen Praxis:

Wie gehen die Lernenden, die diese Diskrepanz verspüren, damit um?

Häufig verstummen sie einfach oder sagen viel weniger als sie wissen, weil sie deutsche Beiträge vermeiden (wollen), wohl auch als Makel empfinden. Das Angebot "das kannst du ruhig auf Deutsch sagen" wird meist ignoriert. Der Wechsel zwischen Muttersprache und Fremdsprache wird eher als störend denn als Hilfe empfunden. Nach meinen Be-obachtungen wollen die Siebtkläßler schon nach der Einführungsphase möglichst aus-schließlich die Fremdsprache benutzen, obwohl L2 für sie eine deutliche Einschränkung ihres Mitteilungsbedürfnisses und ihrer Sprechbereitschaft bedeutet. Sie wollen inhalt-liche Aussagen machen und tun dies, ohne sich viel Gedanken um die sprachinhalt-liche Kor-rektheit zu machen.

Die Problemstellung ist hinlänglich bekannt. Es gibt darauf eine Vielzahl von Reaktionen:

 Der Experte mit direkter oder erlesener Kenntnis der Evaluationsergebnisse kanadischer Immersionsmodelle tröstet: "Nur Geduld. Am Anfang ist die Progres-sion im bilingualen Fachunterricht langsamer, und bei den Ergebnissen muss man Abstriche machen. Am Ende ist die Effektivität des Lernens dem L1-geführten Fachunterricht gleichwertig, wenn nicht überlegen. Das liegt daran, dass Erkennt-nisse und Methoden des Fachunterrichts in der Fremdsprache klarer und einfacher präsentiert werden können als im überdifferenzierten und nuancenreichen Ge-brauch von L1."

 Der "aufgeklärte" Fachlehrer: "Damit muss man rechnen, und so schlimm ist das auch nicht. Es veranlasst uns, inhaltlich und didaktisch zu reduzieren und nur das Wesentliche zum Gegenstand des Unterrichts zu machen."

 Die Pädagogin: "Meine Schülerinnen und Schüler werden gut mit den sprachlichen Problemen des Fachunterrichts fertig. Sie sind aufgeweckt, motiviert, konzentriert und leistungsbereit." Dazu der Schulleiter: "Kein Wunder. Mit diesem Ziel haben wir die Schülerinnen und Schüler auch ausgewählt und die Elternberatung durchgeführt."

 Der Fachlehrer, der nicht zugleich auch Fremdsprachenlehrer ist, entlastet sich so:

"Wir fangen mit einem sehr geringen Unterrichtsanteil in der Zielsprache an. Zu-nächst ist es nur eine Unterrichtseinheit pro Halbjahr. Über die Jahre steigern wir dann diesen Anteil."

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 Ein Ministerialbeamter des Landes A: "Systembedingte Lerndefizite in einem Unterrichtsfach? Das kann es bei uns nicht geben. Also, wir unterrichten das Sach-fach zuerst mit zwei Wochenstunden in Deutsch, dann mit einer Wochenstunde in der Fremdsprache, wobei wir die interkulturellen und kulturspezifischen Anteile in der Zielsprache verstärken. Der Fachunterricht ist also zweisprachig (bilingual), da entstehen keine Defizite."

 Ministerialbeamtin des Landes B: "Defizite? Bei uns auch nicht. Wir erweitern im ersten Jahr den bilingualen Fachunterricht um eine Wochenstunde. Das kompen-siert mögliche Defizite im Fachlichen."

Diese Liste ließe sich beliebig weiterführen. Die meisten Strategien, dem Dilemma des bilingualen Unterrichts zu begegnen, greifen nicht auf die Prozesse des Lehrens und Lernens zu, sondern versuchen, Probleme auf organisatorischem (Schülerselektion, Einsatz des assistant teacher, Verstärkung der Unterrichtszeit) oder auf didaktischem Wege (Reduktion auf das Wesentliche, Verlagerung der Progression) zu lösen. Ange-sichts dieser Problemlösungsstrategien ist die Einschätzung von Wolff (1997: 50) immer noch aktuell (vgl. gleichwohl Breidbach 2007):

Sofern ich zu erkennen vermag, unterliegt dem bilingualen Sachfachunterricht bisher noch keine auf ihn zugeschnittene Theorie des Lernens, und auch in der Didaktik ist man über erste experimentierende Versuche noch nicht hinaus. Trotz der fortschritt-lichen Grundkonzeption baut der bilinguale Sachfachunterricht noch in hohem Maße auf traditionellen didaktisch-methodischen Vorstellungen auf, dies gilt sowohl für die sprachliche wie auch für die Sachfachkomponente.

Jede Form von praktischem unterrichtlichen Handeln – und auch der bilinguale Sach-fachunterricht ist eine Form praktischen unterrichtlichen Handelns – bedarf einer unter-liegenden Theorie, durch die abgesichert wird, daß das, was im Klassenzimmer ge-schieht, auch lerntheoretisch sinnvoll ist, daß es pädagogisch angemessen ist und zum gewünschten Ergebnis führt. Eine solche Theorie sollte auch Wege zur Weiterentwick-lung und Verbesserung des Praktizierten weisen.

So lange im Fachunterricht Grundströmungen der lehrer- und wissensorientierten Instruktion vorherrschen, so lange ist die Kluft zwischen den fremdsprachlichen und den kognitiven Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler relativ leicht überbrück-bar, da die obligatorischen Unterrichtsinhalte von den Lehrkräften oder von den Lern-mittelverlagen fremdsprachlich vor- und aufbereitet werden können. In einem Unter-richt dieser Art grenzt die Konzentration auf abfragbares Fachwissen – meist geknüpft an die unterrichtsdominante Arbeit mit dem Lehrwerk – die Vielfalt möglichen Sprachhandelns im Fachunterricht sowie die damit verbundenen Textsorten und Sprechakte sehr stark ein. Erwünschtes sprachliches Handeln ist weitgehend vorher-sagbar: Es geht in erster Linie um das Verstehen didaktisierter Texte und um die knappe wissensbezogene mündliche und schriftliche Beantwortung von Lehrerfragen.

Verständlich, dass für diese Form von Unterricht das hauptsächliche fremdsprachliche Problem im Lehren und Lernen der fachbezogenen Begrifflichkeit besteht.

Nun gehört diese Art von Unterricht – bei optimistischer Sichtweise der Praxis – der Vergangenheit an. Auch in den Sachfächern haben arbeits-, handlungs- und

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lerorientierte Verfahren Einzug gehalten. Gruppen- und Projektarbeit sind durchaus üblich; authentische Texte und moderne Medien werden eingesetzt; Rollenspiele und Simulationen gehören ebenfalls zum unterrichtlichen Alltag wie das Bearbeiten längerfristig gestellter komplexer Aufgaben. Kurz: wie im Fremdsprachenunterricht so vollzieht sich auch in den Sachfächern unter dem Einfluss reformpädagogischer oder lerntheoretischer Konzepte der Paradigmenwechsel von der Instruktion zur Konstruk-tion. Für den bilingualen Fachunterricht hat diese Entwicklung entscheidende Konse-quenzen, denn die fremdsprachlichen Anforderungen bei "offenen Unterrichtsforma-ten" sind um ein vielfaches komplexer als bei unterrichtlicher Instruktion.

Wie wird nun die Suche nach einer Unterrichtstheorie bzw. einer spezifischen Unterrichtsmethodik für den bilingualen Fachunterricht angegangen? Drei grundle-gende Positionen lassen sich aus der Literatur herausarbeiten, die ich hier jeweils mit einer Stimme belegen möchte:

1.1. Position A: Es besteht kein besonderer Handlungsbedarf

Die Frage, ob es eine eigenständige Methodik1 für den bilingualen Fachunterricht gebe, wird von Nando Mäsch (1996), der die deutsch-französischen bilingualen Bil-dungsgänge an Gymnasien über Jahrzehnte gefördert und begleitet hat, mit Blick auf Unterrichtsformen glatt verneint. Er geht dabei von zwei Leitsätzen aus:

 Erlaubt ist, was der Sache dient und dem Schüler nicht schadet; Leitsatz der Utilität nach Kronenberg (1993) – wobei mit "Sache" der bilinguale Fachunterricht gemeint ist.

 Für das bilinguale Lehren und Lernen gibt es keine anderen Unterrichtsformen als die heute für guten schulischen Unterricht allgemein bekannten; Leitsatz der Gene-ralität (Mäsch 1996: 1f.).

Mäsch präsentiert dann eine "Methoden-Waage" mit Abstufungen zwischen Lehrer-orientierung und LernerLehrer-orientierung, über die man heftig diskutieren könnte, denn solche Arbeitsformen wie "Einzelarbeit" oder "Schülervortrag" müssen nicht not-wendigerweise schülerorientiert angelegt sein.

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Mäsch (1996: 4) geht dann die einzelnen Arbeitsformen durch und kommentiert sie mit spezifischen Hinweisen auf den bilingualen Fachunterricht, z.B. "Lehrervortrag"

als Arbeitsform für den bilingualen Fachunterricht:

Im bilingualen Unterricht ist der latente Wortschatz der Lerner von großer Bedeutung.

Die Lehrenden können ihn durch den Lehrervortrag gezielt erweitern und mit prospek-tiver Zielsetzung vor dem Absacken bewahren, um ihn bei Bedarf zum aktiven Wort-schatz zu erheben. Die Frequenz und die Kollokationen der latent zu legenden und zu erhaltenden Lexeme und Strukturen müssen von den Lernenden möglichst bewußt und systematisch eingesetzt werden.

Schließlich fasst er so zusammen:

Hinsichtlich des Teilbereichs der Unterrichtsformen ist der augenblickliche Erkenntnis-stand, daß es im bilingualen Unterricht keine anderen als die auch im muttersprach-lichen Unterricht angeratenen und gängigerweise benutzten Unterrichtsformen gibt, daß aber unter der Kondition von Fremdsprache als Vehikularsprache bei der Anwendung der bekannten Unterrichtsformen spezifische Aspekte berücksichtigt werden müssen (Mäsch 1996: 14).

1.2. Position B: Immersion ist die Methode des bilingualen Fachunterrichts Was Wode (1995) zum Stichwort "Lehrmethode" zu sagen hat, kann ebenfalls kaum als Grundlegung einer Unterrichtsmethodik für den bilingualen Fachunterricht gelten.

Er eröffnet die kurze einschlägige Passage in seiner werbenden Darstellung von Immersion und bilingualem Unterricht zwar vielversprechend – "Die Art, wie der Unterricht gestaltet wird, spielt eine ganz entscheidende Rolle." (Wode 1995: 151) – kommt dann zu der Feststellung, dass interaktionsorientierter und schülerorientierter Unterricht zu besseren Ergebnissen führen als lehrerzentrierter. Das gilt natürlich – wie er selbst einräumt – für den Fremdsprachenunterricht schlechthin, möglicherweise für jede Form von Unterricht. Zumindest deutet er für die Beschäftigung mit der Unterrichtsmethodik Potential an: "...können die Ergebnisse von interaktions- und schülerzentriertem Unterricht, wie er bei IM [= Immersion, E.T.] üblich ist, noch ver-bessert werden, wenn Erklärungen und Korrekturen durch die Lehrkraft mitgeboten werden. Unklar ist z.Zt., in welcher Weise diese Aspekte am geschicktesten verbunden werden." (Wode 1995: 152)

1.3. Position C: Immersion funktioniert –

aber nicht ohne spezifische unterrichtsmethodische Unterstützung

Edgar Otten (1993: 50) gehört zu den wenigen, die unmissverständlich eine Methodik des bilingualen Fachunterrichts fordern:

For better or worse, immersion programmes in Canada, in the United States or in Australia have shown that "immersion works o.k.". But does it work for learners who normally have very little contact with the foreign language outside school and who are often instructed by non-native speakers of the language? Can the bilingual content-specific subjects rely on the immersion strategy and its methodology? I will make a case for the need of a content-specific methodology in bilingual education that might underpin or complement the traditional immersion strategy of the subject-specific classroom....

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Ich selbst schließe mich der Position Ottens an. Für mich ist Immersion keine Me-thode, sondern eher fachpädagogisches Laissez-faire und damit eher die Negation einer Unterrichtsmethodik. Die Nachfrage nach einer Methodik für den bilingualen Fachunterricht ist spätestens seit dem Zeitpunkt unabweisbar, an dem der bilinguale Unterricht nicht mehr Privileg einiger weniger Gymnasien ist bzw. einiger weniger Schülerinnen und Schüler an einigen wenigen Gymnasien, die mit Lehrerinnen und Lehrern zu tun haben, die seit vielen Jahren Erfahrungen mit bilingualem Unterricht sammeln konnten. Inzwischen hat sich bilingualer Fachunterricht den Weg in den Mainstream unseres Bildungssystems gebahnt und damit auch in den mittleren Bega-bungs- und Leistungsbereich der Schülerinnen und Schüler.

Schaut man durch die Ergebnisberichte der größeren internationalen Fachtagungen zum bilingualen Unterricht, dann erkennt man durchaus ein massives Interesse an methodischen Fragen. So gab es bei der von der Europees Platform voor het Neder-landse Onderwijs organisierten Konferenz 15 Workshops, die die folgenden methodi-schen Aspekte thematisierten:

 Subject-specific skills as part of "bilingual" methodology

 Mapping terra incognita: a look at methodology in the bilingual classroom

 The problem of didactic material in the bilingual classroom

 Methodology: language support in bilingually taught subjects

 Early bilingual education: some teaching strategies

Diese in letzter Zeit verstärkte Fokussierung auf Methoden hat durchaus verständliche Gründe:

 Sie liegt einmal darin, dass an unterschiedlichen Stellen in Europa didaktisches Material für den spezifischen Einsatz im bilingualen Fachunterricht entwickelt wird und

 zum anderen darin, dass auf Hochschul- und Seminarebene spezielle Lehrerausbil-dung für den bilingualen Fachunterricht organisiert wird.

In beiden Fällen sind dezidierte unterrichtsmethodische Aspekte grundlegend für kon-krete Realisierungen.

2. Ausgangspunkte für den Entwurf einer Methodik des bilingualen