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Ausgangspunkte für den Entwurf einer Methodik des bilingualen Fachunterrichts

bilingualen Sachfachunterricht?

2. Ausgangspunkte für den Entwurf einer Methodik des bilingualen Fachunterrichts

Als ersten Ausgangspunkt für Überlegungen zu einer Methodik des bilingualen Fach-unterrichts wähle ich drei Methoden-Definitionen aus dem Theorieband von Meyers (1987: 45ff.) zweibändigem Standardwerk:

Unterrichtsmethoden sind die Formen und Verfahren, in und mit denen sich Lehrer und Schüler die sie umgebende natürliche und gesellschaftliche Wirklichkeit unter institutio-nellen Rahmenbedingungen aneignen.

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Das methodische Handeln von Lehrern und Schülern besteht aus der zielgerichteten Arbeit, sozialen Interaktion und sinnstiftenden Verständigung.

Unterrichtsmethodische Handlungskompetenz von Lehrern und Schülern besteht in der Fähigkeit, in immer wieder neuen, nie genau vorhersagbaren Unterrichtssituationen zielorientiert, selbständig und unter Beachtung der institutionellen Rahmenbedingungen zu arbeiten, zu interagieren und sich zu verständigen.

Kein Zweifel: Das ist eine deutliche Absage an Instruktionspädagogik. Lehren und Lernen dienen der Aneignung von Wirklichkeiten, und es geht um entdeckendes, er-forschendes, handelndes Lernen – allerdings unter den Bedingungen der Institution von Schule. Und damit kommen wir wieder zum eigentlichen Thema.

Die Institution, von der wir reden, ist die deutsche Fächerschule. In dieser Schule darf nicht einmal der Verdacht aufkommen, dass das eine Fach Dienstmagd des ande-ren Faches sei – wenn auch nur temporär. Nichts kann prinzipiell den eigenständigen Anspruch eines Faches schmälern. Selbst wenn man sich ein anderes System gut vor-stellen kann, in dem die horizontalen Verbindungen zwischen den Fächern und Lern-bereichen unter Wirklichkeitsbezügen stärker zur Geltung kommen, so sollte aus Gründen bildungspolitischer Akzeptanz bilinguales Lehren und Lernen zunächst unter dem Anspruch der Normalität eines muttersprachlich geführten Faches gedacht und projektiert werden. Das hat zur Folge, dass die Komplexität des Sprachhandelns in einem modern geführten Fachunterricht wie Geschichte im Prinzip nicht auf die Progression des Fremdsprachenunterrichts abgestimmt werden kann, auch nicht wenn beide Fächer in den Händen derselben Lehrerin bzw. desselben Lehrers liegen.

Wer den Fachunterricht unter das Primat des Fremdsprachenerwerbs stellt und den prinzipiellen eigenen Anspruch des Fachunterrichts schmälert, wird unter den gegebe-nen institutionellen Bedingungen die quantitative Erweiterung bilingualer Bildungs-gänge gefährden. Die fachliche Rollenteilung ist klar und für die Projektierung einer Methodik des bilingualen Fachunterrichts einzuhalten. Gröne (1997) hat dies für ihre Schülerinnen und Schüler auf die bemerkenswert deutliche Formel gebracht: "We speak English in our Geography class, and we learn English in our English class."

Die Auseinandersetzung mit den institutionellen Faktoren einer Unterrichtsmethodik für den bilingualen Fachunterricht führt uns zu mehreren grundlegenden Bedingungen, die an eine solche Methodik zu knüpfen sind:

 Eine Methodik des bilingualen Fachunterrichts muss gewährleisten, dass so viel unterrichtliche Lernzeit wie irgend möglich auf das eigentliche Anliegen des Fach-unterrichts verwendet werden kann und muss aus diesem Grund so intensiv wie möglich Transfer-Leistungen aus anderen Fächern und Lernbereichen nutzen.

 Der bilinguale Fachunterricht ist darauf angewiesen, dass im Fremdsprachenunter-richt die sprachlichen Voraussetzungen für die Koordinierung von Arbeit, für so-ziale Interaktion und sinnstiftende Verständigung so grundgelegt sind, dass sie sich in ihrer allgemeinen Form durch intensiven Gebrauch ohne systematische Hilfe immer weiter fachlich ausdifferenzieren können.

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 Da die sprachlichen Mittel (allgemeiner Wortschatz, Grammatik, Fachsprache), Arbeitsweisen, Textsorten/Medien, Sprechakte in einem offenen und handlungs-orientierten Fachunterricht nicht zuverlässig vorhersagbar und möglicherweise nicht für alle Schüler zu gleichen Zeitpunkten von gleicher Bedeutung sind, müssen die Schüler über fremdsprachliche Arbeits- und Lerntechniken verfügen, die ihnen selbständiges Arbeit auch ermöglichen.

Wählt man als komplementären Ausgangspunkt für Überlegungen zu einer Methodik des bilingualen Fachunterrichts Wolffs (1997) Aufarbeitung lernpsychologischer Er-kenntnisse, kommt man zu einer Bestätigung der oben formulierten Bedingungen an eine solche Methodik:

 Wenn es stimmt, dass die realen Sachfachinhalte ein größeres Interesse und damit eine höhere Involviertheit der Lernenden bewirken und man deshalb von einer tie-fer gehenden Verarbeitung als im herkömmlichen Sprachunterricht ausgehen kann, warum sollte man dann in größerem Umfang sachfachliche Lernzeit für das systematische sprachliche Lernen umwidmen?

 Wenn es stimmt, dass Authentizität einer sinnhaften Interaktion sprachlern-fördernder ist als es die pseudorealen Inhalte des Fremdsprachenunterrichts sind, warum dann nicht alle notwendigen Vorkehrungen treffen, dass diese Interaktion auch in der Zielsprache funktioniert?

 Wenn es stimmt, dass Lerneffekte nachhaltiger sind, wenn sie von den Lernenden selbst über hypothesengeleitetes Entdecken und Erproben "erwirtschaftet" werden, warum dann nicht gründlich mit unmittelbarem und plausiblem Anwendungsbezug diese Techniken bereitstellen, die das selbständige Lernen unterstützen?

Schließen wir unsere Überlegungen zu einem Entwurf einer Methodik für den bilin-gualen Fachunterricht mit einem Beispiel ab:

Im Erdkundeunterricht möchte der Lehrer, dass die Schülerinnen und Schüler mit dem Atlas arbeiten. Er sagt: "Schlagt die Karte von Skandinavien auf. Wir wollen uns heute einmal die Länder Nordeuropas näher ansehen!" Dann wissen die Schülerinnen und Schüler, was sie zu tun haben – nämlich, dass es bei der Aufgabenstellung um mehr als nur das "Ansehen der nordeuropäischen Länder" geht. Sie sind sich bewusst darüber, dass diese Aufgabenstellung eine Aufforderung impliziert, topographische, klimatische, demographische und wirtschaftliche Bestimmungs- und Orientierungs-merkmale anhand der Karte zu erarbeiten.

Das ist im bilingualen Erdkundeunterricht nicht anders. Aber es hilft, wenn man sich die in der Fremdsprache abverlangten Leistungen (zusammen: sachfachliche Handlungskompetenz) im Einzelnen bewusst macht. Dazu Lukas (1997: 64):

 Sie müssen die in der Fremdsprache kodierte Arbeitsanweisung verstehen und in konkretes, zielgerichtetes Handeln umsetzen.

 Sie müssen die Authentizität einer zielsprachlich und kulturspezifisch kodierten Kartenvorlage samt ihrer Symbolik lesen, verstehen und richtig interpretieren.

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 Sie müssen die erarbeiteten Informationen mit bereits vorhandenen vergleichen und als Wissen und Kenntnisse bereits vorhandenen Informationen zuordnen, struktu-rieren und diese gegebenenfalls erweitern bzw. als neues Wissen sich aneignen.

 Weiterhin müssen sie über Erkenntnisse ihrer Kartenarbeit, d.h. ihre sachfachliche Erkenntnisse, in der Fremdsprache Auskunft geben.

 Schließlich hoffen wir, daß dieser Lernvorgang über Mechanismen der individuellen Verarbeitung Persönlichkeitsbildung bewirkt, jedoch nicht über die muttersprach-lichen Wahrnehmungsfähigkeiten, sondern vielmehr über die fremdsprachmuttersprach-lichen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmechanismen.

Offensichtlich kann der bilinguale Unterricht die so eindrucksvoll demonstrierten fachunterrichtlichen Aufgaben nur erfüllen, wenn es Methoden gibt, die Lernfort-schritte anzubahnen, zu unterstützen, zu sichern. Von diesen Methoden sagt Lukas (1997: 66f.), sie seien additiv und integrativ:

Additiv sind die Methoden im Bilingualen Unterricht, weil sie im Verlauf des bilin-gualen Lehrgangs fachspezifisch nach und nach entwickelt werden, bevor sie gleichsam als Selbstläufer die Unterrichtsführung durchgängig begleiten.

Integrativ sind sie in zweierlei Hinsicht: Sie sind integrativ im Prozeß ihrer Ausprägung und Profilbildung. Und sie sind integrativ, indem sie Lehr- und Lernweisen, Aktions- und Organisationsformen hervorbringen, die situationsbedingt auf das Methodenrepertoire zweier lernpsychologisch und didaktisch unterschiedlich angelegter Unterrichtsfächer zurück-greifen. Dabei vollziehen sich Vorgänge pragmatischen Handelns und Anpassens. Es wird transferiert und integriert, was den "bilingualen" Unterrichtsprozeß effektiv stützt.

Bezugsgröße ist dabei wesentlich die sich entwickelnde Handlungskompetenz der Schü-lerinnen und Schüler.

Wie schön wäre es gewesen, wenn Lukas diesen vielversprechenden Ansatz einer Syste-matik genommen und die einschlägigen Methoden identifiziert und systematisiert hätte.