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Der Begriff der „Abhängigkeit“ ist nach der ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision) durch das Vorhandensein von mindestens drei von sechs diagnostischen Kriterien definiert (siehe Tabelle 1).

Diagnostische Kriterien von Abhängigkeitserkrankungen

Drei oder mehr der folgenden Kriterien sollten zusammen mindestens einen Monat lang bestanden haben, falls sie nur für eine kürzere Zeit gemeinsam aufgetreten sind, sollten sie innerhalb von zwölf Monaten wiederholt bestanden haben.

1. Ein starkes Verlangen oder eine Art Zwang, die Substanz zu konsumieren.

2. Verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch, d.h. über Beginn, Beendigung oder die Menge des Konsums, deutlich daran, dass oft mehr von der Substanz oder über einen längeren Zeitraum konsumiert wird als geplant, oder an dem anhaltenden Wunsch oder an erfolglosen Versuchen, den Substanzkonsum zu verringern oder zu kontrollieren.

3. Ein körperliches Entzugssyndrom (siehe Tabelle 2), wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird, mit den für die Substanz typischen Entzugssymptomen oder auch nachweisbar durch den Gebrauch derselben oder einer sehr ähnlichen Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.

4. Toleranzentwicklung gegenüber den Wirkungen der Substanz. Für eine Intoxikation oder um den gewünschten Effekt zu erreichen, müssen größere Mengen der Substanz konsumiert werden, oder es treten bei fortgesetztem Konsum derselben Menge deutlich geringere Efekte auf.

5. Einengung auf den Substanzgebrauch, deutlich an der Aufgabe oder Vernachlässigung anderer wichtiger Vergnügen oder Interessensbereiche wegen des Substanzgebrauchs; oder es wird viel Zeit darauf verwandt, die Substanz zu bekommen, zu konsumieren oder sich davon zu erholen.

6. Anhaltender Substanzgebrauch trotz eindeutig schädlicher Folgen, deutlich an dem fortgesetzten Gebrauch, obwohl der Betreffende sich über die Art und das Ausmaß des Schadens bewusst ist oder bewusst sein könnte.

Tabelle 1: Definition von Abhängigkeitserkrankungen nach ICD-10

EINLEITUNG 10 Die Opiatabhängigkeit stellt heute neben der Nikotin-, Alkohol-, Medikamenten- sowie der Kokainabhängigkeit einen Hauptbestandteil der weltweiten Drogenproblematik dar. Durch die Notwendigkeit, die Sucht durch Kleinkriminalität und Drogenhandel zu finanzieren, werden die Abhängigen schnell in die Illegalität gedrängt. Ferner droht eine Vielzahl an Erkrankungen, wie Hepatitis oder HIV, Abszessbildung durch die Verwendung kontaminierter Injektionsbestecke und unzureichende hygienische Bedingungen, Endokarditiden und der Verfall des Gebisses. Die meisten Drogenabhängigen können sich durch die Sucht nicht mehr in ihrem bisherigen Umfeld halten. Daraus folgt eine Verarmung an zwischenmenschlichen Beziehungen (viele Drogenabhängige haben nur Kontakte innerhalb der „Drogenszene“) und ein sozialer Abstieg. Die häufig fehlende schulische und berufliche Qualifikation und die mangelnde soziale Einbindung von Drogenabhängigen machen ihre Reintegration in die Gesellschaft besonders schwierig.

Das Konsumverhalten der Drogenabhängigen hat sich seit Mitte der Achtziger Jahre gewandelt. Damals standen rein Heroinabhängige im Vordergrund. Seitdem hat sich das Konsummuster zugunsten eines Mischkonsums mit Heroin als Leitsubstanz gewandelt.

Heutzutage macht die Gruppe der Opiatabhängigen mit polyvalentem Drogenkonsum den Hauptanteil unter den Opiatabhängigen aus, reine „Heroinfixer“ sind eine Seltenheit geworden (Kruse et al. 1996, Poehlke 1998). Durch das polytoxikomane Gebrauchsmuster verschiedener Substanzen mit unterschiedlicher Wirkung auf das zentrale Nervensystem ergeben sich neue Probleme in der Behandlung Opiatabhängiger. Zudem haben sich die Jugendlichen in Ostdeutschland in den letzten Jahren in ihrem Konsummuster an die westdeutschen Jugendlichen angeglichen. (BzgA 1998).

Als Konsumenten harter Drogen werden von der Polizei im Wesentlichen solche Personen definiert, die unter medizinischen Gesichtspunkten als Personen mit problematischem Drogenkonsum angesehen werden (Konsum von Heroin, Kokain, Ampetaminen und/oder Ecstasy und deren chemische Derivate). Verlässliche Informationen über die aktuellen Konsumentenzahlen sind schwierig zu erhalten. Die wichtigste Berechnungsgrundlage hierfür war die im Jahre 2000 bundesweit mit finanzieller Hilfe des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung (GMGS) durchgeführte Repräsentativerhebung zum Konsum und Missbrauch psychoaktiver Substanzen bei Erwachsenen in Deutschland (Kraus und Augustin 2001). Dementsprechend war die Anzahl der Konsumenten illegaler Drogen ohne Cannabis auf zwischen 250.000 und 300.000 geschätzt worden, von denen – je nach Schätzgrundlage- zwischen 127.000 und 198.000 im Jahre 2000 opiatabhängig waren. Die Anfang 2006 erhältlichen, neuesten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2004.

Demnach konsumieren in Deutschland zwischen 70.000 und 172.000 Menschen Heroin (1,6- 3,0 pro 1000 Einwohner im Alter von 15-64 Jahren), zwei Drittel davon intravenös (Simon et al. 2005).

Als sensible Indikatoren für die Rauschgiftlage und –entwicklung gelten die Delikts- und Tatverdächtigenzahlen, die Sicherstellungsfälle und –mengen, sowie die Anzahl erstauffälliger Konsumenten harter Drogen. In den meisten dieser Bereiche ist in den letzten Jahren ein deutlicher Aufwärtstrend zu verzeichnen, wobei einschränkend zu berücksichtigen ist, dass diese Zahlen vom Erfolg der Ermittlungsbehörden abhängen und sich über die Jahre beispielsweise durch das Aufkommen von Ecstasy als neue Droge die Falldefinitionen ändern können.

2004 wurden allein in Deutschland 283.708 Delikte der Rauschgiftkriminalität registriert, darunter 200.378 allgemeine Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, 70.761 Delikte im Zusammenhang mit Handel und Schmuggel sowie illegaler Einfuhr von

EINLEITUNG 11 Betäubungsmitteln und 7983 sonstige Verstöße gegen das BtMG. Es wurden 2206 Fälle der direkten Beschaffungskriminalität registriert (darunter versteht man Delikte, die direkt auf die Erlangung von Betäubungsmitteln oder Ersatzstoffen ausgerichtet sind, wie z.B.

Diebstahl aus Apotheken, Krankenhäusern oder Rezeptfälschungen). Dies bedeutet eine Steigerung von 11 % bei allen Delikten der Rauschgiftkriminalität gegenüber 2003, womit sich der Trend der Vorjahre fortsetzt und ein neuer Höchststand der registrierten Rauschgiftdelikte erreicht wird. Im Straftatenbereich „Handel mit und Schmuggel von Rauschgiften und illegaler Einfuhr von Betäubungsmitteln ergab sich nach einer kurzfristigen Verringerung 2002 (erstmals seit 1993) erneut ein Anstieg der Fallzahlen um 3%. Die Anzahl der sonstigen Verstöße gegendas BtMG blieben nach Korrektur auf eine veränderte Falldefinition von 2003 auf 2004 in etwa konstant. Die Fälle der direkten Beschaffungskriminalität gingen um 14,1% zurück, was vor allem auf einen Rückgang bekanntgewordener Rezeptfälschungen um 21,2% zurückzuführen war.

0 100000 200000 300000

1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

Jahr

Anzahl der Delikte

Delikte gesamt allgemeine Verstöße gegen das BtmG

Handel und Schmuggel Einfuhr "nicht geringer Mengen"

sonstige Verstöße gegen das BtMG

Abbildung 12: Delikte der Rauschgiftkriminalität

Somit unterscheidet sich der Trend in der Entwicklung der Rauschgiftkriminalität deutlich von dem der Gesamtkriminalität. Während die Gesamtkriminalität im Zeitraum von 1993 bis 2004 nahezu konstant blieb bzw. leicht sank (1993 6.750.613 Fälle, 2004 6.633.156 Fälle) nahm die Zahl der Rauschgiftdelikte im selben Zeitraum um mehr als 100% zu (1993 122.240 Fälle, 2004 283.708 Fälle). Der Anteil der Rauschgiftdelikte an der Gesamtkriminalität stieg somit von 1,8 % im Jahr 1993 auf 4,3% im Jahr 2004 an. 1987 betrug die Zahl der Rauschgiftdelikte noch 74.894 Fälle (siehe Abbildung 10). Es ist davon auszugehen, dass bei allen beschriebenen Straftaten die Dunkelziffer erheblich höher liegt.

(Bundesministerium des Innern 2005).

EINLEITUNG 12

0 2 4 6 8

1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

Jahr

Gesamtkriminalität (Anzahl der Delikte) in Mio.

0 100 200 300

Rauschgiftdelikte (Anzahl der Delikte) in Tsd.

Gesamtkriminalität Rauschgiftdelikte

Abbildung 13: Entwicklung der Rauschgiftdelikte im Verhältnis zur Gesamtkriminalität

Die sichergestellte Menge von Heroin lag 2004 bei 775 kg (Zunahme von 24% gegenüber 2003), wobei die Menge des sichergestellten Heroins seit 1988 stark schwankt (von 537,2 kg im Jahr 1988 bis zu 1595,0 kg im Jahr 1991), die Zahl der Sicherstellungsfälle betrug 6608 (Anstieg von 8% gegenüber 2003). Ebenso waren bei den Sicherstellungsfällen und -Mengen von Kokain deutliche Steigerungen zu verzeichnen. (4.088 Kokain- Sicherstellungsfälle 2004 vs. 3.822 Fälle 2003); sichergestellte Menge 2004 969 kg vs.

1.009 kg in 2003). Ein weiterer Anstieg ist bei den sichergestellten Amphetaminmengen zu verzeichnen. Waren es 1988 noch 91,4 kg, stieg die sichergestellte Menge bis 2004 fast stetig an (556 kg sichergestelltes Amphetamin 2004). Die sichergestellten Mengen von Cannabisharz und Marihuana unterliegen seit 1988 stetigen Schwankungen, stagnierten aber seit 2002 und lagen im Jahre 2004 bei 10.857,3 kg. Die sichergestellten Konsumeinheiten von Ecstasy waren seit 1988 zunächst steigend. Wurden 1988 noch 234 KE (Konsumeinheiten) sichergestellt, so waren es 2002 3.207.099 Konsumeinheiten.

Allerdings zeigte sich im Jahr 2002 erstmals seit 1988 wieder ein Rückgang der Amphetamin- Sicherstellungen (2001 noch 4.576.504 Konsumeinheiten), der sich in den folgenden Jahren fortsetzte (2.052.158 Konsumeinheiten). Vergleicht man die sichergestellten Mengen im Zeitraum von 1988 bis 2004, so sind die Heroin-, Kokain- und Cannabissicherstellungen ständig starken Schwankungen unterworfen, während die sichergestellte Ecstasy- und Amphetaminmenge erst förmlich explodiert (siehe Abbildungen 11 und 12) und seit 2002 wieder rückläufig ist.

EINLEITUNG 13

0 500 1000 1500 2000 2500 3000

1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

Jahr

sichergestellte Menge in kg (Heroin, Kokain und Amphetamine)

0 5000 10000 15000 20000 25000 30000

sichergestellte Menge in kg (Cannabisharz und Cannabiskraut)

Heroin Kokain Amphetamin/ Methamphetamin Cannabis

Abbildung 14: Betäubungsmittelsicherstellungen in Deutschland (Heroin, Kokain, Amphetamine, Cannabis)

0 1 2 3 4 5

1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004

Jahr

sichergestellte Ecstasymenge in Mio. KE

sichergestellte Ecstasymenge in Mio. Konsumeinheiten Abbildung 15: Betäubungsmittelsicherstellungen in Deutschland (Ecstasy)

In der gesamteuropäischen Statistik hingegen nimmt die sichergestellte Menge an Heroin, Kokain und Cannabisprodukten entweder zu oder bleibt auf hohem Niveau stabil (Heroin 12.171 kg 2004 vs. 3.693 kg 1987; Kokain 60.198 kg 2004 vs. 3.688 kg 1987, Cannabisprodukte 1.387.575 kg 2004 vs. 178.948 kg 1987). (Quelle:

Rauschgiftjahresbericht 2004, 2005).

EINLEITUNG 14

0 20 40 60 80 100

1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003

Jahr sichergestellte Menge in Tsd. kg (Heroin, Kokain)

0 400 800 1200

sichergestellte Menge in Tsd. kg (Cannabis)

Heroin Kokain Cannabis

Abbildung 16: Betäubungsmittelsicherstellungen in Europa (Heroin, Kokain, Cannabis)

Als erstauffällige Konsumenten harter Drogen bezeichnet man solche Personen, die erstmals der Polizei oder dem Zoll in Verbindung mit dem Mißbrauch harter Drogen bekannt werden. Es kann sich hierbei sowohl um langjährig Opiatabhängige, als auch um Erst- und Gelegenheitskonsumenten handeln. 2004 waren es 21.100 Fälle, im Jahr 2002 waren es 20.230 Fälle, im Jahr 2001 22.551 Fälle, im Jahr 2000 22.584 Fälle, somit ist vom Jahr 2000 an erstmals seit 1988 ein leichter Rückgang bzw. eine Stabilisierung zu verzeichnen. Durch mehrere Änderungen des Erfassungsprocederes sind diese Zahlen jedoch nur bedingt miteinander vergleichbar. Die Daten aus dem Jahre 2003 sind aufgrund methodischer Schwierigkeiten im Rahmen einer Computerumstellung nicht zu vergleichen und wurden deshalb nicht berücksichtigt. Die Heroinabhängigen stellten im Jahr 2002 mit 27,5 % erstmals seit 1987 nicht mehr den größten Anteil der erstauffälligen Konsumenten harter Drogen dar (2002 28,8 % Anteil von Amphetaminkonsumenten), bildeten 2004 mit 25,2% aber noch immer die zweitgrößte Tätergruppe. 1988 lag der Anteil der Heroinkonsumenten bei 64,7 %. Das Durchschnittsalter der erstauffälligen Konsumenten harter Drogen lag 2004 bei 26 Jahren. (Quelle: Rauschgiftjahresbericht 2002).

Die Zahl der Drogentoten betrug im Jahr 2004 1.385, ein Rückgang um 6% gegenüber dem Vorjahr. Die Anzahl der Drogentoten schwankt seit 1988 erheblich (geringste Anzahl Drogentoter 1988 (670 Fälle), höchste Anzahl 1991 (2125 Fälle)) und lässt sich nicht mit den sichergestellten Mengen oder der Anzahl der Straftaten mit ausreichender Stärke korrelieren. Den größten Anteil an der Gesamtgruppe haben nach wie vor Todesfälle im Zusammenhang mit Heroinkonsum. Auffällig ist aber auch die Teilgruppe der Rauschgifttodesfälle in Verbindung mit Methadon, hierbei stieg der Anteil an den Rauschgifttodesfällen insgesamt seit 1997 zunächst stark an und ist seit dem Jahr 2002 in etwa konstant relativ hoch (1997 ca. 7% der Rauschgifttodesfälle, 2004 ca. 22% der Todesfälle, siehe Abbildung 17) obwohl der Gesetzgeber mit verstärkten Bemühungen um die Betäubungsmittelsicherheit in der Substitution reagiert hat.

EINLEITUNG 15

0 500 1000 1500 2000 2500

1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004

Jahr

Anzahl der Rauschgifttoten

Todesfälle gesamt

Todesfälle in Verbindung mit Methadon (vorliegende Daten seit 1997)

Abbildung 17: Rauschgifttote in Deutschland (1988-2002)

Zusammenfassend lässt sich nach den vorliegenden Indikatoren schließen, dass die Drogenproblematik in Deutschland trotz vieler Präventiv- und Behandlungsmaßnahmen nicht rückläufig, sondern eher im Zunehmen begriffen ist. Neue Behandlungskonzepte scheinen notwendig, um hier eine Besserung der Situation für die Betroffenen und eine Entlastung der Gesellschaft zu erreichen. Ein besonders kritisch erscheinender Aspekt ist der hohe Anteil von Todesfällen in Zusammenhang mit Methadon an der Gesamtzahl der Rauschgifttodesfälle. Die bisher zur Behandlung Opiatabhängiger verwendeten Entgiftungs- und Substitutionsmethoden werden im Folgenden dargestellt.