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2.3 Die analysierten Partikelcluster

2.3.1 Cluster 1: denn & eigentlich

soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit, und insbesondere im Rahmen der konkre-ten Fallstudien in den Kapiteln 7-9, noch weiter behandelt werden. Dass trotzdem die hauptsächlich formal definierte Kategorie ‚Modalpartikeln‘ als Ausgangs-punkt für die vorliegende Studie gewählt wurde und nicht die funktional defi-nierte Kategorie ‚Abtönungsformen‘, die diese anderen zu erwähnenden Ele-mente mit einschließen würde, liegt vor allem daran, dass letztere Kategorie als Ausgangspunkt zu breit wäre und dann ohnehin auf einige beispielhafte Formen zu reduzieren wäre. Deswegen wurde die Entscheidung getroffen, den Zugang zu den Daten über die Modalpartikeln als die typischeren und bereits ausführlicher untersuchten Abtönungsformen des Deutschen zu wählen.

2.3 Die analysierten Partikelcluster

Im Rahmen dieser Analyse wird drei onomasiologisch (d. h. aufgrund der Bedeu-tung) definierten Clustern von Modalpartikeln besondere Aufmerksamkeit ge-widmet. Diese Cluster werden im Folgenden eingehender vorgestellt. Es handelt sich erstens um Partikeln wie denn und eigentlich, die eine Frage in den Ge-sprächskontext einbinden (Cluster 1, Abschnitt 2.3.1), zweitens um Partikeln wie ja und doch, die einen Sachverhalt als bekannt oder wahr markieren (Cluster 2a, Abschnitt 2.3.2), und drittens um Partikeln wie eben, einfach und halt, die einen Sachverhalt als evident darstellen (Cluster 2b, Abschnitt 2.3.3).

2.3.1 Cluster 1: denn & eigentlich

Der erste Cluster enthält Partikeln, die eine Frage mit dem Kontext verknüpfen bzw. in den Gesprächszusammenhang einbinden. Dies ist eine ziemlich allge-meine Funktion, die wenig über die genaue Nuance der Partikeln aussagt, und dementsprechend ist dieser Cluster in dieser Hinsicht etwas heterogener als die beiden anderen. Als zentrale Elemente für die Analyse gelten die Partikeln denn und eigentlich.

Denn zählt zu den häufigeren Modalpartikeln des Deutschen und gilt als die meistverwendete Partikel in Fragen (s. u. a. Hentschel 1986: 247). Damit wurde gleich auch der Verwendungsbereich dieser Partikel angedeutet: denn wird nur in Fragen eingesetzt.20 Dabei kann es sich sowohl um Entscheidungsfragen (12)

||

20 Die Verwendung in Kombinationen wie denn auch und denn doch sowie in Konditionalsätzen mit wenn bleibt in der vorliegenden Arbeit außer Betracht, zum einen, weil die Einstufung von

als auch um Ergänzungsfragen (13) handeln, wenngleich denn Péteri (2011: 104) zufolge besonders in Ergänzungsfragen hochfrequent ist (vgl. auch Thurmair 1989: 169).

(12) Jo: Willst du morgen mitkommen zum Baden?

Mia: Hast du denn zur Zeit Urlaub?

(Thurmair 1989: 164)

(13) Was ist denn hier passiert? Hier riechts so komisch.

(Thurmair 1989: 166)

Diese Beobachtungen sehen sich auch im für die vorliegende Arbeit verwen-deten Korpus bestätigt: Denn ist tatsächlich die häufigste Partikel in Fragen, und wird vor allem in Ergänzungsfragen eingesetzt (87,64% bzw. 78 von 89 Belegen gegen 12,36% in Entscheidungsfragen). Bei letzterer Anmerkung stellt sich aller-dings die Frage, inwiefern es sich um eine typische Eigenschaft von denn handelt.

Jedenfalls zeigen die Korpusdaten, dass auch eigentlich häufiger in Ergänzungs-fragen eingesetzt wird (22 von 26 Belegen, d. h. 84,62%). Es scheint sich also nicht um eine typische Eigenschaft von denn zu handeln, sondern vielmehr um eine allgemeinere Tendenz, der auch andere Modalpartikeln unterliegen.21

Wichtiger im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist allerdings die Funktion der Partikel. Diachrone Studien zu denn (von Stuckrad 1957, Wegener 2002) besagen, dass sich diese Partikel aus der Verwendung als Konsekutivadverb (heutzutage standardsprachlich meist dann, regional aber auch noch denn) entwickelt hat.22

|| denn als Modalpartikel in diesen Fällen kontrovers ist, zum anderen aber auch, weil diese

Ver-wendungsform in meinem Korpus nicht belegt ist.

21 Für diese Zählung wurden alle Partikelbelege im Korpus verwendet, d. h. auch diejenigen, bei denen der Sprecher nicht zu sehen ist und die mithin für die eigentliche Analyse außer Be-tracht bleiben. Zu beachten ist, dass die Ergänzungsfragen im Allgemeinen im Korpus etwas zahlreicher sind als die Entscheidungsfragen, allerdings nicht in dem Maße, dass sich die Distri-bution der Partikeln alleine dadurch erklären ließe (503 Ergänzungsfragen gegenüber 296 Ent-scheidungsfragen, d. h. 62,95%–37,05%). Der Hang der Partikeln zu den Ergänzungsfragen ist signifikant: χ²=20,498, p<0,001 im Falle von denn und χ²=4,213, p<0,05 im Falle von eigentlich.

22 Molnárs (2002) alternative Theorie, die Modalpartikel denn habe sich aus der Verwendung als Konjunktion entwickelt, halte ich für weniger wahrscheinlich, da sie zum einen mit der hier dargelegten Bedeutungsbeziehung zwischen Modalpartikel und Adverb (die sich auch darin zeigt, dass denn manchmal ambig ist zwischen der Verwendung als Modalpartikel und als Ad-verb, vgl. auch Schoonjans/Feyaerts 2010: 75) weniger verträglich ist und zum anderen eine eher seltsame topologische Diskrepanz enthielte (das Adverb steht – zumindest in Fragen – genauso

Als Konsekutivadverb markiert denn (bzw. dann), dass ein Sachverhalt Y als Folge eines anderen Sachverhalts X zu betrachten ist (vgl. wenn X, dann Y). Bei der Modalpartikel liegt eine ähnliche Folgebeziehung vor, allerdings auf meta-sprachlicher Ebene: Mittels der Partikel denn wird markiert, dass der Anlass für die Frage im Gesprächskontext zu finden ist. Vielfach handelt es sich um etwas Unerwartetes, das beim Sprecher ein gewisses Staunen hervorruft, obwohl diese Nuance nicht immer gleich prominent anwesend ist (vgl. Thurmair 1989: 164–167 und 1991a: 384–385 sowie Deppermann 2009: 51).

Das Element der Kommunikationssituation, das den Sprecher zu der Frage mit denn veranlasst, ist vielfach im verbalen Kontext zu situieren. Typischerweise handelt es sich in dem Fall um eine Vorgängeräußerung des Gesprächspartners, wie in (12). Wenn Jo fragt, ob Mia mit ihm baden gehen möchte, so impliziert das, dass er Zeit dafür hat. Das findet Mia seltsam, da es sich im Grunde genommen um einen Arbeitstag handelt, und dementsprechend fragt sie ihn, ob er denn Ur-laub hat. Der Anlass für diese Frage ist also Jos Bitte, ihn zum Baden zu begleiten, und diese Beziehung zur Vorgängeräußerung wird durch denn markiert. Ähnlich ist die Situation in (13). Allerdings ist der Anlass für die Frage hier nicht eine Vor-gängeräußerung, sondern ein außersprachliches Element der Gesprächssitua-tion, das der Sprecher gerade wahrnimmt. In diesem Fall bemerkt der Sprecher, dass ein komischer Geruch im Raum hängt, und aus dem Grund stellt er die Frage, was passiert sein könnte.

Ähnlich wie die Erstaunensnuance ist jedoch auch diese Veranlassungsbe-ziehung nicht immer gleich deutlich wahrnehmbar. In (14-15) zum Beispiel ist es zwar so, dass die Frage gut in den Kontext hineinpasst, aber trotzdem ist es schwieriger zu sagen, die Frage sei von einem Element in der Gesprächssituation hervorgerufen worden, als in (12-13). Aus diesem Grund haben Thurmair (1989:

167), Péteri (2011) und Bayer (2012) angedeutet, dass sich denn zu einem reinen Frageanzeiger, ähnlich dem lateinischen Fragesuffix -ne, weiterentwickeln dürfte.23 Die eigentliche abtönende (bzw. (inter)subjektive) Funktion scheint also

|| wie die Modalpartikel typischerweise im Mittelfeld, während die Konjunktion nicht

mittelfeldfä-hig ist).

23 Meibauer (1994: 222) lehnt diese Analyse ab, weil u. a. die Verwendung in Konditionalsätzen wie wenn es denn sein muss dagegen spräche. Allerdings handelt es sich hier um eine andere Verwendung von denn, die einem anderen Zweig der Grammatikalisierung dieser Form angehö-ren dürfte. Zudem ist es typisch für Grammatikalisierungsprozesse, dass ältere Stufen der Ent-wicklung neben den neueren weiterbestehen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass denn in Konditionalsätzen und in Fragen auf einer Grammatikalisierungslinie stehen, wäre also das Be-stehen dieser Form in wenn-Sätzen nicht als Argument gegen eine weitere Grammatikalisierung hin zum Frageanzeiger zu sehen.

zurückzutreten zugunsten der illokutionstypmarkierenden Wirkung, die der pro-minenteste Aspekt der Bedeutung von denn zu werden scheint.

(14) IN: Also das merkt man halt: Der gelernte Koch kennt alle Tricks, ne.

HO: Ja, das ist von Mama geklaut, ne. Also wie lernt man das denn alles?

Man guckt sich ja überall alles ab.

(FG_B1c)

(15) Ei, hallo Ulli! Wie gehts denn so?

(Thurmair 1989: 169)

In der Hinsicht ähnelt die Partikel denn der Partikel eigentlich. Diese Partikel, die ebenfalls in Entscheidungs- wie Ergänzungsfragen vorkommt, hat zwar bis-lang nicht diese Weiterentwicklung zum reinen Frageanzeiger angetreten, ist je-doch weniger deutlich abtönend (im engsten Sinne des Wortes) als die anderen Partikeln, die in der vorliegenden Arbeit eingehender betrachtet werden: Eigent-lich wird eingesetzt, um den Übergang zu einem anderen Thema (bzw. zu einem anderen Aspekt des Themas) zu markieren. Die Einstufung als weniger deutlich abtönend impliziert allerdings nicht, dass die Partikel keine intersubjektive Wir-kung hätte. Indem er eigentlich einsetzt, markiert der Sprecher explizit, dass er durchaus einsieht, dass die Frage einigermaßen vom Gesprächszusammenhang gelöst ist. Mittels eigentlich weist der Sprecher also explizit auf diesen Themen-wechsel hin, sodass der Hörer auch darauf aufmerksam gemacht wird und die Frage nicht als einen Bruch im logischen und kohärenten Gesprächsaufbau auf-fasst.

Die Beispiele (16-17) illustrieren die Verwendung von eigentlich. In Beispiel (16), das dem Korpus Verbmobil des Bayerischen Archivs für Sprachsignale ent-stammt, wird eigentlich in einer Entscheidungsfrage verwendet, mit der auf the-matischer Ebene von der Anfangszeit zur Dauer der Besprechung übergegangen wird. In (17) steht eigentlich in einer Ergänzungsfrage. Das Beispiel entstammt ei-ner Sendung von Volle Kanne (ZDF). In jeder Sendung bereitet Fernsehkoch Ar-min Roßmeier ein einfaches Gericht zu. Das Beispiel folgt direkt danach: Der Mo-derator dankt dem Koch und wendet sich wieder dem Studiogast Horst Lichter zu. Im Großen und Ganzen scheint auch hier das Rahmenthema gleichzubleiben (Essen), aber es liegt durchaus eine thematische Verschiebung vor (vom Tages-gericht zum LieblingsTages-gericht des Gastes).

(16) MOR: Ja, dann sagen wir doch einfach Dienstag, zehn Uhr, zu unserem Besprechungstermin. Wären Sie da einverstanden?

CWI: Ja. Wissen Sie eigentlich, wie lange der Besprechungstermin unge-fähr ähm dauern wird?

(Verbmobil m30n)

(17) IN: Danke, Armin, das sieht doch sehr sehr lecker aus. Horst, was ist ei-gentlich dein Lieblingsgericht?

(FG_B1c)

Gelegentlich wird angenommen, dass eigentlich die Frage als beiläufig mar-kiert oder wenigstens markieren kann (u. a. Péteri 1992: 23 und Weydt/Hentschel 1983: 11). Thurmair (1989: 177) ist damit nicht einverstanden und behauptet dies-bezüglich: „Eigentlich-Fragen leiten ein neues Thema ein, das dann aber auch Thema bleibt.“ Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Normalerweise wird auf Fragen mit eigentlich eine Antwort erwartet, und wenigstens so lange bleibt das neue Thema tatsächlich erhalten. Man kann auch länger beim neuen Thema verweilen (in (17) wird zum Beispiel noch einige Minuten lang über Horst Lichters Lieblingsessen weitergeredet), aber dem ist nicht unbedingt so. Nachdem die Frage in (16) geäußert wurde, zum Beispiel, wird kurz eine Antwort geliefert, und schon gleich wird mit der Einplanung eines weiteren Termins fortgefahren. Wirk-lich beiläufig ist die Frage in (16) vielleicht nicht – es ist für die Einplanung der Besprechung durchaus wichtig, zu wissen, wie lange sie dauern soll – aber dieser Aspekt der Dauer bleibt nur ganz kurz das Thema. Ähnlich ist es, wenn man Es-sensgäste zwischendurch fragt: „Werden Sie eigentlich satt?“ Solche Fragen wer-den meist nur ganz kurz beantwortet, und schon gleich danach kehrt man zum vorigen Gesprächsthema zurück oder man wechselt abermals zu einem neuen Thema. In solchen Fällen scheint die Frage also doch, contra Thurmair (a. a. O.), eher als beiläufig einzustufen zu sein.