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7 Fallstudie 1: Kopfschütteln

7.1 Abtönendes Kopfschütteln 1

Die erste Geste, die einer genaueren Betrachtung unterzogen wird, ist das Kopf-schütteln. Dabei soll insbesondere auf die Kookkurrenz mit der Partikel einfach eingegangen werden (7.2). Tatsächlich weisen diese Partikel und das Kopfschüt-teln beachtliche Übereinstimmungen auf, wie im Abschnitt 7.2.1 gezeigt werden

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1 In Schoonjans/Brône/Feyaerts (2015) wurde dieses Kopfschütteln noch als ‚pragmatisches Kopfschütteln‘ bezeichnet. Diese Bezeichnung wird hier nicht weiter verwendet, da der Begriff

‚pragmatisch‘ auch auf andere Verwendungen des Kopfschüttelns zutreffen dürfte. Sofern nicht anders angegeben, ist im Folgenden immer das abtönende Kopfschütteln gemeint, wenn einfach von ‚Kopfschütteln‘ die Rede ist.

soll. Der Vollständigkeit halber wird allerdings auch kurz auf die anderen Ver-wendungskontexte des abtönenden Kopfschüttelns eingegangen (7.3) und zum Schluss (7.4) wird ein kurzer Vergleich mit der abtönenden Verwendung des Ni-ckens geliefert.

Das Kopfschütteln ist eine Geste, die in der Literatur schon für mehrere Spra-chen besproSpra-chen wurde (u. a. McClave 2000 fürs Englische, Kendon 2002 fürs Englische und Italienische, Calbris 2011 fürs Französische). Im Anschluss an Ken-don (2002: 149) ist in der vorliegenden Arbeit von Kopfschütteln die Rede, „when-ever the actor rotates the head horizontally, either to the left or to the right, and back again, one or more times, the head always returning finally to the position it was in at the start of the movement.“ Wichtig ist, das Kopfschütteln vom Kopf-schwenk (‚head sway‘) zu unterscheiden: Beim Kopfschütteln handelt es sich um eine meist iterative Bewegung („one or more times“), die sich nicht so eindeutig in die klassischen Gestikphasen (Vorbereitung, Stroke und Rückzug) aufteilen lässt, während es sich beim Kopfschwenk um eine große Ausholbewegung han-delt, bei der durchaus eine Vorbereitungs- und eine Rückzugsphase zu unter-scheiden sind. Außerdem ist die Amplitude der Bewegung bzw. die Distanz zwi-schen den Extremkinen2 beim Kopfschwenk im Allgemeinen größer als beim Kopfschütteln.

Wie bereits erwähnt, sind die oben angesprochenen Studien von Calbris, Kendon und McClave nicht auf das Deutsche ausgerichtet. Obwohl konventiona-lisierte Gesten durchaus sprach- bzw. kulturspezifisch sein können (vgl. Kapitel 3), legen die Daten nahe, dass die Verwendung des Kopfschüttelns im Deutschen mit seiner Verwendung im Englischen, Französischen und Italienischen beacht-liche Übereinstimmungen aufweist.

In westeuropäischen Kulturen ist das Kopfschütteln vor allem als das Emb-lem der Negation bekannt. Allerdings haben McClave (2000) und Kendon (2002) weitere Verwendungen des Kopfschüttelns nachgewiesen. Es könne zum Beispiel eingesetzt werden, um eine Äußerung zu intensivieren oder um sie als Beurtei-lung (‚assessment‘) zu markieren. Darüber hinaus könne es Unsicherheit oder Zweifel beim Sprecher markieren, oder gerade andeuten, dass dem Sprecher zu-folge das Gesagte ausnahmslos zutrifft. Vor allem letztere Verwendung lässt sich mit Abtönung verknüpfen, da sie an die Evidenzbedeutung der Partikeln des Clusters 2b erinnert (vgl. Trömel-Plötz 1979: 321: „Durch die Modifizierung mit

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2 Als Extremkine bezeichnet Sager (2005: 26) die Maximalpunkte der Bewegungsamplitude bzw. die Umkehrpunkte der Bewegung.

eben wird der Status der Behauptung geändert: die Behauptung wird zur katego-rischen, axiomatischen Aussage, die unmittelbar evident, allgemein gültig und für alle Zeiten zutreffend ist.“ – meine Hervorhebung).

Es ist kein Zufall, dass diese Bedeutungen durch eine Form ausgedrückt wer-den, die vom Ursprung her der Ausdruck einer Negation ist. Tatsächlich geht Ken-don (2002) davon aus, dass in diesen Fällen auch eine Art implizierte Negation nachzuweisen ist. Das suggerieren auch Paraphrasen wie ‚ich weiß nicht genau‘

bzw. ‚ich bin mir nicht sicher‘ für die Zweifelsbedeutung oder ‚ich wüsste nicht, was noch weiter dazu zu sagen wäre‘, ‚ich sehe nicht, wie es anders sein könnte‘

und ‚ich sehe keine andere Möglichkeit‘ für die Ausnahmslosigkeitsbedeutung, wie sie auch Kendon selber vorschlägt.3

Allerdings kann man nicht sagen, dass es sich hier noch um eine reine Nega-tionsgeste handle. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass sie in eindeutig po-sitiven Kontexten eingesetzt werden kann (wie sich auch in den Beispielen im Folgenden noch zeigen wird). Für das emblematisch-negierende Kopfschütteln hat Kendon (2002) zwar nachgewiesen, dass es mit positiven Äußerungen ver-wendet werden kann, wenn diese Äußerung einer Vorgängeräußerung wider-spricht (und sie somit eigentlich negiert) oder eine negative Antwort auf eine Vor-gängerfrage impliziert, aber auch das scheint bei der Ausnahmslosigkeits-bedeutung nicht (bzw. zumindest nicht immer) der Fall zu sein.

In der Hinsicht ließe sich die These formulieren, dass sich letztere Verwen-dung des Kopfschüttelns durch Grammatikalisiertung aus dem emblematisch-negierenden Kopfschütteln entwickelt hat. Dafür würde auch sprechen, dass das Kopfschütteln in diesem Fall im Allgemeinen eine beschränktere Amplitude auf-zuweisen scheint als das emblematisch-negierende Kopfschütteln (diese Be-obachtung bedarf allerdings noch weiterer Verifizierung, zumal sich die Frage stellt, ob nicht auch innerhalb der Kategorie des emblematisch-negierenden Kopfschüttelns – in Anlehnung etwa an Kendon (2002) – weitere Subkategorien zu identifizieren sind, die eine unterschiedliche prototypische Amplitude aufwei-sen). Die Grammatikalisierungsthese würde auch erläutern, wieso eine vom Ur-sprung her negierende Form auch Verwendungen aufweist, in denen die Negati-onsbedeutung stark verblasst (und nur noch in den Paraphrasen deutlich wahrnehmbar) ist. Auf die Grammatikalisierungsfrage soll in Kapitel 13 ausführ-licher eingegangen werden.

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3 Zugleich verbinden diese Paraphrasen das Kopfschütteln mit dem Achselzucken und dem

‚Shrug‘, den typischen Zeichen des Nichtwissens. Darauf soll in den Abschnitten 9.2 und 11.1.3 ausführlicher eingegangen werden.