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2 Literaturübersicht

2.4 Fremdbakterien im Pansen

2.4.1 Clostridium botulinum

Zur Familie der Bacillaceae gehörend sind Clostridien Sporenbildner. Das ermöglicht ihnen ein Überleben unter ungünstigen Umweltbedingungen, durch welche die Sporulation ausgelöst wird.

Clostridium botulinum (C. botulinum) beschreibt eine heterogene Gruppe anaerober Bakterien, deren Gemeinsamkeit in der Synthese des BoNT (Botulinumneurotoxin) und der Sporenbildung liegt. Die Benennung der verschiedenen Stämme erfolgt aufgrund unterschiedlicher Toxintypen. Problematisch ist hierbei, dass auch andere Clostridienspezies zur BoNT-Synthese fähig sind (HALL et al. 1985; McCROSKEY et al. 1986). So beschrieben HALL et al. (1985) beispielsweise einen Fall von Kinds-botulismus. Diese Form entsteht in der Regel durch die Absorption von Toxin über die Darmschleimhaut, welches in vivo im Darm nach Ansiedlung und Vermehrung von C. botulinum produziert wurde. Er führte das Toxin und die dadurch ent-standene Erkrankung bei dem von ihm beschriebenen Fall allerdings nicht auf C. botulinum sondern auf Clostridium barati zurück. Ähnliches entdeckten McCROSKEY et al. (1986): bei einem positiven Nachweis von Typ E Botulinumtoxin wurde der Kindsbotulismus auf Clostridium butyricum zurückgeführt.

Clostridien sind ubiquitär vorkommende Bakterien; ein Nachweis in Silagen, Rinder-kot oder Einstreu stellt daher kein ungewöhnliches Untersuchungsergebnis dar (KEHLER u. SCHOLZ 1996). Ein potentielles Risiko des Vorkommens von C. botulinum in Rindern ist ein Übergang des Toxins auf Milchprodukte und somit die Gefährdung des Menschen (LINDSTRÖM et al. 2010). Bereits eine geringe Verschmutzung des Euters mit Kot oder über die Stallluft, die durch eingetrocknete Kot- oder Silagereste mit Sporen kontaminiert ist, kann demnach zu einem Übertrag in die Milch führen (WEIßBACH 2004).

Eine Impfung landwirtschaftlicher Nutztiere ist möglich und in gefährdeten Gebieten essentiell. Eine wichtige Prophylaxemaßnahme stellt ein verbessertes Management dar, um Kontamination von Weideflächen und Futtermitteln zu verhindern und die Futterqualität zu verbessern (KEHLER u. SCHOLZ 1996).

Ein Nachweis von Clostridien kann mittels PCR erfolgen. Entwickelt wurde diese molekulargenetische Technik von LINDSTRÖM et al. (2001a).

2.4.1.1 Eintragsquellen von Clostridium botulinum und anderen Clostridien in die Wiederkäuerration

Eine Eintragsquelle von C. botulinum in die Wiederkäuerration ist die Kontamination von Futtermitteln mit sporenhaltigen Kadavern von Kleinnagern und Wildtieren, die u.

a. von Erntemaschinen verpresst wurden (GALEY et al. 2000; WEIßBACH 2004), oder von mit Erde verunreinigten Grobfuttermitteln (BÖHNEL u. GESSLER 2004;

WEIßBACH 2004). Auch in Bioabfällen (BÖHNEL u. LUBE 2000) und Kompost-proben (SCHIMMEL 2002) wurden Toxine gefunden. Dabei wurde Typ B Botulismus dem Einsatz mangelhaft silierter Heulage zugeschrieben (SCHIMMEL 2002), trat aber auch nach Verwendung von Biertreber auf (BREUKINK et al. 1978).

Typ C Botulismus wurde nach Verfütterung von Futtermitteln diagnostiziert, die Kadaver oder Geflügelmist enthielten, die mit dem Bakterium oder Toxin belastet waren. Diese Form führte zu Hemmung der Pansenmotorik, Erniedrigung des Schwanztonus und Festliegen, wahrscheinlich ausgelöst durch Tetraparese (JEAN et al. 1995). Typ D Botulismus stand in Verdacht, durch die Aufnahme von Knochen toter Tiere hervorgerufen worden zu sein (ROCKE et al. 2008).

Die Aufrechterhaltung des Kreislaufs von C. botulinum wird der landwirtschaftlichen Nutzung zugeschrieben. Keime werden mit dem Kot ausgeschieden, über Gülle und Einstreu auf die Felder gebracht und können somit in pflanzliche Futtermittel gelangen. KALZENDORF (2004) beschrieb eine geringere Clostridienbelastung in Grassilagen nach Einsatz eines mineralischen Düngers als nach Güllebedüngung.

Ein Vorkommen von C. botulinum ist im Kot gesunder Haustierbestände durchaus üblich (NOTERMANS et al. 1978), wobei saisonale Schwankungen bestehen. Im Sommer wurden < 1,5 Sporen/g nachgewiesen, im Winter > 4 Sporen/g. Als Grund hierfür wird eine vermehrte Silagefütterung im Winter vermutet. Silage kann auf die oben beschriebenen Wege verunreinigt werden. Vorhandene Sporen gelangen so in die Mieten, ihr Auskeimen wird durch anaerobes Milieu begünstigt. Eine Vermehrung von C. botulinum ist ab einem pH-Wert von > 4,5 und einer Wasseraktivität > 0,985 (TS < 25 %) möglich (MEYER u. COENEN 2002). Nitratarme Ausgangsmaterialien be-günstigten dies, da die fehlenden nitrosen Gase ihre hemmende Wirkung nicht ausüben konnten (POLIP 2001). HAAGSMA und TER LAAK (1979) wiesen 104 Keime/g in toxinhaltiger Grassilage nach, die bei Rindern Typ B-Botulismus auslöste. Ähnliche Fälle wurden in verschiedenen Ländern beschrieben (HAAGSMA u. TER LAAK 1979; ABBITT et al. 1984; DIVERS et al. 1986; POPOFF u.

LECOANET 1987; HOGG et al. 1990; JEAN et al. 1995; YERUHAM et al. 2003).

Eine Zusammenfassung der möglichen Vektoren für den Eintrag von Clostridien in Futtermittel ist in Tab. 2.5 aufgeführt.

Tab. 2.5: Mögliche Vektoren für den Eintrag von Clostridien in Futtermittel

Matrix Clostridienart Autor/Jahr

Gülle C. botulinum KALZENDORF 2004

C. botulinum Typ C und D NEILL et al. 1989 Geflügelmist

C. botulinum Typ C JEAN et al. 1995 Kadaver C. botulinum Typ C GALEY et al. 2000;

WEIßBACH 2004 Knochen toter Tiere C. botulinum Typ D ROCKE 2008

Erde C. botulinum BÖHNEL u. GESSLER

2004; WEIßBACH 2004 Bioabfälle C. botulinum Typ A, B, C, D,

E

BÖHNEL u. LUBE 2000

Kompost C. botulinum SCHIMMEL 2002

Biertreber C. botulinum Typ B BREUKINK et al. 1978 Mangelhafte

Silierung

C. botulinum Typ B SCHIMMEL 2002

2.4.1.2 Das Botulinumtoxin

Das Botulinumtoxin besteht aus zwei Untereinheiten. Die α-Einheit ist ein Polypeptid mit einem Molekulargewicht von 140 bis 167 kDa (KRIEGLSTEIN 1990). Mittels Proteasen erfolgt eine Aktivierung des Toxins durch Spaltung in eine leichte Kette mit einem Molekulargewicht von 50 kDa und eine schwere Kette mit 100 kDa (DASGUPTA u. SUGIYAMA 1972). Die Ketten sind über Disulfidbrücken miteinander verbunden (DASGUPTA 1981). Eine Ausnahme bildet das Neurotoxin A, welches wahrscheinlich über Fe2+-Ionen verbunden wird (BHATTACHARYYA et al. 1988;

BHATTACHARYYA u. SUGIYAMA 1989). Bei der ß-Einheit handelt es sich um eine nichttoxische Komponente (SUGIYAMA 1980). OHISHI et al. (1977) testeten die Toxine von C. botulinum Typ A, B und F. Es stellte sich heraus, dass das Vorläufertoxin (Progenitortoxin)- ein Komplex aus toxischer und nicht-toxischer Komponente- eine höhere orale Toxizität bei Mäusen aufwies als die dissoziierte toxische Komponente. Die dissoziierte toxische Komponente war im Gegenteil sogar stark anfällig für Säuren und proteolytische Enzyme (KITAMURA et al. 1969; OHISHI u. SAKAGUCHI 1975). Die erhöhte Resistenz des Progenitortoxins wurde der nicht-toxischen Komponente zugesprochen, durch deren Bindung der toxische Anteil vor Zerstörung im Verdauungstrakt geschützt war (OHISHI et al. 1977).

KOZAKI u. NOTERMANS (1980) zeigten aber auch, dass die hochmolekulare Fraktion (L=large) der aufgereinigten Toxintypen B (B-L) und C (C-L) im Panseninhalt deutlich stabiler war als die Fraktion mittlerer Molekulargröße (M=medium) beider Toxine (B-M und C-M). Die Ergebnisse hinsichtlich der Stabilität des Toxintyps B entsprachen den Beobachtungen, dass B-L im Magensaft der Ratte stabiler war als B-M (SUGII et al. 1977). Bei Mäusen wies B-L nach oraler Verabreichung eine tausendfach höhere Toxizität auf als B-M (OHISHI et al. 1977). Nach Inkubation mit Pansensaft war bei B-L eine deutliche Zunahme der Toxizität zu beobachten,

wohin-gegen B-M nur minimal toxischer wurde. Die Steigerung der Toxizität bei B-L wurde proteolytischen Enzymen im Panseninhalt zugeschrieben (KOZAKI u. NOTERMANS 1980). Daher sind diese bei Intoxikationen des Rindes von besonderer Bedeutung (KOZAKI u. NOTERMANS 1980).

KOZAKI u. NOTERMANS (1980) folgerten aus den Untersuchungen von ALLISON et al. (1976), dass eine Intoxikation beim Wiederkäuer nur dann auftritt, wenn die auf-genommene Toxinmenge das Abbauvermögen des Pansens überschreitet. So wirkte auch beispielsweise die subkutane Applikation einer Botulinumtoxin Typ D Aufberei-tung bereits in einer Dosierung von 0,00025 mL/kg KGW letal, während die orale Gabe der hundertfachen Dosis (0,025 mL/kg KGW) überlebt wurde (SIMMONS u.

TAMMEMAGI 1964; ALLISON et al. 1976).

Nach oraler Aufnahme ist das Schicksal der Toxine im Pansen von Interesse. Im gesunden Pansensaft wurde eine Inaktivierung von C. botulinum Toxin Typ C sowohl bei Rindern als auch bei Schafen nachgewiesen (ALLISON et al. 1976). Hierbei wurde einem Schaf und einem Rind aus einer Pansenfistel Panseninhalt entnommen. Die Tiere wurden mit Luzernehäckseln, bzw. Luzerneheu gefüttert. Die Pansensaft-proben wurden 16 bis 18 Stunden nach der Fütterung in isolierte Flaschen gefüllt. Nach der Filterung durch eine doppelte Schicht Mullbinde wurde der Pansensaft in ein Polypropylenröhrchen mit Gummistopfen gefüllt und mit CO2

begast. Eine Nadel im Gummistopfen leitete das entstehende Gas ab. Das Botulinumtoxin Typ C wurde in einem Verhältnis 1:50 (Vol./Vol.) dem Pansensaft zugesetzt. Die Toxizität der Lösung wurde im Mäuseversuch überprüft. In Abhängigkeit von der Dosis wurde das Toxin nach 30 Min. bis vier Stunden Inkubationsdauer vollständig inaktiviert. Hierfür waren augenscheinlich Pansenbakterien verantwortlich, welche die Botulinumtoxine abbauten; zellfreier Pansensaft zeigte keine inaktivierende Wirkung und Fraktionen, die neben Protozoen nur wenige Bakterien enthielten, hatten einen deutlich geringeren inaktivierenden Effekt. Diese Fraktionen wurden durch Zentrifugation mit 500 xg für 5 Min., bzw.

20000 xg für 10 Min. hergestellt (ALLISON et al. 1976). Die Pansenbakterien verfügen demnach über proteolytische Enzyme, da es sich beim BoNT um ein Protein handelt. Dieses Ergebnis stimmt mit der Erkenntnis überein, dass proteolytische Enzyme im Pansen nicht frei sondern zellassoziiert sind (BLACKBURN 1968). Während des Abbauprozesses wurde die Gasproduktion gesteigert. Bei einem erhöhten Angebot anderer Proteine vermuten ALLISON et al.

(1976) eine Verringerung des Toxinabbaus.

2.4.1.3 Clostridium botulinum im Verdauungstrakt

Angaben zur möglichen Vermehrung von C. botulinum (Typ B) und zur Toxinbildung im Magen-Darm-Trakt des Rindes sind widersprüchlich. Während Untersuchungen durch HAAGSMA und TER LAAK (1978b) keine Hinweise auf eine Vermehrung und Toxinbildung in vivo lieferten, schlossen NOTERMANS et al. (1978) diese Möglich-keit nicht aus: Bei Verfütterung kontaminierten Malzes (6x105-106 C. botulinum Typ B-Keime/g) an Rinder wurden Clostridiengehalte in Panseninhalt und Faeces von 105-107 Keime/g erreicht. Nach Absetzen der Malzfütterung ließen sich die

Clostridien noch mindestens zehn Tage im Panseninhalt und acht Wochen in den Faeces nachweisen.

Eine Beeinträchtigung der Protozoen kann ebenso eine Etablierung von Clostridien im Pansen ermöglichen. Bei einem Vergleich von faunierten und defaunierten Rindern stellte OZUTSUMI (2005) mittels PCR-Analyse fest, dass im defaunierten Pansen C. botulinum und verwandte Arten (36 %) dominierten, während im faunier-ten Pansen eher Bacteroides und Prevotella (34,4 %) anzutreffen waren.

2.4.1.4 Auswirkung von Clostridium botulinum auf die Pansenprotozoen

Im Zusammenhang mit der Erkrankung Botulismus wird der protozoären Fauna eine bedeutende Funktion zugesprochen (STÄNDER et al. 2009): einerseits regulieren sie indirekt und direkt die mikrobielle Flora, andererseits wird bei ihnen die Zielstruktur der BoNTs vermutet, die sogenannten SNARE-Proteine (soluble N-ethylmaleimide-sensitive-factor attachment receptor; STÄNDER et al. 2009). Diese Proteine befinden sich auf der Vesikeloberfläche und dem entsprechenden Ziel-Organell vieler Zellen (CHEN u. SCHELLER 2001). Die SNARE-Kombinationen sind sehr spezifisch. Eine besondere Bedeutung haben sie bei der Freisetzung von Neurotransmittern: sie sind nötig, damit die Vesikel mit der Membran verschmelzen und eine Pore bilden. Das Botulinumtoxin beispielsweise spaltet hydrolytisch das SNAP-25-Protein, welches in der präsynaptischen Membran liegt. Somit wird das erregende System durch die Verhinderung der Freisetzung der Transmitter blockiert (SCHIAVO et al. 1997).

STÄNDER (2009) wies deutliche Unterschiede in der mikrobiellen Flora und Fauna des Vormagens zwischen BoNT-positiven und BoNT-negativen Tieren nach (s.

Tab. 2.6). Ungeklärt ist geblieben, ob es sich dabei um Ursache, Folge oder Begleit-erscheinung handelt. Demnach könnte eine durch C. botulinum verursachte Ver-schiebung der Bakterienpopulation, sowie die Beeinflussung der protozoären Fauna zu Veränderungen der Pansenfermentation führen. Ein linearer Zusammen-hang zwischen Protozoen und dem Nachweis der BoNTs konnte allerdings nicht darge-stellt werden. Auch Auswirkungen auf die Fermentation konnten mit den durchge-führten Untersuchungen nicht festgestellt werden.

Tab. 2.6: Unterschiede der ruminalen Flora und Fauna im Pansensaft zwischen BoNT-positiven und BoNT-negativen Tieren (STÄNDER et al. 2009) Ruminale Flora und Fauna BoNT-positiv1 BoNT-negativ1

Dasytricha spp. 2,13 3,05

Epidinium spp. 4,25 2,49

Ophryoscolex spp. 1,002 1,18

Dasytricha spp. 1,002 3,03

Eubacteria 8,05 8,45

C. lituseburense-Gruppe 1,00 2,81

Lactobacillus/Enterococcus 7,34 6,30

Desulfobacterales 7,08 4,31

Gammaproteobacteria 6,81 5,52

1: Angabe der Protozoenkonzentrationen (Mittelwerte) in log10 Zellzahl/mL Pansensaft; Angabe der Bakterienkonzentrationen (Mittelwerte) in log10 Zellzahl/mL Pansensaft

2: nicht nachweisbar (entspricht: Bakterien < 105/mL Pansensaft